Linksreformistisches

An allen Ecken und Enden tut sich was – zumindest auf dem Papier. Nach der Gründung des Instituts für Solidarische Moderne (Streitgespräch zum ISM im ak), der Diskussion im freitag um ein »Projekt Linke Mitte« (hier mein Beitrag in der Reihe) wurde ein weiteres »Diskursprojekt« gestartet: Linksreformismus. Ressonanzboden sind einige linke Zeitungen und Zeitschrift, die mit den drei Stiftungen von SPD, Grüne und DIE LINKE kooperieren. Für Februar 2011 ist eine Tagung in Planung und die Vorbereitungen laufen bereits (Call for Papers).

Tom Strohschneider hatte das Projekt in einem blog als Suche nach dem »Mobiliar für offene Räume« bezeichnet. Darauf beziehen sich die InitiatorInnen ebenso positiv wie auf einige Klassiker des Linksreformismus: Eduard Bernstein, aber auch John M. Keynes. Wer fehlt ist Rosa Luxemburg und das, obwohl die nach ihr benannte Stiftung die ganze Veranstaltung mitträgt. Wundert das? Wohl kaum. Schließlich war eine heftige Kritikerin des Reformismus. Sollte man sie in einem solchen »Diskursprojekt« deshalb aussperren? Nein, schließlich steht das Mobiliar für offene Räume ja irgendwo und bevor diese Räume vor Träumen zusammenbrechen, sollte auch eine Statik helfen, die Grenzen und Möglichkeiten eines Linksreformismus zu benennen. Und hierzu hat Luxemburg sehr wohl etwas zu sagen. Bei der Frage, ob Keynes als Alternative taugt, hatte ich mich bereits in der Prokla versucht.

Bleibt zu hoffen, dass die Räume ausgemessen werden, bevor sie von der Initiative für einen Linksreformismus so vollgestellt werden, dass einem der Blick für grundlegende Alternativen und radikale Kritik genommen wird.

Dietmar Dath: Rosa Luxemburg

Von Dietmar Dath ist nun endlich in Suhrkamps Reihe BasisBiographien der Band zu Rosa Luxemburg erschienen. Seine letzen Romane Die Abschaffung der Arten, Sie schläft und Sämmtliche Gedichte sorgten ebenso für Aufregung wie sein Interview in Die Welt kurz vor der letzten Bundestagswahl. Wir dürfen gespannt sein, wie uns Dath Luxemburg näher bringen will. Als Lockerungsübung lohnt sich in jedem Fall Ursula Schmiederer in ak 535.

DER BLUTIGE ERNST: KRISE UND POLITIK | Diskussionsveranstaltung zum neuen Prokla-Heft

Ist die aktuelle Krise wirklich schon “Schnee von gestern”? Hat der Staat seine Mission als “Retter in der Not” erfüllt? Werden die Strukturprobleme der Weltwirtschaft in Zukunft noch zunehmen? Drei PROKLA-AutorInnen diskutieren aus verschiedenen Perspektiven über Politik und Ökonomie in der aktuellen Krise.

Stefan Schmalz (Autor PROKLA, Universität Kassel)
Ingo Stützle (Autor PROKLA, Redakteur der Zeitschrift ak – analyse & kritik)
Christina Kaindl (Autorin PROKLA, Redakteurin der Zeitschrift Luxemburg)
Moderation: Dorothea Schmidt (Redakteurin PROKLA)

Es kommentiert:
Katja Kipping (MdB und Vizevorsitzende der Partei Die LINKE)

ORT UND ZEIT:

9. FEBRUAR, 18.30 UHR
Humboldt-Universität zu Berlin
Institut für Sozialwissenschaften
EG, Raum 002/003
Universitätsstraße 3b

Neue Beiträge zur Marx-Engels-Forschung erschienen

Mit Neujahr ist auch ein neuer Band der Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge erschienen. Das Inhaltsverzeichnis findet sich als pdf-Datei hier. U.a. sind zwei Beiträge der letzten Runde des David-Rjazanov-Preises abgedruckt. Mein damals eingereichter Aufsatz findet sich hier:

Ingo Stützle (2008): “Staatsverschuldung als Kategorie der Kritik der politischen Ökonomie. Eine Forschungsnotiz“, in: Lindner, Urs/ Nowak, Jörg/Paust-Lassen, Pia (Hg.): Philosophieren unter anderen. Beiträge zum Palaver der Menschheit – Frieder Otto Wolf zum 65. Geburtstag, Münster, 239-262.

Die eingereichte Arbeit von Hendrik Wallat ist in einer überarbeiteten Fassung in der Prokla 155 zu Sozialismus abgedruckt: Weder Staat noch Kollektiv. Sozialismuskritik im Werk von Karl Marx.

To be or not to be a Keynesian – ist das die Frage?

Vor wenigen Tagen ist die neue Prokla erschienen, die Nummer 157 mit dem schönen Titel: Der blutige Ernst: Krise und Politik. In einem Artikel setze ich mich mit Keynes und keynesianistischen Reformperspektiven auseinander – kritisch.

Mit der Krise wurden auch die passenden Theorien an die Oberfläche des wirtschaftspolitischen Diskurses gespült. Während Karl Marx ein Platz im Feuilleton zukam, wurde John Maynard Keynes etwas ernster genommen. Dessen Anziehungskraft wirkte jedoch nicht ungebrochen. Ganz im Gegenteil: Die durch die Krise erzwungenen staatlichen Feuerwehreinsätze sorgte bei vielen Apologeten freier Märkte für Unbehagen – schon früh wurde vor staatlicher Überregulierung gewarnt (vgl. Plickert 2008). Keynes‘ Theorie wurde so zu einem zentralen Feld der Auseinandersetzung darüber, wie der Kapitalismus ‚vernünftig‘ zu regieren sei. Während die einen bei Keynes zentrale Säulen der „freien Marktwirtschaft“ in Gefahr sehen, formulieren andere hingegen die Hoffnung, dass Keynes einen Ausweg aus einer ungerechten und instabilen Wirtschaftsordnung weisen könne. Wiederum andere wollen gar mit Keynes die schwindende Legitimation des Neoliberalismus in eine Perspektive jenseits des Kapitalismus überführen.

Eine Auseinandersetzung mit Keynes steht somit ebenso an, wie mit dem, was im Rahmen der sogenannten neoklassischen Synthese daraus gemacht wurde. Denn dem Keynes, der im Zuge der gegenwärtigen Krise so manches Feuilleton erfreute, wurden schon vor längerer Zeit die Zähne gezogen. Auch diskussionswürdig erscheint, warum Keynes für viele Linke und SozialistInnen als antikapitalistisches Maskottchen herhalten muss, da der britische Ökonom den Kapitalismus gar nicht als das zentrale Problem identifizierte und ihn vielmehr gegen den Sozialismus zu verteidigen gedachte.

Weiterlesen: To be or not to be a Keynesian – ist das die Frage? Kritik und Grenzen wirtschaftspolitischer Alternativen, in: Prokla 157 (Der blutige Ernst: Krise und Politik), 39.Jg., H.4, 607-623.

Auch die neue prokla-website lohnt sich: Es gibt ein Prokla-Archiv mit allen Artikeln ab der ersten Nummer von 1971!

Die neue Prokla: Sozialismus? Sozialismus!

Die aktuelle Wirtschaftskrise lässt so manchen vor einem Sozialismus jeglicher Couleur bangen. So etwa Thomas Strobl in seinem viel gelesenen blog weissgarnix.de. Manche hoffen hingegen auf den Sozialismus, nachdem sich der Kapitalismus nun scheinbar endgültig blamiert hat. Beiden Gefühlsregungen ist meist gemein, dass ein richtiges Verständnis davon fehlt, was eigentlich Sozialismus war, sein könnte oder nicht sein sollte. Für unbeantwortete, aber auch noch nicht gestellten Fragen kommt die neue Prokla zu “Sozialismus” regarde richtig. Deshalb wohl auch Sozialismus mit Fragezeichen.

Das komplette Inhaltsverzeichnis findet sich hier.

Nachtrag: Der Beitrag von Alex Demirovic gibt es nun zum download: Rätedemokratie und das Ende der Politik

Das Leben der ganz anderen – groteske Mechanik der Macht

Die DDR hat es wirklich gegeben. Die von Rayk Wieland erzählte Geschichte ist auch tatsächlich passiert. Zu Klaus Bittermanns Besprechung ist wenig hinzuzufügen. Die Stasi wird auf einen pubertierenden Jungen aufmerksam, der regelmäßig und mit Hingabe seiner Geliebten in den Westen schreibt. 20 Jahre nach dem Fall der Mauer, fast 30 Jahre nach den ersten Gedichten, erfährt der inzwischen nicht mehr so jugendliche Autor, dass nicht nur er, sondern auch seine Gedichte Gegenstand von Stasi-Ermittlungen und Überwachung waren. Wielands Stasi-Akte kehrt als Gedichtsammlung wieder. Ein grotesk kommentierte Sammlung längst vergessen und verloren geglaubter Gedichte. Ein wirklich großartiges Buch.

Auf WDR2 liest Wieland selbst eines der im Buch mit Stasi-Anmerkungen versehenen dokumentierten Gedichte vor und die Jungle World hat ein Kapitel vorveröffentlicht. Ein Interview mit RadioEins findet sich in der ARDmediathek.

Dass die Geschichte und wie Wieland sie beschreibt so grotesk erscheint, hat sicher auch was mit dem zu tun, was Foucault über die grotesken Mechanismen der Macht sagt. Den Zusammenhang von willkürlicher Herrschaft und Groteske führ Foucault in der Vorlesung am College de France vom 8. Januar 1975 (Die Anomalen) aus:

“Die Groteske gehört zu den entscheidenden Verfahren der willkürlichen Herrschaft. […] Mir scheint es […] darum zu gehen, eindeutig die Unumgänglichkeit und Unvermeidbarkeit der Macht vorzuführen, die auch dann noch in aller Strenge und in einer äußerst zugespitzten gewaltsamen Rationalität funktioniert, selbst wenn sie in den Händen von jemandem liegt, der tatsächlich disqualifiziert ist.”

Ein Oberleutnat, der weder das brennende Feuer der Liebe, noch Schiller oder Shakespeare kennt, hat es sicher leicht, Gedichte und jugendlichen Nihilismus als staatsgefährdend einzustufen… Aber ich schlage vor, das Buch zu lesen.

Alle Macht geht vom Volke aus. Nur wo geht sie hin? Rummelplatz von Werner Bräunig

Einfach ein gutes Buch. Werner Bräunig zeigt in Rummelplatz aus der Sicht von Kommunisten und ArbeiterInnen, Funktionären und westlichen Journalisten die junge DDR zwischen 1949 und 1953. Er zeigt einen biederen und stalinistisch imprägnierten Staat, der für sich beanspruchte, nach der Befreiung vom Nationalsozialismus ein neues Kapitel für die Menschheit aufgeschlagen zu haben. Aber wie Stefan Heyms “Die Architekten” zeigt er das Fundament einer Gesellschaft, das Schriftsteller wie Bräunig nicht aushalten konnte und einen Staat, der ihn als Schriftsteller nicht wollte. Folgerichtig endet der Roman am 17. Juni 1953, dem Tag, an dem Brecht zynisch den Vorschlag formulierte, die Regierung solle sich doch ein neues Volk wählen. Die andere Seite der Medaille formuliert der Arbeiter und Kommunist Fischer in Bräunigs Roman: “[w]enn Massen von Arbeitern die Partei nicht mehr verstehen, dann können daran doch nicht die Arbeiter schuld sein.”

Aber auch die kulturelle Enge ist in “Rummelplatz” allgegenwärtig, wenn der Arbeiter Peter Loose als subversives Element in den Knast muss – weil er laut Volkspolizei während einem Konzert die Ruhe und Ordnung des Sozialismus durch Rowdytum und Tanzen gefährdet hätte. In dieser Verfolgung des kulturellen Lebens hört man bereits die Biederkeit Erich Honeckers: “Unsere DDR ist ein sauberer Staat. In ihr gibt es unverrückbare Maßstäbe der Ethik und Moral, für Anstand und gute Sitte.” Und die DDR-Realität wird schlimmer als der beste Witz, den man sich in Bräunigs Roman erzählt: “Sag mal, Zacharias, weiß du, was der Unterschied ist zwischen dem Klassenfeind und den Bürokraten? Na, der Klassenfeind macht uns Schwierigkeiten, die Bürokraten leiten sie weiter. Oder weißt du, was ein Dogmatiker ist? Das ist einer, der sich in den Schriften auskennt und das Leben nur anerkennt, wenn es mit den Schriften übereinstimmt. Oder der Unterschied zwischen einem Kleinbürger und einem Sektierer? Also da ist keiner. Die wollen beide unter sich bleiben…”

Total verplant? Wochenend-Workshop zu Plan und Markt

Nahezu zwei Jahrzehnte ist es her, dass der real existierende Sozialismus von der Bildfläche verschwunden ist und mit ihm die Planwirtschaft. Viele, insbesondere jüngere Leute, können sich gar nicht vorstellen, wie genau sie eigentlich funktioniert hat und vor allem, woran er scheiterte, der Plan. Zu Letzterem aber gibt es nicht mal unter „ExpertInnen“ Einigkeit. War es zu viel Plan? Oder war es zu viel Markt? Oder lag es an etwas ganz anderem? Ausgehend von dieser Fragestellung wollen wir in dem Workshop diskutieren, was das überhaupt ist – Markt und Plan und ob es nicht jeweils mehrere Varianten davon gibt. Dabei handelt es sich beileibe nicht um eine überholte Thematik – gerade angesichts der seit Jahren forcierten Liberalisierung der Märkte sind Fragen der Marktregulierung en vogue. Continue reading “Total verplant? Wochenend-Workshop zu Plan und Markt”