Kaum Luft zum Atmen. Alle neuen Maßnahmen der SYRIZA-Regierung hängen am Tropf der EZB

eule
Mit jeder Lösung werden sich die Widersprüche innerhalb Europas eher verschärfen als auflösen.

Die neue griechische Regierung hat mit der sogenannten Eurogruppe vier Monate Zeit ausgehandelt, die ersten Wochen sind bereits verstrichen und neue Konflikte aufgebrochen. Inzwischen liegen dem neu gewählten Parlament die ersten Vorschläge und Gesetzesentwürfe vor. Ein neuer Mindestlohn soll zwar erst 2016 eingeführt werden, die erste Anhebung soll aber bereits in diesem Jahr kommen. Theano Fotiou, die stellvertretende Ministerin für Arbeit und soziale Solidarität, präsentierte im griechischen Parlament zudem ein erstes Gesetz zur Bekämpfung der humanitären Krise. Die ersten Maßnahmen umfassen:

  • Wiederanschluss ans Stromnetz für die 300.000 ärmsten Haushalte, kostenloses monatliches Stromkontingent bei niedrigem Einkommen.
  • 300.000 Haushalte werden mit Lebensmittelkarten ausgestattet. Sie sind Zahlungsmittel in allen Lebensmittelgeschäften. Für die Berechtigten handelt die Regierung Rabatte aus.
  • Mietförderungen für 30.000 Familien in der Höhe von 70 Euro pro Person und 250 Euro pro Familie. Die Förderung erhalten die Vermieter_innen direkt, und sie ist steuerlich absetzbar. Ziel ist auch, neue, günstige Mietverträge zu unterstützen.

Da SYRIZA mit ihrem Koalitionspartner, der rechten ANEL, die Mehrheit hat, kann dieses Gesetz ohne weitere Verzögerung beschlossen werden. Bleibt die Frage der Finanzierung und die nach der Umsetzung. Die selbstorganisierten Solidaritätsstrukturen sollen für die Umsetzung eingebunden werden. Sie sollen zunächst die Betroffenen über das geplante staatliche Unterstützungsprogramm informieren.

Viele Menschen leben inzwischen ohne Strom, Fernsehen und Internet, das heißt sie haben nur bedingt Zugang zu den nötigen Informationen. Ähnliches hat die Regierung mit den Kooperativen, Solidaritätsnetzwerken und der gewachsenen Direktvermarktung vor. Letztere ist in den letzten Jahren vor allem im Bereich der landwirtschaftlichen Güter mit dem Ziel entstanden, den Zwischenhandel zu umgehen – nicht nur um Kosten für die Produzent_innen und die verarmten Konsument_innen zu sparen, sondern auch, um den Markt als Vermittlungsinstanz zurückzudrängen.

Bisher gibt es jedoch kaum rechtliche Rahmen oder staatliche Unterstützung für diese Strukturen. Das will SYRIZA ändern und so diese Formen des Wirtschaftens stärken. Was bisher jedoch fehlt, ist ein Austausch mit genossenschaftlichen Initiativen – etwa aus Spanien oder Norditalien, die auf eine jahrzehntelange Erfahrung mit Genossenschaften und genossenschaftlichen Banken zurückblicken können. (Siehe ak 580)

Auch der geplante Stopp der von der Troika verordneten Privatisierungen ist ein Versuch, die Profit- und Marktlogik zurückzudrängen. Obwohl nach den Wahlen angedeutet wurde, dass die Privatisierungsbehörde unter der neuen Regierung keine Aufgabe mehr habe, nahm sie schon bald wieder ihre Arbeit auf. Denn bereits vereinbarte Privatisierungen sollen nun doch abgeschlossen werden, weitere sollen überprüft werden.

Die Vorgängerregierung hatte unter dem Druck der Troika Privatisierungen im Umfang von 50 Milliarden Euro angekündigt. Während Steuern regelmäßige Einnahmen garantieren, stellt eine Privatisierung jedoch nur eine einmalige Möglichkeit dar, an Geld zu kommen. Was verkauft ist, ist verkauft. So wurden die staatlichen Anteile der Lottogesellschaft Opap für 652 Millionen Euro verhökert. Nur: Opap spülte jedes Jahr etwa 200 Millionen Euro in die Staatskasse. Ab dem vierten Haushaltsjahr ist diese Privatisierung also ein Verlustgeschäft. Und das, obwohl sie die bisher größte und lukrativste war. Mit Privatisierung geht Korruption einher. Auch hier will Athen neue Saiten aufziehen – etwa bei Altfällen, unter Beteiligung von Siemens.

Griechenland muss jedoch nicht nur Ausgaben finanzieren, sondern auch Kredite bedienen und ablösen. Wie in allen modernen Staaten üblich, soll das in Form einer Refinanzierung geschehen: Alte Kredite werden durch neue Kredite abgelöst. Dafür braucht Athen frisches Geld – von institutionellen oder privaten Gläubigern. Woher kommt das Geld? Die Steuereinnahmen sind eingebrochen. Die Regierung geht derzeit von Steuerrückständen in Höhe von fast 80 Milliarden Euro aus. Viele Griech_innen haben zunächst ihre Steuerzahlungen zurückgehalten und die Entscheidungen der neuen Regierung abgewartet.

Die ausstehenden Kredite des noch laufenden Troikaprogramms wurden noch nicht ausgezahlt. Allein 6,85 Milliarden Euro an Krediten muss Athen diesen März ablösen. Deshalb hat die SYRIZA-Regierung damit begonnen, Ausgaben über die Rentenkasse zu finanzieren, das heißt, sich dort für kurze Zeit Geld zu leihen und mit Zinsen wieder zurück zu zahlen.

Zudem organisiert sich Athen Geld auf dem Finanzmarkt. Hierfür gibt Griechenland kurzfristige Staatsanleihen aus, sogenannte T-Bills mit einer Laufzeit von meist drei bis sechs Monaten. Diese kaufen vor allem griechische Banken. Doch es gibt ein Problem. Zur Versorgung mit frischem EZB-Geld können die Geschäftsbanken keine griechischen Staatsanleihen mehr als Sicherheit bei der EZB hinterlegen. Die EZB hat aber der griechischen Zentralbank die Möglichkeit gegeben, die Banken über das Notfallprogramm ELA mit Liquidität zu versorgen. Die Kredite sind jedoch wesentlich teurer als der EZB-Leitzins, der derzeit bei nur 0,05 Prozent liegt, und das Risiko liegt allein bei der griechischen Zentralbank.

Zudem ist das ELA-Programm von der EZB gedeckelt. Der Spielraum, den die EZB der griechischen Regierung lässt, sich mit T-Bills zu finanziert, ist recht klein. Deshalb klagte auch Finanzminister Gianis Varoufakis: »Aus meiner Sicht verfolgt die EZB eine Politik gegenüber unserer Regierung, die ihr die Luft zum Atmen nimmt.« Nur bedingt nachgelassen hat der Druck, als die EZB am 12. März bekannt gab, das ELA-Limit um weitere 600 Millionen Euro auf nun fast 70 Milliarden anzuheben.

Die EZB scheint damit Griechenland einerseits nicht fallen zu lassen, was auch offizielle Linie der EU-Kommission ist; andererseits erhöht sie den Druck auf die Eurogruppe, eine »Lösung« zu finden. Was jedoch jetzt schon klar ist: dass sich mit oder ohne Griechenland in der Eurozone, mit jeder Lösung die Widersprüche innerhalb Europas eher verschärfen als auflösen werden.

Erschienen in: ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 603 vom 17.3.2015