FAQ. Noch Fragen? Sind Bitcoins Geld?

Mitte August war zu lesen, dass das Bundesfinanzministerium die virtuelle »Währung« Bitcoins als Rechnungseinheit anerkennt. Das geht aus einer kleinen Anfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler hervor. Bitcoins sind Münzen (Coins), die eine digitale Form haben. »Bit« verweist auf die Binärziffern (1/0), die Einheiten mit denen die Informationstechnologie arbeiten und Datenmengen und -übertragung gemessen werden (acht Bits sind ein Byte).

Auf Grundlage der auch bei Musiktauschbörsen verwendeten BitTorrent-Technik (Peer-to-Peer) organisiert ein Bitcoinnetzwerk den Bezahlvorgang. Das Netzwerk setzt auf eine ähnliche Verschlüsselung wie PGP (Pretty Good Privacy), garantiert derart die Authentizität der Vorgänge und soll die Bitcoins fälschungssicher machen. Kein Wunder also, dass das Konzept 2008 auf einer Mailingliste für Kryptografie erstmals öffentlich diskutiert wurde. Eine vollständige Anonymität kann es deshalb jedoch nicht geben. Die Bestätigung eines Bezahlvorgangs durch das gesamte Netzwerk, der Kern der Idee, bedeutet, dass Anonymität nicht möglich ist. Die Transaktionen werden in einer »History« gespeichert. Damit geht jedoch ein Vorteil von Geld verloren: Geld stinkt plötzlich wieder. Continue reading “FAQ. Noch Fragen? Sind Bitcoins Geld?”

Die Europapolitik des deutschen Machtblocks und ihre Widersprüche

Ein in der Krise oft zu hörender Satz ist:

»Die Politik macht doch eh nur das, was die Wirtschaft will.«

Und mit etwas staunendem Unverständnis wird gerne ein weiterer Satz formuliert:

»Die deutsche Politik, die auf Austeritätspolitik im EU-Ausland drängt, schadet doch der deutschen Exportwirtschaft.«

Während die erste Feststellung eine einheitliche Entität (»die Wirtschaft«) unterstellt, die dieses oder jenes meinen oder wollen könnte, geht der zweite Satz davon aus, dass sich das Interesse des exportorientierten Kapitals unmittelbar in die Politik der deutschen Bundesregierung umsetzt oder bei der politischen Elite die Lehrbuchvernunft eines keynesianistisch, makroökonomischen Lehrbuchs gefunden werden könnte.

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Welche Keynes-Kritik hätten sie den gerne?

Keynes-KarikaturAuf »Wirtschaft und Gesellschaft« versuchte vor ein paar Tagen Christian Christen, Keynes vor seinen LiebhaberInnen zu retten – zu Recht. All zu oft firmiert unter Keynesianismus etwas, was an Keynes und seiner Kritik an der Neoklassik vorbeigeht. Ein Grund, warum viele von Bastard-Keynesianismus sprechen, ein Begriff, der auf die Ökonomin Joan Robinson zurückgeht. Als Kritikfolie zieht Christian Christen auch einen Artikel von mir heran. Einen recht kurzen Artikel für die Tageszeitung neues deutschland, in dem ich zu Keynes Position beziehen sollte. Eine klassische Pro/Contra-Diskussion, bei der sich Heiner Flassbeck für den Keynesianismus ins Zeug legen sollte. Kein Wunder also, dass Keynes bzw. der Keynesianismus bei mir nicht all zu gut wegkam. Auftrag erledigt.

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FAQ. Noch Fragen? Ökonomie der Immobilienblase

Vor kurzem war in der FAZ (5.8.2013) zu lesen: »Österreicher flüchten in Betongold. Die Grundstückskäufe florieren«. Entsteht hier eine Spekulationsblase, und was ist überhaupt eine Immobilienblase? Zunächst ist festzuhalten, dass die Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise immer Spekulation bedeutet – bereits bei ihrer elementaren Form, der Warenproduktion. Ob eine Ware auf ein gesellschaftliches Bedürfnis und eine zahlungsfähige Nachfrage trifft, stellt sich erst im Nachhinein heraus. Es ist spekulativ, ob aufgewendete Arbeit wirklich als gesellschaftlich notwendige anerkannt wird. Nicht anders verhält es sich bei Immobilien. Nicht das Bedürfnis (etwa nach einem Dach über dem Kopf) steht im Vordergrund, sondern potenzielle (und steigende) Mieteinnahmen oder Preissteigerungen: aus G soll G’ werden und es ist unklar, ob das klappt.

Bild: flickr.com/dierkschaefer

Was ist das Besondere an Immobilien? Grund und Boden sind beschränkt, im Gegensatz zu Waren des alltäglichen Lebens (Brot, Software) können sie nicht beliebig (bzw. abhängig von Rohstoffen) produziert werden. Das ist ein Grund, warum bei sehr hohen Quadratmeterpreisen in die Höhe gebaut wird. Zudem ist das Eigentum an Immobilien verbrieft, d.h. neben dem physischen Grund und Boden existiert ein Eigentumstitel. Das Besondere ist auch, dass der Preis einer Immobilie nicht wie bei Waren des alltäglichen Gebrauchs wesentlich von der Produktivität der Arbeit abhängt, sondern von der zukünftig erwartbaren Grundrente, d.h. den regelmäßig gezahlten Summen für die Nutzung von Grund und Boden (z.B: Pacht, Miete) – danach richtet sich der Preis des Eigentumstitels. Continue reading “FAQ. Noch Fragen? Ökonomie der Immobilienblase”

Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung – zu Wolfgang Streecks »Gekaufte Zeit«

#29 von kritisch-lesen.de ist erschienen und widmet sich dem Thema Neoliberalismus. Die HerausgeberInnen schreiben:

»In dieser Ausgabe wollen wir uns einiger Facetten dieses neoliberalen Projekts widmen und eine vorläufige und unabgeschlossene Bestandsaufnahme aktueller und vergangener Analysen zum Neoliberalismus liefern und sowohl auf Formen der Unterdrückung und Ausbeutung eingehen als auch darauf, wie sich Neoliberalismus in den Alltag einschreibt und sich auch in Bereichen wie Psychologie oder in Liebesbeziehungen niederschlägt. Schließlich geht es uns auch darum, Perspektiven gegen den neoliberalen Kapitalismus zu diskutieren.«

Für die kritisch-lesen.de-Ausgabe habe ich von Wolfgang Streeck »Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus« besprochen:

Wolfgang Streeck hat zwar noch bei Adorno studieren können und auch ein paar Vorlesungen besucht, aber, so gibt Streeck in der Einleitung von „Gekaufte Zeit“ zu, wenig verstanden. Streecks Vorlesungen sind hingegen einfach geschrieben und gut zu verstehen – dafür über weite Strecken problematisch.

>>> Weiterlesen bei kritisch-lesen.de

Mitterrands Albtraum: Ein Europäisches Währungssystem ist keine Alternative

François Mitterrand 2099 bei der Université d’été du parti socialiste.

Als Oskar Lafontaine in einem Interview beiläufig sagte, er wäre dafür, Euro-Ländern den Ausstieg aus der Gemeinschaftswährung zu ermöglichen, wusste die Öffentlichkeit noch nicht, dass die Rosa-Luxemburg-Stiftung gerade dabei war, eine Studie zum Thema zu veröffentlichen – u.a. von Lafontaines ehemaligem Staatssekretär Heiner Flassbeck. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Die Debatte geriet auf jeden Fall ins Rollen (lange vor Veröffentlichung der Flassbeck-Lapavitsas-Studie). Ausführliche Dossiers beim nd und der rls versammelt wichtige Beiträgen und Berichte. Continue reading “Mitterrands Albtraum: Ein Europäisches Währungssystem ist keine Alternative”

Prema solidarnoj ekonomiji?

LMD-hrDer Text »Wie wir leben wollen. Die zentralen Konfliktfelder des alternativen Wirtschaftens« aus ak 580 (mit dem Schwerpunkt Solidarische Ökonomie) ist in der kroatischen Ausgabe der Le Monde Diplomatique erschienen. Danke an Stipe Ćurković für die Übersetzung. Den Text findet ihr als pdf-Datei hier.

 

Mitterrands Albtraum. Ein Europäisches Währungssystem ist keine Alternative. Das zeigt Frankreichs Politik der achtziger Jahre

Von Ingo Stützle

Am selben Sonntag im März 1983, an dem Helmut Kohl seine erste Wahl zum Bundeskanzler gewann, war der Hoffnungsträger der französischen Linken, François Mitterrand, am Ende. Bei den Kommunalwahlen hatten seine Sozialisten eine herbe Schlappe einstecken müssen, die Folge von steigender Arbeitslosigkeit und Inflation. Mitterrand brach daraufhin das keynesianisch-sozialistische Experiment ab, das er nach seiner Wahl zum Präsidenten 1981 begonnen hatte, und leitete einen harten Austeritätskurs ein. Mit Kohl, so glaubte man in Frankreich, war der Neoliberalismus endgültig auch in Deutschland angekommen – und gegen Deutschland angesichts der Dominanz der D-Mark keine Politik zu machen.

Lafo: zurück Richtung EWS

Mitterrands Scheitern ist ein spannender Fall, um Sinn und Unsinn des Euro-Austritts zu diskutieren, wie er momentan nicht nur von rechten Parteien wie der AfD, sondern auch von links gefordert wird. Aber solche historischen Rückblicke sind momentan nicht allzu sehr en vogue: Man müsse “die einheitliche Währung aufgeben und zu einem System zurückkehren, das, wie beim Vorläufer der Europäischen Währungsunion, dem Europäischen Währungssystem (EWS), Auf- und Abwertungen erlaubt”, so Oskar Lafontaine im April. Frankreich war aber zu Mitterrands Zeiten im EWS. Die mangelnden Möglichkeiten, die dieses damals Paris bot, waren der Hauptgrund für den französischen Präsidenten, stattdessen auf eine gemeinsame europäische Währung zu drängen. Ohne diese, verbunden mit einer gemeinsamen Geldpolitik, seien die europäischen Staaten “dem Willen der Deutschen unterworfen”, glaubte er.

Das EWS sorgte ab 1979 bis zur Gründung des Euro für relativ stabile Wechselkurse in Europa. Zugleich erlaubte es Ländern, ihre Währung abzuwerten, wodurch Exporte billiger und damit eher nachgefragt wurden. Genau diese “Flexibilität” sehen viele Eurokritiker heute als Vorteil. Eine Abwertung könne fehlende Wettbewerbsfähigkeit ausgleichen. Im EWS waren solche Abwertungen nur nach politischer Übereinkunft möglich, wobei Deutschland aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke den Ton angab. Deshalb bedeutete bereits das EWS “eine weitgehende Aufgabe” der “geldpolitischen Autonomie” der EWS-Mitgliedstaaten, so der damalige Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl.

Mitterrands “Keynesianismus in einem Land” hatte 1981 mit der Verstaatlichung von zwölf Unternehmensgruppen und 39 Banken und Finanzinstitutionen begonnen. Der Staat besaß danach 13 der 20 wichtigsten französischen Unternehmen. Gleichzeitig wurde der Mindestlohn um 10 Prozent erhöht, die Mindestrente um 20. Im öffentlichen Dienst schuf der Staat 150.000 neue Stellen. Zum Problem wurden die Kosten. Die öffentlichen Ausgaben stiegen zwischen 1981 und 1982 um fast 12 Prozent, allein 1982 wuchs das staatliche Defizit um fast 3 Prozent.

Gegenspieler Pöhl

Der Regierung Mitterrand war klar, dass das keynesianische Experiment mit einer Stabilisierung der Währungsverhältnisse flankiert werden musste. Frankreich war hinsichtlich der außenwirtschaftlichen Abhängigkeit nicht so naiv, wie oft vermutet wird – allerdings nach dem Ende von Bretton Woods international sehr isoliert. Das Land plädierte nun für die Neuauflage eines solchen Systems fester Wechselkurse, fand aber einen seiner wichtigsten Gegenspieler in Deutschland – in Karl Otto Pöhl.

Aufgrund der fehlenden Koordinierung der Wechselkurse halbierten sich die französischen Devisenreserven von 1981 bis 1983 auf 30 Milliarden Franc. Frankreich musste seine unter Druck geratene Währung allein stützen, mit seinen Währungsreserven Franc aufkaufen. Als die Devisen zur Neige gingen, blieb nur eine Abwertung des Franc. Gegenüber der D-Mark sank sein Wert in zwei Jahren um 27 Prozent, womit auch der Spielraum der Politik schwand. Zum einen wurden die Importe teurer, was die Inflation befeuerte. Mit der schwindenden Konkurrenzfähigkeit Frankreichs stiegen die Importe um 40 Prozent, das Handelsbilanzdefizit Frankreichs hatte einen historisch einmalig schlechten Wert. Dies hing auch mit der gezielten Unterbewertung der D-Mark durch die Bundesbank zusammen, die den deutschen Export befeuern sollte.

Auch wenn Frankreich 1983 unter Druck stand, war es nicht selbstverständlich, dass es sich den neuen Bedingungen beugte. Mitterrand ließ alternative Optionen prüfen. Sein außenpolitischer Berater Jacques Attali schlug einen aggressiven Kurs gegenüber Deutschland vor: Würde nach der Bundestagswahl die D-Mark nicht aufgewertet, solle Frankreich das EWS verlassen und den Kurs des Franc freigeben. Mitterrand fürchtete aber, dass sich bei einem EWS-Austritt die Bedingungen für Frankreich weiter verschlechtern würden.

Deutsche Bedingungen

De facto hatte Frankreich zwei Optionen: entweder den Franc weiter abzuwerten oder Zinssenkungen der Bundesbank beziehungsweise eine Aufwertung der D-Mark. Auf freiwilliges Nachgeben Deutschlands konnte Mitterrand aber nicht rechnen. Finanzminister Jacques Delors warf Deutschland daher politische Arroganz vor: ein Vorwurf, den man in Bonn ungern hörte. Frankreich wollte so Deutschland eine gewisse Kooperationsbereitschaft abringen – was auch gelang. Nicht nur wurde der Franc schließlich um 2,5 Prozent abgewertet, gleichzeitig erfuhr die D-Mark eine Aufwertung um 5,5 Prozent. Deutschland machte seine Aufwertung aber von einem französischen Austeritätskurs abhängig. Laut Libération gehörten dazu Haushaltskürzungen um 20 Milliarden Franc.

Ab 1983 wurde somit nicht nur deutlich, dass gegen den kapitalistischen Weltmarkt keine Politik zu machen war, sondern auch nicht gegen Deutschland als stärkster Wirtschaftsmacht Europas. Mit einer Auflösung des Euro wäre daher nicht viel gewonnen, solange nicht die Zielsetzung der europäischen Wirtschaft selbst infrage gestellt wird: die Steigerung von Wettbewerbsfähigkeit und die Ausrichtung an Profitabilität. Eine Debatte, die entlang der Frage geführt wird, ob der Euro abgeschafft gehört, ist da wenig hilfreich.

Erschienen in: taz. die tages­zei­tung, 28.6.2013.

In der taz-Eurodebatte schrieben Winfried Wolf, Elmar Altvater und Steffen Lehndorff.

Prokla 171 erschienen! Demokratie und Herrschaft, Parlamentarismus und Parteien

Für die Prokla 171 habe ich mich erneut als Gastredakteur nützlich gemacht. Nach den Debatten im letzten Jahr zur Linkspartei war es mir wichtig, dass die Debatte weitergeht bzw. auf angemessenem Niveau erstmal beginnt. Nun ist die Ausgabe erschienen – passend zum anstehenden Wahkampf im Vorfeld der Bundestagswahlen im September.

»Demokratie, Öffentlichkeit, Parteien sind in den letzten Jahren verstärkt Gegenstand politischer Auseinandersetzungen geworden. Es sind insbesondere die sozialen Bewegungen vom “arabischen Frühling” bis zum Protest gegen “Stuttgart 21”, die den Mangel an Demokratie und Beteiligung beklagen, die kritisieren, dass in der repräsentativen Demokratie die Interessen der Bevölkerung nicht ausreichend vertreten sind. Auch die Kritik an der Repräsentation ist nicht neu. Immer wieder kommt es zur Bildung von Protest- und Anti-Partei-Parteien. PROKLA 171 fragt u.a.: Welchen Illusionen über neue und alte Formen der Öffentlichkeit, welchen Illusionen über die Möglichkeiten parlamentarischen Einflusses sitzt man auf? Ist Demokratie “nur” die adäquate Form bürgerlicher Herrschaft oder steht sie potenziell dem “Zwang der ökonomischen Verhältnisse” entgegen, eröffnet sie eine Perspektive zur Überwindung von Ausbeutung und Herrschaft? Welche Rolle spielen die Parlamente, die Parteien, die Wahlen, die Öffentlichkeit im bürgerlichen Herrschaftsapparat? Was können linke Parteien zu emanzipatorischen Prozessen beitragen?nsnationalen Konzerne und den multiplen globalen Krisen fragen.«

Das Inhaltsverzeichnis findet ihr hier.

FAQ. Noch Fragen? War das EWS besser als der Euro?

DMark
War die D-Mark mit dem EWS keine Mittel der deutschen Hegemonialpolitik? Foto: CC-Lizenz, oxfordian

Die Debatte innerhalb der Linken hat nochmals Fahrt aufgenommen: Soll am Euro festgehalten werden? Der Euroausstieg wird als Antwort auf die Krisenpolitik »von oben« präsentiert. Zumindest wird behauptet, der Euro sei mitverantwortlich dafür, dass der Austeritätskurs möglich ist. Der Vorschlag: zurück zum Europäischen Währungssystem (EWS), das, zumindest formal, von 1979 bis zur Einführung des Euro 2002 herrschte. Was jedoch gerne unter den Tisch fällt: auch hier dominierte Deutschland.  Continue reading “FAQ. Noch Fragen? War das EWS besser als der Euro?”

Hätte, müsste, könnte: Politik im Konjunktiv. Statt radikaler Pose bedarf es organisierter Lernprozesse

klassenlos
Die Geschichte ist eine Geschichte von klasse Kämpfen (Muhammad Ali).

 

 

Bei mir hat sich etwas Polemik gegen Politik im Konjunktiv angestaut. In der neuen Ausgabe von ak – analyse & kritik antworte ich den Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft.

Die Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft setzten in ak 580 nochmals zur Debatte über linke Strategien in der Krise an und provozierten einige Repliken. In ihrem Text kritisieren sie verschiedene linke Gruppen und Einzelpersonen dafür, dass sie nicht nur der Illusion staatlicher Politik verfallen seien, sondern diese sogar schüren würden – darunter war auch ich. Statt die Frage nach der Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise in der Prioritätenliste ganz nach oben zu setzen, schaffe diese »Staatslinke« den Kitt für die von der Krise produzierten Risse im System. Verwunderlich ist, wie die FreundInnen einen reformistischen Einheitsbrei aus recht unterschiedlichen ProtagonistInnen und Gruppen anrühren – und warum.

>>> Weiterlesen bei ak – analyse & kritik

Out now! Austerität als politisches Projekt. Von der monetären Integration Europas zur Eurokrise

»Nicht der Schuldner ist die entscheidende Figur bei den Anleihen des Schuldnerstaates. Gewiss ist sein Verhalten für seinen Kredit nicht unwesentlich, ja sogar von sehr großer Bedeutung; aber von welcher Bedeutung es ist, darüber entscheidet eben nicht der Schuldnerstaat, sondern darüber entscheiden seine Gläubiger.« (Sultan, Herbert, 1932)

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Endlich liegt meine Promotion zwischen zwei Buchdeckeln vor. Die Euro-Krise führt einmal mehr die Dominanz Deutschlands innerhalb der Europäischen Union vor Augen. Zudem zeigte sich in der Krise, dass das Leitbild des »ausgeglichenen Staatshaushalts« nach wie vor stark die politische Agenda prägt und als Disziplinierungsinstrument wirkt, nachdem es zwischenzeitlich als überholt erschien. Ich reflektiere zwar die jüngeren Wendungen in der europäischen Politik, habe aber die Arbeit jedoch langfristiger und grundlegender angelegt (und sie bereits vor der Euro-Krise begonnen). Ich ergründe, wie seit Mitte der 1970er Jahre der finanzpolitische Grundsatz »ausgeglichener Staatshaushalt« als Leitbild europäisiert wurde und welche ökonomischen, gesellschaftlichen Bedingungen sowie Interessens- und Akteurskonstellationen dazu führten.

Aus der Einleitung:

»Wir sind mit Griechenland dadurch solidarisch, dass wir die Athener Haushaltspolitik genauestens überwachen.« Diesen interessanten Satz sprach der ehemalige EU-Währungskommissar Joaquín Almunia Anfang 2010 angesichts der bisher schwersten Krise der Euro-Zone. (FAZ, 4.2.2010) Ist ›Überwachung‹ der orwellsche Neusprech für ›Solidarität‹? Die ›Stabilisierung‹ der Krisenregion Europa stand jedenfalls unter dem gleichen Motto wie seinerzeit die Gründung des Euro: deutsche Stabilitätspolitik. »Das einzige, was jetzt zählt, ist die konsequente Anwendung der Regeln« des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP), so Almunia weiter. Der 1997 unterzeichnete SWP war Deutschlands ›ordnungspolitische‹ Bedingung für die Einführung des Euro. Die Dominanz Deutschlands zeigte sich in der jüngsten Krise darin, dass die Bundesregierung den Austeritätskurs als Bedingung für den Euro-Rettungsschirm festschrieb. Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder konnte deshalb zu Recht feststellen, dass in Europa wieder »deutsch gesprochen« werde – eine Aussage, mit der er das europäische Ausland erzürnte.

Auf europäischer Ebene wurde bereits mit der Gründung des Euro der restriktive finanzpolitische Grundsatz festgeschrieben, dass die Euro-Länder einen »mittelfristig nahezu ausgeglichenen oder überschüssigen Haushalt« vorweisen müssen. Diese quasi-verfassungsrechtliche Regel ist ein ordnungspolitisches Standbein der vergemeinschafteten Währung. Sie ist der Kern der politischen Kontrolle und Disziplinierung der Mitgliedsstaaten, die zwar über eine gemeinsame Währung und eine Geldpolitik verfügen, in ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik jedoch weitgehend als unabhängige und konkurrierende ›nationale Wettbewerbsstaaten‹ agieren. Mit dem SWP wurde die Vergemeinschaftung der Verschuldungspolitik festgeschrieben, die konstitutives Moment der Euro-Architektur wurde, aber ohne einen vollständig ausgebildeten europäischen Staat und ohne europäische Regierung auskommen muss. Obgleich die im SWP verankerten Grundsätze eine Regel für alle Euro-Staaten darstellen, ist ihre Sanktionierung von den politischen Machtverhältnissen innerhalb der EU abhängig. Deutschland konnte mehrmals einen ›blauen Brief‹ der EU-Kommission wegen zu hoher Verschuldung abwenden, zugleich drängte es bei anderen Euro-Staaten auf ein strikte Einhaltung des SWP. Der Pakt hat demnach nicht nur einen ökonomischen, sondern vor allem einen politischen Charakter.

Dem ›ausgeglichenen Staatshaushalt‹ kommt im Rahmen des SWP eine besondere Rolle zu. Er ist zugleich Leitbild staatlichen Handelns und politisches Projekt. Als politisches Projekt kann eine konkrete politische Initiative gelten, die sich selbst als Lösung drängender sozialer, ökonomischer und politischer Probleme darstellt . Ein solches Projekt hat die Funktion, verschiedene soziale Kräfte durch ein ›messianisches‹ Moment zu ›versöhnen‹. Als zentrales strategisches Leitbild markiert es einen diskursiven Knotenpunkt, auf den sich alle Akteure beziehen müssen, wollen sie in der politischen Auseinandersetzung anerkannt werden. Und mehr noch: Das ordnungspolitische Leitbild des ausgeglichenen Staatshaushalts strukturiert unmittelbar die politischen Handlungsmöglichkeiten. Die Euro-Krise ab 2010 führte dies in extremer Form vor Augen. Aussagen über mögliche wirtschaftspolitische Alternativen im Rahmen der Euro-Krise lassen sich aber nur dann treffen, wenn die gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen und die Interessenlagen bei der Durchsetzung des Konzepts des ausgeglichenen Staatshaushalts offen liegen sowie dessen Widersprüchlichkeiten herausgearbeitet sind. Deshalb stehen in der vorliegenden Arbeit die Fragen im Mittelpunkt, wie der finanzpolitische Grundsatz ›ausgeglichener Staatshaushalt‹ als Leitbild europäisiert werden konnte und welche ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen einerseits sowie Interessens- und Akteurskonstellationen andererseits dazu führten.

Das Inhaltsverzeichnis als pdf-Datei findet ihr hier.

Auch an dieser Stelle nochmals Dank an alle helfende Kräfte.

Gerne stelle ich die Arbeit im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung oder einer Buchvorstellung vor. Schreibt mich einfach an. Besprechungsexemplare können beim Verlag angefragt werden.

innen dank

 

 

 

 

 

Die politische Ökonomie des Sparstrumpfs

Income taxIn den 1990er-Jahren war es die ›Globalisierung‹, heute gilt die Staatsverschuldung als das zentrale Problem der Weltwirtschaft. Der Grund: Erstmals seit dem 2. Weltkrieg sind es nicht die sogenannten Entwicklungsländer, die eine Schuldenkrise erleben, sondern die etablierten Industriestaaten. In Europa sind einige Regierungen zahlungsunfähig geworden und müssen von anderen Staaten finanziert werden. In den USA wachsen die Staatsschulden in Höhen, die sonst nur nach Kriegen erreicht werden. »Geht bald die ganze Welt pleite?«, fragt die BILD-Zeitung (13.07.2011), und der SPIEGEL (32/2011) titelt »Geht die Welt bankrott?«

In der öffentlichen Diskussion scheinen zwei Dinge klar: Staatsschulden sind schlecht. Und sie sind zu viel. ›Sparen‹ ist daher das Gebot der Stunde. Die Staaten wollen ›schlanker‹ werden, öffentliches Eigentum wird privatisiert, das nationale Lohnniveau soll sinken, um die ›Wettbewerbsfähigkeit‹ des Standortes zu erhöhen. Die Staatsverschuldung zeitigt damit die gleichen politischen Massnahmen wie die ›Globalisierung‹. Im Folgenden soll zunächst allgemein dargestellt werden, wie in bürgerlicher Staat sich finanziert und warum die Schuldenaufnahme für ihn keine ausserordentliche, sondern eine normale Form der Finanzierung ist. Anschliessend werden einige gängige Annahmen über Staatsschulden kritisiert. Darüber hinaus soll erklärt werden, was Staatsschulden sind, wozu sie dienen und an wem gespart wird, wenn es heisst: »Wir müssen sparen«.

>>> Weiterlesen [pdf] in: »Die politische Ökonomie des Sparstrumpfes. Der Steuerstaat und Mythen der Staatsschuld«, in: Denknetz Jahrbuch 2012 – Auf der Suche nach Perspektiven, Zürich 2012, 14-25.

FAQ. Noch Fragen? Deutschland arm gerechnet

Nach dem 1. Mai 2013 titelte die Süddeutsche Zeitung: »Trotz europäischer Schuldenkrise: Deutsche so reich wie nie«. Nur einen Monat zuvor war in der gleichen Zeitung zu lesen: »EZB-Studie zu Wohlstand in Europa: Zyprer reicher als Deutsche«. Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast, weiß der Volksmund.

Statistiken sind mit der Durchsetzung bürgerlicher Herrschaft entstanden. Bereits Marx stellte fest: »Die Statistik ist die erste politische Wissenschaft! Ich kenne den Kopf eines Menschen, wenn ich weiß, wieviel Haare er produziert.« Der Staat muss wissen, wie er seine Bevölkerung möglichst produktiv im Sinne des Kapitals zurichten kann. Dafür bedurfte es einheitlicher Längen (in Preußen galten im 18. Jahrhundert noch über 20 unterschiedliche Definitionen des Längenmaßes Fuß), Menschen wurden gezählt und ihre Wohnstätten dem postalischen und polizeilichen Zugriff gefügig gemacht: die Hausnummer wurde geboren. Menschen wurden Rechtspersonen und zur Steuerbasis. Die Entstehungsbedingungen des Wissens über »Land und Leute«, die Statistik, ist in diesem Sinne auch eine Form von Politik und Herrschaft. Continue reading “FAQ. Noch Fragen? Deutschland arm gerechnet”

Verarmung made in Frankfurt/M. by EZB

Thomas Sablowski und Etienne Schneider haben ein Standpunkte-Papier zur EZB geschrieben:

»Die Aktivitäten von Zentralbanken erscheinen meistens als rein technische Verfahren: Bereitstellung von Geld … Tatsächlich verbirgt sich jedoch hinter dieser vermeintlichen Entpolitisierung eine gezielte Festlegung der Zentralbanken auf die Vorgaben neoliberaler Geldpolitik. Da Zentralbanken in den gesellschaftlichen Verteilungskonflikten eine wesentliche Rolle spielen, geriet die Europäische Zentralbank (EZB) denn auch in der Krise wie kaum ein anderer europäischer Staatsapparat ins Handgemenge politischer Auseinandersetzungen, auch innerhalb der herrschenden Klassen, und wurde zu einem der wichtigsten Akteure der autoritär-neoliberalen Krisenpolitik.«

Und das Handgemenge wird mit Blockupy Ende des Monats nochmals handgreiflich werden.