Ungleichheit und Chancengleichheit, Piketty und der Pontifex

Der Papst twittert (und liest wohl auch Thomas Piketty). Natürlich in vielen Sprachen. Nur, was sagte einst Umberto Eco zu Übersetzungen: Quasi dasselbe mit anderen Worten. Das scheint vor allem dann so zu sein, wenn der Übersetzer ins Deutsche Mitglied der FDP ist.

Wie schrieben Anna Blume und Nick Sinakusch in ak 583:

Allerdings legitimiert das Ideal der Chancengleichheit die Herstellung von Ungleichheit »Ungleichheit lässt sich viel leichter tolerieren, wenn jeder das Gefühl hat, dass er es schaffen kann«, so der Würzburger Wirtschaftsprofessor Norbert Berthold in der FAZ. Nicht hinterfragt werden zudem die Bedingungen für den Erfolg. »Die naive Zustimmung zu einer Veranstaltung, in der Chancen gegeben werden, befördert daher vornehmlich den objektiven Nutzen solcher Interessengruppen, die die Bedingungen der Chancen hergestellt haben und kontrollieren.« (wikipedia) So ist die »Gerechtigkeit« da angekommen, wo die Herrschaft sie haben will. Erstens wird sie auf Abstand gebracht von der Idee der Gleichheit und aufgefächert in viele Einzelgerechtigkeiten, von der Anforderungs- über die Verteilungs- zur Generationen- und Chancengerechtigkeit. Zweitens wird klargestellt: Chancengerechtigkeit hat Vorfahrt. Und hier gilt: mehr Wirtschaftswachstum gleich mehr Chancen.

Marx zu Thomas Piketty

Rainer Rilling hat dankenswerterweise eine Unmenge an Reaktionen zum amazon-Kassenschlager »Capital in the Twenty-First Century« von Thomas Piketty zusammengetragen. Piketty stellt die Verteilungsfrage in den Mittelpunkt seines Interesses, wofür er von rechts gefürchtet, von links bejubelt wird. Die Beweggründe, warum er Gehör bekommt, sind also sehr unterschiedlich.

Nun hat sich auch Karl Marx zu Wort gemeldet und wirft Piketty vor, die bekannten Fehler der politischen Ökonomie zu wiederholen, ökonomische Größen und Einkommenformen zu naturalisieren und derart das altbekannte harmonische Bild eines sozialpartnerschaftlichen Streits unter Gleichen (Kapital/Arbeit) um die Verteilung des Kuchen zu malen:

Erde-Rente, Kapital-Zins, Arbeit-Arbeitslohn stehn sich die verschiedenen Formen des Mehrwerts und Gestalten der kapitalistischen Produktion nicht entfremdet, sondern fremd und gleichgültig, als bloß verschieden, ohne Gegensatz gegenüber. Die verschiedenen Revenues fließen aus ganz verschiedenen Quellen, die eine aus der Erde, die andre aus dem Kapital, die andre aus der Arbeit. Sie stehen also in keinem feindlichen, weil überhaupt in keinem inneren Zusammenhang. Wirken sie nun doch in der Produktion zusammen, so ist das ein harmonisches Wirken, der Ausdruck von Harmonie, wie ja z.B. der Bauer, der Ochse, der Pflug und die Erde in der Agrikultur, dem wirklichen Arbeitsprozesse, trotz ihrer Verschiedenheit harmonisch zusammenarbeiten. Soweit ein Gegensatz zwischen ihnen stattfindet, entspringt er bloß aus der Konkurrenz, welcher der Agenten mehr vom Produkt sich aneignen soll, vom Wert, den sie zusammen schufen, und kommt es dabei gelegentlich zur Keilerei, so zeigt sich dann doch schließlich als Endresultat dieser Konkurrenz zwischen Erde, Kapital und Arbeit, daß, indem sie sich untereinander stritten über die Teilung, sie durch ihren Wetteifer den Wert des Produkts so vermehrt haben, daß jeder einen größeren Fetzen bekommt, so daß ihre Konkurrenz selbst nur als der stachelnde Ausdruck ihrer Harmonie erscheint. (MEW 26.3, 493f.)

Imperialismustheorie und Luxemburgs Kritik an Marx’ Reproduktionsschemata

Rosa Luxemburg ist für viele Linke ein positiver Bezugspunkt. Kein Wunder, schließlich kritisierte sie die Sozialdemokratie und die kommunistischen Bolschewiki gleichermaßen. Bereits vor der Jahrhundertwende wandte sie sich gegen die Verharmlosung des Kapitalismus, einen Punkt, den sie in ihrem vor 100 Jahren erschienen Buch »Die Akkumulation des Kapitals« ausformulierte.[1. Seitenzahlen im Text beziehen beziehen sich auf die Gesammelten Werke] Ihre »ökonomische Erklärung des Imperialismus«, so der Untertitel, erschien 1913, ein Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Kein Wunder also, dass das Buch für viele ein wichtiger imperialismustheoretischer Beitrag war und nach wie vor ist (vgl. mein Beitrag in ak 592, den Beitrag von Judith Dellheim, Lutz Brangsch, die Dokumentation der RLS-Tagung und den Mitschnitt eines Vortrags zum zweiten Band des Kapitals von Michael Krätke Teil 1/ Teil 2).

Im Folgenden soll Luxemburgs Marxkritik dargestellt und kritisiert werden – hierbei geht es etwas formel zu. Continue reading “Imperialismustheorie und Luxemburgs Kritik an Marx’ Reproduktionsschemata”

Kapitalismus und Krieg: zwei Seiten einer Medaille? Nicht nur Rosa Luxemburg versuchte, den Ersten Weltkrieg ökonomisch zu erklären

»Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen« – so der französische Sozialist Jean Jaurès, der wenige Tage vor Beginn des Ersten Weltkrieges von Nationalisten ermordet wurde. Kapitalismus und Krieg: zwei Seiten einer Medaille. Der Imperialismus bringt die kriegerische Logik, die dem Kapitalismus eingeschrieben sein soll, auf den Begriff. Selten wird danach gefragt, was an dieser linken Binsenweisheit dran ist, dass die Profitlogik notwendigerweise in die Kriegslogik umschlagen muss.

Von Ingo Stützle

capitalismDer Erste Weltkrieg steht für den imperialistischen Krieg par excellence, dafür, dass der ausbeuterische Charakter des Kapitals über die bürgerlichen Stränge schlagen kann – und muss. Reinhard Opitz schreibt in seinem Standardwerk »Europastrategien des deutschen Kapitals 1900-1945«: »Es war ja keineswegs so, dass etwa erst der Ausbruch des Ersten Weltkrieges die in der Flut industrieller Kriegszieleingaben sich manifestierenden Expansionsgelüste des deutschen Kapitals geweckt hätte, es hatten umgekehrt diese zum Krieg getrieben.« Die von ihm gesammelten und aufbereiteten Dokumente sprächen für sich, so der marxistische Sozialwissenschaftler. Continue reading “Kapitalismus und Krieg: zwei Seiten einer Medaille? Nicht nur Rosa Luxemburg versuchte, den Ersten Weltkrieg ökonomisch zu erklären”

Die Politik des BIP

container-shipIm September wird die Staatsschuldenquote im Euroraum um durchschnittlich zwei Prozent sinken. Was wird passieren? Ist die Krise unerwartet vorbei? Und wieso wissen wir das schon jetzt? Im Kapitalismus verhält es sich doch eher umgekehrt. Alle sind hinterher schlau, dann, wenn die Krise ausgebrochen ist.

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Karl Marx über Netzneutralität: »Sich da aufzuregen ist Doppelmoral«

Marx FussnagelDas EU-Parlament hat gestern für einige Änderungen zur Durchsetzung der Netzneutralität gestimmt. Die Digitale Gesellschaft resümiert:

Mit der heutigen Abstimmung über die Telekommunikationsverordnung im EU-Parlament wurden zwar einige Beeinträchtigungen der Netzneutralität abgestellt, die Gefahr der Zerschlagung des Internet in ein Zwei-Klassen-Netz besteht jedoch weiterhin.

Viele fragen sich: Was würde Karl Marx dazu sagen. Ich habe ihn für die tageszeitung dazu interviewt.