Nachtrag zur Graeber-Besprechung

»Die Gewohnheit, immer ›bitte‹ und ›danke‹ zu sagen, setzte sich während der kommerziellen Revolution des 16. und 17. Jahrhunderts durch – bei eben jenen Mittelschichten, die hauptsächlich für diese Revolution verantwortlich waren. Es ist die Sprache der Ämter, der Läden und Kanzleien, und im Lauf der letzten 500 Jahre hat sie sich mit diesen Einrichtungen ausgebreitet. Dies Sprache ist nur ein Zeichen einer umfassenden Denkweise, einer Reihe von Annahmen, was Menschen sind und was sie sich einander schulden. Heute sind diese Annahmen so tief verwurzelt, dass wir sie gar nicht mehr wahrnehmen.« (Graeber 2011: 131)

Meine Besprechung zu Graebers Schulden-Buch musste knapp ausfallen. Ein paar Punkte sind nur angerissen. Bei anderen wissen nur diejenigen, die bestimmte (zwischen den Zeilen zu findende) Debatten kennen, worauf ich hinaus will. Deshalb ein kurzer, summarischer Nachtrag. Wer meine ak-Besprechung nicht kennt, sollte sie vorher lesen. Auf viele Punkte, die ich dort ausführe, gehe ich hier wiederum nicht ein.

Buchpräsentation zu »Inside Occupy« mit David Graeber. Foto : CC-Lizenz/Tine Nowak

Graeber orientiert sich an einer klassischen Frage der politischen Ökonomie – was ist Geld? Er kritisiert den Mainstream scharf und klopft im ersten Teil seines Buches die Wirtschaftstheorie kritisch ab – zu Recht. Diese geht meist von unhistorischen und fiktionalen Gesellschaften aus, in denen Menschen ihren natürlichen Neigungen nachgehen, unter anderem ihrem Hang zu Tausch und Handel. Graeber kritisiert richtigerweise, dass ökonomische Lehrbücher immer mit dem Barter, einem einfachen Produktentausch ohne Geld beginnen.[1] In seiner Auseinandersetzung streift Graeber u.a. Smith, Menger, Jevons, Keynes, Knapp, Samuleson und Aristoteles und Aglietta.

Wen Graeber zu Beginn seines Buchs nicht kritisiert bzw. diskutiert ist Marx, obwohl dieser auch mit dem Warentausch beginnt – könnte man zumindest meinen. Und genau hier zeigt sich Graebers grundlegendes Problem, der zwar viel historisch-anthropologisches Material zusammenträgt, es aber nicht theoretisch-begrifflich durchdringt. Hierfür bedürfte es nämlich einer Theorie des Kapitalismus, Kriterien, was den Kapitalismus auszeichnet – eine Formanalyse und Kritik.
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David Graeber, Klappe die Vierte

Wurden innerhalb eines Jahres von einem/einer AutorIn schon mal mehr Bücher als von Graeber übersetzt? Hier Nummer Buch Nr. 4 – mit 10 Jahren Verspätung. Die Möglichkeit, mit anarchistischen Autoren Profit zu machen, widerlegt auch Engels, der meinte:

»Man streitet nicht mit Leuten, die in der Ökonomie unwissend genug sind, den Leipziger Büchermarkt überhaupt für einen Markt im Sinne der modernen Industrie anzusehn.«

Meine Besprechung zu »Schulden« findet sich hier und hier.

Demokratie statt Fiskalpakt!

Frühjahr 2012. Merkel und Sarkozy eilen von Gipfel zu Gipfel, um den Euro zu retten. Der Boulevard hetzt gegen die Menschen in Griechenland. Der Kampf um die Krisenlösung spitzt sich dramatisch zu: Bis Anfang 2013 will ein autoritär-neoliberales Bündnis aus Kapitalverbänden, Finanzindustrie, EU-Kommission, deutscher Regierung und weiteren Exportländern den jüngst in Brüssel beschlossenen „Fiskalpakt“ im Schnellverfahren durch die Parlamente bringen.

Der Fiskalpakt verordnet eine sozialfeindliche Sparpolitik und umfasst Strafen gegen Länder, die sich dieser Politik widersetzen. Der Fiskalpakt schränkt damit demokratische Selbstbestimmung weiter ein. Er ist vorläufiger Höhepunkt einer autoritären Entwicklung in Europa.

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Killing in the name of. Bini Adamczak über linke Verantwortung für den Stalinismus und die Zukunft des Kommunismus

“Wir müssen aber auch sagen, dass die Idee des Kommunismus nichts, aber auch gar nichts mit dem zu tun hat, was Stalin, Mao oder Pol Pot darunter verstanden haben.” So hört sich die Abbitte der Vorsitzenden der Partei DIE LINKE, Gesine Lötzsch, an. (taz, 8.2.11) Ihre Wortmeldung über “Wege zum Kommunismus” hatte für Aufregung gesorgt. Die linken Reaktionen kamen selten über Bekenntnisrituale oder den Versuch hinaus, die Idee vor seiner hässlichen Geschichte zu retten – leider. Über den herrschenden Diskurs und die mögliche und nötige Auseinandersetzung mit der Geschichte des Kommunismus sprach ich mit Bini Adamczak.

Anhörung der Arten

Der Bayerische Rundfunk hat sich nach Weiss’ Die Ästhetik des Widerstands und Kafkas Der Prozess Dietmar Daths Die Abschaffung der Arten vorgenommen und produzierte mit Unterstützung von Mouse on Mars ein 12-teiliges Hörspiel. Letzten Sonntag wurde die erste Folge ausgestrahlt, die auch als Download zur Verfügung steht.

Für ak sprach ich letztes Jahr mit Dietmar Dath über Kunst, Politik und die Schwierigkeit, in kritischer Form zu bleiben.

Auf verlorenem Posten. Der Schriftsteller Peter O. Chotjewitz ist tot

Foto: Alexander Janetzko

Mit Peter O. Chotjewitz verlieren die Linke und die Literatur einen scharfzüngigen Essayisten, einen großen Stilisten und einen beeindruckenden Übersetzer der Arbeiten u.a. von Dario Fo und Nanni Balestrini. Mitte der 1960er Jahre als Avantgardist gefeiert, wurde er im Zuge des Deutschen Herbst zum Inbegriff des »RAF-Sympathisanten« – in den 1970er Jahren hatte er als Anwalt Andreas Baader verteidigt. Seine Erfahrungen verarbeitete er in »Die Herren des Morgengrauens« (1978) und seinem letzten Roman »Mein Freund Klaus« (2007), einer literarischen Biografie des RAF-Anwalts Klaus Croissant. Der Stoff seiner Geschichten war das Leben, nicht zuletzt sein Leben – ein bewegtes, schrilles und politisches Leben.

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acker & knolle mit vielen Fragen

Der neue ak ist heute erschienen und ich habe zumindest in Form diverser Interviews einige Fragen beigesteuert. So hat Florian Weis ein paar Antworten auf Fragen zu 20 Jahre Rosa-Luxemburg-Stiftung, Thorsten Puttenat zu (sub)kulturellem Protest gegen Stuttgart 21 und Silke Meyer zu Geschlechterverhältnissen im Internet und feministisches Bloggen.

Diese ak-Ausgabe trägt die Nummer 555 – eine “Schnapszahl”. Was andere zum willkommenen Vorwand für feucht-fröhliche Feierlichkeiten nutzen würden, ist für die ak-Redaktion Anlass zu einer historische Betrachtung zum Thema Alkohol und Arbeiterbewegung. Unser Autor Ralf Hoffrogge blickt zurück in die Zeit des deutschen Kaiserreichs, als die SPD die “Branntweinpest” bekämpfte und zugleich die Parteikneipe verteidigte: als “Bollwerk der politischen Freiheit des (männlichen) Proletariers …”

Das Inhaltsverzeichnis und eine Auswahl der Artikel findet sich hier.

Entgleiste Herrschaft. Der Kampf um Stuttgart 21 am Scheideweg

Über Jahre passierte scheinbar wenig. Seit dem offiziellen Baubeginn von Stuttgart 21 Anfang Februar überschlagen sich die Ereignisse. Nun steht der Widerstand gegen das Projekt an einem Scheideweg. In der Nacht zum 1. Oktober wurden die ersten Bäume gefällt. In den Stunden davor kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. Durch Polizeigewalt wurden bis zu 400 DemonstrantInnen verletzt. Zwei Demonstranten drohen aufgrund des Einsatzes von Wasserwerfern dauerhaft zu erblinden. Der Konflikt um den neuen Bahnhof erweist sich als Machtfrage. Eine Machtfrage, die auch “von unten” beantwortet werden muss.

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Die RAF, Buback und unser aller liebster Rechtsstaat

—Aus gegebenem Anlass nochmals ein Kommentar, den ich vor über einem Jahr unter freitag.de publizierte (er wurde, soweit ich weiß, auch abgedruckt)—

Michael Buback äußert in einem Interview wenige Tage vor der Verhaftung von Verena Becker in der Sendung Kulturzeit bei 3Sat (21.8.09) die Hoffnung, dass es zu einem Prozess gegen sie kommt. Buback: »Und zwar zu einem Prozess bei dem tatsächlich eine Person vor Gericht steht die an den Anschlägen und dem Anschlag unmittelbar beteiligt war. Die merkwürdige Situation oder groteske Situation bislang war ja, dass Menschen angeklagt wurden, die eben nicht auf diesem Motorrad waren, zumindest muss ich mit höchster Wahrscheinlichkeit davon ausgehen.«

Der Sohn des damals ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback äußert schon länger das Bedürfnis, dass er gerne wissen würde, wer seinen Vater erschossen hat. Was Michael Buback nicht sagt und auch nicht besonders skandalös findet ist, dass drei Personen als Täter verurteilt wurden (Christian Klar, Knut Folkerts und Brigitte Mohnhaupt). Das ist zumindest auch irgendwie: grotesk. Continue reading “Die RAF, Buback und unser aller liebster Rechtsstaat”

Banken? Blockieren! … und darüber reflektieren

Am 18. Oktober 2010 soll massenhaft, entschieden und in vielfältigen Aktionen ein Knotenpunkt der Finanzwelt in Frankfurt am Main blockiert werden. Die Aktionsgruppe Georg Büchner ruft zu einer Aktion zivilen Ungehorsams auf. Es sei nicht hinzunehmen, dass die Kosten der Weltwirtschaftskrise vor allem von den sozial Schwachen getragen werden sollen. So sehe es das “Sparpaket” von Schwarz-Gelben vor. Der Protest müsse deshalb dorthin getragen werden, wo er hingehört: ins Herz der Finanzmetropole. Über die geplante Blockade sprach ich für ak mit der Sprecherin des Aktionsbündnisses Karin Maler. Thomas Sablowski setzt sich in der selben Ausgabe mit zwei falsche Auffassungen über Banken und zwei Formen verkürzter Kapitalismuskritik auseinander (Siehe auch meinen Beitrag von 07.09).

Unzufrieden mit dem Unveränderlichen. Ein Nachruf auf Thomas Marxhausen (1947–2010)

Noch im Mai diesen Jahres referierte Thomas Marxhausen auf einem Begleitseminar zu den RLS-Kapitallesekursen »Dem Wert auf der Spur» zum Thema «Den Stachel ziehen? Konflikte um die Edition der Manuskripte von Marx und Engels«. Dank Thomas bin ich an ein paar MEGA-Bände gekommen – eine ehemalige Kollegin von ihm wollte Platz im Regal schaffen. Auch habe ich ihm einen kritischen Einblick in die MEGA-Edition zu verdanken. Einen Beitrag zur neuen Kapital-Lektüre in der DDR für Das Kapital neu lesen wollte er schließlich leider doch nicht schreiben. Noch vor seiner Absage schrieb er mir:

wenn interesse bei euch, mache ich einen abriss, was wurde wie seit mitte der 1970er jahre diskutiert, das kann ich machen, dieses material habe ich ready, weil ich beteiligt war wie auch im Rat für M-E-Forschung am IML beim ZK der SED (also ein Täter — wollt ihr einen Täter??? überlegt’s euch gut!).

Thomas war sehr selbstkritisch – ja selbstzerstörerisch selbstkritisch.

Vor zwei Wochen erreichte mich die traurige Nachricht, dass Thomas am 6. September 2010 in Halle im Alter von 63 Jahren viel zu früh aus dem Leben schied. Einen Nachruf von Rolf Hecker und eine Kurzbiographie haben ich zusammen mit einer Auswahlbiographie auf die website von »Das Kapital lesen« gestellt. Einge Texte sind als pdf verfügbar. Nach und nach werde ich weitere Texte einpflegen.

Noch nicht einmal demokratischer Schein. Ein Interview mit Astrid Rund über die Aufhebung des Atomausstiegs

Ende August wurde in fast allen Tageszeitungen ein “Energiepolitischer Appell” veröffentlicht. Diesen nahm das Institut Solidarische Moderne (ISM) zum Anlass, den Aufruf “Demokratischer Rechtsstaat oder Atomstaat” zu initiieren. Über Intention des Aufrufs sprach ich für ak mit Astrid Rund, Erstunterzeichnerin des Aufrufs und Kuratoriumsmitglied des ISM.

ak: Der Aufruf des ISM zum Konflikt um die Laufzeitverlängerung trägt ganz schön dick auf: “Es geht um nicht weniger als das politische Gestaltungsmandat der Verfassungsorgane und damit um den Bestand des demokratischen Rechtsstaates selbst.” Warum geht es um nicht weniger?

Astrid Rund: Bei der Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken wird ganz offensichtlich und unverhohlen dem Interesse und der Lobbypolitik der großen Energiekonzerne entsprochen. Entgegen dem Willen der Mehrheit der Bevölkerung soll der Atomausstieg gekippt werden. Die Bundesregierung will den sogenannten Ausstiegskonsens einseitig nicht einhalten, obwohl die Atomkonzerne durch den Verzicht des Staates auf monetäre Leistungen – wie steuerfreie Rückstellungen, Verzicht auf die Brennelementesteuer, Versicherung – schon mindestens 50 Mrd. Euro kassiert haben.

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Was uns der Protest gegen Stuttgart 21 über neue Formen des Politischen sagt

Die neue Ausgabe von ak – analyse & kritik ist erschienen (Inhalt). Unter anderem ist wieder Stuttgart 21 Thema. Denn: Das Ländle ist im Aufruhr. Der Abriss eines alten, nicht sehr schönen Bahnhofs ruft die massivste Protestbewegung hervor, die es in den letzten Jahrzehnten in Stuttgart gegeben hat. Der Kulturwissenschaftler Klaus Schönberger vertritt die These, dass sich in diesen Protesten eine neue Form des Politischen zeigt: An die Stelle der Protest-Bewegung tritt das Protest-Projekt. Ich fragte Klaus Schönberger was das für linke Politikformen bedeutet.