Die Zeche der Krise und die Hegemonie des Kapitals

Es ist schon unglaublich. Und erschreckend zugleich. Wir erleben gegenwärtig nicht nur die schwerste Krise seit 1929, sondern eine Macht des Kapitals, die ernüchternd ist. Das Kapital dominiert nicht nur die Sicht der Dinge wenn es darum geht, was gegenwärtig eigentlich das Problem sein soll, nein, auch die Lösungsstrategien werden bisher im Sinne des Kapitals diskutiert und durchgesetzt. Dass dabei auch die Lasten der Krise mehr als ungleich verteilt werden ist offensichtlich. Dass aber die Journaille ihren Sachverstand in der alltäglichen Redaktionskonferenz vergisst, macht eine informierte Diskussion noch schwerer. Beispiel: Schulden und Konjunkturprogramme. Da proklamiert der neue Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Peter Keitel, im Interview der Woche auf DLF eine klare Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums für die kommenden Jahre – ohne kritische Nachfrage des Moderators vom DLF oder einem Kommentar im Bericht zum Thema. Continue reading “Die Zeche der Krise und die Hegemonie des Kapitals”

analyse & kritik nicht nur der Krise

Die Monatszeitung analyse & kritik hat inzwischen ein ausführliches Dossier zur aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise, das zeigt, dass der ak die Entwicklungen seit Monaten verfolgt. Auch in der aktuellen Ausgabe ist die Krise und der Kapitalismus wieder Thema. Unter anderen im Rahmen eines Interviews mit Stefanie Hürtgen, die gerade eine kritische Untersuchung zum transnationalen Co-Management betrieblicher Gewerkschaftspolitik veröffentlicht hat. Des Weiteren findet sich ein Interview mit Karl Heinz Roth, der im Frühjahr eine Arbeit zur aktuellen Krise vorlegen wird.

Was macht Ihre Scheißabstimmung über diese Kreditbürgschaft…?

Manchmal ist ja ein Roman besser als jedes Sachbuch. Auch erhellender. So auch in der gegenwärtigen Finanzkrise. Nicht nur »J.R.« von William Gaddis ist in diesen Tagen äußerst lesenswert. Obwohl bereits 1979 geschrieben, wurde es erst Ende der 1990er ins Deutsche übertragen. Das Buch ist ein grandioses Dialoggewirr entlang der Geschichte eine 11-Jährigen, der nach einem Schulausflug an die New Yorker Börse mit den Aktien seines Musiklehrers zu spekulieren beginnt und ein Imperium an Briefkastenfirmen aufbaut. So manche Transaktion und Verhaltensweise, die gegenwärtig im Feuilleton gebrandmarkt wird, verleiht dem Roman gerade seine Dynamik – die Dynamik des Kapitals.

Aber auch ein anderes Buch liest sich mit viel Gewinn. Studs Terkels »Der große Krach«. Der gerade verstorbene Meister der Oral History hatte in den 1970er Jahren Menschen ihre Geschichte erzählen lassen, die die Weltfinanzkrise von 1929 miterlebten und auch überlebt haben. Denn viele sprangen damals aus dem Fenster. Natürlich nur Menschen der Hochfinanz, die nicht selten ihrer Familie zumindest die Auszahlungen aus der Lebensversicherung hinterlassen wollten. Aber Terkel wäre nicht Terkel, wenn nicht alle zu Wort kommen. Gerade auch die subalternen Klassen und wie sie damals mit den Folgen der Krise umgingen. Verzweifelt und mit Humor – aber meist sehr subversiv. Aber die Revolution blieb auch damals aus. Aber vieles kommt einem bekannt vor: Liberale interessieren sich plötzlich wieder für Marx; Börsianer treiben mit Leerverkäufen die Börse in die Krise, machen damit eine Menge Geld und landen dann vor lauter schlechtem Gewissen auf der – dem Handwerkszeug des damals recht neuen Berufszweigs – Psychocouch. Die Übersetzung des Titels des ansonsten großartigen Buches ist allerdings nur mäßig gelungen. »Hard Times« heißt es im Original und verweist auf Chaplins großartige Sozialkritik »Modern Times«.

Die Marx-Bubble. Vom Medienhype des Longsellers in Zeiten der Finanzkrise

»›Das Kapital‹ geht weg wie warme Weggli«, titelte am 14. Oktober 2008 der Schweizer Blick. Mit dieser Meldung brachte das Blatt eine Story, die in den letzten Wochen durch alle Medien geisterte: Der Verkauf des ersten Bands des »Kapital« hat sich nach Angaben des Berliner Karl Dietz Verlags, der unter anderem die Marx-Engels-Werke vertreibt, seit dem Jahr 2005 verdreifacht. Seither ist Verlagsleiter Jörn Schütrumpf ein gefragter Interviewpartner. Immer wieder muss er die gleichen Journalistenfragen beantworten, vor allem: Was sind das für Leute, die das Kapital lesen? Warum tun sie das? »Det ist die Krise«, erklärt der Verlagsleiter lakonisch.

Von der Zeit über die Welt, die Saarbrücker Zeitung bis zu TV-Berlin griffen alle bürgerlichen Medien das Thema auf: Marx ist wieder da. Schuld ist die Finanzkrise. Auch die Münchner Abendzeitung titelte: »Wegen der Finanzkrise kaufen immer mehr Menschen das Ur-Werk ›Das Kapital‹.« Die These schaffte es schließlich über den Teich. Associated Press schrieb, dass die Deutschen in der Finanzkrise »Trost bei Marx suchen«. Continue reading “Die Marx-Bubble. Vom Medienhype des Longsellers in Zeiten der Finanzkrise”

Bücher zur Krise

Jede Finanz- und Wirtschaftskrise hat ihre Bücher, und mit jedem Buch verbindet sich die Hoffnung, für die Zukunft etwas lernen zu können. Angesichts der Tatsache, dass Spekulationskrisen seit der holländischen Tulpenkrise von 1634 immer den gleichen Verlauf genommen haben, erscheint diese Hoffnung gegenstandslos. Die gegenwärtige Finanzkrise hält seit über einem Jahr an. Die nach und nach veröffentlichten Bücher haben deshalb auch unterschiedliche Schwerpunkte. Vier dieser Publikationen werden im Folgenden in der Reihenfolge ihres Erscheinens vorgestellt. Continue reading “Bücher zur Krise”

Die Kapitallesebewegung: Digitaler-Boheme- Bullshit

Seit dem sichtbaren Ausbruch der Finanzkrise ist Karl Marx ein Medienstar. Auch die taz nimmt sich da nichts und berichtet bereits zum zweiten Mal in Folge über die Kapitallektüre-Bewegung. So richtig trauen will die ehemals linke Tageszeitung der Sache nicht: Da werden Stimmen zitiert, die die Auflagensteigerung des Kapitals als Propaganda-Aktion des Dietz-Verlags interpretieren, ein Tag später kommentiert taz-Starautor Helmut Höge die Kapitallesebewegung und kommt zu dem Schluss, “dass der bundesweite “Marx-Marathon” an den Unis bloß ein Digitaler-Bohème-Bullshit ist, bei dem die Afterstudy-Partys vermutlich das Eigentliche sind.”

Wie immer schreibt Edelfeder Höge mit Wortwitz und -biss und damit trifft er durchaus kritische Punkte der Kapitallesebewegung. Beispielsweise schreibt Höge, dass die Kapitallektüre angewiesen sei auf “eher klammheimliche, aber auch gemütliche Selbstorganisation”, und weniger auf zentralisierte, durchgeplante Gross-Organisation mit Schulungscharakter. Aber würde er mehr mit den Leuten sprechen, die den ganzen Kladderadatsch organisieren, würde er erfahren, dass es gerade deren Hoffnung ist, dass sich die Kurse nach der ersten Initialzündung irgendwie selbst weiter organisieren und es auf diese Weise dann auch über den ersten Band hinaus schaffen.

Das ist wiederum etwas, was Autor Höge selbst offensichtlich nicht geschafft hat. Leider, muss man sagen, denn es schmälert seine sonst recht hübsche Glosse. Nach Höge besteht das Marx’sche Hauptwerk “im Wesentlichen aus der Warenanalyse – und die ist seit der Durchsetzung des Geldes als Ware, also seit etwa 500 vor Christi in Ionien, aktuell. Sie wird es auch wohl bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag bleiben.” Marx hätte sich mit großem Vergnügen auf diese Sätze gestürzt. Die “Durchsetzung des Geldes als Ware seit 500 vor Christi in Ionien” hätte er genüsslich zur Illustration der bürgerlichen Ökonomie genutzt, die in allen auch historisch weit zurückliegenden Gesellschaftsformen die bürgerlichen Formen am Werke sieht. Dass das Platzen der US-Finanzblase mit der Warenanalyse kaum zu begreifen ist, dem würde Marx wohl zustimmen. Die Analyse der von Finanzinstituten kreierten und verkauften Produkte hatte Marx auch erst im Dritten Band behandelt und zwar mit der Kategorie des “Fiktiven Kapitals”. Schön wärs, würde Helmut Höge eine kleine, gemütliche, selbstorganisierte Lesegruppe initiieren, dann wäre die nächste Glosse zum Thema sicher noch lustiger.

Sabine Nuss und Ingo Stützle

Zur gegenwärtigen Talfahrt der Börse

Die gegenwärtige Talfahrt der Börsen ist nicht allein auf “mangelndes Vertrauen” zurückzuführen. Vielmehr lösen viele institutionellen Anleger im Zuge der unklaren weltwirtschaftlichen Entwicklungen und den damit einhergehenden Währungsschwankungen sog. carry trades auf. Dabei handelt es sich um Kredite in Yen zu niedrigen Zinses, die für einen Großeinkauf an den Weltbörsen genutzt wurden. Verändert sich der Kurs des Yen, laufen diese Geschäfte Gefahr eher Geld zu kosten. 2007 konnte man eine ähnliche Entwicklung an Chinas Börsen beobachten. Dazu erschien im ak auch ein Artikel. Der ak hat inzwischen relevante Artikel zur Finanzkrise auf einer Sonderseite gesammelt. In der November-Ausgabe wird zudem ein Schwerpunkt erscheinen.

Aufgeblättert: »Das Weltkapital« von Robert Kurz

Im Anschluss an Marx’ Bücherplan zum Aufbau einer Kritik der politischen Ökonomie ist es sicherlich eine sinnvolle Aufgabe, sich dem Weltmarkt als Kategorie der Kritik der politischen Ökonomie zu widmen (35). Ausgehend von den ›Globalisierungskritikern‹ nähert Verf. sich dem Kapitalismus als Weltsystem (42 ff), streift die Imperialismustheorie (78 f) und setzt sich intensiv mit ›Globalisierungsleugnern und Verdrängungskünstlern‹ (187) auseinander. Die Kritik läuft nach bekanntem Muster: ›Alle sind konservativ geworden, so wie in anderer Weise (…) alle neoliberal geworden sind.‹ (370) ›Linke Gesellschaftskritik‹ bewegt sich immer noch im ›Gehäuse kapitalistischer Kategorien‹ (19) und linke Theoriegeschichte ist weiterhin nicht aufgearbeitet (326). Verf. arbeitet sich allerdings an schwachen Gegnern ab, andere werden kaum einmal in einem Nebensatz gewürdigt (Wallerstein, Altvater).

Die neue Qualität des Kapitalismus sieht Verf. im veränderten Charakter des Finanzkapitals, welches die Globalisierung vorantreibt – für ihn ist letztere nur ein ›eskalierter Krisenprozess‹ (59). Dem Finanzkapital komme die konstitutive Funktion bei der Simulation eines funktionierenden Systems zu, ohne die es bereits zum Zusammenbruch des kapitalistischen Reproduktionsprozesses gekommen wäre (220). Aus der zunehmenden Entkopplung des Geldes von seiner Substanz Arbeit (119) folge eine ›Virtualität‹ der Kreditverhältnisse. Das Geld sei zu einer juristischen Konstruktion verkommen (122 f), während Arbeit ihre Bedeutung verliere. Unklar bleibt allerdings, wie Verf. ständig von überflüssiger Arbeit und der abnehmenden Relevanz der Arbeitskosten sprechen kann und gleichzeitig die Verlagerung von Arbeitsplätzen als zentrales Moment der Globalisierung konstatiert, was doch nur vor dem Hintergrund besserer Ausbeutungsbedingungen sinnvoll ist (94, 133, 168 f).

Weiter widmet er sich den Tücken der verkürzten Kapitalismuskritik (299 ff), vor allem dem ›strukturellen Antisemitismus‹ (342 ff) und den Illusionen gegenüber dem Staat (366 ff). Der ›objektive Verblendungszusammenhang‹, den der Kapitalismus für alle ›immanenten Akteure‹ hervorbringe, führe in der Krise dazu, dass die ›innere systemische Logik‹ auf den Kopf gestellt werde (299): Die innere Schranke der Verwertung erscheine als Zirkulationsphänomen, was Teile der Linken, allen voran die Linkspartei, mit nationalem Keynesianismus beantworteten, der die Ursache der Krise in einem nicht mehr an den Nationalstaat gebundenen Finanzkapital sehe (u.a. 320). Pauschalisierend sieht Verf. diese Politik vor dem Hintergrund schwindender Arbeit in Forderungen nach einem starken Staat, Arbeitszwang und dem Schutz der deutschen Arbeiter umschlagen. Dabei seien diese Programme gesellschaftlichen Formen geschuldet, die einen ›strukturellen Nationalismus‹ (380) ebenso hervorbrächten wie einen ›strukturellen Antisemitismus‹ (342 ff). – Verf. bewegt sich dabei allerdings auf unterschiedlichen Kritikebenen. Bestimmten theoretischen Vorstellungen meint er einfach mit der Empirie, der Wirklichkeit (64) oder der realen Historie (67) beikommen zu können, statt die von ihm eingeklagte kategoriale Kritik wirklich durchzuführen. So konstatiert er beim Theorem der komparativen Kostenvorteile im Anschluss an Ricardo nur dessen Blamage gegenüber der Wirklichkeit (64), kritisiert also bloß, dass Ricardo den kapitalistischen Formbestimmungen aufsitze. Auch mit seinem Kronzeugen Marx geht Verf. wenig sorgsam um. Aus den ›ökonomischen‹ Bewegungsgesetzen – wie Marx im Vorwort des Kapitals seinen Gegenstand skizziert – werden ›gesellschaftliche‹ (20), was einen Unterschied ums Ganze macht, der von Engels geprägte Begriff des ›ideellen Gesamtkapitalisten‹ wird Marx zugeschrieben (39) usw.

Gegenüber den ›Globalisierungsleugnern‹ besteht Verf. auf der neuen Qualität, die das Weltkapital mit sich bringe: ›Wenn die Veränderung im Verhältnis des Exportvolumens und der Direktinvestitionen von 6 auf mehr als 50 Prozent keine qualitative sein soll, dann gibt es (…) offenbar überhaupt keinen Umschlag von Quantität in Qualität mehr.‹ (171) – So wie hier das engelssche Argument bloß oberflächlich aufgesetzt wirkt, greift Verf. des öfteren auf suggestive Begriffe zurück und ersetzt Argumente durch eine Rhetorik des angeblich ›glasklaren‹ oder ›eindeutigen‹ Charakters eines Sachverhalts, während das Gegenteil statt widerlegt bloß als lächerlich abgetan wird (171 ff, 194 ff, 365 ff).

Kurz, Robert, Das Weltkapital. Globalisierung und innere Schranken des modernen warenproduzierenden Systems, Edition Tiamat, Berlin 2005 (479 S., br., 18 Euro)

Erschienen in: DAS ARGUMENT 265/2006

Der Yen zu Gast in China. Das Treffen der G7 in Essen und der Börsencrash

Im Februar hatten die Gipfelproteste und die Finanzminister der G7, also die mächtigsten Industriestaaten ohne Russland, in Essen ein erstes Stelldichein. Über 1.000 DemonstrantInnen nahmen an den Protesten teil. Sie richteten sich vor allem gegen das Treiben so genannter Hedge Fonds. Während diese in der Abschlusserklärung der Regierungschefs zentrales Thema waren, konnte sich Deutschland mit einem Fingerzeig Richtung Japan nicht durchsetzen. Der Gastgeber hätte Japan gerne darauf gedrängt, für einen stärkeren Yen zu sorgen. Wenige Wochen später brach die chinesische Börse ein und nahm die US-Börse gleich mit. Auch Tage später war die Unsicherheit groß – schließlich wurden viele hundert Mrd. US-Dollar vernichtet. Ein Grund dafür war die Kursentwicklung des Yen.
Continue reading “Der Yen zu Gast in China. Das Treffen der G7 in Essen und der Börsencrash”