Linkspartei: Staatskritik als blinder Fleck?

Könnten bei zu starkem Drücken untergehen. Foto: CC-Lizenz, Richard Carter

Vor ein paar Tagen wies Tom Strohschneider angesichts der Bundespräsidentenwahlen auf ein Papier von Rainer Rilling hin (Welche politische Krise?). Dort konstatiert dieser eine »skeptische Distanz« der Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und der links-libertären Milieus gegenüber der Linkspartei. Alex Demirović hat nun im Blog des Prager Frühlings die andere Seite der Medaille beleuchtet: die fehlende Staatskritik innerhalb der Linkspartei – vor allem im Rahmen ihrer Programmdebatte.

»Obwohl der Einschätzung des Staates durchaus eine wichtige Rolle zukäme, bleibt er im Programmentwurf eine Blindstelle. Das birgt zwei Gefahren für die Linke: die der Überschätzung, da der Staat überschätzt wird hinsichtlich dessen, was mit ihm erreichbar ist; die der Unterschätzung hinsichtlich seiner Gefährlichkeit.«

Wundern kann dieser Mangel nicht. Diesen wieder und wieder zu betonen, ist sicherlich richtig, sollte aber nicht davon abhalten, eine grundsätzliche Kritik von Partei und Parlament zu formulieren. Viel erwarten kann man von Linkspartei und der Programmdiskussion allerdings nicht. Schließlich würde die von Demirović eingeforderte Staatskritik nicht weniger bedeuten, als die Infragestellung der eigenen parteipolitischen Geschäftgrundlage.

Neue Texte und neue Blogs zur Krise

Ich krieg die Krise ... und das nicht erst seit gestern. Foto: CC-Lizenz, Maly Krtek

Auf die Sonderseite des ak kann ich nicht oft genug hinweisen. Hier sind alle Artikel der letzten Jahre zur Krise versammelt. Seit 2007! Inzwischen sind auch die Artikel aus ak 551 online. Neben einem Interview, das ich mit Michael Heinrich geführt habe auch eines mit Stephan Lessenich zum Sparpaket der Bundesregierung. Da in ak 551 der Schwerpunkt mal wieder die Krise war, finden sich dort drei weitere Artikel: Zum einen vergleicht Joachim Becker die Situation von Argentinien im Jahre 2001 mit dem gegenwärtigen Griechenland. Birgit Sauer geht der selten gestellen Frage nach der Geschlechterdimension der Krise nach. Ein Bericht vom Wettrennen der der Sparschweine in Europa rundent den Schwerpunkt ab.

Neben neuen Texten sind inzwischen auch neue blogs zum Thema Krise im Netz aufgetaucht. Das Blog krisenzeiten widmet sich den Protesten anlässlich der globalen Wirtschaftskrise. Ein ähnliches Projekt gibt es auch von attac. Hier bloggen gleich mehrere AutorInnen zu Krise, Sparorgien und Protest. Vor allem das letztere Projekt ist zu begrüßen. So wie sich im Widerstand gegen die anstehenden Angriffe auf unsere Lebensbedingungen möglichst viele emanzipatorischen Kräfte zusammenschließen sollten, so ist es richtig, Gegenwissen im Netz möglichst zu bündeln, Bezüge herzustellen und an einem Strang zu ziehen.

Beiträge zur Geschichte einer pluralen Linken

Im Rahmen der Reihe Papers der Rosa-Luxemburg-Stiftung ist nun der zweite Teil der »Beiträge zur Geschichte einer pluralen Linken« erschienen. Wendepunkt ist 1968. Der erste Teil verhandelt die Theorien und Bewegungen vor, der zweite Teil nach 1968. Die zusammen ca. 140 Seiten stellen eine gute und erste Orientierung in die Geschichte der Linken dar. Die beiden Papers stehen als pdf zum download bereit.

Verfassungsschutzbericht 2010: Zur ›freien‹ Deutungshoheit der Verfassungsschutzämter

Gestern wurde der neue Verfassungsschutzbericht vorgestellt. Die Zeitungen haben heute alles schön frühstückstauglich aufbereitet. Während selbst die Süddeutsche Zeitung am Sinn einer Überwachung der Linkspartei mehr als Zweifel anmeldet, hat Innenminster Thomas de Maizière in Richtung DIE LINKE gleich eine kleine Bitte: »Ich wünsche mir, dass das Grundsatzprogramm so ausfällt, dass es danach keinen Anlass mehr zur Beobachtung gibt.« Der formulierte Wunsch des CDU-Ministers unterstreicht ein weiteres Mal, wie mit derartigen Berichten Politik gemacht wird. Das zeigt auch Ron Steinke in seinem Beitrag Wer wird Verfassungsfeind? Zur ›freien‹ Deutungshoheit der Verfassungsschutzämter in Bürgerrechte & Polizei/CILIP 93 (2/2009). Eine nützliche Begleitlektüre für derartige Berichte.

Die Talkshow als Moment von Antiaufklärung

In der heutigen jungen welt ist heute ein Gespräch mit Friedrich Küppersbusch zum Thema Talkshow und der Ankündigung, dass Günther Gauck Jauch die ehemalige Tagesthemen-Moderatorin Anne Will von ihrem Stammplatz nach dem sonntäglich Tatort verdrängt. Küppersbusch hält zudem eine allgemeine Entwicklung für den Polit-Talk fest:

»Journalisten befleißigen sich, die parteipolitische Agenda im Sesselkreis für die Zuschauer herunterzubrechen, und die geladenen Politiker tanzen dann vor – leider nur interessiert das die Zuschauer kaum. Journalismus hat klammheimlich einen Perspektivwechsel vollzogen: Nicht mehr ›fragen, was die Leute interessiert‹, sondern ›übersetzen, was die Politik verkaufen will‹.«

Statler & Waldorf von der Muppet Show schießen auch mal scharf - nicht wie andere Talkshowmöbel. Foto: CC-Lizenz, cszar

Während sich der deutsche Biedermann über den Zwischenruf im Parlament empört, findet der Großteil gesellschaftlich relevanter Debatte in einem Format statt, dass sich nicht gerade durch Tiefgang auszeichnet: der Talkshow. Über diese sehr beliebten, ständig um die beste Sendezeit kämpfenden Laberminuten werden die zentralen gesellschaftlichen Konflikte vermittelt und ausgetragen.

In der kritischen Medienwissenschaft ist das schon länger Thema. Über die Bedeutung des Sendeformats Talk-Show als Medium der politischen Auseinandersetzung habe ich mit dem Kölner Medienwissenschaftler Dietrich Leder gesprochen. Das zweiseitige Interview ist in der ak-Ausgabe 551 zu finden. Zwei Seiten die sich lohnen und durch die ak-Sommerpause helfen.

Linkspartei: Kontrolle von Telefon-Überwachung muss dringend verbessert werden

Auf das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zur 7jährigen illegalen Überwachung mehrerer Linker hat bisher nur die Linkspartei reagiert. Die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke in ihrer Presseerklärung:

»Der Skandal hat zwei Seiten: Auf der einen Seite stehen Verfassungsschutz und Generalbundesanwaltschaft, die eine Hexenjagd auf politische Gegner unternehmen. Auf der anderen Seite stehen Ermittlungsrichter, die zu einer substantiierten Prüfung von Überwachungsmaßnahmen offenkundig nicht in der Lage sind.

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Vor Veränderung kommt Verstehen. Die Commons liefern nur ein schräges Bild vom Kapitalismus

Bereits für Marx stellte die Zerstörung der Commons eine zentrale Voraussetzung kapitalistischer Produktion dar. Sind die Bedingungen des Kapitals jedoch einmal durchgesetzt, reproduzieren sie sich in anderen Formen und vor allem diese müssen kritisiert werden. Die Anwendung des Commons-Begriffs für den modernen Kapitalismus ist deshalb nur bedingt angemessen. Zudem fehlt meist eine ordentliche Prise Staatskritik. Continue reading “Vor Veränderung kommt Verstehen. Die Commons liefern nur ein schräges Bild vom Kapitalismus”

Come on! Commons als neue Stars am linken Diskurshimmel und konkrete Utopie?

Der kommende BUKO hat u.a. commons als Thema. Der aktuelle ak hat das Thema bereits aufgegriffen.  Marx schrieb, dass die Einhegung der Gemeingüter (Commons) »die Arbeiter als bloßes Arbeitsvermögen gesetzt« hatte. Von da an zogen sie die »Vagabundage, Bettelei etc. of course der Lohnarbeit vor und mussten erst gewaltsam an diese gewöhnt werden«. Dieser Prozess wiederhole sich »bei Einführung der großen Industrie, der mit Maschinen betriebenen Fabriken«. Die Zerstörung der sogenannten Gemeingüter, war und ist bis heute Voraussetzung für die Durchkapitalisierung der Gesellschaft. Für viele Linke stellen Commons deshalb auch eine antikapitalistische Strategie dar. Im ak-Schwerpunkt zeigt Stefan Meretz, was Commons überhaupt sind; Benni Bärmann und ich diskutieren, ob sie einen Ausweg aus der Knechtung ermöglichen. Eine antikoloniale (Walter Mignolo) und queer-feministische (Cornelia Möser) Perspektive darf hierbei nicht fehlen. Meretz’ Artikel findet sich in einer geringfügig anderen Form bei Keimform, die Diskussion zwischen mir und Benni Bärmann ist online und hat bereits zu weiteren Diskussionen geführt (keimform, commonsblog). Die Tage werde ich hoffentlich auf die Reaktionen eingehen können.

Die wollen nur spielen. Zur Aktualität von Partei- und Parlamentarismuskritik

Ende Januar 2010 gründete sich das Institut Solidarische Moderne (ISM), das für viele eine Provokation darstellt. Für rechts stellt die Initiative die Vorbereitung eines rot-rot-grünen Regierungsprojekts dar. Für links die Wiederbelebung der illusionären Möglichkeit linker Parteipolitik. Aber der Fokus auf Parteien ist Teilen des ISM selbst nicht geheuer: “Der Linken, wenn sie an die Regierung kam, und das nicht nur in Deutschland, ist es nur selten gelungen, wirklich emanzipatorische Politik zu machen”, so Sven Giegold in der jungle world (25.2.10). Allerdings kommt er nicht auf die Idee, dass dies an der Parteiform und der Funktionsweise des Parlaments selbst liegen könnte.

Immer schön aufmerksam bleiben!

Historisch hat “Partei” nicht den eingeschränkten Sinn einer auf Wahlen und das Parlament ausgerichteten Organisation. Im 1848 von Karl Marx geschriebenen “Manifest der Kommunistischen Partei” heißt es, die Kommunisten seien “keine besondere Partei gegenüber den andern Arbeiterparteien”. Die Partei vertrete das “Interesse der Gesamtbewegung”. Partei war ein Synonym für politische Organisierung überhaupt.

Der Parlamentarismus bildete sich erst mit der Entstehung des bürgerlichen Staates und der Auflösung personeller Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse heraus. Dieser Prozess verlief parallel zur Entstehung bürgerlicher Öffentlichkeit. Nicht mehr der liebe Gott war nun verantwortlich für die Einrichtung der Gesellschaft, sondern die Bürger selbst – oder wer als Bürger galt: Männer und die Besitzenden. So wurde die Öffentlichkeit nicht nur zum zentralen Kampffeld darüber, über welche Bereiche des menschlichen Lebens politisch und gemeinschaftlich abgestimmt werden sollte, sondern auch wer seine Stimme vollwertig einbringen durfte. Continue reading “Die wollen nur spielen. Zur Aktualität von Partei- und Parlamentarismuskritik”

Anmaßung ist nicht immer schlecht

Für den aktuellen ak habe ich mit Thomas Seibert über das Institut Solidarische Moderne (ISM) gesprochen.

»Gesellschaftlich relevante Debatten haben immer schon auch in kleinen Kreisen angefangen. Entschieden werden sie stets anderswo, manchmal eben auf der Straße. Auf letzteres hoffe ich, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Gelingt das Institut, wird es mittendrin seinen Platz finden – was definitiv nicht heißt: in einer Position der Mitte.«

Das komplette Interview mit Bewegungstheoretiker Seibert, Aktivist bei der Interventionistischen Linken und einer der Sprecher des Instituts Solidarische Moderne findet sich hier.

DER BLUTIGE ERNST: KRISE UND POLITIK | Diskussionsveranstaltung zum neuen Prokla-Heft

Ist die aktuelle Krise wirklich schon “Schnee von gestern”? Hat der Staat seine Mission als “Retter in der Not” erfüllt? Werden die Strukturprobleme der Weltwirtschaft in Zukunft noch zunehmen? Drei PROKLA-AutorInnen diskutieren aus verschiedenen Perspektiven über Politik und Ökonomie in der aktuellen Krise.

Stefan Schmalz (Autor PROKLA, Universität Kassel)
Ingo Stützle (Autor PROKLA, Redakteur der Zeitschrift ak – analyse & kritik)
Christina Kaindl (Autorin PROKLA, Redakteurin der Zeitschrift Luxemburg)
Moderation: Dorothea Schmidt (Redakteurin PROKLA)

Es kommentiert:
Katja Kipping (MdB und Vizevorsitzende der Partei Die LINKE)

ORT UND ZEIT:

9. FEBRUAR, 18.30 UHR
Humboldt-Universität zu Berlin
Institut für Sozialwissenschaften
EG, Raum 002/003
Universitätsstraße 3b

Zu weit auseinander

In der Wochenzeitung Freitag wird seit einiger Zeit über ein ›Projekt‹ namens »linke Mitte« diskutiert. Ich habe mich in die Debatte eingemischt und dazu ein paar grundlegende Fragen aufgeworfen: »Wer nicht über die begrenzenden Logiken von Partei, Parlament und Staat reden will, sollte von einem linken Reformprojekt besser schweigen.«

Weiter beim Freitag.

ak-Autor in Kopenhagen festgenommen

Jetzt sind sie verrückt geworden! Schon seit Tagen nimmt die dänische Polizei alles fest, was ihr in die Finger kommt. Nun hat es auch ak-Autor Tadzio Müller erwischt. Tadzio Müller ist Sprecher des für morgen geplanten Marschs zum Tagungsort des Klimagipfels. Das Vorhaben der im Climate Justice Action Netzwerk organisierten Gruppen und Personen besteht darin, das Gipfel-Gelände in einem Akt des zivilen Ungehorsams zu besetzen und dort einen Tag lang eine Gegenversammlung der Klimabewegung abzuhalten. Tadzio Müller war festgenommen worden, nachdem er auf einer Veranstaltung zur Teilnahme an der Massenaktion aufgerufen hatte. Nach der vorbeugenden Festnahme von 1.000 DemonstrantInnen bei der Großdemonstration am Samstag und von 200 weiteren DemonstrantInnen am Sonntag zeigt diese Aktion, wie panisch und kopflos die dänische Polizei mittlerweile agiert. Offenbar soll jeglicher Protest in der Nähe des Tagungsgeländes unterbunden werden. Wir fordern die sofortige Freilassung aller bei den Protesten Festgenommenen und können uns ansonsten nur Naomi Klein anschließen, die sagte: „Die Polizei glaubt offenbar, den Protest dadurch stoppen zu können, dass sie einige der Köpfe dahinter verhaftet. Aber wir werden morgen trotzdem zu Tausenden auf der Straße sein!“

ak-Redaktion

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Die Grenze des erträglichen taz-Kommentars

Christian Jakob spricht in seinem heutigen taz-Kommentar zu den Protesten in Kopenhagen von einem »fatalen Zirkelschluss« der Dynamik von Polizei und ProtestiererInnen und suggeriert, dass es politisch vernünftig wäre, sich nicht zu radikalisieren. Ganz so als liege es in der Macht der DemonstrantInnen und Klimaaktivis…tInnen, die Repressionsschraube zurückzudrehen oder das Eskalationsniveau effektiv zu beeinflussen. An Jakobs Kommentar sind zwei Punkte mehr als ärgerlich. Zum einen ist spätestens nach den Vorfällen im Vorfeld von Heiligendamm klar, dass sowohl Falsch- und Fehlermeldungen, als auch eine gezielte Panikmache systematisch dazu genutzt werden, dass die Polizeikräfte möglichst viele Kompetenzen zugesprochen und Grundrechte abgebaut werden – zumindest temporär. Oft herrscht bei derartigen Veranstaltung etwas, was man einen temporärer Ausnahmezustand nennen könnte. Wer erinnert sich schon daran, dass die Durchsuchungswelle und 129a-Verfahren gegen die linken G8-GegnerInnen als illegal erklärt wurden?! Das in einem taz-Kommentar nicht zu benennen ist fahrlässig und und zeigt, wie selbst die taz teil dieser Strategie ist. Aber ein weiterer Punkt ist fast noch ärgerlicher. Jakob schreibt: »Trotzdem ist es falsch, von Unverhältnismäßigkeit zu sprechen. Denn die Zahl der Festnahmen ist keine Reaktion auf tatsächlich verübte Gewalttaten, sondern auf den vorherrschenden Diskurs über öffentliche Sicherheit. Es ging darum, das im Vorfeld immer wieder beschworene Szenario von Straßenschlachten, angezettelt von Krawalltouristen, Wirklichkeit werden zu lassen. Gemessen an diesem Ziel, war das Eingreifen der Polizei verhältnismäßig.« Wie kann man so etwas schreiben? Selbst das Ziel ist jenseits liberaler Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit. Was sind das für Verhältnisse, in denen bevor irgendjemand irgendetwas macht festgesetzt werden kann? Dass da ein taz-Kommentar nichts auszusetzen hat, sondern die Strategien des “präventiven Sicherheitsstaats” auch noch verteidigt, ist wirklich erbärmlich.

Nachtrag: Die bearbeitende taz-Redakteurin versicherte mir, dass der Kommentar ironisch gemeint sei. Was mich in eine tiefe Krise stürzt: Habe ich womöglich keinen Humor?