Schuldenschnitt für Athen

Bild: CC-Lizenz, thewalkingirony
Bild: CC-Lizenz, thewalkingirony

Griechenland wurde ein weiteres Mal gerettet – hieß es offiziell am 27. November 2012. Nachdem alle bisher von der Troika (EZB, EU und IWF) verordneten Maßnahmen nur dazu geführt haben, dass Griechenlands Wirtschaftsleistung gesunken ist, soll erneut versucht werden, die »Tragfähigkeit« des Landes zu erreichen. Allein letztes Jahr ging das Bruttoinlandprodukt (BIP) Griechenlands um über sieben Prozent zurück. Damit sanken auch die staatlichen Einnahmen – die Verschuldung stieg.

Mit der neuen Vereinbarung soll nun die Schuldenquote – also das Verhältnis der Gesamtverschuldung zur Wirtschaftsleistung – von heute etwa 190 Prozent auf 124 Prozent des BIP bis 2020 gedrückt werden. Realistisch ist das nicht. Selbst vor dem Hintergrund der optimistischen Konjunkturprognosen der Troika müsste Griechenlands Wirtschaft ab 2015 jährliche um fast fünf Prozent wachsen, um das Ziel bis 2020 erreichen zu können. Wobei dieses Szenario unterstellt, dass die Staatsverschuldung nicht noch weiter wächst.

Welche zwei Maßnahmen sollen nun die Verschuldung für Griechenland »tragfähig« machen? Zum einen der Rückkauf von Staatsschuldpapieren und zum anderen eine Verringerung der Zinslast sowie die Streckung der Tilgung. Die Kreditlaufzeit verlängert man, indem die Kredite aus dem europäischen Rettungsfonds EFSF erst nach 30 Jahren und nicht – wie bisher vereinbart – schon in 15 Jahren getilgt werden sollen. Gleichzeitig werden ein weiteres Mal die Zinsen gesenkt – von bislang 3,5 auf 2,5 Prozent. An den Finanzmärkten müsste Griechenland, das de facto vom Kapitalmarkt abgeschnitten ist, derzeit bis zum Zehnfachen bieten. Allerdings ist die Zinssenkung nach Finanzstärke der EU-Gläubigerländer gestaffelt. Deutschland wird Athen Zinsen erlassen, Irland und Portugal hingegen nicht, weil sie selbst EFSF-Kredite bekommen haben. Continue reading “Schuldenschnitt für Athen”

FAQ. Noch Fragen? Target2: Euro ist nicht gleich Euro

Die Angst vor Inflation ist offensichtlich nicht so tief im kollektiven Gedächtnis der Deutschen verankert, wie gern behauptet wird. Vielmehr muss sie ständig wach gehalten werden. Einer, der das besonders gut kann, ist der bekennende Klabauterbartträger Hans-Werner Sinn, Chefökonom des IFO-Instituts. Er behauptet seit Monaten recht medienwirksam, dass in den südlichen Euroländern permanent Euros gedruckt würden. »Weil die Druckerpressen in der Peripherie noch immer auf Hochtouren laufen, musste die Bundesbank ihre eigene Presse in eine Schreddermaschine verwandeln, um das viele Geld, das aus dem Süden zuströmte, wieder zu vernichten« – so Sinn in der Wirtschaftswoche vor einem Jahr. Continue reading “FAQ. Noch Fragen? Target2: Euro ist nicht gleich Euro”

Ist die ganze Welt bald pleite?

Viele fragen sich noch immer: Ist die ganze Welt bald pleite? Die gleichnamige Bildungsbroschüre zu Staatsverschuldung, die ich zusammen mit Stephan Kaufmann verfasst habe, liegt endlich in in der vierten und überarbeiteten Auflage vor und ist über die Rosa-Luxemburg-Stiftung zu beziehen.

Aus der Einleitung:

In den 1990er Jahren war es die «Globalisierung», heute gilt die «Staatsverschuldung» als das zentrale Problem der Weltwirtschaft. Der Grund: Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg sind es nicht die sogenannten Entwicklungsländer, die eine Schuldenkrise erleben, sondern die etablierten Industriestaaten. In Europa sind einige Regierungen zahlungsunfähig geworden und müssen von anderen Staaten finanziert werden. In den USA wachsen die Staatsschulden in Höhen, die sonst nur nach Kriegen erreicht werden. «Geht bald die ganze Welt pleite?», fragt die Bild-Zeitung (13.7.2011), und der Spiegel (32/2011) titelt «Geht die Welt bankrott?».

In der öffentlichen Diskussion scheinen zwei Dinge klar: Staatsschulden sind schlecht. Und sie sind zu viel. «Sparen» ist daher das Gebot der Stunde. Die Staaten wollen «schlanker» werden, öffentliches Eigentum wird privatisiert, das nationale Lohnniveau soll sinken, um die «Wettbewerbsfähigkeit» des Standortes zu erhöhen. Die Staatsverschuldung zeitigt damit die gleichen politischen Maßnahmen wie das Schreckensgespenst «Globalisierung» im Jahrzehnt zuvor.

Nun haben sich alle Regierungen der Industrieländer vorgenommen, härter zu sparen. Dies trifft vor allem die Armen in Form von Sozialkürzungen – in allen Ländern. Warum ist das eigentlich so? Wo kommen überhaupt die ganzen Schulden her? Warum machen alle Staaten Schulden – obwohl sie allgemein als Übel gelten? Und warum streicht man die Schulden nicht, wenn schon die ganze Welt unter ihnen leidet? Dies sind einige Fragen, die diese Broschüre beantworten will. Sie will nicht behaupten, Staatsschulden seien eigentlich kein Problem. Sondern sie will zeigen, welchem Zweck Staatsschulden dienen, wann sie zu einem Problem werden – und für wen. Denn am Ende sind Schuldenfragen immer Verteilungsfragen: Einige müssen zahlen, andere dürfen verdienen.

Addendum on Graeber’s Debt

»It is probable that the majority of the difficulties of contemporary ethnology and anthropology arise from their approaching the ›facts‹, the ›givens‹ of (descriptive) ethnography, without taking the theoretical precaution of constructing the concept of their object: this omission commits them to projecting on to reality the categories which define the economic for them in practice, i.e., the categories of the economics of contemporary society, which to make matters worse, are often themselves empiricist. This is enough to multiply aporia.« (Althusser/Balibar, Reading Capital)

»The habit of always saying ›please‹ and ›thank you‹ first began to take hold during the commercial revolution of the sixteenth and seventeenth centuriesamong those very middle classes who were largely responsible for it. It is the language of bureaus, shops, and offices, and over the course of the last five hundred years it has spread across the world along with them. It is also merely one token of a much larger philosophy, a set of assumptions of what humans are and what they owe one another, that have by now become so deeply ingrained that we cannot see them .« (Graeber 2011, 124)

David Graeber presents his book »Inside Occupy« / CC-Lizenz/Tine Nowak

I had already written an addendum for the German version of the review I wrote of David Graeber’s Debt for the newspaper ak – analyse und kritik. Some points had only been touched upon; in the case of others, my intent was known only to those familiar with certain debates (alluded to between the lines). For that reason, I wrote a short, summary addendum.[1. Whoever has not read my ak review should read it first. I do not explicitly deal here with some points that are already addressed there.] For this translation, I have revised the addendum, in order to more precisely address some points after David Graeber heavily criticized me for my review. The heated reaction, also from and toward other individuals, was and is disturbing for me and can hardly be attributed to differences concerning matters of substance. It’s also probably not a mere coincidence that only men had their say. Also, a staccato in 140-character tweets and commentary at various places on the Internet (instead of where the text originally appeared) were not very encouraging for a meaningful debate based upon mutual understanding. In the meantime, the debate on Graeber’s debt has advanced. A very intensive discussion is still going on, for example with regard to Mike Beggs’ review in Jacobin magazine and on the blog Crooked Timber. Unfortunately, I was not able to take any new aspects or arguments arising from this discussion into consideration.

Just one more preliminary note, since the battle lines of »Marxist« vs. »Anarchist« were all too quickly drawn. Many points of my critique of the conceptual and theoretical approach of Debt also apply to the historical work of Marxists. In their case, the forces of production or class struggle are the trans-historical constants. For that reason, they are also »ahistorical«, despite their historical self-conception. More on that shortly.

For these reasons, and in the hope for better understanding, I have requested that the addendum also be translated. So I’d like to here say »many thanks«. Continue reading “Addendum on Graeber’s Debt”

Griechenland: Euro-Austritt oder nicht – ist das die Frage?

Am 17. Juni wird in Griechenland gewählt. Was bis vor ein paar Monaten noch fast undenkbar war, wird derzeit offen diskutiert: der Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Auch wenn aus Brüssel derzeit Verhandlungsbereitschaft gezeigt wird.

In der Frage, ob Griechenland den Euro aufgeben soll oder nicht, ist selbst die griechische Linke gespalten. Einen erhellenden Beitrag zu dieser Frage war in den letzten beiden Ausgabe des express zu finden. Inzwischen sind beide Teile online:

Christos Laskos, John Milios und Euclid Tsakalotos über kommunistische Dilemmata in der Euro-Krise: Austreten oder nicht? (Teil I, Teil II)

Geld hat Athen wohl noch bis zum 20. Juli, so das Handelsblatt. Über den Sommer kommt es damit nicht.

Quengelware Graeber

Inzwischen hat David Graebers Schulden-Buch Stéphane Hessels »Empört euch!« an den Kassen der Buchläden verdrängt. In den Zeitungsredaktionen wurde es inzwischen meist nicht nur ein Mal besprochen. Im Cicero ist ebenso eine Rezension zu finden wie in Die Welt und dem Handelsblatt. Gleich mehrfach widmete sich der öffentliche Rundfunk seinem Buch  (Deutschlandradio Kultur, Deutschlandfunk).

Eine kluge Besprechung von Tania Martini findet sich in der taz.

David Graeber hat auf seiner Europareise auch viele Interviews gegeben. Nicht nur ntv und Deutschlandradio Kultur, sondern auch scharf links dokumentiert ein Gespräch. Interessant ist eine Diskussion mit Harvey über Occupy von April. Weniger spannend hingegen verlief das Treffen bei OpenOccupy in Berlin, wo er auch zu Occupy und Repression  interviewt wurde.

Graebers Buch ist wie eine Bombe eingeschlagen – vor allem in Deutschland. Laut Graeber ist das Original seit Juli 2011 60.000 Mal verkauft worden. Von der deutschen Übersetzung gingen in der ersten Woche bereits 30.000 Exemplare über den Ladentisch.

In Marburg hat sich ein Lesekreis gegründet, der Graebers Buch diskutieren will. Worüber sich andere natürlich empören müssen, was zu einer Retourkutsche herausfordert.

Meine ak-Besprechung und der Nachtrag, sozusagen der Fußnotenapparat, laden nach wie vor zur Debatte ein.

Nachtrag zur Graeber-Besprechung

»Die Gewohnheit, immer ›bitte‹ und ›danke‹ zu sagen, setzte sich während der kommerziellen Revolution des 16. und 17. Jahrhunderts durch – bei eben jenen Mittelschichten, die hauptsächlich für diese Revolution verantwortlich waren. Es ist die Sprache der Ämter, der Läden und Kanzleien, und im Lauf der letzten 500 Jahre hat sie sich mit diesen Einrichtungen ausgebreitet. Dies Sprache ist nur ein Zeichen einer umfassenden Denkweise, einer Reihe von Annahmen, was Menschen sind und was sie sich einander schulden. Heute sind diese Annahmen so tief verwurzelt, dass wir sie gar nicht mehr wahrnehmen.« (Graeber 2011: 131)

Meine Besprechung zu Graebers Schulden-Buch musste knapp ausfallen. Ein paar Punkte sind nur angerissen. Bei anderen wissen nur diejenigen, die bestimmte (zwischen den Zeilen zu findende) Debatten kennen, worauf ich hinaus will. Deshalb ein kurzer, summarischer Nachtrag. Wer meine ak-Besprechung nicht kennt, sollte sie vorher lesen. Auf viele Punkte, die ich dort ausführe, gehe ich hier wiederum nicht ein.

Buchpräsentation zu »Inside Occupy« mit David Graeber. Foto : CC-Lizenz/Tine Nowak

Graeber orientiert sich an einer klassischen Frage der politischen Ökonomie – was ist Geld? Er kritisiert den Mainstream scharf und klopft im ersten Teil seines Buches die Wirtschaftstheorie kritisch ab – zu Recht. Diese geht meist von unhistorischen und fiktionalen Gesellschaften aus, in denen Menschen ihren natürlichen Neigungen nachgehen, unter anderem ihrem Hang zu Tausch und Handel. Graeber kritisiert richtigerweise, dass ökonomische Lehrbücher immer mit dem Barter, einem einfachen Produktentausch ohne Geld beginnen.[1] In seiner Auseinandersetzung streift Graeber u.a. Smith, Menger, Jevons, Keynes, Knapp, Samuleson und Aristoteles und Aglietta.

Wen Graeber zu Beginn seines Buchs nicht kritisiert bzw. diskutiert ist Marx, obwohl dieser auch mit dem Warentausch beginnt – könnte man zumindest meinen. Und genau hier zeigt sich Graebers grundlegendes Problem, der zwar viel historisch-anthropologisches Material zusammenträgt, es aber nicht theoretisch-begrifflich durchdringt. Hierfür bedürfte es nämlich einer Theorie des Kapitalismus, Kriterien, was den Kapitalismus auszeichnet – eine Formanalyse und Kritik.
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Schuld und Sühne. In David Graebers Buch »Schulden – Die ersten 5.000 Jahre« fehlt die Kapitalismusanalyse

Die letzten Jahre Krisenpolitik waren ein Paradebeispiel dafür, wie Gewinne privatisiert, Verluste hingegen vergesellschaftet werden. Die tiefe Krise des Kapitalismus hinterlässt eine Staatsschuldenkrise. Die Antwort der politischen Klasse ist Haushaltskonsolidierung. Die Renditeansprüche des Finanzkapitals werden staatlich garantiert und eingetrieben. Der unsichtbaren Hand des Marktes wird die sichtbare Faust des Staates zur Seite gestellt. Damit werden die Kämpfe über die Staatsfinanzen in den kommenden Jahren zum zentralen Konfliktfeld.

Wohl auch deshalb wurde die Veröffentlichung von David Graebers Buch »Debt – The First 5.000 Years« so euphorisch begrüßt – auch von der bürgerlichen Presse. Frank Schirrmacher schrieb in der FAS (13.11.2011), dass Graeber »dem Leser die Augen für das (öffnet), was gerade vor sich geht«. Und weiter: »Graebers Text ist eine Offenbarung, weil er es schafft, dass man endlich nicht mehr gezwungen ist, im System der scheinbar ökonomischen Rationalität auf das System selber zu reagieren.« Der Spiegel meint: »Sein Buch über das Wesen von Schulden und deren wirtschaftliches und moralisches Fundament gilt schon jetzt als antikapitalistisches Standardwerk der neuen sozialen Bewegungen, die während der Weltwirtschaftskrise entstanden sind.« Gemeint sind damit die Occupyproteste. Sogar der Chefsvolkswirt der Deutschen-Bank-Gruppe rezipiert Graeber positiv in der wirtschaftspolitischen Monatszeitschrift Wirtschaftsdienst (4/2012) bei der Frage nach der Zukunft der Zentralbankwirtschaft. Das Buch liegt seit Mai 2012 nun auch in deutscher Übersetzung vor.  Continue reading “Schuld und Sühne. In David Graebers Buch »Schulden – Die ersten 5.000 Jahre« fehlt die Kapitalismusanalyse”