Die Europapolitik des deutschen Machtblocks und ihre Widersprüche

Ein in der Krise oft zu hörender Satz ist:

»Die Politik macht doch eh nur das, was die Wirtschaft will.«

Und mit etwas staunendem Unverständnis wird gerne ein weiterer Satz formuliert:

»Die deutsche Politik, die auf Austeritätspolitik im EU-Ausland drängt, schadet doch der deutschen Exportwirtschaft.«

Während die erste Feststellung eine einheitliche Entität (»die Wirtschaft«) unterstellt, die dieses oder jenes meinen oder wollen könnte, geht der zweite Satz davon aus, dass sich das Interesse des exportorientierten Kapitals unmittelbar in die Politik der deutschen Bundesregierung umsetzt oder bei der politischen Elite die Lehrbuchvernunft eines keynesianistisch, makroökonomischen Lehrbuchs gefunden werden könnte.

Im kritisch-akademischen Feld wird hingegen gerne auf die staatstheoretischen Schriften von Nicos Poulantzas verwiesen, wenn Regierungspolitik erklärt werden soll. Der Staat sei weder ein Instrument der herrschenden Klasse, noch ein rationales Subjekt, wie die beiden Zitate suggerieren, sondern eine materielle Verdichtung von Kräfteverhältnissen – so die wohl bekannteste Formulierung von Poulantzas. Was meist nicht untersucht oder benannt wird, ist der »Verdichtungsprozess« selbst. Welche Akteure stehen auf dem »Spielfeld«? Mit welchen Interessen? Inwieweit ist das politische Feld alles andere als neutral, sondern derart ausgestaltet, dass es nur darum gehen kann, im Konflikt und Konsens das kapitalistische Gesamtinteresse zu eruieren und schließlich durchzusetzen? Wie geht das konkret vonstatten?

Das liegt nicht nur daran, dass diese – oft mühselige – Arbeit als unnötig angesehen wird. Ganz im Gegenteil. Meist fehlen schlicht die (materiellen) Ressourcen, eine derartige materialistische Analyse in Form einer konkreten Fragestellung anzugehen. Deshalb ist es zu begrüßen, dass im Rahmen der Rosa-Luxemburg-Stiftung derartige Untersuchungen immer wieder möglich sind. Dazu gehört die Studie »Die Europapolitik des deutschen Machtblocks und ihre Widersprüche. Eine Untersuchung der Positionen deutscher Wirtschaftsverbände zur Eurokrise« von Frederic Heine und Thomas Sablowski. Auch wenn ihre Arbeit nur ein erster Schritt sein kann (und viele Facetten zu kurz kommen, etwa wie sich die Positionen als Interessen artikulieren und in die deutsche Regierungspolitik einschrieben), so hilft die Analyse nicht nur die deutsche Europolitik besser zu verstehen, sondern deren Klassencharakter zu diskutieren und zu kritisieren.

Aus der Schlussfolgerung der Studie:

Die Fähigkeiten zum muddling through der herrschenden Kräfte sollten nicht unterschätzt werden. Andererseits sollte aber auch die Stabilität der Kräfteverhältnisse nicht überschätzt werden. Die Diskussion über eine Auflösung der Europäischen Währungsunion hat quer durch die politischen Lager an Dynamik gewonnen, seitdem die national-konservativen und orthodox-neoliberalen Kräfte, die sich bis dato vor allem im Verband «Die Familienunternehmer» artikulierten, mit der «Alternative für Deutschland» einen parteipolitischen Ausdruck gefunden haben. Die Massenmedien haben in den letzten Jahren mit ihrem nationalistischen Diskurs den Boden für reaktionäre politische Verschiebungen bereitet. Unglücklicherweise erscheint die rechte Kritik an der EU derzeit stärker als die linke. Die Vorstellung, man könnte der rechten Kritik am Euro das Wasser abgraben, indem man die Diskussion über eine Auflösung der Eurozone von links befördert, ist höchst gefährlich. Am Ende droht eine solche Taktik, die Linke zu spalten und weiter Wasser auf die Mühlen der Rechten zu lenken. Es wäre auch falsch, die Kritik nur auf die neoliberal-autoritäre Vertiefung der europäischen Integration zu konzentrieren, die von der global-expansiven Gruppierung vorangetrieben wird, weil diese die hegemoniale Fraktion ist, und die reaktionären Positionen der Familienunternehmer und der «Alternative für Deutschland» als unbedeutend abzutun. Die Linke muss weiterhin einen Kampf an zwei Fronten führen: gegen die autoritär-neoliberale Weiterentwicklung der EU und gegen eine reaktionäre Kehrtwende, wie sie die Familienunternehmer und die «Alternative für Deutschland» verkörpern. Gegenüber diesen beiden Polen im Machtblock kann die Linke nur eine autonome Position entwickeln, wenn sie klarmacht, dass die Ursachen der Krise letztlich nicht im Verhältnis der Nationen, sondern in den Klassenverhältnissen begründet sind.«

In meiner Studie »Austerität als politisches Projekt« gehe auf die privaten Akteure im Rahmen der Gründung des Euro ein. Mit der Studie von Heine/Sablowski lässt sich diese Analyse für die Eurokrise fortschreiben.

Die 40 Seiten starke Studie gibt es hier als pdf-Download.