Leere Versprechen mit System. Was ein extra-institutionelles Treffen wie G7 in Elmau soll

Sonnenaufgang im Wettersteingebirge. Foto: CC-Lizenz, 7pc
Sonnenaufgang im Wettersteingebirge. Foto: CC-Lizenz, 7pc

Viele hatten gedacht, dass nach dem G8-Gipfel in Heiligendamm derartige Treffen kaum mehr eine Rolle spielen. Mit der Krise ab 2008 wurde plötzlich die G20 wichtiger. Nun trifft sich die G7 in Elmau – ohne Russland. Es stellt sich die Frage, gegen was man sich bei derartigen Gipfelprotesten eigentlich richtet. Die G7 ist weder ein Staat, noch etwas, was mit der Europäischen Union (EU) vergleichbar wäre. Nicht einmal der Welthandelsorganisation (WTO) ist der G7-Gipfel ähnlich. Bei der WTO legen miteinander konkurrierende Staaten gemeinsame Spielregeln fest, können ein Schiedsgericht anrufen und sich bei Regelverletzungen sogar sanktionieren. Eine derartig verregelte Institutionalisierung zur Stabilisierung politischer Prozesse stellt die G7 nicht dar. Die G7 verfügen nur über eine schwach ausgebildete Bürokratie und beschränkte Interventionsformen. Die getroffenen Absprachen sind zu wenig verbindlich – im Kern betreibt sie symbolische Politik. Dass sie leere Versprechen sind und bleiben, liegt also in der Sache selbst. Continue reading “Leere Versprechen mit System. Was ein extra-institutionelles Treffen wie G7 in Elmau soll”

»Das System ist wie die Kirche«. Die US-Zentralbank Fed ist aus der Krise geboren und bis heute ein Symbol des US-Pragmatismus

Von Ingo Stützle

Wie aus heiterem Himmel brach die Krise über die USA herein. Reiche wussten nicht, wohin mit ihrem Geld, was die Spekulation auf den Finanzmärkten beflügelte. Ein System unregulierter Schattenbanken machte den traditionellen Banken Konkurrenz. Kursgewinne bei Wertpapieren zogen eine verstärkte Kreditvergabe nach sich und destabilisierten das Bankensystem. Als beschlossen wurde, ein in Zahlungsschwierigkeiten geratenes Unternehmen fallen zu lassen, um der Gefahr einer Krise zu entgehen, passierte das Gegenteil: Eine Panik brach los. Schon nach kurzer Zeit waren etwa 16.000 Banken pleite.

Foto: CC-Lizenz, ncindc

Nein, wir befinden uns hier nicht in der jüngsten Krise, sondern mitten in der Panik von 1907. Nicht Lehman Brothers, sondern die Knickerbocker Trust Company wurde fallengelassen. Nicht von der US-Notenbank Fed, sondern von der Privatbank JP Morgan. Knickerbocker wurde als nicht systemrelevant eingestuft. Damals entschied keine politische Instanz, sondern ein Kreis um den Privatbankier John Pierpont Morgan darüber, ob taumelnde Unternehmen unter einem Rettungsschirm Zuflucht bekommen sollten. (1) Die USA waren damals die einzige bedeutende Wirtschaftsmacht ohne Zentralbank. Continue reading “»Das System ist wie die Kirche«. Die US-Zentralbank Fed ist aus der Krise geboren und bis heute ein Symbol des US-Pragmatismus”

Aufgeblättert: David McNally – Global Slump: The Economics and Politics of Crisis and Resistance

Endlich ist das neue Buch von David McNally lieferbar: »Global Slump: The Economics and Politics of Crisis and Resistance«.

Auf Deutsch wurde 2008/2009 ein Vortrag in zwei Teilen in der Zeitschrift Das Argument abgedruckt. [1. McNally, David (2008): Von der Finanzkrise zur Weltwirtschaftskrise, 1. Teil, in: Das Argumen 279, 50.Jg., 796-804; sowie: Ders. (2009): Von der Finanzkrise zur Weltwirtschaftskrise, 2. Teil, in: Das Argument 281, 51.Jg., H.3, 471-478.]

Mit Equal Time sprach er über sein neues Buch, die Auswirkungen der Krise und von der Notwendigkeit von Antirassismus und sozialer Gegenmacht.

http://equaltimeradio.com/?q=audio/download/312/1.18.11McNally.mp3

Anmerkung:

Kommunismus in der Abseitsfalle?

Dieses Wochenende wird an der Berliner Volksbühne die Idee des Kommunismus diskutiert. Wer sich das Ticket für 55 Euro (!) leisten kann, nicht auf der Fusion ist, darf zwei Tage zuhören, mitdiskutieren und sich auf künsterische Beiträge freuen. Bereits gestern wurde auf den linken Buchtagen über das gleiche Thema diskutiert. Wohl aber nicht so, dass es sich gelohnt hätte. In der Volksbühne sind die Popgrößen der kommunistischen Linken Alain Badiou, Slavoj Žižek und Antonio Negri mit von der Partie. Sowohl für DIE ZEIT (der Artikel von Th. Assheuer ist nicht online), die Süddeutsche als auch für die tageszeitung war das Anlass genug, zu zeigen, dass sie auch noch am kommunisten Ball sind. Klaus Bittermann hatte bereits gestern in der taz seinen ganz eigenen Beitrag dazu geleistet. Heute legte Andreas Fanizadeh als Negri-Versteher nochmals nach. Der ak war bereits in der Vorrunde 2008 dabei und diskutierte die Thesen Badious über mehrere Runden.

Continue reading “Kommunismus in der Abseitsfalle?”

Wo bleibt das Gemeinsame? Eine Anmerkung zu Negri in Berlin

Mueder Negri
CC-Lizenz, grupodefotoes

Angesichts des Besuchs von Antonio Negri in Berlin und einer ganzen Reihe an Artikeln, kritischen Berichten und Interviews (taz, fr) habe ich mich an eine Replik erinnert, die ich vor ein paar Jahren mit heißer Nadel für die arranca gestrickt hatte. Und ich muss feststellen: Nach wie vor aktuell! Auch wenn ich das neue Buch noch nicht zur Hand genommen habe scheint mir schon viel in Multitude angelegt. Sonst hätte ich nicht vor drei Jahren das kritisieren können, worauf Commonwealth hinausläuft. Aber eines muss ich zugeben: Müde wirkte Negri auf den Veranstaltungen keineswegs.

Vorhersage: Weltmarktungewitter. Der US-Dollar zu Gast China

Weltmarktungewitter
Foto: CC-Lizenz, merrickb

Dass nach wie vor der neoliberale Zeitgeist herrscht, zeigte Obamas Besuch in China. Eines der zentralen Themen waren die Währungsverhältnisse. Auch in der deutschen Presse. Heute in der taz und gestern in Die Welt.

Im Februar war bereits die US-Außenministerin Clinton in China zu Besuch. Damals gab es ähnlich Debatten. Kurz nach Rückkehr von ihrer China-Reise kündigte Präsident Obama zeitgleich mit dem größten Konjunkturpakt der US-Geschichte an, dass jetzt gespart werde. Fast wie beim Schlussverkauf: Richtig viel Geld ausgeben und gleichzeitig sparen! Wenige Monate später dann die gleiche Leier: In einem Gespräch Ende Juli kamen US-Außenministerin Clinton sowie Finanzminister Geithner mit ihren chinesischen Kollegen zu einem zweitägigen »Strategic and Economic Dialogue« zusammenkamen und betonten, dass die USA jetzt sparen würden. Eine ähnliche Ansage wird auch dieses Mal kommen (müssen). Schließlich führen China und die USA ungewollt eine symbiotische Beziehung und der US-Dollar soll weiterhin stark bleiben. China versuchte in der letzten Zeit die USA unter Druck zu setzen, in dem sie als Alternative zum US-Dollar die Sonderziehungsrechte des IWF als Weltgeld ins Spiel brachte. Eine etwas unrealistische Vision. Aber wie weit die gegenwärtige Weltpolitik von einer Re-Regulierung der Weltwirtschaft entfernt ist, zeigen die Aussagen bei der heutigen Pressekonferenz. Obwohl es nämlich zu keiner Einigung hinsichtlich der Wechselkurses gab, betonte Obama: »Ich bin erfreut über die Aussagen der chinesischen Seite in den vergangenen Erklärungen, sich im Laufe der Zeit auf Wechselkurse zuzubewegen, die mehr am Markt orientiert sind«. Der Markt soll es also richten. Was wir von diesem zu erwarten haben ist wohl mehr als klar: eine weitere Verschärfung der Widersprüche.

Der US-Dollar steht seit einigen Monaten unter Druck. Vor allem sog. carry trades machen ihm zu schaffen. Dass der US-Dollar eben keine Währung wie jede andere ist zeigt der Umstand, dass diese Arbitragegeschäfte plötzlich Thema sind, obwohl Japan und der Yen jahrelang davon betroffen waren und es niemand so recht interessierte. Wie aber die USA meinen das Problem in den Griff zu bekommen lässt nicht unbedingt hoffen, dass das große »Weltmarktungewitter« (Marx) bereits vorbei ist.

Großer Gipfel, kleine Wirkung. Interessenkonflikte prägten den G20-Gipfel in Pittsburgh

Am 24. und 25. September trafen sich zum dritten Mal innerhalb eines Jahres die Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. Nachdem die G8 nicht mehr der politische Rahmen war, die weltweite Wirtschaftskrise, deren Folgen sowie die Herausforderungen des Klimawandels zu verhandeln, schwingt sich die G20 scheinbar selbst zur legitimen G8-Nachfolgerin auf. Zu wichtig sind inzwischen u.a. die sogenannten BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China). An ihrem ökonomischen Gewicht kam die G8 politisch nicht mehr vorbei.

Auch der Protest in Pittsburgh blieb symbolisch
Auch der Protest in Pittsburgh blieb symbolisch

Auch wenn es nicht zum großen Krach kam, so hatte der Gipfel in Pittsburgh doch einen Hauch von Seattle: allerdings nicht auf der Straße, sondern – wie 1999 – bei den Verhandlungen. »Wir hatten es diesmal mit einer Wand zu tun«, hieß es aus deutschen Verhandlungskreisen. Die Schwellenländer stellten klare Forderungen: »Entweder ihr macht große Konzessionen bei der Reform der internationalen Organisationen, oder wir lassen den Gipfel platzen.« (spiegel-online, 25.9.09) Am Ende wurde eine kaum nennenswerte Neuverteilung der Stimmrechte beim Internationalen Währungsfonds (IWF) verabredet.

Wenn man die Beschlüsse von Pittsburgh mit den Ergebnissen des G20 im April vergleicht, dann zeigt sich, dass sich substanziell kaum etwas bewegt hat. (vgl. ak 538) Peter Bofinger, einer der sogenannten Wirtschaftsweisen, monierte bereits im Vorfeld des G20-Gipfels: »Der Politik fehlt der Mut zu radikalen Reformen.« (Die Welt, 22.9.09) Fehlender Mut ist jedoch wahrlich nicht das Problem; es gibt einen ganz einfachen Grund: Mit zwölf weiteren Staaten sind die in der G20 anzutreffenden Interessenkonflikte und Widersprüche mehr und vielfältiger geworden. Continue reading “Großer Gipfel, kleine Wirkung. Interessenkonflikte prägten den G20-Gipfel in Pittsburgh”

Welches Geld regiert die Welt? Nicht nur China zweifelt an der Rolle des US-Dollars als Weltwährung

weltgeld us-dollar

Für manche ist die Welt des US-Dollars noch in Ordnung. Zum Beispiel für die somalischen Piraten. Diese wollten, so der an Verhandlungen beteiligte Ex-FBI-Agent Jack Cloonan, nur die US-Währung als Lösegeld akzeptieren. Bei Piraten steht der Greenback also noch hoch im Kurs. Ganz anders sieht es hingegen in China aus, dem bei Abwertungen des US-Dollars ein Verlust der Währungsreserven droht. Etwa 50-70 Prozent der über 2 Bio. chinesischen US-Dollar-Devisen laufen auf die US-Währung. In den letzten Monaten hatte es der chinesische Zentralbankchef Zhou Xiaochuan geschafft, die Rolle des US-Dollars als Weltgeld und damit auch die politische Rolle der USA als Weltmacht zum Politikum zu machen. Zuletzt kurz vor dem G8-Gipfel in Italien. Continue reading “Welches Geld regiert die Welt? Nicht nur China zweifelt an der Rolle des US-Dollars als Weltwährung”

ak-Redaktion zum (Still)Stand der Bewegung

Die ak-Redaktion hat eine gute alte Tradition wiederbelebt: Die Redaktionserklärung. In der aktuellen Ausgabe findet sich der Diskussionsbeitrag “Eine andere Welt war möglich. Zum (Still-)Stand der globalisierungskritischen Bewegung”. Darin heißt es:

Zehn Jahre nach Seattle herrscht auffällige Ruhe. Dabei hätte man erwarten können, dass die globalisierungskritische Bewegung im Jahr 2009 einen neuen Aufschwung erfährt. Zeigte der Neoliberalismus bislang erste Risse, brach ein Jahr nach Heiligendamm die wirklich existenzgefährdende Krise über den Neoliberalismus, ja den Kapitalismus herein. Der Widerstand gegen die Folgen der Krise hätte das verbindende Moment der anti-neoliberalen Bewegung sein können. Aber das Gegenteil war der Fall.

Das wirft ein bezeichnendes Licht auf die letzten Jahre. Protest verliert sich aktuell in Abwehrkämpfen und Ratlosigkeit – nicht nur in Deutschland. Proteste gegen den G8-Gipfel in Italien fanden de facto nicht statt. Mobilisiert wird auch nicht zur ersten WTO-Ministerkonferenz seit 2005 in Genf im Herbst dieses Jahres – obwohl dort der Liberalisierungsmotor wieder angeworfen werden soll. In dieser Situation wagen wir einige Thesen und laden zur weiteren Diskussion ein.

Uli Brand arbeitete im Juli 2001 in ak 452 drei Gemeinsamkeiten der Gipfelproteste heraus, die er als konstituierend für die Bewegung der Globalisierungskritik ansah: Erstens zielt der politische Anspruch über die Grenzen von Realpolitik hinaus. Zweitens liegt den Protesten ein Politikverständnis zu Grunde, das einen oder mehrere Gegner ausmacht, um Gegenmacht zu entwickeln. Was durchaus ambivalent ist, denn es wirkt in seiner vereinfachenden Form zwar mobilisierend und Protest bündelnd, aber verklebt auch Widersprüche und verdrängt notwendige Diskussionen. Drittens wurden von allen die Widersprüche des Neoliberalismus aufgegriffen und zum Gegenstand von Kritik und Protest gemacht. Alle drei Punkte werden im Zuge der gegenwärtigen Krise und der Transformation globaler Herrschaft prekär.

Weiterlesen auf der website des ak.

ak-Broschüre: Die Linke und die sozial-ökologische Frage

Mit einem Diskussionsbeitrag in ak 529 fiel der Startschuss für eine Debatte in ak zum Thema “Die Linke und die sozial-ökologische Frage”. Dieser Text war im Rahmen von Diskussionen innerhalb der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) entstanden. So wie im Rahmen der BUKO entstehen gerade auch andernorts Arbeits- und Diskussionszusammenhänge, die das Verhältnis von Gesellschaft und Natur aus einer herrschaftskritischen Perspektive thematisieren. “Die Linke und die sozial-ökologische Frage” ist nun auch Thema einer Broschüre, die wir als Sonderbeilage veröffentlicht haben. Im Vorfeld des Weltklimagipfels, der im Dezember in Kopenhagen stattfinden wird, bietet sie umfangreiche Informationen zur Orientierung über Ursachen und Folgen des Klimawandels. Die Broschüre kann für 4,50 Euro plus Porto per Mail an vertrieb@akweb.de bestellt werden.

Eine Frage der Souveränität: Banken, die Finanzkrise und wer Hilfe nötig hat

kreditberatung-als-standardausruestungZeitgleich zu einem Artikel in der financial times deutschland veröffentlichte das US-amerikanische Center for Public Integrity (CPI) eine Studie zu Banken, deren Lobbyarbeit und ihrem Verhältnis zu einigen Aspekten der Finanzkrise. Demnach sind 21 der 25 wichtigsten Subprime-Kreditgeber vor allem von den Banken finanziert, die nun mit staatlichen Geldern versorgt werden. Erstaunlich ist das nicht unbedingt. Ebenso wenig erstaunlich ist der dennoch sehr interessante Teil der Studie, der einen geschichtlichen Abriss über die De- und Re-Regulierung seit den 1980er Jahren bietet. Hier zeigt die Studie, wie die engagierte Hypothekenlobby die Versuche einer schärferen Regulierung zu verhindernwusste. Poulantzas würde das als einen Moment der Verdichtungsprozesse sozialer Kräfte- und Klassenverhältnisse im Staat beschreiben. Also als einen ganz normalen Teil politischer Macht, sozialer Auseinandersetzungen und Konstitution staatlicher Herrschaft.

Auch die aggressive Kreditwirtschaft war der Politik schon länger bekannt. Ebenso wie die Folgen. Nur interessiert es eben eine Weltmacht erst unter ganz bestimmten Umständen. So heißt es in einem Bericht des Pentagon von 2006: Insgesamt “werden durch räuberische Kreditvergabe die militärischen Einsatzbereitschaft zersetzt, die Moral der Truppe und ihrer Familien geschwächt und die Kosten der Bereitstellung einer rein aus Freiwilligen bestehenden Berufsarmee erhöht.”

Die private Überschuldung, die viele Menschen erdrückende Schuldenfalle und die besondere Form der aggressiven Kreditvergabe stellte also ganz unmittelbar die kriegerischen Fähigkeiten der USA in Frage – zumindest partiell. Das muss dann doch die entsprechenden Stellen interessieren. Bereits vor 2006 wurde deshalb das Problem auch angegangen. So erhielten bereits ein Jahr zuvor 345.000 Soldaten und Angehörige Schulungen im Umgang mit ihren Finanzen und finanzielle Hilfe.

Soldaten, die bis zum Hals in Schulden stecken, sich den Kopf über die nächste Rate und den nächsten Besuch des Krediteintreibers zerbrechen, sind nicht unbedingt die Soldaten, die den Feind der USA gut kennen und konzentriert Leben auslöschen bereit sind. Gegenüber dem diensthabenden Befehlshaber hilft schließlich nicht die Ausrede: “Ich war mit meinem Kopf gerade woanders!”

Bild: shaunwong, CC-Lizenz

Mehr als ein Zampano – Frankreich, die NATO und der passende Moment

Nur wenige Wochen vor dem Jubiläumsgipfel der NATO gab der französische Präsident Nicolas Sarkozy bekannt, dass Frankreich nach über 40 Jahren wieder in die Kommandostruktur der NATO zurückkehren werde. Nicht nur die Kommentatorspalten der Tageszeitungen waren von Erstaunen geprägt. Wer nicht erstaunt war, schrieb diesen politischen Schritt dem Charakter Sarkozys zu, dem geltungssüchtigen Zampano. Dabei ist dieser Schritt weit weniger verwunderlich, als der Zeitpunkt, den Sarkozy gewählt hat – eben nicht nur vor dem NATO-Gipfel, sondern zudem wenige Tage vor dem G20-Gipfel in London. Continue reading “Mehr als ein Zampano – Frankreich, die NATO und der passende Moment”

Pfannkuchen, Emanzipation und Vergesellschaftung

Zu Befreiung der Körper (arranca! 33)

Während irgendwie nie so richtig klar war, was das Wertgesetz eigentlich sein soll, haben es einige Postoperaisten bereits für überwunden erklärt. In der letzten arranca! wurden im Anschluss an diese Behauptung einige Thesen präsentiert. Dem scheinbaren Ende des Wertgesetzes soll hier auf den Grund gegangen werden. Continue reading “Pfannkuchen, Emanzipation und Vergesellschaftung”

Zwischen Konsens und Konkurrenz. Überlegungen zum Zusammenhang von bürgerlichem Staat und Krieg

Weder “Empire” noch “Imperialismus” lautet die These, mit der sich der folgende Beitrag in die Diskussion um die theoretische Einordnung des Irak-Krieges einmischt. Die Frage lautet, wann und warum der kapitalistische Normalzustand des Handelskrieges in einen militärischen Konflikt umschlägt.
Es ist eine Debatte darüber entbrannt, mit welchem theoretischen Werkzeug der Irak-Krieg zu deuten sei: Mit den Thesen, die Negri/Hardt mit “Empire” vorgelegt haben oder, gerade weil diese am aktuellen Konflikt offensichtlich scheitern, mit einer “fundierten Imperialismustheorie” (exemplarisch Binger und dk. in ak 471). Beide Ansätze laufen allerdings ins Leere.
Der Zusammenhang von Krieg und Kapitalismus scheint selbst nicht mehr erklärungsbedürftig. Während die einen von einem “diffusen permanenten Kriegszustand” (Atzert/Müller, subtropen, Nr. 24) ausgehen, der die globalen Machtverhältnisse restrukturiert, ist für die anderen der Zusammenhang für den Kapitalismus konstitutiv, wird aber nicht erklärt.
Fast alle Kriege nach 1945 – ca. 200 an der Zahl – fanden in Ländern statt, in denen sich die bürgerliche Vergesellschaftung nicht etabliert und durchgesetzt hat. Die meisten Kriege finden in ehemaligen Kolonien statt. Krieg, so könnte die überspitzte und vorläufige These sein, hat mit bürgerlichem Staat erst einmal wenig zu tun.
Dennoch herrschen auch zwischen bürgerlichen Staaten “Kriege”: Handelskriege. Die USA haben Ende März 2003 eine Niederlage im Streit um die 30% Schutzzölle auf Stahlimporte vor der Welthandelsorganisation WTO einstecken müssen. Stahlerzeuger und Gewerkschaften seien angesichts des Schiedsspruchs der WTO beunruhigt. Zuspruch kam von der stahlverarbeitenden Industrie. (FAZ 28.03.03)
Die Handelskriege kommen ohne unmittelbare Gewalt und kriegerischen Auseinandersetzungen aus, benötigen aber eine dritte, vermittelnde Instanz. Ausbeutung und Herrschaft findet nicht in der Form von Raubzügen und Plünderungen statt, sondern in der Form des stummen Zwangs der ökonomischen Verhältnisse. Und diese ist konstitutiv für den Kapitalismus.
In einer kapitalistischen Gesellschaft verhalten sich die Menschen als WarenbesitzerInnen und damit als PrivateigentümerInnen zueinander. Frei von persönlichen Abhängigkeits- und Herrschaftsverhältnissen wird ihr Eigentum von einer dritten Instanz garantiert – dem Staat, der relativ autonom von allen Klassen und Klassenfraktionen existiert.
Erst in dieser Form entsteht so etwas wie ein allgemeines Interesse des Kapitals. Davor stehen die Einzelkapitale in Konkurrenz zueinander. Erst über Aushandlungsprozesse in der “bürgerlichen Öffentlichkeit” und dem Diskurs um das “Allgemeinwohl” formuliert der Staat schließlich ein allgemeines Kapitalinteresse. Dieses wird nicht nur gegen, sondern auch mit der Zustimmung der ausgebeuteten Klasse durchgesetzt. Der Staat muss alle Interessen in einen herrschaftsförmigen Konsens bringen. Die StahlproduzentInnen müssen sich ebenso wie die StahlarbeiterInnen damit abfinden, dass auch das Interesse der stahlverarbeitenden Industrie Berücksichtigung finden muss.
Die Staaten haben sich räumlich herausgebildet, als Nationalstaaten. Die Souveränität nach innen ist notwendig mit der Souveränität nach Außen, d.h. in Konkurrenz zu anderen Staaten verbunden. Dies ist die Sphäre des Völkerrechts, das auf der Anerkennung der Territorialstaaten als formell gleiche, als territoriale Rechtssubjekte beruht. Die Gleichheit bezieht sich aber allein auf das Grundrecht der Achtung und beschränkt sich auf die Respektierung der Souveränität als Form. Inzwischen wird selbst diese nicht mehr garantiert. Aber jedes Gerede vom Souveränitätsverlust übersieht, dass der (National-)Staat zum einen nie souverän gegenüber seiner ökonomischen Grundlage und die Souveränität nach außen immer nur eine der Form nach war.

Handelskrieg als kapitalistischer Normalzustand
Das Völkerrecht kann als Versuch der Rationalisierung von Herrschaftsverhältnissen zwischen den Staaten verstanden werden. Damit sind die internationalen Institutionen aber nicht Zweck an sich, sondern Mittel, die den “äußeren” sozialen Frieden garantieren sollen. Auch hier gilt, dass sich in einem konflikthaften Prozess eine Art kapitalistisches Allgemeininteresse herausbildet – und das nicht erst seit der Entdeckung des “Empire”. So 1900, als die USA, Großbritannien, Japan, Frankreich und Deutschland gemeinsam in China den “Boxer”-Aufstand niederschlugen, um ihrem gemeinsamem Interesse an der Existenz und Sicherung ihrer Kolonialherrschaft Geltung zu verschaffen.
Mit der Globalisierung hat sich die räumliche Struktur der Produktion, der Arbeitsteilung und damit der Wertschöpfungsketten grundlegend verändert – damit auch die Kräfteverhältnisse der Kapitalfraktionen in den Nationalstaaten. Die Staaten internationalisieren sich sozusagen von innen heraus. Aber dk. (ak 471) liegt mit einem seiner Bausteine – Imperialismus als globalisiertes und dynamisches Kapitalverhältnis – für eine Imperialismustheorie in so weit falsch, als hiermit überhaupt nicht geklärt ist, warum sich diese Dynamik kriegerisch äußern muss. Es müsste gezeigt werden, warum die Form des Handels der Reproduktion des Kapitalverhältnisses nicht mehr adäquat ist.
Vor diesem Hintergrund können die Argumente, warum ein Krieg wie der gegen den Irak geführt, diskutiert werden. Ich werde hier zwei herausgreifen und kurz skizzieren.
Nationalstaat und Völkerrecht
Erst müsste begründet werden, warum Öl so wichtig ist. Auch wenn es banal scheint, geht es im Kapitalismus nicht um den Stoff, sondern um Profit. Öl bildet die stoffliche Grundlage für den Großteil der gegenwärtigen Warenproduktion. Fünf Länder (USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien) verbrauchen über 50% des weltweit geförderten Öls. Es muss also eine allgemeine Zugänglichkeit gewährt werden, um die Verwertung zu garantieren. Das bedeutet aber nicht, dass die USA per se an einem niedrigen Ölpreis interessiert wären. Vielmehr geht es um die Kontrolle des Marktes. Ein zu niedriger Ölpreis würde die Förderung in Alaska und Texas unprofitabel machen. Auch hier muss ein Kompromiss zwischen Kapitalfraktionen gefunden werden. Ebenso würde ein zu niedriger Ölpreis in den ölfördernden Ländern soziale Konflikte auslösen, die die Instabilität in der Region weiter erhöhen würde. Ähnliches ließe sich für einige Länder der “Koalition der Willigen” skizzieren. Auch hat es wenig Sinn immer wieder auf die Bush-Administration und ihre Verbindung zu der Ölindustrie zu verweisen. (1) Nach den Ausführungen sollte klar sein: Der bürgerliche Staat ist eine “subjektlose Gewalt” die keine unmittelbaren ökonomischen Interessen durchsetzen kann. Dies ist nicht die Form bürgerlicher Politik.
Gegenüber Europa als Wirtschaftsblock sieht die Sache etwas anders aus. Seit den 70er Jahren ist die Rolle des Dollars als Weltgeld geschwächt. Bereits der Iran handelt sein Öl in Euro und auch der Irak hat im Jahr 2000 die beschränkten Lieferungen in Euro abgerechnet. Der Dollar verliert somit eine wesentliche Basis als Öl-Handelswährung. Auch China will seine Devisen in breitem Rahmen in Euro tauschen und damit die Abhängigkeit vom Dollar verringern. Die Schwächung des Dollars als Weltgeld hätte negative Folgen für eine monetäre Durchdringung des Weltmarktes ohne kriegerische Mittel. Auch könnte sich die USA kein derartiges Zahlungsbilanzdefizit leisten, wie sie es zur Zeit aufweisen.
Ein weiteres Argument, das immer wieder fällt, ist der Drang der USA zur Weltherrschaft in Form eines harten Unilateralismus. (2) Ein strukturelles Merkmal der Weltordnung ist das Streben der bürgerlichen Staaten nach Ausdehnung von Handlungsoptionen. Aber mit ihrem “Beinahe-Alleingang” haben die USA gezeigt, dass sie keine Hegemonialmacht sind. Weder militärische noch ökonomische Macht reichen aus, um die Hegemonie eines Staates zu konstituieren. Ein Hegemoniekonzept sollte der traditionellen Imperialismustheorie gerade deshalb überlegen sein, weil es das Augenmerk auf das strategische Verhalten der dominanten Staaten richtet und auf die Art und Weise, wie die Interessen anderer Akteure berücksichtigt und eingebunden werden.
In der Gruppe der “Willigen” waren entweder die Staaten vertreten, die von dem USA vollkommen abhängig sind oder die, die sich daraus einen strategischen Vorteil erhoffen. Die osteuropäischen Staaten ebenso wie Spanien wollen die Dominanz von Frankreich und Deutschland in der EU brechen. Großbritannien hat durch sein Verhalten klar gemacht, dass die EU ihre “Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik” nicht ohne Zustimmung aus London realisieren kann.
Für die USA wie für Frankreich und Deutschland gilt, dass ihre Hegemonie Risse bekommen hat. Die Initiative von Belgien und Frankreich, einen gemeinsamen Außenminister zu installieren und die gemeinsame Kriegsfähigkeit voran zu treiben, zeugt nicht nur von dem Versuch, die eigenen Interessen gegenüber den USA nachhaltiger vertreten zu können. Es bedeutet auch eine institutionalisierte Form der Souveränität, aus der einzelne EU-Mitglieder nicht mehr einfach ausscheren können.
Die “normale” Form der Außenbeziehung bürgerlicher Staaten ist die des Außenhandels und nicht die des Krieges. Das bedeutet allerdings nur eine andere Form von Ausbeutung und Herrschaft. Auf Grund des expansiven und krisenhaften Charakters der kapitalistische Produktionsweise ist der Krieg dem Kapitalismus keineswegs äußerlich. Die These, dass bürgerliche Staaten mit Kriegen nichts zu tun haben, muss zurückgenommen bzw. präzisiert werden.
“Neue” Kriege zwischen Öl und Hegemonie
Allerdings muss gezeigt werden, warum eine “normale” Form zwischenstaatlicher Beziehung nicht bzw. nicht mehr möglich ist. Es können zumindest drei Formen von Krieg festgehalten werden. 1) Kolonialisierungskriege, die nicht-kapitalistische Gesellschaftsformationen in die warenförmige Reproduktion gewaltförmig integrieren wollen. 2) Kriege, die geführt werden, weil die Außenhandelsbeziehungen, die für die interne Reproduktion notwendig sind, nur über Gewalt aufrecht erhalten oder hergestellt werden können. Kriege benötigen immer eine materielle und soziale Grundlage. Diese sind nicht auf ökonomische Interessen zu reduzieren, sondern umfassen auch die Erlangung breiterer machtpolitischer Handlungsoptionen innerhalb des bestehenden Machtgefüges: 3) besteht der Kapitalismus als Weltsystem aus verschiedenen, hierarchisch strukturierten kapitalistischen Produktionsweisen. Dominante setzen sich in der Konkurrenz durch. Verweigern sich Staaten bei der Durchdringung, findet diese kriegerisch statt.
Wenn die AnhängerInnen von Negri und Hardt darüber klagen, dass die USA nicht auf der Höhe des “Empire” seien, so ist das skurril. Gleichzeitig sollte aber in der Linken endlich auch eingeräumt werden, dass auf eine “fundierte Imperialismustheorie” nicht “zurückgegriffen” werden kann. Das bedeutet keineswegs eine Absage an theoretische Anstrengungen, sondern unterstreicht vielmehr deren Notwendigkeit.

Ingo Stützle

Anmerkungen:

1) Ein solches leninistisch verkürztes Imperialismus-Verständnis ist mit “Empire” noch lange nicht überwunden (u.a. “Empire”, S. 241ff.). So verweist bspw. Negri auf die Interessen der “republikanischen Gruppe” um Bush, oder werden die globalen Institutionen wie IWF und WTO als “Instrumente” der Multis dargestellt (subtropen, Nr 23)..
2) “Amerikas Unilateralismus bedeutet weit mehr als eine imperiale Neuordnung der Welt – es geht um die absolute (sic!) Weltherrschaft.” Mohssen Massarrat, Freitag 7.3.03.

Erschienen in: ak – analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr.472 v. 18.04.2003