Vermögensentwicklung, Staatsverschuldung und Umverteilung

Berlin-Höllenberg brennt! Vermummte Jugendliche bedrohen Familien und prügeln auf PassantInnen ein. Es herrscht ein Krieg zwischen den Generationen. Anfang Januar strahlte das ZDF zur besten Sendezeit den Doku-Fiction-Fernsehfilm »Aufstand der Jungen« aus. Im Jahr 2030 rebelliert die Jugend gegen die Generationenungerechtigkeit: Immer weniger junge Menschen arbeiten für mehr und älter werdende RentnerInnen, deren Versorgung und den staatlichen Schuldendienst. In der Presse wurde zwar problematisiert, ob dies ein realistisches Szenario ist. Aber nicht nach der sozialen bzw. Klassendimension des Konflikts wurde dabei gefragt, sondern ob sich der Staat tatsächlich zu Lasten zukünftiger Generationen verschuldet.

Nein, tut er nicht. Alle anderen Behauptungen sind blanker Nonsens. Es findet keine Umverteilung zwischen, sondern innerhalb der Generationen statt. Und zwar – wer hätte es geahnt – eine Umverteilung von unten nach oben. Die in der Zukunft anfallenden Zins- und Tilgungszahlungen werden ja an irgendjemanden ausgeschüttet. Das bedeutet: Nicht nur die Verpflichtungen, sondern auch die Ansprüche werden »vererbt«. Es ist deshalb viel relevanter zu analysieren, wer aufgrund des Besitzes von Staatsschuldtiteln Zinsen kassiert und wer in Form von Steuern die Zinszahlungen des Staates finanziert.

2008 warf allein die deutsche Staatsschuld 69 Mrd. Euro Zinsen ab. Die Schuldpapiere befinden sich überwiegend im Besitz von Banken, institutionellen AnlegerInnen und Vermögenden, die über genug Einkommen verfügen, um sparen zu können.

Die Steuern hingegen werden – dank der Steuerreformen der letzten zehn Jahre – zu ungefähr zwei Dritteln von den Lohnabhängigen finanziert, d.h. von denen, die mit Erspartem vielleicht in den Urlaub fahren, nicht aber in staatliche Wertpapiere »investieren« können. Es ist auch nicht so, wie das Bundesfinanzministerium behauptet, dass Deutschland mit einer Steuerquote von 23,1% im internationalen Vergleich eher viel Steuern kassiert. Das mag stimmen, wenn man den nominalen Steuersatz mit Steuerparadiesen vergleicht. Aber besonders tief greift der Staat nicht in die Tasche seiner BürgerInnen – zumindest nicht bei den Reichen. Das zeigen auch die real gezahlten Steuern: Tatsächlich sind es seit 2000 fast durchgehend unter 20% – so Lorenz Jarras, Ökonom von der Hochschule RheinMain. Absolute SpitzenverdienerInnen zahlen im Schnitt keine 24% Steuern auf ihr Einkommen; selbst die 450 reichsten Deutschen, die 2002 jeweils mindestens 22 Mio. Euro Einkünfte jährlich erzielten, zahlten nur 34%.

Langfristig bedeuten sinkende Steuereinnahmen, die gleichzeitig immer stärker auf Lohnabhängige abgewälzt werden: Der Staat nimmt weniger Steuern ein, baut durch Privatisierung eigenes Vermögen ab, verschuldet sich mehr, während auf der anderen Seite das private Vermögen wächst – sehr ungleich verteilt. Das zeigt sich auch in neueren Studien.

Blicken wir, statt wie das ZDF in die Zukunft, 20 Jahre zurück: Die privaten Nettovermögen sind zwischen 1991 und 2009 um 99% auf 7.370 Mrd. Euro gestiegen, so das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer neuen Studie (DIW-Wochenbericht 50/2010).

Wie ungleich die Vermögensverteilung ist, zeigt eine weitere Studie des DIW (Wochenbericht 4/09). 2007 lag das durchschnittliche individuelle Vermögen, das jedeR in Deutschland besitzt, bei ca. 88.000 Euro. Aussagefähiger ist vielmehr der Median. Hierbei werden die Einkommen der Höhe nach geordnet und schließlich in Zahlenreihe in der Mitte halbiert. Im Gegensatz zum arithmetischen Mittel ist der Median robuster gegen statistische Ausreißer. Schließlich behauptet der normale Durchschnittswert bei zwei Personen, die 1 Euro bzw. 99 Euro besitzen, dass ihr Vermögen bei durchschnittlich 50 Euro liegt. Einen ähnlichen statistischen Effekt zeigt die DIW-Studie.

Während durchschnittlich alle BundesbürgerInnen 88.000 Euro auf der hohen Kante haben, liegt der Median bei 15.000 Euro. Dass diese beiden Zahlen so weit auseinanderfallen, verweist auf die extrem ungleiche Verteilung des Einkommens. Nach dieser Analyse verfügen 66% der Personen ab 17 Jahre über kein oder nur sehr geringes Geld- oder Sachvermögen. 10% der Vermögendsten besitzen hingegen 60%, das reichste Prozent sogar über 25% des Gesamtvermögens. Laut »normalem« Durchschnitt bedeutet dies: Das reichste Zehntel verfügt über mindestens 220.000 Euro.

Die Abschaffung der Vermögenssteuer seit 1997, die tatsächlich gezahlte Erbschaftssteuer von nur 4% und die seit Jahren stattfindende Entlastung hoher und höchster Einkommen führten dazu, dass der Staat zwar aufgrund hoher Arbeitslosigkeit und anderer »Posten« Geld ausgeben muss. Dass er sich dieses Geld aber zunehmend nicht mehr über Steuern organisiert. Was dem Staat bleibt, ist, seine Aufgaben über Kredite zu finanzieren – die Staatsverschuldung steigt. So kommt es, dass der steigenden Staatsverschuldung ein ständig wachsendes Geldvermögen gegenübersteht.

Weil der Staat die Vermögenden nicht zur Kasse bittet, kommen inzwischen schon einige Reiche selbst auf die Idee, die Staatsschulden mit ihrem Privatvermögen zu tilgen. Ende Dezember hat die Privatinitiative »Hurra, wir tilgen« bereits knapp 15.000 Euro überwiesen. Alexander Dill, Leiter des Baseler Instituts für Gemeingüter und Wirtschaftsforschung, hat die Initiative gegründet. Ziel ist, Deutschland in zehn Jahren schuldenfrei zu machen. Vermögende BürgerInnen sollen mit ihrem hohen Einkommen und Vermögen den Berg abtragen. Schließlich steht den Staatsschulden ein Vielfaches an Privatvermögen gegenüber. Das ist wohl wahr, aber politisch steht wohl kaum ein Richtungswechsel an: Auch die SPD präsentiert gerade mal den Plan, den Spitzensteuersatz von derzeit 42% auf wieder 49% steigen zu lassen. Allerdings soll der Spitzensteuersatz erst ab einem Jahreseinkommen von 100.000 Euro für einen Alleinstehenden greifen. Derzeit wird der Höchstsatz bereits ab einem Jahreseinkommen von knapp 53.000 Euro fällig.

Ingo Stützle

Erschienen in: ak – analyse & kritik. zeitung für linke debatte und praxis, Nr. 557 vom 21.1.2011