Marx’ Achtzehnte Brumaire, seine Aktualität und die neuen Bonapartisten

Martin Beck und Stützle, Ingo (Hrsg.): Die neuen Bonapartisten. Mit Marx den Aufstieg von Trump & Co. verstehen. Karl Dietz Verlag Berlin, 272 Seiten.

Nach dem Brexit, dem Sieg Donald Trumps in den USA und den Wahlerfolgen rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien in Deutschland, Frankreich, Österreich und den Niederlanden hat eine hektische Suche nach Erklärungen für diese Entwicklung eingesetzt. Dabei wurde und wird auch immer wieder auf den 18. Brumaire von Karl Marx rekurriert. Wie weit das Bonapartismus-Konzept trägt, um die Wiederkehr von Autoritarismus und Nationalismus zu verstehen, wird im gerade erschienenen Band Die neuen Bonapartisten in historischer Rückschau und aktuellen Länderuntersuchungen etwa zu Großbritannien, Polen, den USA, Russland oder der Türkei diskutiert, in Beiträgen von Hauke Brunkhorst, Frank Deppe, Axel Gehring, Felix Jaitner, Bob Jessop, Horst Kahrs, Michele Nobile, Sebastian Reinfeldt, Dorothea Schmidt, Ingar Solty, Rudolf Walther, Gerd Wiegel und Przemyslaw Wielgosz.

Im Achtzehnten Brumaire, einer seiner bedeutendsten politischen Schriften, beschrieb Marx detailliert, wie und warum die Februarrevolution von 1848 in Frankreich in einer Konterrevolution endete. Er führt somit seine Untersuchung Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850 fort, wobei die Revolution von 1848 Marx zufolge auch eine unmittelbare Folge der Wirtschaftskrise von 1847/48 war. Marx ging in seiner damaligen Einschätzung sogar noch weiter: mit der nächsten größeren Krise werde die nächste Revolution kommen. Nicht zufällig erschien die erste Fassung des 18. Brumaire in der deutschsprachigen Wochenzeitschrift mit dem programmatischen Titel Die Revolution. Dass diese in Nordamerika erschien und von dem dorthin migrierten 1848er-Revolutionär Joseph Weydemeyer gründet wurde, ist bereits das Echo der Niederlage einer ganzen politischen Generation. Der Zusammenhang von ökonomischer Krise und Revolution lag für Marx zu dieser Zeit auf der Hand, was ihn, gerade im Londoner Exil eingetroffen, zu erneuten Studien motivierte. Es entstanden 24 Exzerpthefte (Londoner Hefte, 1850–1853 , vgl. MEGA2 II.7–11) und in seiner 1859 erschienenen Schrift Zur Kritik der politischen Ökonomie berichtete er davon, dass das „ungeheure Material für Geschichte der politischen Ökonomie, das im British Museum aufgehäuft“ war, ihn dazu nötigte, „ganz von vorn wieder anzufangen und mich durch das neue Material kritisch durchzuarbeiten“. Für Marx löste sich in den kommenden Jahren der unmittelbare Zusammenhang von ökonomischer Krise und Revolution, der 1851, zum Zeitpunkt des Staatsstreichs des Louis Bonaparte für ihn noch prägend war.

Mit dem Putsch am 2. Dezember 1851 begann sogleich ein intensiver Briefaustausch zwischen Marx und seinem Freund Friedrich Engels. Eine erste Einschätzung Engels schlug sich sogar bis in die Formulierungen des Anfangs im 18. Brumaire nieder. Der Marx’sche Text entstand zwischen Mitte Dezember 1851 und 25. März 1852. Weil Marx‘ Handschrift unleserlich war, diktierte er seiner Frau Jenny den Text oder sie besorgte die Reinschrift. Im Hause Marx galt in dieser Frage die klassische patriarchale Arbeitsteilung. Trotz aller Mühen war der Text ein Flop – ökonomisch wie politisch. Adolf Cluß, ein anderer befreundeter „Forty-Eighter“, musste Geld zuschießen, damit überhaupt eine Auflage von 1.000 Exemplaren zustande kam, was das publizistische Unternehmen nicht davor bewahrte, dass die Hälfte der mit vielen Fehlern gespickten Exemplare erst später ausgelöst werden konnte und solange von der Druckerei zurückgehalten wurde. Die Rechnung wurde nicht bezahlt. In Europa kam nur eine unbedeutende Menge der Revolution-Ausgabe mit Marx’ Text an: Sie gingen verloren oder kamen aufgrund von Zensur nicht in den Buchhandel. Sie landeten eher gezielt bei Freunden und Kampfgenossen – sowie bei der preußischen Polizei. Marx wartete lange auf seine Belege. Eine französische Übersetzung von Marx Schrift erschien erst nach seinem Tod 1890.

Trotz dieser für Marx’sche Texte sehr typische Geschichte wurde der 18. Brumaire zu einer bis heute bedeutendsten Analysen dessen, was sich damals ereignete: Nach der Niederschlagung des Arbeiteraufstands im Juni 1848 wurde noch im gleichen selben Jahr der im Volk beliebte Louis Bonaparte zum Präsidenten gewählt. Am 2. Dezember 1851 putschte Bonaparte und sprach er sich selbst diktatorische Vollmachten zu. E, ein Jahr später ließ er sich nach einem Plebiszit zum Kaiser ernennen und firmierte fortan als Napoleon III. „Zu einer Zeit, wo die Bourgeoisie die Fähigkeit, die Nation zu beherrschen, schon verloren und wo die Arbeiterklasse diese Fähigkeit noch nicht erworben hatte“, habe sich, so Marx, in Gestalt Bonapartes „der Staat gegenüber der Gesellschaft verselbstständigt“, ohne die soziale Herrschaft der Bourgeoisie infrage zu stellen. Dabei habe sich die Regierung Bonapartes auf das „Lumpenproletariat“ gestützt, den „Auswurf, Abfall, Abhub aller Klassen“,   sowie auf einen großen Teil der konservativen Parzellenbauern, die – voneinander isoliert – keine Klasse bildeten, deshalb ihre Interessen nicht vertreten konnten und vertreten werden mussten. Verhält es sich heutzutage in den vielen deindustrialisierten Regionen der USA, Englands, Deutschlands oder Polens ähnlich, wo Menschen entweder um ihre Arbeitsplätze fürchten oder sich in Jobs verdingen, die mehr als das Überleben nicht zulassen? Und nutzen charismatische Figuren diese Lage aus, um autoritäre Regimes unter ihrer Führung zu etablieren? Unter anderem diese Fragen sind Gegenstand des Bandes Die neuen Bonapartisten.

Das Inhaltsverzeichnis (PDF).

Eine erste Besprechung von Tom Strohschneider findet sich im neuen deutschland: Bunte Klassen. Hilft Marx’ «Achtzehnter Brumaire» dabei, den aktuellen Rechtsruck zu verstehen?

Das Volk als Wille und Vorstellung. Die Forderung nach »Souveränität« ist für politische Emanzipationsprozesse mehr Irrlicht als Orientierungspunkt

Von Holger Oppenhäuser und Ingo Stützle

Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst der Souveränität. Links wie rechts erhofft sich, durch eine Stärkung staatlicher Souveränität wahlweise der kapitalistischen Globalisierung, der neoliberalen Banken- und Eurorettung und der Europäischen Zentralbank oder dem US-Imperialismus die Stirn bieten zu können -auch auf den sogenannten Montagsdemos stimmen einige ProtagonistInnen in diesen Chor ein. Continue reading “Das Volk als Wille und Vorstellung. Die Forderung nach »Souveränität« ist für politische Emanzipationsprozesse mehr Irrlicht als Orientierungspunkt”

Blackbox EZB: Macht und Ohnmacht der Europäischen Zentralbank

Zentralbanken ähneln modernen Kirchen. Sie hausen in imposanten Gebäuden. Sie umgibt eine Aura von Autorität – von Macht, Geheimnis und Bedeutung. Eine Zentralbank gilt als «Hüterin der Stabilität» oder «des Geldes», sie «versorgt die Gesellschaft mit Liquidität». Ihr Auftrag scheint fraglos gut und nützlich. Denn alle wünschen stabiles Geld, alle fürchten das Monster Inflation.

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Kapitalismus und Krieg: zwei Seiten einer Medaille? Nicht nur Rosa Luxemburg versuchte, den Ersten Weltkrieg ökonomisch zu erklären

»Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen« – so der französische Sozialist Jean Jaurès, der wenige Tage vor Beginn des Ersten Weltkrieges von Nationalisten ermordet wurde. Kapitalismus und Krieg: zwei Seiten einer Medaille. Der Imperialismus bringt die kriegerische Logik, die dem Kapitalismus eingeschrieben sein soll, auf den Begriff. Selten wird danach gefragt, was an dieser linken Binsenweisheit dran ist, dass die Profitlogik notwendigerweise in die Kriegslogik umschlagen muss.

Von Ingo Stützle

capitalismDer Erste Weltkrieg steht für den imperialistischen Krieg par excellence, dafür, dass der ausbeuterische Charakter des Kapitals über die bürgerlichen Stränge schlagen kann – und muss. Reinhard Opitz schreibt in seinem Standardwerk »Europastrategien des deutschen Kapitals 1900-1945«: »Es war ja keineswegs so, dass etwa erst der Ausbruch des Ersten Weltkrieges die in der Flut industrieller Kriegszieleingaben sich manifestierenden Expansionsgelüste des deutschen Kapitals geweckt hätte, es hatten umgekehrt diese zum Krieg getrieben.« Die von ihm gesammelten und aufbereiteten Dokumente sprächen für sich, so der marxistische Sozialwissenschaftler. Continue reading “Kapitalismus und Krieg: zwei Seiten einer Medaille? Nicht nur Rosa Luxemburg versuchte, den Ersten Weltkrieg ökonomisch zu erklären”

Kontrollbehörde

»Erlauben Sie, Herr Vorsteher, daß ich Sie mit einer Frage unterbreche«, sagte K., »erwähnten Sie nicht früher einmal eine Kontrollbehörde? Die Wirtschaft ist ja nach Ihrer Darstellung eine derartige, daß einem bei der Vorstellung, die Kontrolle könnte ausbleiben, übel wird.«

»Sie sind sehr streng«, sagte der Vorsteher. »Aber vertausendfachen Sie Ihre Strenge, und sie wird noch immer nichts sein, verglichen mit der Strenge, welche die Behörde gegen sich selbst anwendet. Nur ein völlig Fremder kann Ihre Frage stellen. Ob es Kontrollbehörden gibt? Es gibt nur Kontrollbehörden. Freilich, sie sind nicht dazu bestimmt, Fehler im groben Wortsinn herauszufinden, denn Fehler kommen ja nicht vor, und selbst, wenn einmal ein Fehler vorkommt, wie in Ihrem Fall, wer darf denn endgültig sagen, daß es ein Fehler ist.«

»Das wäre etwas völlig Neues!« rief K.

Aus: Franz Kafka: Das Schloss, fünftes Kapitel.

Prokla 171 erschienen! Demokratie und Herrschaft, Parlamentarismus und Parteien

Für die Prokla 171 habe ich mich erneut als Gastredakteur nützlich gemacht. Nach den Debatten im letzten Jahr zur Linkspartei war es mir wichtig, dass die Debatte weitergeht bzw. auf angemessenem Niveau erstmal beginnt. Nun ist die Ausgabe erschienen – passend zum anstehenden Wahkampf im Vorfeld der Bundestagswahlen im September.

»Demokratie, Öffentlichkeit, Parteien sind in den letzten Jahren verstärkt Gegenstand politischer Auseinandersetzungen geworden. Es sind insbesondere die sozialen Bewegungen vom “arabischen Frühling” bis zum Protest gegen “Stuttgart 21”, die den Mangel an Demokratie und Beteiligung beklagen, die kritisieren, dass in der repräsentativen Demokratie die Interessen der Bevölkerung nicht ausreichend vertreten sind. Auch die Kritik an der Repräsentation ist nicht neu. Immer wieder kommt es zur Bildung von Protest- und Anti-Partei-Parteien. PROKLA 171 fragt u.a.: Welchen Illusionen über neue und alte Formen der Öffentlichkeit, welchen Illusionen über die Möglichkeiten parlamentarischen Einflusses sitzt man auf? Ist Demokratie “nur” die adäquate Form bürgerlicher Herrschaft oder steht sie potenziell dem “Zwang der ökonomischen Verhältnisse” entgegen, eröffnet sie eine Perspektive zur Überwindung von Ausbeutung und Herrschaft? Welche Rolle spielen die Parlamente, die Parteien, die Wahlen, die Öffentlichkeit im bürgerlichen Herrschaftsapparat? Was können linke Parteien zu emanzipatorischen Prozessen beitragen?nsnationalen Konzerne und den multiplen globalen Krisen fragen.«

Das Inhaltsverzeichnis findet ihr hier.

Hätte, müsste, könnte: Politik im Konjunktiv. Statt radikaler Pose bedarf es organisierter Lernprozesse

klassenlos
Die Geschichte ist eine Geschichte von klasse Kämpfen (Muhammad Ali).

 

 

Bei mir hat sich etwas Polemik gegen Politik im Konjunktiv angestaut. In der neuen Ausgabe von ak – analyse & kritik antworte ich den Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft.

Die Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft setzten in ak 580 nochmals zur Debatte über linke Strategien in der Krise an und provozierten einige Repliken. In ihrem Text kritisieren sie verschiedene linke Gruppen und Einzelpersonen dafür, dass sie nicht nur der Illusion staatlicher Politik verfallen seien, sondern diese sogar schüren würden – darunter war auch ich. Statt die Frage nach der Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise in der Prioritätenliste ganz nach oben zu setzen, schaffe diese »Staatslinke« den Kitt für die von der Krise produzierten Risse im System. Verwunderlich ist, wie die FreundInnen einen reformistischen Einheitsbrei aus recht unterschiedlichen ProtagonistInnen und Gruppen anrühren – und warum.

>>> Weiterlesen bei ak – analyse & kritik

Türkei: Politik im Modus der Zuspitzung

Foto: CC-Lizenz, mburaksu

Für die aktuelle Ausgabe von ak – analyse & kritik habe ich mit Serhat Karakayali ein Interview zur Türkei, die Auseinandersetzungen um den Gezi-Park und Politik im Modus der Zuspitzung gemacht.

Die türkische Regierung entschied im Mai 2013, dass Teile des beliebten Istanbuler Gezi-Parks einem Einkaufszentrum weichen sollen. Der Konflikt eskalierte, nachdem es zu massiver Polizeigewalt kam. Aktivist und Sozialwissenschaftler Serhat Karakayali ist deshalb nach Istanbul geflogen. ak sprach mit ihm nach seiner Rückkehr und noch vor einer weiteren Eskalation in der Nacht zum 12. Juni 2013.

>>> Interview in ak 584

Die politische Ökonomie des Sparstrumpfs

Income taxIn den 1990er-Jahren war es die ›Globalisierung‹, heute gilt die Staatsverschuldung als das zentrale Problem der Weltwirtschaft. Der Grund: Erstmals seit dem 2. Weltkrieg sind es nicht die sogenannten Entwicklungsländer, die eine Schuldenkrise erleben, sondern die etablierten Industriestaaten. In Europa sind einige Regierungen zahlungsunfähig geworden und müssen von anderen Staaten finanziert werden. In den USA wachsen die Staatsschulden in Höhen, die sonst nur nach Kriegen erreicht werden. »Geht bald die ganze Welt pleite?«, fragt die BILD-Zeitung (13.07.2011), und der SPIEGEL (32/2011) titelt »Geht die Welt bankrott?«

In der öffentlichen Diskussion scheinen zwei Dinge klar: Staatsschulden sind schlecht. Und sie sind zu viel. ›Sparen‹ ist daher das Gebot der Stunde. Die Staaten wollen ›schlanker‹ werden, öffentliches Eigentum wird privatisiert, das nationale Lohnniveau soll sinken, um die ›Wettbewerbsfähigkeit‹ des Standortes zu erhöhen. Die Staatsverschuldung zeitigt damit die gleichen politischen Massnahmen wie die ›Globalisierung‹. Im Folgenden soll zunächst allgemein dargestellt werden, wie in bürgerlicher Staat sich finanziert und warum die Schuldenaufnahme für ihn keine ausserordentliche, sondern eine normale Form der Finanzierung ist. Anschliessend werden einige gängige Annahmen über Staatsschulden kritisiert. Darüber hinaus soll erklärt werden, was Staatsschulden sind, wozu sie dienen und an wem gespart wird, wenn es heisst: »Wir müssen sparen«.

>>> Weiterlesen [pdf] in: »Die politische Ökonomie des Sparstrumpfes. Der Steuerstaat und Mythen der Staatsschuld«, in: Denknetz Jahrbuch 2012 – Auf der Suche nach Perspektiven, Zürich 2012, 14-25.

Vortrag und Diskussion: Kein Staat zu machen? Die Krise, der Staat und die Linke

Die letzten Jahre führten nicht nur vor Augen, dass der Kapitalismus nur krisenhaft zu haben ist, sondern dass der Staat alles Nötige tut, damit er nicht den Bach runtergeht. Er hat Konjunkturprogramme aufgesetzt, Banken gerettet, verstaatlicht und nicht nur Griechenland ein Sparprogramm aufgezwungen. Wer für die Krise zahlen muss, war schnell klar: Lohnabhängige, RenterInnen, Prekäre. Eine radikale und theoretisch fundierte Staatskritik ist nötiger denn je. Die Veranstaltung wird in materialistische Staatstheorie und -kritik vor dem Hintergrund der Krise einführen. Ziel ist es, Fragen zu diskutieren, die für die außerparlamentarische Linke aktuell von Bedeutung sind. Wie gestaltet sich das Verhältnis von Staat und Kapital? Ist der Staat nur Instrument und Repressionsapparat des Kapitals? Hat der Staat ein Geschlecht? Sind linke Parteien Teil des Staats und außerparlamentarische Bewegung autonom? Diese Fragen sollen mit den Theorien von unter anderem Gramsci, Althusser
und Poulantzas diskutiert werden. Vorkenntnisse sind nicht nötig.

Freitag, 8. Februar 2012, 19.30h, Infoladen Wilhelmsburg, Fährstr. 10.

Die Veranstaltung wird unterstützt vom Verein für politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

Aufgeblättert: Linke Kommunismuskritik

Der Kommunismus als politisches Ziel und Idee ist vor allem durch seine eigene Geschichte delegitimiert. In der aktuellen politischen Debatte hat diese Delegitimierung die Form des Extremismus- und Totalitarismusdiskurses angenommen, der die realexistierenden Sozialismen und den Stalinismus mit Faschismus und den nationalsozialistischen Verbrechen gleichsetzt. Dagegen setzt die Leipziger Gruppe INEX, die sich seit Jahren gegen den Extremismusansatz engagiert, eine linke, nicht totalitarismustheoretische Kritik an Stalinismus und Realsozialismus. »Wer heute vom Kommunismus redet, darf von Realsozialismus und Stalinismus nicht schweigen«, heißt es in der Einleitung des INEX-Sammelbandes »Nie wieder Kommunismus?«. Continue reading “Aufgeblättert: Linke Kommunismuskritik”

Ist die ganze Welt bald pleite?

Viele fragen sich noch immer: Ist die ganze Welt bald pleite? Die gleichnamige Bildungsbroschüre zu Staatsverschuldung, die ich zusammen mit Stephan Kaufmann verfasst habe, liegt endlich in in der vierten und überarbeiteten Auflage vor und ist über die Rosa-Luxemburg-Stiftung zu beziehen.

Aus der Einleitung:

In den 1990er Jahren war es die «Globalisierung», heute gilt die «Staatsverschuldung» als das zentrale Problem der Weltwirtschaft. Der Grund: Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg sind es nicht die sogenannten Entwicklungsländer, die eine Schuldenkrise erleben, sondern die etablierten Industriestaaten. In Europa sind einige Regierungen zahlungsunfähig geworden und müssen von anderen Staaten finanziert werden. In den USA wachsen die Staatsschulden in Höhen, die sonst nur nach Kriegen erreicht werden. «Geht bald die ganze Welt pleite?», fragt die Bild-Zeitung (13.7.2011), und der Spiegel (32/2011) titelt «Geht die Welt bankrott?».

In der öffentlichen Diskussion scheinen zwei Dinge klar: Staatsschulden sind schlecht. Und sie sind zu viel. «Sparen» ist daher das Gebot der Stunde. Die Staaten wollen «schlanker» werden, öffentliches Eigentum wird privatisiert, das nationale Lohnniveau soll sinken, um die «Wettbewerbsfähigkeit» des Standortes zu erhöhen. Die Staatsverschuldung zeitigt damit die gleichen politischen Maßnahmen wie das Schreckensgespenst «Globalisierung» im Jahrzehnt zuvor.

Nun haben sich alle Regierungen der Industrieländer vorgenommen, härter zu sparen. Dies trifft vor allem die Armen in Form von Sozialkürzungen – in allen Ländern. Warum ist das eigentlich so? Wo kommen überhaupt die ganzen Schulden her? Warum machen alle Staaten Schulden – obwohl sie allgemein als Übel gelten? Und warum streicht man die Schulden nicht, wenn schon die ganze Welt unter ihnen leidet? Dies sind einige Fragen, die diese Broschüre beantworten will. Sie will nicht behaupten, Staatsschulden seien eigentlich kein Problem. Sondern sie will zeigen, welchem Zweck Staatsschulden dienen, wann sie zu einem Problem werden – und für wen. Denn am Ende sind Schuldenfragen immer Verteilungsfragen: Einige müssen zahlen, andere dürfen verdienen.

CfP: Demokratie und Herrschaft, Parlamentarismus und Parteien

Die Prokla-Redaktion lädt zur Einsendung von Exposees zum Thema Demokratie und Herrschaft, Parlamentarismus und Parteien:

Nicht erst infolge der großen Krise ab 2008 wird eine Erosion der Demokratie konstatiert. Dies geschieht seit langem. In der linken Diskussion stehen dafür die Namen Agnoli, Poulantzas, Hirsch und jüngster Zeit Crouchs Diagnose von der Postdemokratie. Aber gibt es tatsächlich ‚mehr‘ oder ‚weniger‘ Demokratie? Kann es einen kontinuierlichen Abbau der Demokratie geben? Wann gab es denn die ‚wirklich‘ demokratischen Verhältnisse?

Weiterlesen bei PROKLA.

Welttreffen am Sankt-Immer-Tag. Neuerscheinungen zum Konflikt zwischen Marx und Bakunin provozieren eine neue Debatte um linke Geschichte

Das schweizerische St-Imier (früher: Sankt Immer) war im August 2012 Treffpunkt für Libertäre und AktivistInnen verschiedener anarchistischer Bewegungen. Das »Welttreffen des Anarchismus« hatte einen Anlass: das Jubiläum der Gründung der Antiautoritären Internationalen 1872. »140 Jahre nach dem Kongress von St-Imier ist die Ausbeutung und Entfremdung der Arbeiterinnen und Arbeiter noch ebenso brutal. Die marxistische Illusion ist angesichts der kommunistischen Diktaturen dahingeschmolzen. Der Kapitalismus lebt von Krise zu Krise, gesellschaftliche Krise, politische Krise, zu denen heute noch die ökologische Krise hinzukommt.« [1]

1872 war der Höhepunkt eines jahrelangen Konflikts zwischen Karl Marx und Michael Bakunin bzw. den von ihnen vertretenen politischen Strömungen. Wenige Tage vor dem Gründungstreffen in St-Imier wurde der russische Anarchist zusammen mit James Guillaume auf dem Kongress der Ersten Internationalen in Den Haag ausgeschlossen.

Zum Verhältnis von »Marxismus« und »Anarchismus« und dem Konflikt zwischen den beiden bärtigen Männern sind gleich mehrere Bücher erschienen, die vieles in neuem Licht erscheinen lassen und deutlich machen, dass es schon lange an der Zeit ist, die gemeinsame Geschichte gemeinsam aufzuarbeiten. Der Konflikt ist nicht einfach darauf zu reduzieren, dass zwei Egomanen aufeinandertrafen. Continue reading “Welttreffen am Sankt-Immer-Tag. Neuerscheinungen zum Konflikt zwischen Marx und Bakunin provozieren eine neue Debatte um linke Geschichte”