Die institutionelle Strategie des Gregor Gysi

»Für die Besserverdienenden den Schongang, für die Arbeitslosen und Familien den Schleudergang«, so SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel

Die heute angekündigte Streichorgie ist durchaus Anlass für Unmut. Das hat heute auch der offizielle Vertreter der deutschen Arbeiterbewegung – DGB-Chef Michael Sommer – gepflegt zum Ausdruck gebracht:

»Niemand sollte unseren Zorn über die soziale Schieflage dieser Politik und unsere Entschlossenheit, diesen Weg zu korrigieren, untershätzen.«

Der Vorsitzende der Linkspartei, Greogor Gysi veröffentlichte eine Pressemitteilung unter dem Titel: »Schwarz-gelbe Sparorgie ist Anschlag auf sozialen Frieden und Demokratie«

Während ich den zweiten Teil noch gut verstehe, kam ich mit dem ersten Teil nicht ganz klar. Angriff auf den sozialen Frieden? Soll sich eine sozialistische Partei positiv auf den sozialen Frieden beziehen? Etwas aufgelöst wühle ich in meinen Studiumsunterlagen und finde in einem Hauptwerk von Johannes Agnoli, dem Namensgeber des Instituts, an dem ich studierte, folgende Passage: Continue reading “Die institutionelle Strategie des Gregor Gysi”

EU-Forschung heute: gute Herrschaft und Chaos

In den letzten Wochen war die Berichterstattung über Griechenland teilweise unerträglich. Das Boulevard könnte man meinen! Dass BILD und »Experten« sich oft in nichts nahe stehen zeigt ein Interview mit der Politikwissenschaftlerin Tanja Börzel. Sie ist Professorin an der FU, leitet die Arbeitsstelle Europäische Integration, Projektleiterin von »›Gutes Regieren‹ ohne den Schatten der Hierarchie?« im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 700 (Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit: Neue Formen des Regierens?), Sprecherin für den Teilbereich »Herrschaft«. Eine Expertin also. Deshalb sollte es eigentlich verwunderlich sein, was sie angesichts der Proteste und der heutigen Vorfälle in Griechenland zu sagen hat. Aber wundern war wohl gestern. Massive Proteste sind für sie Chaos, Tote »natürlich tragisch« und unter Umsturz kann sie sich nur einen Regierungswechsel vorstellen. Passt irgendwie zu einer Professur für gute Herrschaft.

Vor Veränderung kommt Verstehen. Die Commons liefern nur ein schräges Bild vom Kapitalismus

Bereits für Marx stellte die Zerstörung der Commons eine zentrale Voraussetzung kapitalistischer Produktion dar. Sind die Bedingungen des Kapitals jedoch einmal durchgesetzt, reproduzieren sie sich in anderen Formen und vor allem diese müssen kritisiert werden. Die Anwendung des Commons-Begriffs für den modernen Kapitalismus ist deshalb nur bedingt angemessen. Zudem fehlt meist eine ordentliche Prise Staatskritik. Continue reading “Vor Veränderung kommt Verstehen. Die Commons liefern nur ein schräges Bild vom Kapitalismus”

Die wollen nur spielen. Zur Aktualität von Partei- und Parlamentarismuskritik

Ende Januar 2010 gründete sich das Institut Solidarische Moderne (ISM), das für viele eine Provokation darstellt. Für rechts stellt die Initiative die Vorbereitung eines rot-rot-grünen Regierungsprojekts dar. Für links die Wiederbelebung der illusionären Möglichkeit linker Parteipolitik. Aber der Fokus auf Parteien ist Teilen des ISM selbst nicht geheuer: “Der Linken, wenn sie an die Regierung kam, und das nicht nur in Deutschland, ist es nur selten gelungen, wirklich emanzipatorische Politik zu machen”, so Sven Giegold in der jungle world (25.2.10). Allerdings kommt er nicht auf die Idee, dass dies an der Parteiform und der Funktionsweise des Parlaments selbst liegen könnte.

Immer schön aufmerksam bleiben!

Historisch hat “Partei” nicht den eingeschränkten Sinn einer auf Wahlen und das Parlament ausgerichteten Organisation. Im 1848 von Karl Marx geschriebenen “Manifest der Kommunistischen Partei” heißt es, die Kommunisten seien “keine besondere Partei gegenüber den andern Arbeiterparteien”. Die Partei vertrete das “Interesse der Gesamtbewegung”. Partei war ein Synonym für politische Organisierung überhaupt.

Der Parlamentarismus bildete sich erst mit der Entstehung des bürgerlichen Staates und der Auflösung personeller Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse heraus. Dieser Prozess verlief parallel zur Entstehung bürgerlicher Öffentlichkeit. Nicht mehr der liebe Gott war nun verantwortlich für die Einrichtung der Gesellschaft, sondern die Bürger selbst – oder wer als Bürger galt: Männer und die Besitzenden. So wurde die Öffentlichkeit nicht nur zum zentralen Kampffeld darüber, über welche Bereiche des menschlichen Lebens politisch und gemeinschaftlich abgestimmt werden sollte, sondern auch wer seine Stimme vollwertig einbringen durfte. Continue reading “Die wollen nur spielen. Zur Aktualität von Partei- und Parlamentarismuskritik”

Vom Grüßen des Busfahrers. Ein Streitgespräch über Parteipolitik und Rot-Rot-Grün

Ende Januar gründete sich das Institut Solidarische Moderne (ISM), das für viele eine Provokation darstellt. Die rechte politische Mitte befürchtet ein neues rot(-grün)es Lager, viele radikale Linke die Wiederbelebung parteipolitischer und parlamentarischer “Illusionen”, ausgerechnet mit den Hartz-IV- Parteien SPD und Grüne! Feststeht: Mit der Gründung des Instituts wird offen über die Regierungsperspektive Rot-Rot-Grün debattiert – unter Beteiligung radikaler Linker. Über Gefahren und Möglichkeiten der vom ISM gestellten Fragen diskutieren Florian Wilde (Die Linke.SDS), Mag Wompel (Labournet) und Thomas Seibert. Das Gespräch führten Ingo Stützle und Jan Ole Arps.

ak: Thomas, du hast dich dem Institut Solidarische Moderne angeschlossen, einer Institution, die als Vordenkerin eines rot-rot- grünen Regierungsprojekts gesehen wird – und wohl auch gedacht ist.

Thomas Seibert: Zwei nähere Bestimmungen sind für mich entscheidend. Erstens: Das ISM ist keine Initiative der drei Parteien, sondern ihrer linken Flügel. Es steht deshalb “nur” für eine linke Einflussnahme auf Rot-Rot-Grün, nicht für die Sache selbst. Zweitens: Das ISM ordnet den Versuch einer linken Einflussnahme auf Rot-Rot-Grün dem Prozess eines antineoliberalen gesellschaftlichen Blocks ein und unter. Es wirft damit die Frage nach dem Verhältnis zur Regierungsmacht auf. Was heißt es, im und aus der Gegenhegemonie auf Regierungsmacht auszugreifen, warum, wofür und wie kann und soll das geschehen?

Mir geht es in dieser Frage immer um zwei Unterscheidungen. Erstens um die der sozialen Bewegungen und der politischen Linken. Ich glaube, dass es eine politische Linke geben muss, die nicht einfach Bewegung ist. Zweitens um eine Unterscheidung innerhalb der politischen Linken: die zwischen ihrer parlamentarischen und ihrer außer- und antiparlamentarischen Form. Die Partei oder die Parteien sind nicht das Ganze der politischen Linken, sondern das Medium, über das soziale Kämpfe, soziale Bewegungen und außerparlamentarische Linke im Staat präsent sein können. Der Witz liegt darin, das nicht so zu denken, dass man nach einer Form sucht, in der dieses Spiel zu einem harmonischen würde, in Form einer “Doppelstrategie”, in einem Verhältnis von Stand- und Spielbein oder in der Illusion einer “Bewegungspartei”.

Stattdessen gilt es, einen nicht aufzulösenden Konflikt möglichst produktiv auszutragen. Dazu müssen die Akteure des Konflikts – die sozialen Bewegungen und die außerparlamentarische Linke einerseits, die parlamentarische Linke andererseits – getrennt bleiben, je ihrer eigenen Logik folgen – und sich trotzdem aufeinander abstimmen. Das kann durch Debatten geschehen, die ein Akteur wie das ISM initiiert, es kann auch dadurch geschehen, dass sich attac oder die Sozialforen weiter als bisher für Parteien öffnen, ohne ihre Distanz zur Parteiform aufzugeben.

Weiterlesen bei: ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 548 vom 19.3.2010

Beim Eurofighter drückt Berlin ein Auge zu

Nach einem Bericht von german foreign policy drückt die deutsche Bundesregierung bei der Anschaffung von Rüstungsgüter ein Auge zu. Obwohl Griechenland sparen soll, bis es quietscht, soll es eben immer noch knallen können.

Griechenland soll Kampfflieger vom Typ Eurofighter kaufen, die von einem Rüstungskonsortium mit Sitz in Hallbergmoos (Bayern) hergestellt werden. Deutsche Bemühungen, das teure Militärflugzeug auch an Kunden im Ausland zu verkaufen und damit die Gewinne der kerneuropäischen Rüstungsindustrie zu erhöhen, hatten in den vergangenen Jahren bereits zu heftigen Auseinandersetzungen geführt […]. Zu Wochenbeginn verlangte der deutsche Außenminister bei einem Besuch in Athen, die dortige Regierung solle sich ungeachtet ihrer akuten Finanznot für den Eurofighter entscheiden.

Beim Militär und deutschen Arbeitsplätzen hört die Sparorgie auf

Das ist nicht das erste Mal, dass Militärausgaben plötzlich ganz andere öffentliche Ausgaben sind. Schließlich sind nicht alle Staatsaufgaben gleich. Manche sind eben gleicher. So waren sich die Verteidigungsminister Italiens, Frankreichs und Deutschlands sich auch in der Vergangenheit einmal darüber einig, dass die Rüstungsaufwendungen bei der Kontrolle der Maastrichter Kriterien herausgerechnet werden sollten (vgl. FR, 20.5.2003, Der Freitag. Nr. 44 v.o 25.10.2002). Durchsetzen konnten sich die Kriegsminister bisher nicht. Aber zumindest den Vertrag von Lissabon haben sie auf ihrer Seite. Dort ist schließlich eine Verpflichtung festgeschrieben, die die Mitgliedstaaten verpflichtet, »ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern« (Art. 27, 3).

Foto: CC-Lizenz, icatus

Die Mühe der Ebene. Eigentum und Besitz bei Nicos Poulantzas

Alex Demirovic, Stephan Adolphs und Serhat Karakayali haben in der Reihe Staatsverständnisse bei Nomos einen Band zu Nicos Poulantzas herausgegeben. Dieser ist jetzt erschienen. Darin findet sich auch ein Aufsatz von mir und Sabine Nuss:

Durch die in den letzten Jahrzehnten rasant fortgeschrittene Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien wurde »Geistiges Eigentum« zu einer besonders umkämpften Rechtssphäre. Manch einer vertritt die These, Geistiges Eigentum würde zur zentralen Rechtsform des 21. Jahrhunderts bzw. des »Informationszeitalters« werden. Hintergrund dieser Entwicklung ist die Digitalisierung von Inhalten geistig-kreativer Schöpfung. Durch die elektronische Datenverarbeitung und die grenzüberschreitende Vernetzung von Computern können geistig-kreative Schöpfungen weltweit unautorisiert verbreitet werden. In den vergangenen Jahren hat es etliche Maßnahmen gegeben, die dieser Praxis Einhalt gebieten sollen. So wurde u.a. das Urheberrecht angepasst und Kopierschutztechnologien entwickelt sowie Kampagnen durchgeführt, die das »Unrechtsbewusstsein« der NutzerInnen wecken sollten (»Raubkopierer sind Verbrecher«). Auf internationaler Ebene wurde das internationale Regelwerk TRIPS in die Welthandelsorganisation WTO aufgenommen, um die Eigentumsrechte im zunehmend weltweiten Warentausch mit Gütern geistigkreativer Schöpfung zu sichern.

Die aktuellen Entwicklungen und Debatten um Geistiges Eigentum sind vorliegendem Text Anlass für eine Re-Lektüre von Nicos Poulantzas’ Klassen im Kapitalismus – heute von 1974, in dem er den Wandel von Eigentumsverhältnissen seiner Zeit als eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse innerhalb der herrschenden Klasse analysiert. Vor diesem Hintergrund wollen wir Poulantzas’ Konzeption von Eigentum eingehender vorstellen und diskutieren.

Weiterlesen in: Nuss, Sabine/ Stützle, Ingo (2010): Die Mühe der Ebene. Eigentum und Besitz bei Nicos Poulantzas, in: Demirović, Alex/ Adolphs, Stephan/ Karakayali, Serhat (Hg.): Das Staatsverständnis von Nicos Poulantzas. Der Staat als gesellschaftliches Verhältnis, Baden-Baden, 115-131.

Die Tage wird sicher das komplette Inhaltsverzeichnis auf der website einsehbar sein.

Die Empfängnis unseres Demokraten Schäuble

In Zeiten, in welchen bürgerliche Freiheiten nicht nur laut und trampelig, sondern auch recht leise abgebaut werden, ein autoritärer Diskurs sich in allen Ritzen des Alltags festsetzt, in solchen Zeiten ist es durchaus angebracht, immer wieder auf den Ton bei der Musik und auf das zwischen den Zeilen zu achten.

In der heutigen Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gab der deutsche Innenminister Finanzminister Wolfgang Schäuble ein Interview. Eine Antwort war besonders schön.

»Verraten Sie uns, wie Sie das Leben auf Pump abstellen? Oder müssen Sie erst die Wahl in Nordrhein-Westfalen abwarten?«

»Es ist doch klar, dass ein Schuldenabbau um jährlich zehn Milliarden Euro von 2011 an Widerstände provoziert. Wer jetzt schon alles verrät, läuft Gefahr, dass später alles zerredet wird. Aber wir müssen schon vor der NRW-Wahl damit beginnen, die Menschen davon zu überzeugen, dass der Schuldenabbau keine Bedrohung, sondern eine Verheißung ist.«

Dass es Widerstand geben wird, vielleicht bereits schon gibt, scheint dem CDU-Politiker klar zu sein. Er verrät uns in seiner kurzen Antwort auch eine Form, wie er als Finanzpolitiker damit umgehen wird, er, der in der letzten Legislaturperiode den präventiven Sicherheitsstaat konsolidiert und forciert hat: Es wird nichts zu früh verraten! Da waren die Kinderlein wohl nicht brav genug?! Schäuble denkt sich: da könnten ja unangenehme Nachfragen kommen, Unmut könnte sich artikulieren, gar Widerspruch laut oder: Widerstand organisiert werden. Schließlich kommt das, was als Zauberwort »Allgemeinwohl« in aller Munde geführt wird vor allem dem Wohl der Herrschenden und Vermögenden zugute. Und Schäuble weiß auch: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. In einer ›wehrhaften Demokratie‹, wo die Politik auch gegen die Bevölkerung durchgesetzt werden muss, da sollte ja nicht zu viel darüber geredet werden, was für soziale Konsequenzen die Politik hat. Ist ja auch gar nicht nötig. Schließlich sitzen in den Ministerien Leute, die sich damit auskennen – wie bspw. Schäuble.

Und weil gerade Weihnachten war, kam selbstredent zu diesen autoritären und demokratiefeindlichen Äußerungen noch ein Schuss Religion in Form einer wirklich wundervollen Metapher hinzu.  Schuldenabbau sei keine Bedrohung, z.B. durch den Staat, der einem das Leben noch unerträglicher macht, sondern eine »Verheißung« – und Schäuble der Prophet!

Logisch ist es allemal: Will ein Staat keine Bevölkerung, die sich einen eigenen Kopf macht (also: alles zerredet), muss er dafür Sorge tragen, dass zumindest die politischen Entscheidungen akzeptiert werden. Eine Verheißung kommt da gerade recht. Diese wird nämlich nur empfangen. Ob sie Schäuble jetzt nur verkündet oder ob er sie (von wem?) selbst empfangen hat, verrät er vielleicht in seinem nächsten Interview. Wir dürfen gespannt sein.

To be or not to be a Keynesian – ist das die Frage?

Vor wenigen Tagen ist die neue Prokla erschienen, die Nummer 157 mit dem schönen Titel: Der blutige Ernst: Krise und Politik. In einem Artikel setze ich mich mit Keynes und keynesianistischen Reformperspektiven auseinander – kritisch.

Mit der Krise wurden auch die passenden Theorien an die Oberfläche des wirtschaftspolitischen Diskurses gespült. Während Karl Marx ein Platz im Feuilleton zukam, wurde John Maynard Keynes etwas ernster genommen. Dessen Anziehungskraft wirkte jedoch nicht ungebrochen. Ganz im Gegenteil: Die durch die Krise erzwungenen staatlichen Feuerwehreinsätze sorgte bei vielen Apologeten freier Märkte für Unbehagen – schon früh wurde vor staatlicher Überregulierung gewarnt (vgl. Plickert 2008). Keynes‘ Theorie wurde so zu einem zentralen Feld der Auseinandersetzung darüber, wie der Kapitalismus ‚vernünftig‘ zu regieren sei. Während die einen bei Keynes zentrale Säulen der „freien Marktwirtschaft“ in Gefahr sehen, formulieren andere hingegen die Hoffnung, dass Keynes einen Ausweg aus einer ungerechten und instabilen Wirtschaftsordnung weisen könne. Wiederum andere wollen gar mit Keynes die schwindende Legitimation des Neoliberalismus in eine Perspektive jenseits des Kapitalismus überführen.

Eine Auseinandersetzung mit Keynes steht somit ebenso an, wie mit dem, was im Rahmen der sogenannten neoklassischen Synthese daraus gemacht wurde. Denn dem Keynes, der im Zuge der gegenwärtigen Krise so manches Feuilleton erfreute, wurden schon vor längerer Zeit die Zähne gezogen. Auch diskussionswürdig erscheint, warum Keynes für viele Linke und SozialistInnen als antikapitalistisches Maskottchen herhalten muss, da der britische Ökonom den Kapitalismus gar nicht als das zentrale Problem identifizierte und ihn vielmehr gegen den Sozialismus zu verteidigen gedachte.

Weiterlesen: To be or not to be a Keynesian – ist das die Frage? Kritik und Grenzen wirtschaftspolitischer Alternativen, in: Prokla 157 (Der blutige Ernst: Krise und Politik), 39.Jg., H.4, 607-623.

Auch die neue prokla-website lohnt sich: Es gibt ein Prokla-Archiv mit allen Artikeln ab der ersten Nummer von 1971!

Schönwetterregeln

Bereits vor einigen Monaten wurde auf Deutschlandradio davon berichtete, dass in der Bundesrepublik von 1950 bis 1968 bis zu 300 Mio. Postsendungen aus realsozialistischen Staaten konfisziert und zum Teil vernichtet worden sind. Die illegale Postzensur hatte wohl den Zweck, Westdeutschland vor östlicher, d.h. sozialistischer Propaganda zu schützen. Nun wird berichtet, dass die Post aus der DDR bis 1990 kontrolliert wurde. Rechtsstaatlich garantierte Grundrechte scheinen in diesem Land seit 1945 nur für diejenigen zu gelten, die sie nicht unbedingt nötig haben, d.h. ihre Füße unter dem Tisch des Herren still halten – für alle anderen scheinen sie nicht einmal Schönwetterregeln zu sein.

Zu weit auseinander

In der Wochenzeitung Freitag wird seit einiger Zeit über ein ›Projekt‹ namens »linke Mitte« diskutiert. Ich habe mich in die Debatte eingemischt und dazu ein paar grundlegende Fragen aufgeworfen: »Wer nicht über die begrenzenden Logiken von Partei, Parlament und Staat reden will, sollte von einem linken Reformprojekt besser schweigen.«

Weiter beim Freitag.

Zum Tod von Werner Maihofer

Wie erst gestern bekannt wurde ist der frühere Innenminister Werner Maihofer im Alter von 90 Jahren verstorben. Die FDP trauert nicht nur um einen Parteikollegen, sondern auch um die eigene Parteitradition. »Mit dem unerschütterlichen Bekenntnis zur Freiheit als zentralem Wert der Demokratie hat Werner Maihofer den organisierten Liberalismus wie kaum ein anderer Gelehrter geprägt« führte die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger aus. Erst 1969 trat Maihofer der FDP bei, drei Jahre später zog er in den Bundestag ein. Gerne wird an seine Zeit als Abgeordneter und Minister erinnert. Eine Zeit, in der er scheinbar den Rechtsstaat gegen den RAF-Terror verteidigte. Nicht erwähnt wird, dass in seinen Vorlesung Jahre zuvor der Verfassungschutz selbst saß, dessen Praxis er später als Innenminster gerne verfeinert hätte – durch eine Schule für Verfassungschützer. Strafrechtsverschärfungen unter Helmut Schmidt trug er mit. Nach eigenen Angaben war er es auch, der 1977 die GSG 9 Richtung Mogadischu schickte.

Um aber in Zeiten einer starken FDP zu unterstreichen, was Liberalismus bedeuten kann, sei hier aus Anlass des Todes von Maihofers ein Auszug aus einem 1963 gehaltenen  Vortrag bei der Evangelischen Akademie zitiert, ein Vortrag, den er sich wenige Jahre später durchaus hätte vor Augen führen können, als er selbst eifrig dabei war, das Instrumentarium für Gesinnungsverfolgung zu verfeinern.

»Genau entsprechend zu den Erscheinungen der mittelalterlichen Inquisition gegen Ketzer und Andersgläubige wird im autoritären Staat der Gegenwart das Politische Strafrecht über seine klassische Funktion als Schutz gegen Gefährdungen der inneren und äußeren Sicherheit des Staates hinaus, zum Instrument der politischen Inquisition gegen Ketzer und Andersgläubige schlechthin; gegen jeden Untertan also, der sich dem durch die machthabende Partei als allgemein verbindlich behaupteten und geforderten Credo äußerlich und auch nur innerlich widersetzt. Damit aber wird politische Justiz in allen autoritären Staaten zu einem unter dem Schein der äußeren Legalität gehandhabten Instrument zur Vernichtung oder zumindest Erschütterung des politischen Gegners, mit Mitteln des Gewissenszwangs und des Gesinnungsterrors gegen jeden, der sich dem von der Partei-Ideologie geforderten Bekenntnis nicht von selbst innerlich unterwirft oder doch zumindest äußerlich, ohne aufzufallen, in allen was er tut und lässt, anbequemt. In solchen autoritären Staaten hat nicht nur das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen, der der Verfassung oder den Gesetzen des Landes zuwiderhandelt, sondern schon der, der mit der öffentlichen ‘politischen Linie’ nicht übereinstimmt; der nicht, wo immer dies von ihm in Worten oder Taten gefordert wird, in das offizielle politische Bekenntnis mit einstimmt. Ein solcher Staat wird darum über kurz oder lang, wie wir dies im nationalsozialistischen Staat beobachten konnten, nicht nur die Staatsschutzdelikte: den Hoch- und Landesverrat, immer entschiedener nicht mehr nur gegen den wirklichen Feind des eigenen Staates gebrauchen, sondern auch gegen den bloßen Gegner der eigenen Politik, den ‘Feind’ der Partei, ja auch nur den Zweifler an der über jeden Zweifel erhobene, sakrosankt erklärten und mit dem Staatswohl gleichgesetzten Ideologie.«

Kreditklemme und die Verstaatlichung der Banken

creditcrunchManchmal braucht man externe Hilfe, um eine lange oder blockiert Leitung freizumachen. Heute habe ich in der aktuellen Zeit den Beitrag “Reden ist Blech” von Mark Schieritz gelesen und hatte ein kleines aha-Erlebnis. In einigen Punkten verfolgt Mark Schieritz eine ähnliche Argumentation wie ich. Die Banken müssten wieder Profit machen, dann würden sie auch wieder Geld verleihen. So weit so gut. Ganz richtig betont er, dass sich die Bundesbank (BuBa) einer direkten Kreditvergabe an Unternehmen versperrt. Während ich jedoch vor ein paar Tagen die Frage im Raum stehen ließ, wer hinsichtlich der direkten Kreditvergabe den längeren bzw. stärkeren Atem habe wird (Finanzministerium oder BuBa), bläst Mark Schieritz in ein anderes Horn: Die Banken würden wieder Kredite vergeben, wenn sie es könnten, d.h. entweder wieder ordentlich Profit machen (was dauern könnte) oder wenn ihre Eigenkapitaldecke wieder dick genug für großzügige Kreditvergabe sei. Für letzteres könnte der Staat sorgen – ohne BuBa. Wie? Tja, durch Verstaatlichung der Banken! Eine private Bank zu kapitalisieren bedeutet sie zu Verstaatlichen. Mark Schieritz meint zwar, dass dies “politisch heikel” sei, aber einen großen Vorteil hätte: “Es würde das Problem lösen. Appelle tun das nicht.” Tja, Herr Steinbrück, das heißt aber in dieser Form nicht anderes, als dass gerade die zögerliche Bankenverstaatlichung in Deutschland ein Grund dafür ist, dass – zumindest für bestimmte Bereiche – eine Kreditklemme zu beklagen ist. Steinbrück müsste sich also zunächst an die eigene Nase fassen, da er den Banken zuliebe, also Teilen einer Kapitalfraktion, seiner Funktion als Charaktermaske des ideellen Gesamtkapitalisten nicht nachgekommen ist. Das Interesse der Bankindustrie stand über dem Interesse des gesellschaftlichen Gesamtkapitals, dessen Reproduktionsmöglichkeiten bei einer Verstaatlichung im Zentrum der Politik gestanden hätte. Michael Heinrich schrieb vor einigen Wochen: “Staat und Regierung müssen den einzelnen Unternehmen und Kapitalfraktionen gegenüber unabhängig sein, um das kapitalistische Gesamtinteresse und die besten Wege zu seiner Durchsetzung bestimmen zu können. Dies kann zuweilen ganz schön schwierig sein, da es nicht immer auf der Hand liegt, wie diesem Gesamtinteresse am besten gedient werden kann.” Tja und bei der Weigerung, Banken zu Verstaatlichen hat sich dann wohl die Regierung genau für eine falsche Option entschieden. Aber selbst mit einer weitgehenden Verstaatlichung der Banken wäre ein Problem noch lange nicht aus der Welt: Nur weil Banken verstaatlicht sind und vielleicht wieder Kredite vergeben läuft die kapitalistische Profitmaschinerie noch lange nicht wieder an. Das zeigt Großbritannien ebenso wie die USA. Aber ich hatte mir eigentlich vorgenommen, mir nicht den Kopf des Kapitals zu zerbrechen…

Foto: CC-Lizenz, lauramary

State of (the) crisis

Im Zuge der gegenwärtigen Finanz- und Weltwirtschaftskrise feiert der Staat ein ungeahntes Comeback. Er soll Vertrauen schaffen, Konjunkturpäckchen schnüren und sich dennoch zurück halten. Ein Widerspruch? Und: War der Staat eigentlich je verschwunden? Aus einer staats- und kapitalismuskritischen Perspektive soll der Ausgangspunkt der gegenwärtige Krise, deren Verlauf und mögliche Folgen beleuchtet werden. Der Vortrag soll dabei die Bedingungen linker Politik umreißen und den Raum für eine gemeinsame Diskussion über Perspektiven und Strategien öffnen.

Tagesseminar, 4. April 2009, 11-18 Uhr, Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin, Raum 0106