Verfassung als Kampfinstrument der »politisch-moralischen Ausbürgerung«

Der Thüringer Fraktionschef Bodo Ramelow (DIE LINKE) ist bis vor das Bundesverwaltungsgericht gezogen, um eine Grundsatzentscheidung darüber abzuholen,

»inwieweit die Erhebung personenbezogener Daten über ein Mitglied des Deutschen Bundestages oder eines Landtages aus allgemein zugänglichen Quellen ohne Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln … durch das Bundesamt für Verfassungsschutz zulässig ist, falls der betreffende Abgeordnete Mitglied und Spitzenfunktionär einer Partei ist, hinsichtlich derer tatsächliche Anhaltspunkte … für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen … vorliegen.«

Und das Bundesverwaltungsgericht hat heute entschieden, dass der Verfassungsschutz Dossiers aus allgemein zugänglichen Daten anlegen darf, eine »offene Beobachtung« zulässig. Das gilt nicht nur für Ramelow, sondern für alle Funktionäre der Linkspartei.

Dem Fass den Boden schlägt der Anwalt des Verfassungssutzes aus, der wähernd der Verhandlung erklärte, dass doch die Bundespräsidentenwahl gezeigt habe, also die Ablehnung von Joachim Gauk, dass die Linkspartei beobachtet werden müsse. Hallo?!

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Der Gebrauchsanleitungs-Kapitalismus

In einem der letzten Postings hatte ich Sabine Nuss’ Besprechung des Buchs Der gute Kapitalismus erwähnt. Die in meinem Prokla-Artikel zu Keynes geführte Debatte zu keynesianischen Hoffnungen wird hier anhand des populären Buchs weitergeführt. Der Beitrag von Sabine Nuss ist zusammen mit einem Debattenbeitrag von Sebastian Dullien, Hansjörg Herr und Christian Kellermann selbst nun auf der Seite der Zeitschrift Luxemburg online einzusehen.

Klasse Kämpfe – Wiederkehr einer Problematik

Die gegenwärtigen Krise des Kapitalismus und die Tatsache, dass die Schere zwischen Reich und Arm immer weiter auseinandergeht, hat auch dazu geführt, dass wieder verstärkt über gesellschaftliche Klassen gesprochen wird. Das ist nicht selbstverständlich. Schließlich wurde lang und oft alles auf ein Verteilungsproblem reduziert. Aber selbst taz-Autorin Ulrike Herrmann hält in ihrem Bestseller fest:

»Die Bundesrepublik lässt sich als eine typische Klassengesellschaft beschreiben: Wenige Kapitaleigner besitzen die Produktionsmittel während stets mehr Menschen nur ihre eigene Arbeitskraft verkaufen können.«

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Buffy braucht Hilfe

Aus dem Newsletter des Verbrecher Verlag:

Liebe Buffy-Freundinnen und -Freunde, liebe sonstige Interessierte,

damit wir den unten angekündigten und redaktionell bereits fertiggestellten Band veröffentlichen können, brauchen wir *Eure Hilfe*.

Da wir dem Verbrecher Verlag Förderungen zugesichert hatten, diese Förderungen nun allerdings wider Erwarten doch nicht zu Stande kommen, brauchen wir 180 Subskribent_innen, die den Band bis zum 15. August auf der Website des Verlages bestellen, damit das Buch gedruckt werden und im September 2010 erscheinen kann.

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Mit BP ist die Rente (nicht) sicher. Was die Öl-Katastrophe mit der Krise des Kapitalismus zu tun hat

Vor einigen Tagen hatte ich bereits das Thema BP angeschnitten. Michael R. Krätke hat nun in einem aufschlussreichen Text deutlich gemacht, was alles an BPs Zukunft hängt – u.a. das britische Rentensystem. Bei diesem spielen Pensionsfonds eine Schlüsselrolle und halten eine Unmengen an BP-Aktien. Zirka ein Sechstel aller in Großbritannien ausgezahlten Dividenden gingen bisher auf BP zurück. Mit diesem Geldsegen ist nun wohl Schluss. Dumm gelaufen für diejenigen, die sich auf das Leben nach der Lohnarbeit gefreut haben. [1. Sollte der Staat einspringen, die Renten zu sichern, wird aus dem kapitalgedeckten System de facto ein umlagefinanziertes mit Steuergeldern. Einen Punkt, den Ulrike Herrmann bereits in der taz anhand der Riester-Rente deutlich gemacht hatte.] Gleichzeitig ist der Ölkonzern der größte Steuerzahler. Eine mögliche Pleite oder die Übernahme durch andere Konzerne betrifft demnach unmittelbar die politischen Interessen des Königreichs. Ausgerechnet jetzt hat Großbritannien Stress mit dem großen Bruder USA. Der Umweltkatastrophe und der Krise des Öl-Konzerns BP könnte nun auch noch eine politische Krise folgen. Krätke:

»Fällt BP den US-Giganten in die Hände, ist es vorbei mit Rücksichten auf Pensionsfonds oder sonstige britische Belange. In wenigen Tagen, am 27. Juli, muss BP mit den Zahlen für das zweite Quartal 2010 herausrücken. Sie werden verheerend sein. Der Fall zeigt, wie zwei völlig obsolete Kernelemente des heutigen Kapitalismus – eine fossile Energiewirtschaft und die weltweite Finanzspekulation – uns in die nächste Katastrophe treiben.«

Was Krätke ausspart ist die zunehmende Konkurrenz zwischen den Staaten, die bereits zwischen den USA und Deutschland als Wortführer der EU offen zu Tage liegt. Und: Wenn die Kernelemente des Kapitalismus obsolet sind, dann gehört er doch eigentlich gleich ganz ins Museum, oder?

Anmerkung:

Raus aus der Kuschelecke: Die Utopie wird weiter vermessen. Interview mit Raul Zelik

Raul Zelik hat zusammen mit Elmar Altvater ein langes Gespräch über Kapitalismus und was danach kommen könnte in Buchform gebracht – das war bereits 2009. Das Buch Vermessung der Utopie steht zum freien Download zur Verfügung. Die website bietet einen virtuellen Raum für Diskussionen. Diese ist leider bisher noch nicht so recht in Gang gekommen. Das ist jedoch kein Ausdruck für mangelndes Interesse. Raul hat das Buch (mit und ohne Elmar Altvater) auf zig Veranstaltungen (nicht nur in Berlin) vorgestellt und die dort verhandelden Fragen und Thesen diskutiert. Dass die Debatte weitergeht zeigt ein Interview, das Jörg Sundermeier vom Verbrecher Verlag mit Raul für de:bug geführt hat. Dies ist eines der wenigen Gesprächen über das Buch (siehe auch hyperbaustelle), das den Gesprächsfaden nochmals aufnimmt. Eine Knoten werden wir wohl aber auch in näherer Zukunft nicht dran machen können. Also: Weiterspinnen!

Keynes-Diskussion unter sich

Nicht nur Marx, sondern auch Keynes wurde mit der Krise wieder en vogue. Dafür sprechen die vielen Publikationen, aber auch Abgrenzungen von links. Dass Keynes ernst genommen bzw. als intellektuelle und politische Gefahr angesehen wird, zeigen die Auseinandersetzungen, die bis heute u.a. in der FAZ oder unter dem Dach von der Zeit stattfinden. Eines der prominentesten blogs, das Keynes immer wieder hoch hält ist u.a. weissgarnix. Traurig aber wahr ist, dass auch dort eine radikale Kritik von links nicht wahrgenommen wird. Mit den Neoliberalen hat man schon genug zu tun. Positionen a la Wagenknecht werden zwar als politisch vernüftig apostrophiert (woran man zweifeln kann), aber sonst bleibt die Diskussion stets unter sich. Dies auch deshalb, weil es leider nur wenig gute Auseinandersetzungen mit Keynes gibt und sich die Linkspartei ihr realpolitisches Standbein nicht amputieren will. Das ist aber leider kein Ausdruck von Stärke, da die Krise es großen Teilen der Grünen und der SPD leicht gemacht hat, sich mit Keynes anzufreunden. Was aber die Linkspartei vom Block Wir-sind-alle-Keynesianer_innen unterscheidet, bleibt leider meist sehr unklar. Außer dass sie natürlich einen Kriegs-Keynesianismus ablehnen.

Ermittlungen gegen Andrej Holm eingestellt. Ein Interview mit Anwältin Christina Clemm

Die Bundesanwaltschaft stellt die Ermittlungen gegen Andrej Holm ein. Vermutungen führten jahrelang zu tiefgreifenden Einschränkungen nicht nur seiner Grundrechte. Die Praxis der RichterInnen war skandalös, entlastende Beweise wurden unterschlagen etc. pp. Das FSK sprach mit seiner Rechtsanwältin Christina Clemm aus Anlass der Bekanntgabe des Einstellungsbeschluss.

http://www.freie-radios.net/mp3/20100713-einstellung-35066.mp3

Siehe auch:

Bundesgerichtshof: Überwachung war von Beginn an illegal
Verfassungsschutzbericht 2010: Zur ›freien‹ Deutungshoheit der Verfassungsschutzämter
Vom Gehege der Verfassung zur kommissarischen Diktatur?

Ergänzung (14.7.): gesammelte Reaktionen auf die Einstellung bei annalist

Steueroase FIFA

Bansky beobachtet, wie nichts unter den Teppich gekehrt wird, Foto: CC-Lizenz Guano

Die OECD rügt Deutschland für den laxen Umgang bei der Steuerprüfung. Dem deutschen Staat entgingen so Milliarden durch Steuerhinterziehung – vor allem durch Banken. Die FIFA hingegen muss nicht hinterziehen. Sie zwingt einfach alle WM-Ausrichterländer dazu, Sondersteueroase zu werden. So auch Südafrika, wo schon lange klar war, dass bei der WM 2010 viele gewinnen werden, nur nicht die subalternen Klassen.

Interview mit OECD-Steuerexperte Jeffrey Owens in der Frankfurter Rundschau.

Ronald M. Schernikau zum 50

Am kommenden Sonntag wäre der Schriftsteller Ronald M. Schernikau 50 Jahre alt geworden. Das nahm die junge welt zum Anlass, einen Briefwechsel zwischen ihm, Gisela Elsner und Elfriede Jelinek abzudrucken. Daneben findet sich sein Antrag auf Einbürgerung in die DDR. Nicht nur das konnten wenige verstehen – schließlich war es 1989. Noch kontroverser wurde – bis heute! –  seine Rede vor dem DDR-Schriftstellerkongress im März 1990 diskutiert (siehe ak 543).

Welch großer Verlust sein früher Tod darstellt, zeigen auch die kleinen Ausschnitte, die man hier und da im Netz findet (offizielle website).

Im club2 sprach er 1980 über seine Kleinstadtnovelle. Die Talkshow anlässlich der Buchmesse hatte den Titel deutschland – woher – wohin und fand unmittelbar nach der Bundestagswahl statt.

Sechs Jahre später studiert er in Leipzig und hatte drei Jahre Zeit, die Stadt und ihre Menschen intensiv zu beobachten. Daraus entstand Die Tag ein L. (gelesen und kommentiert von Schernikau selbst).

Die neusten Veröffentlichungen findet sich beim Verbrecher Verlag (Die Königin im Dreck) und bei Rotbuch (Porträt seiner Mutter mit einem Vorwort von Dietmar Dath). Am Sonntag wird in Anwesenheit seiner Mutter in Leipzig eine Gedenktafel enthüllt.

Linkspartei: Staatskritik als blinder Fleck?

Könnten bei zu starkem Drücken untergehen. Foto: CC-Lizenz, Richard Carter

Vor ein paar Tagen wies Tom Strohschneider angesichts der Bundespräsidentenwahlen auf ein Papier von Rainer Rilling hin (Welche politische Krise?). Dort konstatiert dieser eine »skeptische Distanz« der Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und der links-libertären Milieus gegenüber der Linkspartei. Alex Demirović hat nun im Blog des Prager Frühlings die andere Seite der Medaille beleuchtet: die fehlende Staatskritik innerhalb der Linkspartei – vor allem im Rahmen ihrer Programmdebatte.

»Obwohl der Einschätzung des Staates durchaus eine wichtige Rolle zukäme, bleibt er im Programmentwurf eine Blindstelle. Das birgt zwei Gefahren für die Linke: die der Überschätzung, da der Staat überschätzt wird hinsichtlich dessen, was mit ihm erreichbar ist; die der Unterschätzung hinsichtlich seiner Gefährlichkeit.«

Wundern kann dieser Mangel nicht. Diesen wieder und wieder zu betonen, ist sicherlich richtig, sollte aber nicht davon abhalten, eine grundsätzliche Kritik von Partei und Parlament zu formulieren. Viel erwarten kann man von Linkspartei und der Programmdiskussion allerdings nicht. Schließlich würde die von Demirović eingeforderte Staatskritik nicht weniger bedeuten, als die Infragestellung der eigenen parteipolitischen Geschäftgrundlage.

Subsumtion des Gesundheitswesens unter das Kapital

Gestern hat die schwarz-gelbe Koalition die Reform der Krankenkassenfinanzierung vorgelegt. Heute war einiges darüber in der Zeitung zu lesen. Dass die Beiträge steigen werden war absehbar. Der Anteil der Unternehmen wird allerdings eingefroren und auch dieser Zug zeigt den Klassencharakter der Reform. Die sog. Kopfpauschale findet sich jetzt modifiziert im Entschluss verpackt, dass die Zusatzbeiträge ungebremst steigen dürfen. Das wird die Konkurrenz zwischen der Kassen weiter verschärfen und damit die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens fortsetzen und die Debatte um Rationierung verschärfen – die Pharmaindustrie wird geschont. Trotz aller oberflächlichen Zerwürfnissen zwischen FDP uns CSU war vieles vorhersehbar. Sonst hätte ak-Autor Kai Mosebach nicht in ak 550 schreiben können:

»Es ist nicht unwahrscheinlich, dass mit der Vorlage eines großen Reformkonzeptes für die GKV durch die Regierungskommission die Finanzierungsprobleme auf bekannte Weise über den Weg des geringsten Widerstandes gelöst werden: durch Erhöhung der Zuzahlungen, vermehrte Leistungsausgrenzungen und – dem liberalen Wettbewerbscredo ihrer Klientel entsprechend – durch eine verstärkte Leistungsdifferenzierung zwischen den Krankenkassen (und ihren Versicherten) bei Schonung der Leistungserbringerseite.«

Kurzum, es geht um die zunehmende Subsumtion des Gesundheitswesens unter das Kapital, wie es Nadja Rakowitz im Anschluss an Marx bezeichnet. Und bereits bei letzterem ist schließlich im Kapital zu lesen:

»Was könnte die kapitalistische Produktionsweise besser charakterisieren als die Notwendigkeit, ihr durch Zwangsgesetz von Staats wegen die einfachsten Reinlichkeits- und Gesundheitsvorrichtungen aufzuherrschen!«

Nur die halbe Wahrheit zur CEP-Studie

»Rechte der Parlamente ausgehebelt. Studie: Euro-›Schutzschirm‹ verstößt gegen mehrere Gesetzesnormen« ist heute in der jungen welt zu lesen (6.7.10). Der recht kurze Beitrag bezieht sich auf einen Artikel aus der gestrigen Die Welt. Leider hat »die linke Tageszeitung« vergessen mal nachzugucken, wer sich hinter der Studie und dem Centrum für Europäische Politik verbirgt. Auf deren website ist zu lesen:

»Das Centrum für Europäische Politik (CEP) ist der europapolitische Think-Tank der Stiftung Ordnungspolitik. Es analysiert die volkswirtschaftlich relevanten Vorhaben der EU und entwickelt Strategien für die europäische Politik.«

Und im Kuratorium sitzen Roman Herzog und der ach so sympatische Hans Tietmeyer. Letzterer ist der Chefkurator der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (vgl. der freitag v. 11.11.05) und wurde selbst von attac im Rahmen ihres Bankentribunals angeklagt (taz, 17.3.10). Ende 2008 ist Angela Merkel damit gescheitert, ihn zum Chefberater in Sachen Krise zu machen. Das verhinderte damals die SPD.

Seit 2002 gehört Tietmeyer dem Aufsichtsrat der Depfa an, d.h. der irische Tochterfirma, die bei der Hypo Real Estate (HRE) das unglaubliche Finanzloch produziert hatte, dass seit Monaten mit staatlichen Geld gestopft wird. Tietmeyer ist aber auch ein Architekt der neoliberalen Euro-Konstruktion und Mitverfasser des »Lambsdorff-Papiers«, das 1982 zum Bruch der sozial-liberalen Koalition führte. Den Rest kennen wir.

Liebe junge welt: Kritischer Journalismus sieht anders aus und der eh blödsinnige Werbespruch »Wir drucken wie sie lügen« bekommt so plötzlich einen ganz neuen Sinn.