Leere Versprechen mit System. Was ein extra-institutionelles Treffen wie G7 in Elmau soll

Sonnenaufgang im Wettersteingebirge. Foto: CC-Lizenz, 7pc
Sonnenaufgang im Wettersteingebirge. Foto: CC-Lizenz, 7pc

Viele hatten gedacht, dass nach dem G8-Gipfel in Heiligendamm derartige Treffen kaum mehr eine Rolle spielen. Mit der Krise ab 2008 wurde plötzlich die G20 wichtiger. Nun trifft sich die G7 in Elmau – ohne Russland. Es stellt sich die Frage, gegen was man sich bei derartigen Gipfelprotesten eigentlich richtet. Die G7 ist weder ein Staat, noch etwas, was mit der Europäischen Union (EU) vergleichbar wäre. Nicht einmal der Welthandelsorganisation (WTO) ist der G7-Gipfel ähnlich. Bei der WTO legen miteinander konkurrierende Staaten gemeinsame Spielregeln fest, können ein Schiedsgericht anrufen und sich bei Regelverletzungen sogar sanktionieren. Eine derartig verregelte Institutionalisierung zur Stabilisierung politischer Prozesse stellt die G7 nicht dar. Die G7 verfügen nur über eine schwach ausgebildete Bürokratie und beschränkte Interventionsformen. Die getroffenen Absprachen sind zu wenig verbindlich – im Kern betreibt sie symbolische Politik. Dass sie leere Versprechen sind und bleiben, liegt also in der Sache selbst.

Die gesetzten Themen sind massiv von den Gastgeberländern bestimmt, da diese die Agenda festlegen. Als kontinuierlich behandeltes Thema stechen finanzpolitische Fragen heraus: Wechselkurse, Entschuldung, Strukturanpassung, Geldwertstabilität. Dabei werden in der Struktur der G7 nicht nur die Bedingungen der Akkumulation der global orientierten Kapitalfraktionen verhandelt, sondern auch die Bedingungen der Akkumulation überhaupt. Dazu gehört etwa die Energieversorgungssicherheit, die Deutschland dieses Jahr auf die Agenda gesetzt hat. Wenig verwunderlich ist, dass die Eurokrise kein Thema ist. Deutschland will das Thema in der Eurogruppe wissen, wo es seine Interesse geltend machen kann und nicht den Umgang mit Griechenland etwa mit den USA diskutieren, die in dieser Frage gegenüber der Berliner Linie kritisch sind.

Aufgrund ihrer dominanten Stellung in den internationalen finanzpolitischen Institutionen wie IWF und Weltbank ist die G7 als informelles, internationales finanzpolitisches Relais mit flexiblen thematischen Erweiterungsmöglichkeiten zu verstehen, das in allen Feldern eine koordinierende Funktion aufweist. Auf internationaler Ebene haben die G7 deshalb eine Filterfunktion im Hinblick auf die Politik in den anderen internationalen Staatsapparaten wie WTO, IWF und OECD. Die Abschlussdokumente der Gipfeltreffen zeigen recht deutlich, wie diese Funktion greift: Zentrale und für dominante Kapitalfraktionen wichtige Anliegen wie Investitionssicherheit werden in ihrer strategischen Ausrichtung definiert und in wichtige und mit Sanktionsmacht ausgestattete Institutionen verschoben (WTO); »soft issues« wie Umwelt und Armut, die dem Gipfel eine gewisse Legitimation verschaffen sollten, werden in schwache Institutionen wie UNCTAD und ILO verschoben.

Eine Metapher der Gegenmobilisierungen in Heiligendamm beschrieb die G8 als »Knoten im Netzwerk der Hegemonie«. Die Gipfeltreffen organisieren entsprechend die globale Hegemonie der westlichen Industrieländer und sind zugleich ein Forum, in der das kapitalistische Gesamtinteresse auf globaler Ebene austariert werden soll. Dieses kann nicht einfach vorausgesetzt werden, sondern ist vielmehr Resultat politischer Prozesse und Kompromisse, da es weder gemeinsame Interessen von internationalisierten Einzelkapitalien noch von Nationalstaaten gibt – vielmehr stehen sie wie bei Fragen des Zugangs zu Energieressourcen in Konkurrenz zueinander. In diesem Sinne stellt die G7 einen transnationalen Hegemonial-Apparat dar, der Teile des herrschenden Blocks organisiert und Kompromisse zwischen den herrschenden Kräften aushandelt. Dass Russland dieses und letztes Jahr ausgeladen wurde (erstmals nahm das Land 1998 teil), ist Teil dieser Politik: Russland wird verwehrt, das kapitalistische Gesamtinteresse mitzudefinieren.

Zum anderen sorgen die G7 aber auch für die Zustimmung zu bestimmten Herrschaftsverhältnissen, auch zwischen den G7 und Nicht-G7-Staaten. Deshalb wurden in den letzten Jahren im Vorfeld von Gipfeln immer wieder sogenannte Schwellenländer (China, Brasilien, Südafrika, Indien) einbezogen – durchaus mit dem Interesse, einem anderen Gipfeltreffen, dem G20, möglichst keine politische Bedeutung zukommen zu lassen. Der Versuch der G7, eine akzeptierte politische Führung auf globaler Ebene zu erreichen, betrifft aber nicht nur die Schwellenländer, sondern auch subalterne zivilgesellschaftliche Akteure. Gegenüber diesen macht die G7 deutlich, dass die Globalisierung »gestaltet« wird. Mitunter fordert die G7 NGOs und andere politische Gruppen auf, sich konstruktiv einzubringen.

Dem G7-Treffen wird meist eine fehlende Legitimität zugesprochen, vor allem weil es sich der demokratischen Partizipation aller Staaten auf der Welt entzieht. Dieses Argument ist nicht nur formal problematisch, sondern auch strategisch gefährlich. Da die G7 als informeller Club keine allgemein verbindlichen Entscheidungen treffen, geht der Vorwurf der mangelnden Partizipation aus demokratischer Perspektive ins Leere. Außerdem ist mit der Diskussion um eine G20 ein Reformprojekt bereits angelegt, das es einem erweiterten Kreis führender Staaten ermöglichen soll, breite Zustimmung, nicht nur bei Entwicklungsländern, zu organisieren, sondern auch bei zivilgesellschaftlichen Kräften. Der Frage nach der fehlenden Legitimität der G7 kann vor diesem Hintergrund nur mit einer Flucht nach vorne in eine radikale Staatskritik begegnet werden. Die Nationalstaaten sichern eine ökonomische Logik ab, die das Lebensinteresse der Menschen systematisch untergräbt, und gleichzeitig rassistische und asymmetrische Geschlechterverhältnisse herstellen. Wer aktuelle Herrschaftsverhältnisse kritisieren will, kommt um eine fundamentale Staatskritik nicht herum.

Erschienen in: ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 605 vom 19.5.2015.