Erweiterte Neuauflage von »Kapitalismus: Die ersten 200 Jahre« erschienen

Thomas Pikettys »Das Kapital im 21. Jahrhundert« hat wie kaum ein anderes wissenschaftliches Werk international Furore gemacht, Begeisterung hervorgerufen – aber auch heftige Kritik provoziert. Angesichts des sensationellen Erfolgs der 800-Seiten-Studie stellt sich die Frage, woher der Hype um Pikettys Buch kommt. In kompakter, verständlicher Form referieren wir Inhalt und Argumente des monumentalen Werks und erörtert die Kontroversen, die diese »Bibel der Umverteilungspolitiker« (Manager-Magazin) ausgelöst hat; zudem zeigen die beiden Autoren die Grenzen, Leerstellen und Irrtümer der »Piketty-Revolution« (Paul Krugman) auf. – Die gerade erschienene Neuauflage ist um ein Kapitel zu Pikettys »Kapital und Ideologie« erweitert.

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Sozialdemokratischer Ideen-Parcours

Trotz des Plädoyers für einen »partizipativen Sozialismus« bleibt Thomas Piketty auch in seinem neuen Buch ein bürgerlicher Ökonom

Kein neuer Marx, sondern am Ende och nur ein bürgerlicher Ökonom: Thomas Piketty. Foto: Sue Gardner / Wikimedia, CC BY-SA 3.0
Kein neuer Marx, sondern am Ende och nur ein bürgerlicher Ökonom: Thomas Piketty. Foto: Sue Gardner / Wikimedia, CC BY-SA 3.0

Viele werden es nicht einmal geschafft haben, die Lektüre von Thomas Pikettys »Das Kapital im 21. Jahrhundert« abzuschließen, das 2014 auf deutsch erschien und international eine breite Diskussion über Ungleichheit lostrat. Nun hat der französische Wirtschaftswissenschaftler bereits ein neues Buch veröffentlicht: »Kapital und Ideologie«. Es sorgt bis dato, obwohl explizit politischer, nicht für vergleichbaren Wirbel. Pikettys jüngstes Werk »befasst sich mit der Geschichte und Zukunft von Ungleichheitsregimen«. Seine zentrale These ist, dass der »Kampf für Gleichheit und Bildung … die Wirtschaftsentwicklung und den menschlichen Fortschritt möglich gemacht hat, nicht die Heiligsprechung von Eigentum, Stabilität und Ungleichheit.« Der Autor führt sein Projekt  eine Analyse der Ungleichheit und ihrer Dynamiken  demnach fort, diskutiert jedoch vertieft deren Ursache  die Eigentumsverhältnisse  und deren Rechtfertigung  die Ideologie. Sie ist der zentrale Begriff im neuen Buch. Piketty versteht darunter ein »Gefüge von Ideen und Diskursen«, die »auf grundsätzlich plausible Weise beschreiben wollen, wie die Gesellschaft zu organisieren sei.« Der Begriff bezeichnet somit weder eine Illusion oder einen falschen Schein, angesiedelt im Reich der Ideen. Ideologie ist für Piketty wesentlich eine Praxis der Legitimierung, etwa der Ungleichheit. Grundlegend seien hier »politisch-ideologische Kräfteverhältnisse zwischen den verschiedenen Gruppen und Diskursen« in der Gesellschaft. Diese seien nicht allein »materielle«, sondern »vor allem intellektuelle und ideologische Kräfteverhältnisse«.

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Pressestimmen zu »Kapitalismus: Die ersten 200 Jahre«

Seit Januar 2015 ist die Zweitauflage unseres Piketty-Büchleins im Handel – und einige erfreuliche Besprechungen sind erschienen:

  • »Wer Piketty verstehen will, sollte Stelter sowie Stützle und Kaufmann lesen – am besten im Vergleich.« (Ulrike Herrmann, taz)
  • »Auf weniger als 100 Seiten fassen die Autoren zunächst prägnant und verständlich die These des Piketty-Buchfranzösischen Ökonomen zusammen und stellen die Mediendebatte sowie die wichtigsten der bisher vorgetragenen Kritiken vor. Dabei gehen sie auch der Frage nach, warum das Buch ein solch durchschlagender Erfolg werden konnte. Der sei nicht nur auf gutes Timing, Charisma des VWL-Newcomers und eine leicht verständliche einprägsame Formel zurückzuführen, sondern rühre vor allem aus dem Umstand, dass Piketty die bestehende Wirtschaftsform zwar angreife, aber an keiner Stelle antikapitalistisch argumentiert. Wie systemkonform die Pikettysche Kapitalismuskritik letztlich ist, verdeutlicht eindrucksvoll das letzte Drittel des Begleitbuchs. Dort arbeiten die Autoren präzise den ideologischen Gehalt der angeblich unideologischen, nur der objektiven Wissenschaft verpflichteten Ausführungen des Starökonomen heraus.« (Sebastian Friedrich, Junge Welt)
  • »Die Autoren fassen die wichtigsten Erkenntnisse Pikettys zusammen und ergänzen sie mit historischen Hintergründen und den wichtigsten Äußerungen zur Ungleichheitsdebatte. Wirtschaftswissen für die Hosentasche.« (Frankfurter Rundschau)
  • »Die Wirtschaftspublizisten Stephan Kaufmann und Ingo Stützle haben mit ihrem gut 100 Seiten langen Reader im A6-Format ›Kapitalismus die ersten 200 Jahre‹ nicht nur eine kompakte Zusammenfassung von Pikettys Forschung geschaffen, sie bringen auch eine ebenso kompakte Kritik daran. Wie jede gute Kritik würdigt sie zuerst die Verdienste des Autors (er hat das Problem wachsender Ungleichheit erkannt), referiert die Debatte um das Buch und zeigt dann dessen Defizite auf. Pikettys größtes: Er kokettiert im Titel mit Karl Marx, nimmt diesen aber ›nicht ernsthaft zur Kenntnis‹.« (Armin Thurnher im Falter 45/2014)
  • Stephan Kaufmann sprach über Thomas Pikettys Thesen mit Telepolis.

Out now: Thomas Pikettys »Das Kapital im 21. Jahrhundert« – Einführung, Debatte, Kritik

Piketty-Buch»Das vielleicht wichtigste Buch des letzten Jahrzehnts«, nannte es US-Nobelpreisträger Paul Krugman: Thomas Pikettys Das Kapital im 21. Jahrhundert, das im Oktober auf Deutsch erscheint, hat wie kaum ein anderes wissenschaftliches Werk international Furore gemacht, die Bestsellerlisten erobert und Begeisterung hervorgerufen – aber auch heftige Kritik provoziert. Piketty wurde zum neuen Karl Marx erklärt und mit dem Revolutionär der Wirtschaftswissenschaften, John Maynard Keynes, in eine Reihe gestellt. Die Grundthese des »Rockstar-Ökonomen« (Financial Times): Im Kapitalismus der letzten Dekaden hat die Ungleichheit dramatische Ausmaße angenommen und wächst stetig weiter – nicht bloß zufällig, sondern mit System. Auf eine Formel gebracht: r > g (die Rendite aus Kapital ist im Normalfall höher als das Wirtschaftswachstum). Damit wird eine kleine Elite immer reicher – und zugleich immer mächtiger. Gerade auch in Deutschland geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander: Das Vermögen der 10 reichsten Deutschen ist größer als das der ärmeren Bevölkerungshälfte (etwa 35 Mio. Menschen) zusammen.

Angesichts des sensationellen Erfolgs der nicht gerade leicht konsumierbaren 800-Seiten-Studie, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht, stellt sich die Frage, woher der Hype um Pikettys Buch kommt. Was steht überhaupt drin? Was wird an ihm kritisiert? Und was ist davon zu halten – vom Buch und der Kritik daran?

Zusammen mit Stephan Kaufmann referiere ich in »Kapitalismus: Die ersten 200 Jahre« Inhalt und Argumente von Pikettys Kapital und erörtere die Kontroversen, die diese »Bibel der Umverteilungspolitiker« (Manager-Magazin) ausgelöst hat; zudem zeigen wir die Grenzen, Widersprüche und Irrtümer der vermeintlichen »Piketty-Revolution« (Krugman) auf.

→ Das Inhaltsverzeichnis und eine Leseprobe sind als PDF online.
→ Zum Dos­sier »Piket­tys Das Kapi­tal im 21. Jahr­hun­dert«

Des Teufels großer Haufen. Der französische Ökonom Thomas Piketty plädiert für mehr Leistungsgerechtigkeit

Piketty-KapitalDer Volksmund weiß: Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen. Was man wahlweise als Verdacht oder als Erfahrungswissen deuten kann, das hat der französische Ökonom Thomas Piketty nachgewiesen. Zumindest wollte er das. In einem dicken Buch (1) mit viel statistischem Material legt er dar, wie, wann und warum die Vermögensverteilung immer ungleicher wurde und wird. Piketty zeigt, dass die Ungleichheit immer dann zunimmt, wenn die Kapitalrendite (r) das Wirtschaftswachstum (g) übersteigen. Auf eine Formel gebracht: r > g. Die Ungleichheit habe in den letzten Jahrzehnten zugenommen, und zwar derart, dass sie die kapitalistische Wirtschaftsweise selbst untergrabe: Nicht mehr Arbeitsleistung, sondern vor allem Erbschaften würden sich lohnen, d.h. dazu beitragen, Vermögen aufzubauen.

Damit bewegten sich die westlichen Industriegesellschaften wieder hin zu Verhältnissen, wie sie im 19. Jahrhundert herrschten. So hätte Piketty den mittellosen Karl Marx zitieren können, der 1852 an seinen Freund Friedrich Engels uber seinen Onkel schrieb: »Stirbt der Hund jetzt, so bin ich aus der Patsche heraus. « Marx erhoffte sich eine Erbschaft, nachdem er beim Tod seines Vaters »leer« ausgegangen war. Engels antwortet Marx: »Zu der Nachricht von der Krankheit des alten Braunschweiger Erbschaftsverhinderers gratuliere ich und hoffe, dass die Katastrophe endlich eintreten wird.«

→ Weiterlesen in ak – analyse & kritik. piketty

Das Kapital sei eine zu harte Nuss, meinte Ignacy Daszynski. Oder: Wer liest eigentlich Piketty (zu Ende)?

Das web.de-Team hat sich anlässlich der Buchmesse in Frankfurt am Main etwas ganz Lustiges einfallen lassen: eine Liste der Bücher, die man einfach nicht zu Ende lesen kann. Auf dem schsten Platz steht das marxsche Kapital:

Politische Literatur ist sowieso etwas für Fortgeschrittene. Wir wagten uns an Das Kapital von Karl Marx – und scheiterten. Als Urlaubslektüre taugt es auf gar keinen Fall: 15 Seiten waren für uns genug. Dafür waren einerseits die komplexen Gedankengänge verantwortlich und andererseits die kleine Schrift im Buch. So anstrengend muss das Lesen nun auch wieder nicht sein.

Das erinnert an eine Anek­dote, die von Isaac Deut­scher bzw. Ignacy Daszyn­ski über­lie­fert ist[1. Das Ori­gi­nal fin­det sich in Deut­schers Essay-Sammlung ›Mar­xism in Our Time‹. Die ange­führte Para­phrase fin­det sich hier.]:

Das Kapi­tal sei eine zu harte Nuss, meinte Ignacy Daszyn­ski, einer der bekann­tes­ten sozia­lis­ti­schen ›Volks­tri­bune‹ um die Jahr­hun­dert­wende, er habe es des­halb nicht gele­sen. Aber Karl Kau­tsky habe es gele­sen und vom ers­ten Band eine popu­läre Zusam­men­fas­sung geschrie­ben. Diese habe er zwar eben­falls nicht rezi­piert, aber Kelles-Krausz, der Partei-Theoretiker, habe Kau­tskys Buch gele­sen und es zusam­men­ge­fasst. Kelles-Krausz Schrift habe er zwar auch nicht gele­sen, aber der Finanz­ex­perte der Par­tei, Her­mann Dia­mand, habe sie gele­sen und ihm, Daszyn­ski, alles dar­über erzählt.

Es gibt jedoch einen weiteren Kapital-Band, der nicht zu Ende gelesen wird: Einem Bericht des Wall Street Journals zufolge, rangierte nach erscheinen in der englischen Übersetzung Pikettys Capital in the 21st Century nicht nur auf den Bestsellerlisten ganz weit vorne, sondern belegt auch Platz 1 im Ranking jener Bücher, deren Lektüre vorzeitig beendet wird (Abbruchquote: 97,6 Prozent) – das sagen zumindest die Amazon-Daten über das Leseverhalten auf dem hauseigenen E-Book-Reader Kindle. Piketty verwies damit den bisherigen ewigen Spitzenreiter Stephen Hawking (Eine kurze Geschichte der Zeit) auf Platz 2 (Abbruchquote 93,4 %).

→ Zum Dos­sier »Piket­tys Das Kapi­tal im 21. Jahr­hun­dert«.
Inhalts­ver­zeich­nis und eine Lese­probe zu: Ste­phan Kaufmann/Ingo Stützle: Kapi­ta­lis­mus: Die ers­ten 200 Jahre.  Tho­mas Piket­tys »Das Kapi­tal im 21. Jahr­hun­dert« – Ein­füh­rung, Debatte, Kri­tik (Ber­lin 2014).

Anmerkung:

Ist eine Tautologie ein Gesetz, Thomas Piketty?

Obwohl Thomas Piketty in seinem Buch Das Kapital im 21. Jahrhundert einige Ausführungen zu ökonomischer Theorie macht, will er vor allem durch die Empirie und seine historischen Ausführungen bestechen:

Es ist ja eigentlich mehr ein Geschichtsbuch als ein Wirtschaftsbuch. Es geht um die Geschichte des Besitzes. (welt.de)

Piketty-KapitalDennoch gibt Piketty sich mit seinen empirischen Ergebnissen nicht zufrieden und extrapoliert aus empirischen Regelmäßigkeiten eine allgemeine Gesetzmäßigkeit (r > g) und sogar zwei »Gesetze des Kapitalismus«. Was Piketty als »Gesetze« anpreist, entpuppt sich jedoch als »tautologische Beschreibungen«, so taz-Redakteurin Ulrike Herrmann.

Piketty schreibt selbst, dass das erste Gesetz, »the law α = r × β is actually a pure accounting identity, valid at all times in all places, by construction«, also gar kein Gesetz sei. Warum er es dann trotzdem aufstellt, bleibt unklar. Das Gesetz ist nicht mehr als eine Definition, nämlich, dass der Anteil des Kapitaleinkommens am gesamten Volkseinkommen genauso groß ist wie das Produkt aus Kapitalrendite und dem Kapital-Einkommen-Verhältnis.

Ähnlich verhält es sich mit dem »zweiten Gesetz«. Continue reading “Ist eine Tautologie ein Gesetz, Thomas Piketty?”

Hat der Zweite Weltkrieg das Kapital zerstört, Thomas Piketty?

Die Ungleichheitskurve in den Industriestaaten beschreibt Thomas Piketty zufolge die Form eines U, wobei 1913 und die Gegenwart für die westlichen Industriestaaten die bisherigen Gipfelpunkte darstellen (siehe Schaubild I.2). Für Thomas Piketty stellt sich die U-Form vor allem durch die beiden Weltkriege und Krise von 1929 ein. Dass Kriege Vermögen vernichten ist ein Narrativ, das auch in Deutschland gerne bedient wird. Nach 1945 sei trotz einer »Stunde Null« ein Wirtschaftswunder möglich gewesen. War dem so? Durchaus nicht, was Piketty vor allem deshalb nicht in den Blick bekommt, weil er die unterschiedlichsten Formen von Kapital unter das Wörtchen Vermögen subsumiert und Unterschiede einebnet. Continue reading “Hat der Zweite Weltkrieg das Kapital zerstört, Thomas Piketty?”

Thomas Pikettys »Das Kapital im 21. Jahrhundert«. Einführung, Debatte, Kritik

kapitalismusdieerstenIn der FAZ (4.8.2014) ist zu lesen: »Deutsche Medien mögen Thomas Piketty«. Thomas Pikettys Buch »Capital in the Twenty-First Century« erschien vor wenigen Monaten in der englischen Übersetzung und die deutsche Fassung ist für Oktober 2014 angekündigt. Pikettys These: Im Kapitalismus konzentriert sich das Vermögen/Kapital in den Händen weniger – das sei kein Mangel sondern zeichne den Kapitalismus aus.

Nun hat das Schweizer Institut Mediatenor in 32 wichtigen Medien nachgezählt, welche ÖkonomInnen in Deutschland im ersten Halbjahr 2014 am häufigsten zitiert worden sind. Die Diskussion um  Thomas Piketty und sein Buch hat ihm erstmals auf Platz drei der meist zitiertesten Ökonomen in Deutschland gebracht – nach Hans-Werner Sinn vom Münchener Ifo-Institut (der zu allem etwas zu sagen hat) und Marcel Fratzscher, dem Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), der in der letzten Zeit aufgrund seiner geldpolitischen Äußerungen oft zitiert wurde. Piketty steht hingegen für das Thema Gerechtigkeit und wurde so häufig zitiert wie die Ökonomen auf Platz vier bis fünfzehn der Rankingliste zusammen. Continue reading “Thomas Pikettys »Das Kapital im 21. Jahrhundert«. Einführung, Debatte, Kritik”