Kein Euro ist auch keine Lösung. Viele Linke erhoffen sich zu unrecht mit einer Renationalisierung mehr wirtschaftspolitischen Spielraum

Vor etwa einem Jahr war Guido Westerwelle zu Besuch beim Weltwirtschaftsforum in Davos. „I hate the word austerity“ gab Westerwelle zu Protokoll und brachte dann genau das zum Ausdruck, was die deutsche Politik ausmacht. Es klinge viel eleganter, wenn man das Wort auf Deutsch ausspreche: Austerität. Das klinge nach Disziplin und deshalb nutze er statt „austerity“ lieber die Formulierung „fiscal discipline“ – und die Deutschen liebten Disziplin. (Mitschnitt hier.) Wie Recht er doch leider hat.

pfmDas dem so ist, stellt die Partei DIE LINKE und auch die gesellschaftliche Linke vor viele Herausforderungen. Wenn sich auf der Straße, den Betrieben, den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen und Universitäten, den Kitas und auf dem Jobcenter kaum Protest regt, verspricht eine mögliche Regierungsmacht der LINKEN Gestaltungsfähigkeit. Kein Wunder also, dass trotz einer Großen Koalition sowohl Kräfte in der Partei DIE LINKE, als auch in der SPD signalisieren, dass nach der nächsten Bundestagswahl Rot-Rot-Grün möglich sein soll. Der politische Willen ist also da, die gesellschaftlichen Mehrheiten noch lange nicht.

Neben den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen gibt es jedoch weitere Faktoren, die über Wohl und Wehe von linker Regierungspolitik entscheiden. Neben den institutionellen-bürokratischen Staatsapparaten, die wie ein politischer Filter wirken und räumlich fragmentiert zwischen Stadt/Kommune und der Europäischen Union angesiedelt sind, können auch ökonomische Zwänge disziplinierend auf Regierungspolitik einwirken. Die einen sprechen von „der“ Globalisierung, die anderen von den Finanzmärkten, dem stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse.

Weiterlesen in der aktuellen Ausgabe des Prager Frühlung

»Das System ist wie die Kirche«. Die US-Zentralbank Fed ist aus der Krise geboren und bis heute ein Symbol des US-Pragmatismus

Von Ingo Stützle

Wie aus heiterem Himmel brach die Krise über die USA herein. Reiche wussten nicht, wohin mit ihrem Geld, was die Spekulation auf den Finanzmärkten beflügelte. Ein System unregulierter Schattenbanken machte den traditionellen Banken Konkurrenz. Kursgewinne bei Wertpapieren zogen eine verstärkte Kreditvergabe nach sich und destabilisierten das Bankensystem. Als beschlossen wurde, ein in Zahlungsschwierigkeiten geratenes Unternehmen fallen zu lassen, um der Gefahr einer Krise zu entgehen, passierte das Gegenteil: Eine Panik brach los. Schon nach kurzer Zeit waren etwa 16.000 Banken pleite.

Foto: CC-Lizenz, ncindc

Nein, wir befinden uns hier nicht in der jüngsten Krise, sondern mitten in der Panik von 1907. Nicht Lehman Brothers, sondern die Knickerbocker Trust Company wurde fallengelassen. Nicht von der US-Notenbank Fed, sondern von der Privatbank JP Morgan. Knickerbocker wurde als nicht systemrelevant eingestuft. Damals entschied keine politische Instanz, sondern ein Kreis um den Privatbankier John Pierpont Morgan darüber, ob taumelnde Unternehmen unter einem Rettungsschirm Zuflucht bekommen sollten. (1) Die USA waren damals die einzige bedeutende Wirtschaftsmacht ohne Zentralbank. Continue reading “»Das System ist wie die Kirche«. Die US-Zentralbank Fed ist aus der Krise geboren und bis heute ein Symbol des US-Pragmatismus”

FAQ. Noch Fragen? Arm, aber des eigenen Glückes Schmied

rolle-machenNoch nie zuvor waren so viele Personen in Deutschland »in Arbeit«. (Siehe ak 589) Die Erwerbstätigkeit hat in Deutschland einen neuen Höchststand erreicht. Diese Entwicklung verdankt sich vor allem dem Anstieg der Selbstständigkeit ohne Beschäftigte, der sogenannten Soloselbstständigkeit. Diese hat seit 1990 um 82 Prozent zugenommen. Selbstständigkeit und Unternehmertum – hört sich gut an, nach viel Freiheit und vor allem viel Geld. Aber: Pustekuchen. Continue reading “FAQ. Noch Fragen? Arm, aber des eigenen Glückes Schmied”

Seminarreihe: Die Krise hat Europa gestärkt

Die Euro-Krise scheint überstanden. Mehr noch: «Die Krise hat Europa gestärkt», so Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) im April 2013. An den Finanzmärkten ist Ruhe eingekehrt. Die Haushaltsdefizite der Staaten sind drastisch gesunken, die Wirtschaft wächst. Alles wieder normal? Nicht ganz. Denn erstens ist die Lage in vielen Staaten noch katastrophal: Arbeitslosigkeit und Schuldenstände liegen rekordhoch. Zweitens hat sich Europa durch die Krise stark verändert. Die EU kontrolliert nun die Staatsverschuldung und die Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten. Daneben existiert ein Sicherheitsnetz für hochverschuldete Staaten in Form des Eurorettungsschirms ESM und den Garantien der Europäischen Zentralbank. Insgesamt lässt sich feststellen: Die Euro-Staaten haben an Souveränität eingebüßt und Machtbefugnisse an die Zentrale in Brüssel abgegeben. Ist dieses Arrangement haltbar? Kann es künftige Krisen verhindern?

FAQ. Noch Fragen? Arm dank Arbeit

siestaZwei Millionen Menschen gehören in Deutschland zu den sogenannten Working Poor. Menschen, die arm sind, obwohl sie arbeiten. Zählt man Angehörige dazu, sind es sogar bis zu fünf Millionen, die trotz arbeitender Familienangehöriger in Armut leben. Das ist das Ergebnis des »Datenreport 2013«, den das Statistische Bundesamt, die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), das Wissenschaftszentrum für Sozialforschung (WZB) und das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) vorgelegt haben. Fast gleichzeitig ist vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung eine ähnliche Analyse zum Thema publiziert worden. Continue reading “FAQ. Noch Fragen? Arm dank Arbeit”

Neue Besprechung von »Austerität als politisches Projekt«

Sebastian Klauke hat in der Politische Vierteljahresschrift (4/2013, 770ff.) eine Besprechung zu »Austerität als politisches Projekt« geschrieben:

»Mit seiner auf eine Dissertation zurückgehenden Veröffentlichung zur Frage, wie es gelingen konnte, die Europäisierung des ›finanzpolitische[n] Grundsatzes ausgeglichener Staatshaushalte als Leitbild‹ (14) durchzusetzen, bewegt sich Ingo Stützle auf einem brandaktuellen Terrain, dessen Geschichte angesichts aktueller Krisenereignisse wohl noch länger nicht beendet sein wird. Er legt eine Art Ruhepunkt in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung vor und bietet einen Überblick, von dem aus man weiter operieren kann. Continue reading “Neue Besprechung von »Austerität als politisches Projekt«”

Mit dem Freihandelsabkommen TTIP will sich Deutschland einen guten Platz unter der Weltmarktsonne sichern.

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Foto: CC-Lizenz, N. Linneberg

Nach der Pleite von Lehman Brothers 2008 war das Geschrei groß. Fast noch lauter war aber die Euphorie darüber, die Krise führe endlich dazu, dass der neoliberalen Marktgläubigkeit abgeschworen werde. Der Staat kehre nun zurück, die ÖkonomInnen hätten ihre Glaubwürdigkeit verloren. Viele Linke freuten sich über das bürgerliche Unbehagen am Kapitalismus im FAZ-Feuilleton. Die Strahlkraft des Neoliberalismus und die Versprechen des Freihandels würden verblassen, glaubten viele. Pustekuchen! Continue reading “Mit dem Freihandelsabkommen TTIP will sich Deutschland einen guten Platz unter der Weltmarktsonne sichern.”

Keynesianism is not Necessarily Leftist

Austerity policies in the EU are often presented as having no alternative.  Many leftists, on the other hand, hope for a better life from Keynesianism.  Jungle World spoke with me about the euro crisis, austerity, and Keynesianism.  My study »Austerity as a Political Project« was published this Summer.

JW: What do you mean by “austerity as a political project”?

IS: The title refers to contemporary developments in the eurozone.  I raised the question as to how the financial policy model of the balanced budget could be europeanized with the creation of the euro.  Ultimately, such policies don’t just fall from the sky, nor can they simply be derived from the dynamic of accumulation.  A political project integrates disparate social and political forces that do not necessarily consciously follow the same goal.  But within a specific historical constellation, their activity converges upon a common result.  That was the case with the euro and the model of the balanced budget.  Since then, Canada also wants to legally codify this principle, and US President Obama, after the budget conflict, called on the Republicans to make common cause with him, despite all their differences, in order to present a balanced budget.

Read further on the northstar.

Translated from the German by Alexander Locascio. Thanks a lot!

Immobilienpreise: Der Sachverständigenrat und der Sound des Sachzwangs

wohnenDer Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung legte letzte Woche sein Jahresgutachten 2013/2014 vor. Es trägt den Titel »Gegen eine rückwärtsgewandte Wirtschaftspolitik«. Was mein rückwärtsgewandt? Etwa beim Problem der explodierenden Mieten?

»Bei allen Eingriffen in den Preismechanismus ist zu bedenken, dass Preise in einer Marktwirtschaft wichtige Signale darstellen. Dies gilt natürlich auch für die vor allem in Großstädten stark anziehenden Immobilienpreise und Mieten. Sie spiegeln in erster Linie die wachsende Attraktivität dieser Regionen wider … Das Marktsignal höherer Preise trägt dazu bei, das durch Zuwanderung gestörte Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage wieder ins Lot zu bringen. Für Investoren wird ein Anreiz geschaffen, verstärkt in einer solchen Region zu investieren. Für Nachfrager wird demgegenüber die Attraktivität des Zuzugs gemindert.« (JG 2013/2014, Ziffer 861)

Klartext? Politische Eingriffe sind rückwärtsgewandt (etwa sozialer Wohnungsbau, Mietdeckelung, Regulierung des Wohnungsmarkts, Mietrecht, Mietspiegel etc.). Es lebe der Marktmechanismus, das Herzstück der neoliberalen Ideologie. Schließlich soll der Geldbeutel darüber entscheidet, wer wo wie wohnen kann und darf. Dem guten Marktgleichgewicht zuliebe, wird Zuzug auch gerne mal umgekehrt (könnte man Vertreibung bezeichnen) – alles schön in neutraler Sprache verpackt, die nur anonyme und effiziente Märkte, Preismechanismen, Anreize sowie Angebit und Nachfrage kennt.

Stephan Kaufmann nannte diesen Jargon einmal in den Blättern den Sound des Sachzwangs.

Keynesianismus ist nicht unbedingt links

AusteritaetAxel Berger hat mich für die aktuelle Ausgabe der Jungle World zu meinem Buch »Austerität als politisches Projekt« interviewt.

Wir sprachen über die Grenzen von Staatsverschuldung, ob Keynesianismus links ist und ob ein Austeritätskurs und ein defizitärer Staatshaushalt ein Widerspruch sind.

Den erwähnten Text von Sabine Nuss zum Gebrauchsanleitungs-Kapitalismus findet ihr in der Zeitschrift LUXEMBURG.

Reaktionen auf und Buchvorstellung von »Austerität als politisches Projekt«

Inzwischen liegen für »Austerität als politisches Projekt« erste Besprechungen vor. Weitere wurden bereits angekündigt. Das freut mich sehr. Das Buch stelle ich im Rahmen von Veranstaltungen auch hier und da vor. Ich habe begonnen, alles hier zu sammeln.

Aufgeblättert: Europas Revolution von oben

Steffen Vogel nimmt Angela Merkels Forderung einer »marktkonformen Demokratie«, die sie 2011 auf einer Pressekonferenz formulierte, als Ausgangspunkt, die letzten Jahre Austeriätpolitik Revue passieren zu lassen. In fünf Kapiteln zeichnet Vogel die Krise nach, die spezifischen Bedingungen in Spanien und Griechenland, wie die Troika in der Eurozone agierte und schließlich Deutschland die EU nach seinem Sparbilde formte: Schuldenbremse für alle. Vogel schließt mit einer solidarischen Referenz auf die Proteste der letzten Jahre: »Die Zukunft Europas wird heute in Sitzungssälen geschrieben. Ab morgen sollte sie auf den Straßen und Plätzen geschrieben werden.« Das Buch ist mit heißer Nadel gestrickt, will es doch am Puls der Zeit linken AktivistInnen und kritischen Köpfen eine Handreichung zur Eurokrise geben. Wer Details und wichtige Weichenstellungen der letzten Jahre Zeitungslektüre vergessen hat, wird für das Buch dankbar sein. Leider fehlt etwas analytischer Tiefgang. Nicht diskutiert wird, was ein Staat und was die EU als politisches Gebilde ist und wie sich Privatinteressen gesellschaftlich verallgemeinern. Für Vogel wird eine falsche Politik verfolgt bzw. eine, die bestimmten Interessen nützt. Wichtig für linke Gegenmacht ist jedoch zu verstehen, wie sich deutsche Interessen und die spezifischen Kapitalfraktionen als Allgemeininteressen europäisch verallgemeinern konnten und welche Rolle europäische Staatlichkeit dabei spielte.

Ingo Stützle

Steffen Vogel: Europas Revolution von oben. Sparpolitik und Demokratieabbau in der Eurokrise. Laika Verlag, Hamburg. 165 Seiten, 19,80 EUR.

Erschienen in: ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 587 vom 15.10.2013

Der süße Klang von Ordnung. 1973 als Jahr des Neoliberalismus

Auf Rainer Hank ist verlass. Wenige Tage vor dem Scheitern der FDP am 22. September machte er sich anlässlich der Verleihung des Karl-Hermann-Flach-Preises in der FAZ Gedanken über die Zukunft des Liberalismus und blickte deshalb zurück ins Jahr 1973 – das Jahr des Putsches in Chile vor 40 Jahren.

Das liest sich dann so:

Was war los in diesem Jahr der Zäsur 1973? Das dominierende Thema des Sommers war die sich zuspitzende Situation in Chile, die schließlich am 11. September 1973 zu jenem gewaltsamen Putsch führte, mit welchem General Augusto Pinochet den 1970 demokratisch an die Macht gekommenen sozialistischen Präsidenten Salvador Allende entmachtete und mit seiner Junta eine Militärdiktatur errichtete, die sich bis 1990 halten konnte. Auf die Menschenrechtsverletzungen, darunter mehrere Tausende Ermordete, mehrere zehntausend Fälle von Folter und gewaltsam „verschwundenen“ Chilenen, reagierte die Welt mit großem Abscheu.

Ja, wirklich. Abscheu? Continue reading “Der süße Klang von Ordnung. 1973 als Jahr des Neoliberalismus”

Die Europapolitik des deutschen Machtblocks und ihre Widersprüche

Ein in der Krise oft zu hörender Satz ist:

»Die Politik macht doch eh nur das, was die Wirtschaft will.«

Und mit etwas staunendem Unverständnis wird gerne ein weiterer Satz formuliert:

»Die deutsche Politik, die auf Austeritätspolitik im EU-Ausland drängt, schadet doch der deutschen Exportwirtschaft.«

Während die erste Feststellung eine einheitliche Entität (»die Wirtschaft«) unterstellt, die dieses oder jenes meinen oder wollen könnte, geht der zweite Satz davon aus, dass sich das Interesse des exportorientierten Kapitals unmittelbar in die Politik der deutschen Bundesregierung umsetzt oder bei der politischen Elite die Lehrbuchvernunft eines keynesianistisch, makroökonomischen Lehrbuchs gefunden werden könnte.

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Sound Money: Was die monetaristische Ideologie der EZB mit Berlusconi zu tun hat

»In einem neuen Buch macht das frühere EZB-Direktoriumsmitglied Lorenzo Bini Smaghi brisante Aussagen darüber, wie nahe Italien unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi vor einem Austritt aus der Währungsunion stand und wie lange Kanzlerin Angela Merkel angeblich einen Ausschluss Griechenlands für möglich hielt.«

Berlusconi
Foto: CC-Lizenz/lorenzopierini

Das ist in der heutigen FAZ zu lesen. Sie bezieht sich auf Smaghis Buch »Morire di austerità. Democrazie europee con le spalle al muro«, das im April auf Italienisch erschien (und seit Juli in einer englischen Version vorliegt). Continue reading “Sound Money: Was die monetaristische Ideologie der EZB mit Berlusconi zu tun hat”