Seminarreihe: Die Krise hat Europa gestärkt

Die Euro-Krise scheint überstanden. Mehr noch: «Die Krise hat Europa gestärkt», so Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) im April 2013. An den Finanzmärkten ist Ruhe eingekehrt. Die Haushaltsdefizite der Staaten sind drastisch gesunken, die Wirtschaft wächst. Alles wieder normal? Nicht ganz. Denn erstens ist die Lage in vielen Staaten noch katastrophal: Arbeitslosigkeit und Schuldenstände liegen rekordhoch. Zweitens hat sich Europa durch die Krise stark verändert. Die EU kontrolliert nun die Staatsverschuldung und die Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten. Daneben existiert ein Sicherheitsnetz für hochverschuldete Staaten in Form des Eurorettungsschirms ESM und den Garantien der Europäischen Zentralbank. Insgesamt lässt sich feststellen: Die Euro-Staaten haben an Souveränität eingebüßt und Machtbefugnisse an die Zentrale in Brüssel abgegeben. Ist dieses Arrangement haltbar? Kann es künftige Krisen verhindern?

Neue Besprechung von »Austerität als politisches Projekt«

Sebastian Klauke hat in der Politische Vierteljahresschrift (4/2013, 770ff.) eine Besprechung zu »Austerität als politisches Projekt« geschrieben:

»Mit seiner auf eine Dissertation zurückgehenden Veröffentlichung zur Frage, wie es gelingen konnte, die Europäisierung des ›finanzpolitische[n] Grundsatzes ausgeglichener Staatshaushalte als Leitbild‹ (14) durchzusetzen, bewegt sich Ingo Stützle auf einem brandaktuellen Terrain, dessen Geschichte angesichts aktueller Krisenereignisse wohl noch länger nicht beendet sein wird. Er legt eine Art Ruhepunkt in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung vor und bietet einen Überblick, von dem aus man weiter operieren kann. Continue reading “Neue Besprechung von »Austerität als politisches Projekt«”

Staatsbankrott – Nachtrag zur Buchvorstellung

Geld unter die Bank kehrenGestern kam bei der Buchvorstellung von Austerität als politisches Projekt die Frage auf, ob Staaten Pleite gehen können und welche größeren Länder in den letzten Jahren zahlungsunfähig waren. Neben einer Wikipedia-Liste finden sich gleich mehrere Aufzählungen in der umstrittenen Studie von Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff.

Auch in der Broschüre Ist die ganze Welt bald pleite? sind wir auf die Frage eingegangen, wann Staaten pleite sind – keine einfache Frage:

›Pleite‹ ist ein schwieriger Begriff, wenn man ihn auf Staaten anwendet. Bei einem Unternehmen ist es leicht: Die Firma kann ihre Rechnungen oder Zinsen nicht mehr bezahlen, erhält von Banken keinen Kredit mehr. Es folgt das Insolvenzverfahren. Kommt der Insolvenzverwalter zum Schluss, dass nichts mehr zu retten ist, wird das Unternehmen aufgelöst, was zu verkaufen ist wird verkauft, und die Gläubiger werden aus den Verkaufserlösen so gut es geht bedient. Dann ist die Firma weg. Continue reading “Staatsbankrott – Nachtrag zur Buchvorstellung”

Keynesianism is not Necessarily Leftist

Austerity policies in the EU are often presented as having no alternative.  Many leftists, on the other hand, hope for a better life from Keynesianism.  Jungle World spoke with me about the euro crisis, austerity, and Keynesianism.  My study »Austerity as a Political Project« was published this Summer.

JW: What do you mean by “austerity as a political project”?

IS: The title refers to contemporary developments in the eurozone.  I raised the question as to how the financial policy model of the balanced budget could be europeanized with the creation of the euro.  Ultimately, such policies don’t just fall from the sky, nor can they simply be derived from the dynamic of accumulation.  A political project integrates disparate social and political forces that do not necessarily consciously follow the same goal.  But within a specific historical constellation, their activity converges upon a common result.  That was the case with the euro and the model of the balanced budget.  Since then, Canada also wants to legally codify this principle, and US President Obama, after the budget conflict, called on the Republicans to make common cause with him, despite all their differences, in order to present a balanced budget.

Read further on the northstar.

Translated from the German by Alexander Locascio. Thanks a lot!

Keynesianismus ist nicht unbedingt links

AusteritaetAxel Berger hat mich für die aktuelle Ausgabe der Jungle World zu meinem Buch »Austerität als politisches Projekt« interviewt.

Wir sprachen über die Grenzen von Staatsverschuldung, ob Keynesianismus links ist und ob ein Austeritätskurs und ein defizitärer Staatshaushalt ein Widerspruch sind.

Den erwähnten Text von Sabine Nuss zum Gebrauchsanleitungs-Kapitalismus findet ihr in der Zeitschrift LUXEMBURG.

Die Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft geben eine Zugaben zum Wunschkonzert

PianoIm Februar diesen Jahres veröffentlichten die Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft den Text »Krisenlösung als Wunschkonzert« in der Zeitschrift ak – analyse und kritik in der Hoffnung, eine Debatte über die Wirtschaftskrise anzustoßen und einige Illusionen, wie diese zu lösen wäre, zu kritisieren.

Daraufhin erschienen in ak Antworten von Dario Azzellini, Anna Dohm, Alexander Gallas und Jörg Nowak sowie Ingo Stützle.

Die Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft resümieren nun diese »Zugaben zum Wunschkonzert«.

Reaktionen auf und Buchvorstellung von »Austerität als politisches Projekt«

Inzwischen liegen für »Austerität als politisches Projekt« erste Besprechungen vor. Weitere wurden bereits angekündigt. Das freut mich sehr. Das Buch stelle ich im Rahmen von Veranstaltungen auch hier und da vor. Ich habe begonnen, alles hier zu sammeln.

Das marxsche Kapital: unlesbar für Laien?

»Wer ›Das Kapital‹ lesen will, stößt auf eine Überfülle von Schwierigkeiten. Ja, man darf sagen, für Laien ist es überhaupt unlesbar. Und die meisten Menschen sind doch nun mal Laien.« (Julian Borchardt, 1919)

Letzte Woche referierte Fritz Fiehler im Rahmen der Satellitenseminare der Kapitalkurse über Einführungen ins marxsche Kapital. In der Veranstaltungseinladung hieß es:

Eine Einführung in Marx’ Kritik der politischen Ökonomie ist immer schon eine Interpretation des Originals, eine bestimmte Lesart und eine Verdichtung des politisch-theoretischen Kontexts, in dem Marx jeweils rezipiert wurde. Das Kapital wird also immer neu gelesen – und anders. Warum? Welche Debatten, Auseinandersetzungen und Fragen bringen sie in spezifischer Form zum Ausdruck?

Der Vortrag ist inzwischen als Audiodokumentation verfügbar:

[soundcloud params="auto_play=false&show_comments=false"]https://soundcloud.com/rosaluxstiftung/fiehler[/soundcloud]

Renner Fritz Fiehler konstatierte, dass sich frühe Einführungen meist auf die Darstellungen des ersten Bandes konzentrierten, auf die Darstellung der Wert- und Mehrwerttheorie. Das ist durchaus richtig. Leider gehen bei derartigen Verallgemeinerungen spannende Ausnahmen unter. Hierzu gehören im Fall der Einführungen bzw. popularisierender Darstellungen des Kapitals u.a. die »gemeinverständliche Ausgabe« des Kapitals (1919) von Julian Borchardt und der Band »Die Wirtschaft als Gesamtprozess und die Sozialisierung« (1924) von Karl Renner. Denn: Beide Bücher haben alle drei Bände zum Gegenstand. Continue reading “Das marxsche Kapital: unlesbar für Laien?”

Aufgeblättert: Europas Revolution von oben

Steffen Vogel nimmt Angela Merkels Forderung einer »marktkonformen Demokratie«, die sie 2011 auf einer Pressekonferenz formulierte, als Ausgangspunkt, die letzten Jahre Austeriätpolitik Revue passieren zu lassen. In fünf Kapiteln zeichnet Vogel die Krise nach, die spezifischen Bedingungen in Spanien und Griechenland, wie die Troika in der Eurozone agierte und schließlich Deutschland die EU nach seinem Sparbilde formte: Schuldenbremse für alle. Vogel schließt mit einer solidarischen Referenz auf die Proteste der letzten Jahre: »Die Zukunft Europas wird heute in Sitzungssälen geschrieben. Ab morgen sollte sie auf den Straßen und Plätzen geschrieben werden.« Das Buch ist mit heißer Nadel gestrickt, will es doch am Puls der Zeit linken AktivistInnen und kritischen Köpfen eine Handreichung zur Eurokrise geben. Wer Details und wichtige Weichenstellungen der letzten Jahre Zeitungslektüre vergessen hat, wird für das Buch dankbar sein. Leider fehlt etwas analytischer Tiefgang. Nicht diskutiert wird, was ein Staat und was die EU als politisches Gebilde ist und wie sich Privatinteressen gesellschaftlich verallgemeinern. Für Vogel wird eine falsche Politik verfolgt bzw. eine, die bestimmten Interessen nützt. Wichtig für linke Gegenmacht ist jedoch zu verstehen, wie sich deutsche Interessen und die spezifischen Kapitalfraktionen als Allgemeininteressen europäisch verallgemeinern konnten und welche Rolle europäische Staatlichkeit dabei spielte.

Ingo Stützle

Steffen Vogel: Europas Revolution von oben. Sparpolitik und Demokratieabbau in der Eurokrise. Laika Verlag, Hamburg. 165 Seiten, 19,80 EUR.

Erschienen in: ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 587 vom 15.10.2013

FAQ. Noch Fragen? Gefährdet der Shutdown den Weltmarkt?

Lincoln Memorial during the Government Shutdown. (flickr/J. Sonderman)

Anfang Oktober 2013. Die Freiheitsstatue, Parks und Museen sind geschlossen – die USA pleite? Nur noch elementare staatliche Dienstleistungen werden garantiert. Selbst die Geheimdienste leiden unter dem zugedrehten Geldhahn. Der Finanzsoziologe Rudolf Goldscheid erklärte das Budget als das »aller verbrämenden Ideologie entkleidete Gerippe des Staates«. Die Medien interessierte jedoch weniger das aufklärerische Moment des Shutdown – nämlich dass offensichtlich wurde, was den Staat im Innersten zusammenhält: die organisierte Gewalt -, als vielmehr, ob die Weltwirtschaft am Abgrund stehe. Continue reading “FAQ. Noch Fragen? Gefährdet der Shutdown den Weltmarkt?”

Das »ökonomische Niveau von Dampflokomotiven«, Konsolenspielen und Apps

Sabine Nuss und ich antworteten vor ein paar Wochen auf einen nd-Beitrag von Manfred Sohn, in welchem er die Produktivkraftentwicklung der elektronischen Datenverarbeitung und Kommunikationstechnologie als endgültige Krisenursache für den Kapitalismus festmacht:

Das lächerliche Handygebimmel hat weder akustisch noch ökonomisch das Niveau von Dampflokomotiven, Strommasten oder dem Model T

Jenseits der theoretischen Kritik, die wir in unserem Artikel skizziert haben (und Sabine auch in ihrem Buch Copyright & Copyriot ausgeführt hat), sind mir in den letzten Tagen zwei Zahlen untergekommen, die sehr deutlich zeigen, dass in Sachen Profit in der informationellen Industrie viel Luft nach oben ist:

Der Studie der Association for Competitive Technology zufolge sind allein in der sog. App-Industrie 529.000 Personen vollzeitbeschäftigt. In den letzten fünf Jahren sind in diesem Bereich in Europa etwa  800.000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden. (futurezone.at)

Ein weiteres Beoispiel: Allein am ersten Verkaufstag brachte das Konsolenspiel »Grand Theft Auto V« zirka das Dreifache der Herstellungskosten ein, 800 Millionen US-Dollar. Dabei wurde es in vielen Ländern erst ein paar Tage angeboten und die Onlineversion ist noch gar nicht veröffentlicht (spiegel.de).

FAQ. Noch Fragen? Sind Bitcoins Geld?

Mitte August war zu lesen, dass das Bundesfinanzministerium die virtuelle »Währung« Bitcoins als Rechnungseinheit anerkennt. Das geht aus einer kleinen Anfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler hervor. Bitcoins sind Münzen (Coins), die eine digitale Form haben. »Bit« verweist auf die Binärziffern (1/0), die Einheiten mit denen die Informationstechnologie arbeiten und Datenmengen und -übertragung gemessen werden (acht Bits sind ein Byte).

Auf Grundlage der auch bei Musiktauschbörsen verwendeten BitTorrent-Technik (Peer-to-Peer) organisiert ein Bitcoinnetzwerk den Bezahlvorgang. Das Netzwerk setzt auf eine ähnliche Verschlüsselung wie PGP (Pretty Good Privacy), garantiert derart die Authentizität der Vorgänge und soll die Bitcoins fälschungssicher machen. Kein Wunder also, dass das Konzept 2008 auf einer Mailingliste für Kryptografie erstmals öffentlich diskutiert wurde. Eine vollständige Anonymität kann es deshalb jedoch nicht geben. Die Bestätigung eines Bezahlvorgangs durch das gesamte Netzwerk, der Kern der Idee, bedeutet, dass Anonymität nicht möglich ist. Die Transaktionen werden in einer »History« gespeichert. Damit geht jedoch ein Vorteil von Geld verloren: Geld stinkt plötzlich wieder. Continue reading “FAQ. Noch Fragen? Sind Bitcoins Geld?”

Die Europapolitik des deutschen Machtblocks und ihre Widersprüche

Ein in der Krise oft zu hörender Satz ist:

»Die Politik macht doch eh nur das, was die Wirtschaft will.«

Und mit etwas staunendem Unverständnis wird gerne ein weiterer Satz formuliert:

»Die deutsche Politik, die auf Austeritätspolitik im EU-Ausland drängt, schadet doch der deutschen Exportwirtschaft.«

Während die erste Feststellung eine einheitliche Entität (»die Wirtschaft«) unterstellt, die dieses oder jenes meinen oder wollen könnte, geht der zweite Satz davon aus, dass sich das Interesse des exportorientierten Kapitals unmittelbar in die Politik der deutschen Bundesregierung umsetzt oder bei der politischen Elite die Lehrbuchvernunft eines keynesianistisch, makroökonomischen Lehrbuchs gefunden werden könnte.

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Sound Money: Was die monetaristische Ideologie der EZB mit Berlusconi zu tun hat

»In einem neuen Buch macht das frühere EZB-Direktoriumsmitglied Lorenzo Bini Smaghi brisante Aussagen darüber, wie nahe Italien unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi vor einem Austritt aus der Währungsunion stand und wie lange Kanzlerin Angela Merkel angeblich einen Ausschluss Griechenlands für möglich hielt.«

Berlusconi
Foto: CC-Lizenz/lorenzopierini

Das ist in der heutigen FAZ zu lesen. Sie bezieht sich auf Smaghis Buch »Morire di austerità. Democrazie europee con le spalle al muro«, das im April auf Italienisch erschien (und seit Juli in einer englischen Version vorliegt). Continue reading “Sound Money: Was die monetaristische Ideologie der EZB mit Berlusconi zu tun hat”

Der alte Schlawiner lebt

Die Welt stehe »vor dem Epochenbruch«, hat Anfang August der Linken-Politiker Manfred Sohn hier geschrieben und erläutert, warum die gegenwärtige Krise seiner Meinung nach keine »normale« ist und was das für die gesellschaftliche Linke heißt. Alban Werner hat darauf geantwortet – mit dem kritischen Hinweis, dass wir »noch nicht am Ende der kapitalistischen Fahnenstange« sind. Sabine Nuss und ich haben den Staffelstab aufgenommen und antworten auf die von Manfred Sohn angestoßene Debatte um das Ende des Kapitalismus:

»Der Kapitalismus, der alte Schlawiner, is uns lang genug auf der Tasche gelegen« – so singt Peter Licht in dem wunderschönen »Lied vom Ende des Kapitalismus« und frohlockt im Refrain: »Vorbei – Jetzt isser endlich vorbei«. Die Realität allerdings sieht anders aus. Der Kapitalismus ist lebendig wie eh und je und daran wird sich voraussichtlich erst mal nicht sehr viel ändern. Während die bürgerlichen Medien derzeit das Ende der Krise des Kapitalismus ankündigen, debattiert man im Neuen Deutschland über das Ende des Kapitalismus. Auftakt gab ein Artikel von Manfred Sohn.

Weiterlesen bei neues-deutschland.de

Update (5.9.2013): Die Debatte geht inzwischen weiter – nicht nur in den Kommenarspalten. Arno Klönne schrieb einen weiteren Beitrag für das nd und Elmar Flatschart hat auf der Webiste von Exit die ersten beiden Beiträge kommentiert.