Verfassung als Kampfinstrument der »politisch-moralischen Ausbürgerung«

Der Thüringer Fraktionschef Bodo Ramelow (DIE LINKE) ist bis vor das Bundesverwaltungsgericht gezogen, um eine Grundsatzentscheidung darüber abzuholen,

»inwieweit die Erhebung personenbezogener Daten über ein Mitglied des Deutschen Bundestages oder eines Landtages aus allgemein zugänglichen Quellen ohne Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln … durch das Bundesamt für Verfassungsschutz zulässig ist, falls der betreffende Abgeordnete Mitglied und Spitzenfunktionär einer Partei ist, hinsichtlich derer tatsächliche Anhaltspunkte … für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen … vorliegen.«

Und das Bundesverwaltungsgericht hat heute entschieden, dass der Verfassungsschutz Dossiers aus allgemein zugänglichen Daten anlegen darf, eine »offene Beobachtung« zulässig. Das gilt nicht nur für Ramelow, sondern für alle Funktionäre der Linkspartei.

Dem Fass den Boden schlägt der Anwalt des Verfassungssutzes aus, der wähernd der Verhandlung erklärte, dass doch die Bundespräsidentenwahl gezeigt habe, also die Ablehnung von Joachim Gauk, dass die Linkspartei beobachtet werden müsse. Hallo?!

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Der Gebrauchsanleitungs-Kapitalismus

In einem der letzten Postings hatte ich Sabine Nuss’ Besprechung des Buchs Der gute Kapitalismus erwähnt. Die in meinem Prokla-Artikel zu Keynes geführte Debatte zu keynesianischen Hoffnungen wird hier anhand des populären Buchs weitergeführt. Der Beitrag von Sabine Nuss ist zusammen mit einem Debattenbeitrag von Sebastian Dullien, Hansjörg Herr und Christian Kellermann selbst nun auf der Seite der Zeitschrift Luxemburg online einzusehen.

Raus aus der Kuschelecke: Die Utopie wird weiter vermessen. Interview mit Raul Zelik

Raul Zelik hat zusammen mit Elmar Altvater ein langes Gespräch über Kapitalismus und was danach kommen könnte in Buchform gebracht – das war bereits 2009. Das Buch Vermessung der Utopie steht zum freien Download zur Verfügung. Die website bietet einen virtuellen Raum für Diskussionen. Diese ist leider bisher noch nicht so recht in Gang gekommen. Das ist jedoch kein Ausdruck für mangelndes Interesse. Raul hat das Buch (mit und ohne Elmar Altvater) auf zig Veranstaltungen (nicht nur in Berlin) vorgestellt und die dort verhandelden Fragen und Thesen diskutiert. Dass die Debatte weitergeht zeigt ein Interview, das Jörg Sundermeier vom Verbrecher Verlag mit Raul für de:bug geführt hat. Dies ist eines der wenigen Gesprächen über das Buch (siehe auch hyperbaustelle), das den Gesprächsfaden nochmals aufnimmt. Eine Knoten werden wir wohl aber auch in näherer Zukunft nicht dran machen können. Also: Weiterspinnen!

Keynes-Diskussion unter sich

Nicht nur Marx, sondern auch Keynes wurde mit der Krise wieder en vogue. Dafür sprechen die vielen Publikationen, aber auch Abgrenzungen von links. Dass Keynes ernst genommen bzw. als intellektuelle und politische Gefahr angesehen wird, zeigen die Auseinandersetzungen, die bis heute u.a. in der FAZ oder unter dem Dach von der Zeit stattfinden. Eines der prominentesten blogs, das Keynes immer wieder hoch hält ist u.a. weissgarnix. Traurig aber wahr ist, dass auch dort eine radikale Kritik von links nicht wahrgenommen wird. Mit den Neoliberalen hat man schon genug zu tun. Positionen a la Wagenknecht werden zwar als politisch vernüftig apostrophiert (woran man zweifeln kann), aber sonst bleibt die Diskussion stets unter sich. Dies auch deshalb, weil es leider nur wenig gute Auseinandersetzungen mit Keynes gibt und sich die Linkspartei ihr realpolitisches Standbein nicht amputieren will. Das ist aber leider kein Ausdruck von Stärke, da die Krise es großen Teilen der Grünen und der SPD leicht gemacht hat, sich mit Keynes anzufreunden. Was aber die Linkspartei vom Block Wir-sind-alle-Keynesianer_innen unterscheidet, bleibt leider meist sehr unklar. Außer dass sie natürlich einen Kriegs-Keynesianismus ablehnen.

Ermittlungen gegen Andrej Holm eingestellt. Ein Interview mit Anwältin Christina Clemm

Die Bundesanwaltschaft stellt die Ermittlungen gegen Andrej Holm ein. Vermutungen führten jahrelang zu tiefgreifenden Einschränkungen nicht nur seiner Grundrechte. Die Praxis der RichterInnen war skandalös, entlastende Beweise wurden unterschlagen etc. pp. Das FSK sprach mit seiner Rechtsanwältin Christina Clemm aus Anlass der Bekanntgabe des Einstellungsbeschluss.

http://www.freie-radios.net/mp3/20100713-einstellung-35066.mp3

Siehe auch:

Bundesgerichtshof: Überwachung war von Beginn an illegal
Verfassungsschutzbericht 2010: Zur ›freien‹ Deutungshoheit der Verfassungsschutzämter
Vom Gehege der Verfassung zur kommissarischen Diktatur?

Ergänzung (14.7.): gesammelte Reaktionen auf die Einstellung bei annalist

Ronald M. Schernikau zum 50

Am kommenden Sonntag wäre der Schriftsteller Ronald M. Schernikau 50 Jahre alt geworden. Das nahm die junge welt zum Anlass, einen Briefwechsel zwischen ihm, Gisela Elsner und Elfriede Jelinek abzudrucken. Daneben findet sich sein Antrag auf Einbürgerung in die DDR. Nicht nur das konnten wenige verstehen – schließlich war es 1989. Noch kontroverser wurde – bis heute! –  seine Rede vor dem DDR-Schriftstellerkongress im März 1990 diskutiert (siehe ak 543).

Welch großer Verlust sein früher Tod darstellt, zeigen auch die kleinen Ausschnitte, die man hier und da im Netz findet (offizielle website).

Im club2 sprach er 1980 über seine Kleinstadtnovelle. Die Talkshow anlässlich der Buchmesse hatte den Titel deutschland – woher – wohin und fand unmittelbar nach der Bundestagswahl statt.

Sechs Jahre später studiert er in Leipzig und hatte drei Jahre Zeit, die Stadt und ihre Menschen intensiv zu beobachten. Daraus entstand Die Tag ein L. (gelesen und kommentiert von Schernikau selbst).

Die neusten Veröffentlichungen findet sich beim Verbrecher Verlag (Die Königin im Dreck) und bei Rotbuch (Porträt seiner Mutter mit einem Vorwort von Dietmar Dath). Am Sonntag wird in Anwesenheit seiner Mutter in Leipzig eine Gedenktafel enthüllt.

Linkspartei: Staatskritik als blinder Fleck?

Könnten bei zu starkem Drücken untergehen. Foto: CC-Lizenz, Richard Carter

Vor ein paar Tagen wies Tom Strohschneider angesichts der Bundespräsidentenwahlen auf ein Papier von Rainer Rilling hin (Welche politische Krise?). Dort konstatiert dieser eine »skeptische Distanz« der Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und der links-libertären Milieus gegenüber der Linkspartei. Alex Demirović hat nun im Blog des Prager Frühlings die andere Seite der Medaille beleuchtet: die fehlende Staatskritik innerhalb der Linkspartei – vor allem im Rahmen ihrer Programmdebatte.

»Obwohl der Einschätzung des Staates durchaus eine wichtige Rolle zukäme, bleibt er im Programmentwurf eine Blindstelle. Das birgt zwei Gefahren für die Linke: die der Überschätzung, da der Staat überschätzt wird hinsichtlich dessen, was mit ihm erreichbar ist; die der Unterschätzung hinsichtlich seiner Gefährlichkeit.«

Wundern kann dieser Mangel nicht. Diesen wieder und wieder zu betonen, ist sicherlich richtig, sollte aber nicht davon abhalten, eine grundsätzliche Kritik von Partei und Parlament zu formulieren. Viel erwarten kann man von Linkspartei und der Programmdiskussion allerdings nicht. Schließlich würde die von Demirović eingeforderte Staatskritik nicht weniger bedeuten, als die Infragestellung der eigenen parteipolitischen Geschäftgrundlage.

Nur die halbe Wahrheit zur CEP-Studie

»Rechte der Parlamente ausgehebelt. Studie: Euro-›Schutzschirm‹ verstößt gegen mehrere Gesetzesnormen« ist heute in der jungen welt zu lesen (6.7.10). Der recht kurze Beitrag bezieht sich auf einen Artikel aus der gestrigen Die Welt. Leider hat »die linke Tageszeitung« vergessen mal nachzugucken, wer sich hinter der Studie und dem Centrum für Europäische Politik verbirgt. Auf deren website ist zu lesen:

»Das Centrum für Europäische Politik (CEP) ist der europapolitische Think-Tank der Stiftung Ordnungspolitik. Es analysiert die volkswirtschaftlich relevanten Vorhaben der EU und entwickelt Strategien für die europäische Politik.«

Und im Kuratorium sitzen Roman Herzog und der ach so sympatische Hans Tietmeyer. Letzterer ist der Chefkurator der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (vgl. der freitag v. 11.11.05) und wurde selbst von attac im Rahmen ihres Bankentribunals angeklagt (taz, 17.3.10). Ende 2008 ist Angela Merkel damit gescheitert, ihn zum Chefberater in Sachen Krise zu machen. Das verhinderte damals die SPD.

Seit 2002 gehört Tietmeyer dem Aufsichtsrat der Depfa an, d.h. der irische Tochterfirma, die bei der Hypo Real Estate (HRE) das unglaubliche Finanzloch produziert hatte, dass seit Monaten mit staatlichen Geld gestopft wird. Tietmeyer ist aber auch ein Architekt der neoliberalen Euro-Konstruktion und Mitverfasser des »Lambsdorff-Papiers«, das 1982 zum Bruch der sozial-liberalen Koalition führte. Den Rest kennen wir.

Liebe junge welt: Kritischer Journalismus sieht anders aus und der eh blödsinnige Werbespruch »Wir drucken wie sie lügen« bekommt so plötzlich einen ganz neuen Sinn.

Neue Texte und neue Blogs zur Krise

Ich krieg die Krise ... und das nicht erst seit gestern. Foto: CC-Lizenz, Maly Krtek

Auf die Sonderseite des ak kann ich nicht oft genug hinweisen. Hier sind alle Artikel der letzten Jahre zur Krise versammelt. Seit 2007! Inzwischen sind auch die Artikel aus ak 551 online. Neben einem Interview, das ich mit Michael Heinrich geführt habe auch eines mit Stephan Lessenich zum Sparpaket der Bundesregierung. Da in ak 551 der Schwerpunkt mal wieder die Krise war, finden sich dort drei weitere Artikel: Zum einen vergleicht Joachim Becker die Situation von Argentinien im Jahre 2001 mit dem gegenwärtigen Griechenland. Birgit Sauer geht der selten gestellen Frage nach der Geschlechterdimension der Krise nach. Ein Bericht vom Wettrennen der der Sparschweine in Europa rundent den Schwerpunkt ab.

Neben neuen Texten sind inzwischen auch neue blogs zum Thema Krise im Netz aufgetaucht. Das Blog krisenzeiten widmet sich den Protesten anlässlich der globalen Wirtschaftskrise. Ein ähnliches Projekt gibt es auch von attac. Hier bloggen gleich mehrere AutorInnen zu Krise, Sparorgien und Protest. Vor allem das letztere Projekt ist zu begrüßen. So wie sich im Widerstand gegen die anstehenden Angriffe auf unsere Lebensbedingungen möglichst viele emanzipatorischen Kräfte zusammenschließen sollten, so ist es richtig, Gegenwissen im Netz möglichst zu bündeln, Bezüge herzustellen und an einem Strang zu ziehen.

Beiträge zur Geschichte einer pluralen Linken

Im Rahmen der Reihe Papers der Rosa-Luxemburg-Stiftung ist nun der zweite Teil der »Beiträge zur Geschichte einer pluralen Linken« erschienen. Wendepunkt ist 1968. Der erste Teil verhandelt die Theorien und Bewegungen vor, der zweite Teil nach 1968. Die zusammen ca. 140 Seiten stellen eine gute und erste Orientierung in die Geschichte der Linken dar. Die beiden Papers stehen als pdf zum download bereit.

Ein kurzer Nachtrag zum Kommunismus-Kongress

Gestern hat Slavoj Žižek auf dem Kommunismus-Kongress in der Volksbühne (Berlin) betont, »die einzige Utopie, die es noch gibt, ist der Glaube, dass es so wie bisher ewig weitergehen kann«. So Sebastian Dörfler, der von beiden Tage in seinem blog berichtet hat (Tag 1, Tag 2, Tag 3), via twitter. Hört sich fast wie das kleine feine Buch von Bini Adamczak an: Kommunismus. Kleine Geschichte, wie endlich alles anders wird. Wer zu faul ist, die wenigen Seiten zu lesen, kann sich das Büchlein auch anhören. Wer schon jetzt gute Argumente gegen diese illusorische Vorstellung hat, möge sich fragen, ob er/sie sich in der schönen Grafik von Benni Bärmann wiederfindet.

Ach ja, gestern hatte ich den kurzen Beitrag von Lorenz Jäger aus der FAZ vergessen. Ja, auch dieses Medium bourgeoiser Selbstvergewisserung musste kurz auf den Kongress eingehen.

Kommunismus in der Abseitsfalle?

Dieses Wochenende wird an der Berliner Volksbühne die Idee des Kommunismus diskutiert. Wer sich das Ticket für 55 Euro (!) leisten kann, nicht auf der Fusion ist, darf zwei Tage zuhören, mitdiskutieren und sich auf künsterische Beiträge freuen. Bereits gestern wurde auf den linken Buchtagen über das gleiche Thema diskutiert. Wohl aber nicht so, dass es sich gelohnt hätte. In der Volksbühne sind die Popgrößen der kommunistischen Linken Alain Badiou, Slavoj Žižek und Antonio Negri mit von der Partie. Sowohl für DIE ZEIT (der Artikel von Th. Assheuer ist nicht online), die Süddeutsche als auch für die tageszeitung war das Anlass genug, zu zeigen, dass sie auch noch am kommunisten Ball sind. Klaus Bittermann hatte bereits gestern in der taz seinen ganz eigenen Beitrag dazu geleistet. Heute legte Andreas Fanizadeh als Negri-Versteher nochmals nach. Der ak war bereits in der Vorrunde 2008 dabei und diskutierte die Thesen Badious über mehrere Runden.

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Verfassungsschutzbericht 2010: Zur ›freien‹ Deutungshoheit der Verfassungsschutzämter

Gestern wurde der neue Verfassungsschutzbericht vorgestellt. Die Zeitungen haben heute alles schön frühstückstauglich aufbereitet. Während selbst die Süddeutsche Zeitung am Sinn einer Überwachung der Linkspartei mehr als Zweifel anmeldet, hat Innenminster Thomas de Maizière in Richtung DIE LINKE gleich eine kleine Bitte: »Ich wünsche mir, dass das Grundsatzprogramm so ausfällt, dass es danach keinen Anlass mehr zur Beobachtung gibt.« Der formulierte Wunsch des CDU-Ministers unterstreicht ein weiteres Mal, wie mit derartigen Berichten Politik gemacht wird. Das zeigt auch Ron Steinke in seinem Beitrag Wer wird Verfassungsfeind? Zur ›freien‹ Deutungshoheit der Verfassungsschutzämter in Bürgerrechte & Polizei/CILIP 93 (2/2009). Eine nützliche Begleitlektüre für derartige Berichte.

Die Talkshow als Moment von Antiaufklärung

In der heutigen jungen welt ist heute ein Gespräch mit Friedrich Küppersbusch zum Thema Talkshow und der Ankündigung, dass Günther Gauck Jauch die ehemalige Tagesthemen-Moderatorin Anne Will von ihrem Stammplatz nach dem sonntäglich Tatort verdrängt. Küppersbusch hält zudem eine allgemeine Entwicklung für den Polit-Talk fest:

»Journalisten befleißigen sich, die parteipolitische Agenda im Sesselkreis für die Zuschauer herunterzubrechen, und die geladenen Politiker tanzen dann vor – leider nur interessiert das die Zuschauer kaum. Journalismus hat klammheimlich einen Perspektivwechsel vollzogen: Nicht mehr ›fragen, was die Leute interessiert‹, sondern ›übersetzen, was die Politik verkaufen will‹.«

Statler & Waldorf von der Muppet Show schießen auch mal scharf - nicht wie andere Talkshowmöbel. Foto: CC-Lizenz, cszar

Während sich der deutsche Biedermann über den Zwischenruf im Parlament empört, findet der Großteil gesellschaftlich relevanter Debatte in einem Format statt, dass sich nicht gerade durch Tiefgang auszeichnet: der Talkshow. Über diese sehr beliebten, ständig um die beste Sendezeit kämpfenden Laberminuten werden die zentralen gesellschaftlichen Konflikte vermittelt und ausgetragen.

In der kritischen Medienwissenschaft ist das schon länger Thema. Über die Bedeutung des Sendeformats Talk-Show als Medium der politischen Auseinandersetzung habe ich mit dem Kölner Medienwissenschaftler Dietrich Leder gesprochen. Das zweiseitige Interview ist in der ak-Ausgabe 551 zu finden. Zwei Seiten die sich lohnen und durch die ak-Sommerpause helfen.