Out now! Austerität als politisches Projekt. Von der monetären Integration Europas zur Eurokrise

»Nicht der Schuldner ist die entscheidende Figur bei den Anleihen des Schuldnerstaates. Gewiss ist sein Verhalten für seinen Kredit nicht unwesentlich, ja sogar von sehr großer Bedeutung; aber von welcher Bedeutung es ist, darüber entscheidet eben nicht der Schuldnerstaat, sondern darüber entscheiden seine Gläubiger.« (Sultan, Herbert, 1932)

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Endlich liegt meine Promotion zwischen zwei Buchdeckeln vor. Die Euro-Krise führt einmal mehr die Dominanz Deutschlands innerhalb der Europäischen Union vor Augen. Zudem zeigte sich in der Krise, dass das Leitbild des »ausgeglichenen Staatshaushalts« nach wie vor stark die politische Agenda prägt und als Disziplinierungsinstrument wirkt, nachdem es zwischenzeitlich als überholt erschien. Ich reflektiere zwar die jüngeren Wendungen in der europäischen Politik, habe aber die Arbeit jedoch langfristiger und grundlegender angelegt (und sie bereits vor der Euro-Krise begonnen). Ich ergründe, wie seit Mitte der 1970er Jahre der finanzpolitische Grundsatz »ausgeglichener Staatshaushalt« als Leitbild europäisiert wurde und welche ökonomischen, gesellschaftlichen Bedingungen sowie Interessens- und Akteurskonstellationen dazu führten.

Aus der Einleitung:

»Wir sind mit Griechenland dadurch solidarisch, dass wir die Athener Haushaltspolitik genauestens überwachen.« Diesen interessanten Satz sprach der ehemalige EU-Währungskommissar Joaquín Almunia Anfang 2010 angesichts der bisher schwersten Krise der Euro-Zone. (FAZ, 4.2.2010) Ist ›Überwachung‹ der orwellsche Neusprech für ›Solidarität‹? Die ›Stabilisierung‹ der Krisenregion Europa stand jedenfalls unter dem gleichen Motto wie seinerzeit die Gründung des Euro: deutsche Stabilitätspolitik. »Das einzige, was jetzt zählt, ist die konsequente Anwendung der Regeln« des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP), so Almunia weiter. Der 1997 unterzeichnete SWP war Deutschlands ›ordnungspolitische‹ Bedingung für die Einführung des Euro. Die Dominanz Deutschlands zeigte sich in der jüngsten Krise darin, dass die Bundesregierung den Austeritätskurs als Bedingung für den Euro-Rettungsschirm festschrieb. Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder konnte deshalb zu Recht feststellen, dass in Europa wieder »deutsch gesprochen« werde – eine Aussage, mit der er das europäische Ausland erzürnte.

Auf europäischer Ebene wurde bereits mit der Gründung des Euro der restriktive finanzpolitische Grundsatz festgeschrieben, dass die Euro-Länder einen »mittelfristig nahezu ausgeglichenen oder überschüssigen Haushalt« vorweisen müssen. Diese quasi-verfassungsrechtliche Regel ist ein ordnungspolitisches Standbein der vergemeinschafteten Währung. Sie ist der Kern der politischen Kontrolle und Disziplinierung der Mitgliedsstaaten, die zwar über eine gemeinsame Währung und eine Geldpolitik verfügen, in ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik jedoch weitgehend als unabhängige und konkurrierende ›nationale Wettbewerbsstaaten‹ agieren. Mit dem SWP wurde die Vergemeinschaftung der Verschuldungspolitik festgeschrieben, die konstitutives Moment der Euro-Architektur wurde, aber ohne einen vollständig ausgebildeten europäischen Staat und ohne europäische Regierung auskommen muss. Obgleich die im SWP verankerten Grundsätze eine Regel für alle Euro-Staaten darstellen, ist ihre Sanktionierung von den politischen Machtverhältnissen innerhalb der EU abhängig. Deutschland konnte mehrmals einen ›blauen Brief‹ der EU-Kommission wegen zu hoher Verschuldung abwenden, zugleich drängte es bei anderen Euro-Staaten auf ein strikte Einhaltung des SWP. Der Pakt hat demnach nicht nur einen ökonomischen, sondern vor allem einen politischen Charakter.

Dem ›ausgeglichenen Staatshaushalt‹ kommt im Rahmen des SWP eine besondere Rolle zu. Er ist zugleich Leitbild staatlichen Handelns und politisches Projekt. Als politisches Projekt kann eine konkrete politische Initiative gelten, die sich selbst als Lösung drängender sozialer, ökonomischer und politischer Probleme darstellt . Ein solches Projekt hat die Funktion, verschiedene soziale Kräfte durch ein ›messianisches‹ Moment zu ›versöhnen‹. Als zentrales strategisches Leitbild markiert es einen diskursiven Knotenpunkt, auf den sich alle Akteure beziehen müssen, wollen sie in der politischen Auseinandersetzung anerkannt werden. Und mehr noch: Das ordnungspolitische Leitbild des ausgeglichenen Staatshaushalts strukturiert unmittelbar die politischen Handlungsmöglichkeiten. Die Euro-Krise ab 2010 führte dies in extremer Form vor Augen. Aussagen über mögliche wirtschaftspolitische Alternativen im Rahmen der Euro-Krise lassen sich aber nur dann treffen, wenn die gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen und die Interessenlagen bei der Durchsetzung des Konzepts des ausgeglichenen Staatshaushalts offen liegen sowie dessen Widersprüchlichkeiten herausgearbeitet sind. Deshalb stehen in der vorliegenden Arbeit die Fragen im Mittelpunkt, wie der finanzpolitische Grundsatz ›ausgeglichener Staatshaushalt‹ als Leitbild europäisiert werden konnte und welche ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen einerseits sowie Interessens- und Akteurskonstellationen andererseits dazu führten.

Das Inhaltsverzeichnis als pdf-Datei findet ihr hier.

Auch an dieser Stelle nochmals Dank an alle helfende Kräfte.

Gerne stelle ich die Arbeit im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung oder einer Buchvorstellung vor. Schreibt mich einfach an. Besprechungsexemplare können beim Verlag angefragt werden.

innen dank