Aufgeblättert: Keine Kapitalismuskritik ist auch keine Lösung. In ihrem neuen Buch kritisiert Ulrike Herrmann den ökonomischen Mainstream

ulrike-herrmann-193x300In ihrem neuen Buch kritisiert Ulrike Herrmann den ökonomischen Mainstream – mit Smith, Marx und Keynes. Leider bleibt sie dabei auf halber Strecke hängen.

Um die blamable Rolle der Wirtschaftswissenschaften angesichts der Krise ab 2008 zu illustrieren, wird gern eine Frage von Queen Elisabeth II. zitiert, die sie an die Zunft der britischen ÖkonomInnen richtete: »Wie konnte es passieren, dass niemand diese Krise vorhergesehen hat?« Die Antwort ließ auf sich warten, kam aber in unerwarteter Deutlichkeit: »Um die Sache zusammenzufassen, Ihre Majestät; hier hat die kollektive Vorstellungskraft vieler kluger Menschen versagt.«

Für die Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann liegt das Versagen mitunter daran, dass viele WissenschaftlerInnen die ökonomischen Klassiker nicht zur Kenntnis nehmen.

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Hätte, müsste, sollte – die Kritik der Neoklassik

Nach Jahrzehnten der neoklassischen Dominanz wird in den Wirtschaftswissenschaften die Forderung nach Pluralismus wieder lauter. Doch der lässt sich nicht herbeiwünschen.

Ein Bild von Karl Marx
Gehört an die ökonomischen Fakultäten, meinen die einen. Nein!!, sagen die anderen. Foto: ms.akr / Flickr CC-BY 2.0 Lizenz

Vom Nobelpreisträger und Autor des wohl wirkungsmächtigsten VWL-Lehrbuchs, Paul A. Samuelson, ist der Satz überliefert, dass es ihm egal sei, wer die nationalen Gesetze formuliere, wenn er die Ökonomielehrbücher schreiben könne. Ein selbstbewusster Satz, der den Gestaltungs- und Machtanspruch des ökonomietheoretischen Mainstreams, der Neoklassik, zum Ausdruck bringt, sozusagen die Software des Neoliberalismus. Der Neoklassik hat auch die Weltwirtschaftskrise nichts anhaben können, wie Philip Mirowski in seinem jüngsten Buch nachzeichnet: Untote leben länger. Auch wenn es – etwa von Studierenden vor zwei Jahren – den Ruf nach mehr Pluralität in der Hochschullehre gibt. Aber was ist das, Pluralität in den Wissenschaften?

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Aufgeblättert: Kaputtalismus

Fast zehn Jahre nach Beginn der Krise hat sich die Aufregung etwas gelegt, und nachdem lange die Ursachen im Fokus standen, wenden sich viele Autor_innen den vermeintlich »langfristigen Tendenzen« des Kapitalismus zu. So auch der Vielschreiber Robert Misik. Da ist er nicht allein, wenn wir an Paul Mason, Wolfgang Streeck, Jeremy Rifkin oder Immanuel Wallerstein denken, die Misik alle referiert. Der Kapitalismus stoße an seine eigenen Schranken – deshalb auch Kaputtalismus -, habe seine »besten Zeiten hinter sich«, und es sei »sehr unwahrscheinlich«, »dass wir den Kapitalismus, wie wir ihn in den vergangenen 300 Jahren kannten (…) noch einmal flottbekommen«. Da liegt schon ein Problem: Wollen wir das überhaupt? Misik schon. Er will den Kapitalismus vor sich selbst retten, will, wie schon Keynes, die destruktiven Momente des Kapitalismus beseitigen oder regulieren, die vermeintlich positiven aber beibehalten. Auf die Konkurrenz will er nicht gänzlich verzichten, denn sie habe auch ihr Gutes. Zerstörerisch wirkten vor allem die Finanzmärkte, während Gütermärkte zu Stabilität tendierten. Auch wenn das Buch gut geschrieben ist und viele Debatten einem breiten Publikum zugänglich macht, zeigt es einmal mehr, dass es innerhalb der Linken einer grundlegenden Diskussion darüber bedarf, was den Kapitalismus eigentlich ausmacht – und was nicht. Denn so schnell werden wir ihn leider nicht loswerden, den Kaputtalismus.

Ingo Stützle

Robert Misik: Kaputtalismus. Wird der Kapitalismus sterben, und wenn ja, würde uns das glücklich machen? Aufbau Verlag, Berlin 2016. 224 Seiten, 16,95 EUR.

Erschienen in: ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 616 vom 24.5.2016.

Dostojewski, Marx, Liza Minelli – vom Geld und seinen Mythen

Die Bargeldbegrenzung wird derzeit heiß diskutiert. Eine gute Gelegenheit, ein paar grundlegende Fragen zum Zusammenhang von Geld und Kapitalismus zu beantworten – und mit Mythen und Missverständnissen aufzuräumen.

In Berlin finden im Durchschnitt über fünf Demonstrationen statt – pro Tag. In Frankfurt am Main sind es sicherlich weniger. Dafür steht dort die Europäische Zentralbank (EZB), was der Finanzmetropole schon mehrmals Proteste beschwert hat. Und deshalb wird dort heute unter dem Motto »Finger weg von unserem Bargeld« für eine neue Geldordnung demonstriert. Denn wer die Presse gut verfolgt hat, weiß: Es soll nicht nur der 500-Euro-Schein abgeschafft werden, sondern, so die Befürchtungen einiger ZeitgenossInnen, das Bargeld überhaupt. Im Aufruf für die heutige Kundgebung in Frankfurt am Main heißt es deshalb: »Wir rufen zur Verteidigung unseres Bargeldes und unserer Freiheit auf. Gegen Gängelung und Bevormundung von uns freien Bürgern!« Nicht ohne Grund wird in den letzten Wochen gerne der russische Schriftsteller Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821-1881) zitiert: »Geld ist geprägte Freiheit«. //→ Weiterlesen bei oxi-blog.

FAQ. Noch Fragen? (A)typisch: Prekarität als neue Normalität

siestaLaut einer neuen DGB-Studie (»Arbeitsqualität aus der Sicht von jungen Beschäftigten«) gehen etwa 30 Prozent der unter 35-Jährigen einer »atypischen« Beschäftigung nach – bei den unter 25-Jährigen ist es sogar fast die Hälfte. Unter »atypisch« versteht man befristete oder Teilzeitjobs, Zeitarbeit oder Minijobs. Laut dem gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) waren 2014 sogar fast 40 Prozent aller abhängig Beschäftigten in Teilzeit, Leiharbeit und Minijobs tätig. Selbst im öffentlichen Dienst schreitet die atypische Beschäftigung voran – und nicht nur im Wissenschaftsbetrieb. Das zeigt eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit von 2015 (»Befristete Beschäftigung im öffentlichen Dienst«). Ihre Untersuchung zeigt, dass der Anteil der befristeten Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Sektor über zehn Prozent höher ist als in der Privatwirtschaft. Untersucht wurde der Zeitraum von 2004 bis 2014. Continue reading “FAQ. Noch Fragen? (A)typisch: Prekarität als neue Normalität”

Aufgeblättert: Der Hund hat die Hausaufgaben gefressen. Der Ökonom und Ideologiekritiker Philip Mirowski geht der Kugelsicherheit des Neoliberalismus nach

MirowskiMit der Krise vor über fünf Jahren witterten so manche Linken Morgenluft. Die Risse in der Hegemonie des Neoliberalismus würden größer. Inzwischen ist deutlich geworden, dass der Neoliberalismus alles andere als infrage steht. Dieser Hartnäckigkeit widmet Philip Mirowski sein neues Buch. Der Wirtschaftswissenschaftler war bereits zu Beginn der Krise gern gesehener Interviewpartner oder Autor in der FAZ, als noch der verstorbene Frank Schirrmacher dem Feuilleton vorstand. Dieser verstand jedoch nie, dass Konservative wie er für Mirowski ein Teil des Problems sind – nämlich als Verteidiger des Status quo. (1) Das zeigt das neue Buch, das bereits 2013 in englischer Sprache erschien.

Das Buch »soll die Strategien der Neoliberalen dokumentieren und ihre Erfolge begutachten, zu denen häufig auch die Wirtschaftswissenschaftler beigetragen haben.« Hierfür hält der Autor einen ganzen Strauß an Erklärungen bereit. Ein Großteil davon besaß jedoch auch schon vor der Krise Gültigkeit: Mirowski zeichnet nach, wie sich der Neoliberalismus etablierte und festigte und nach und nach alle Poren der Gesellschaft besetzte. Continue reading “Aufgeblättert: Der Hund hat die Hausaufgaben gefressen. Der Ökonom und Ideologiekritiker Philip Mirowski geht der Kugelsicherheit des Neoliberalismus nach”

Ellen Meiksins Wood ist tot. Marxistische Historikerin und Ex-Herausgeberin der »Monthly Review« im Alter von 73 Jahren gestorben

Sie war eine der wichtigsten englischsprachigen Marxistinnen: Ellen Meiksins Wood. Geboren 1942 in New York, studierte die Tocher lettischer Flüchtlinge Politikwissenschaften in Los Angeles, lehrte später in Toronto und publizierte in vielen linken Theoriezeitschriften. Ellen Meiksins Wood war Redaktionsmitglied der New Left Review, neben unter anderem Paul M. Sweezy Mitherausgeberin der »Monthly Review« und Autorin für das »Socialist Register« und »Against the Current«. Hierzulande sorgte sie unter anderem mit dem Buch »Demokratie contra Kapitalismus. Beiträge zur Erneuerung des historischen Materialismus« für Aufmerksamkeit. Zuletzt erschien von ihr auf Deutsch »Der Ursprung des Kapitalismus. Eine Spurensuche«. Continue reading “Ellen Meiksins Wood ist tot. Marxistische Historikerin und Ex-Herausgeberin der »Monthly Review« im Alter von 73 Jahren gestorben”

Telepolis-Interview zum Buch »Ist die Welt bald pleite?«

In der Öffentlichkeit wird der ökonomische Verstand einer schwäbischen Hausfrau stets als Vorbild staatlichen Haushaltens gepriesen, aber wird dieses Bild der vielleicht doch komplexeren volkswirtschaftlichen Wirklichkeit gerecht? Stephan Kaufmann und ich argumentieren in unserem Buch Ist die Welt bald pleite? dagegen.

Sparprogramme der Politik liefen in der Vergangenheit regelmäßig wie folgt ab: Mit dem Versprechen, Schulden abzubauen, wurden zu Lasten der Armen und der Bevölkerungsmehrheit Sozialausgaben gestrichen und öffentliche Güter privatisiert, während Unternehmen und Vermögende von missliebigen politischen Maßnahmen verschont blieben. In der Praxis waren am Ende solcher Maßnahmen die Schulden üblicherweise höher als davor, was häufig zu einer Verschärfung der Sparprogramme führt.

In einem Telepolis-Interview stehen wir Rede und Antwort:

Teil 1: “Staatliche Sparsamkeit kennt immer Profiteure und Verlierer”
Teil 2: “Jede Wette, dass die Schuldenbremse die nächste Krise nicht überlebt”

FAQ. Noch Fragen? VW: Ein Skandal, der keiner ist

Bild: CC-Lizent/flickr, environmentblog
Bild: CC-Lizent/flickr, environmentblog

Der VW-Skandal ist eine kleine Geschichte technischer Innovation. Bisher wurden Autoabgaswerte stationär in großen Laboren getestet. Dort stehen die Dreckschleudern auf Laufbändern, zwischen immobiler Messtechnik. Bisher konnte nur gesagt werden, dass die dort ermittelten Daten nicht mit den Zahlen übereinstimmen, die während der Fahrt ermittelt werden konnten, die aber bisher recht ungenau und deshalb eigentlich nicht vergleichbar waren. Die große Kluft wurde schon länger beklagt. Aber erst auf Grundlage neuer technischer Möglichkeiten konnten die US-Behörden auf gesicherter Basis bei VW kritisch nachhaken – und die Autobauer aus Wolfsburg mussten ihren Betrug eingestehen. Wie aber kam es dazu?

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Der Gott der Waren. Die ökonomische Theorie und ihr Geld

PROKLA 179: Illusion und Macht des GeldesIn Krisensituationen wird der gesellschaftliche Umgang mit Geld‬ verstärkt zum Problem – und ein politisches prisantes Thema. So auch in den letzten Jahren. Das hat die PROKLA zu einem Schwerpunktheft zu Geld motiviert. Unbestritten spielt Geld eine zentrale Rolle, die kapitalistische Wirtschaft ist wesentlich Geldwirtschaft: Geld regiert die Welt. Aber hier beginnt bereits die Unübersichtlichkeit. Es herrschen sehr unterschiedliche Auffassungen davon, in welchem Sinne Geld relevant ist. Mein einführender Beitrag »Der Gott der Waren. Die ökonomische Theorie und ihr Geld« soll im ersten Teil einen Überblick über die großen Paradigmen der politischen Ökonomie geben – Neoklassik‬, Keynes‬ und Marx‬. In einem zweiten Teil werden drei relevante Problemfelder diskutiert (Inflation‬, Kredit‬, gegenwärtiges Geldsystem). Der Beitrag ist jetzt im Volltext online. Das Editorial und der Inhalt findet sich hier.

Arbeitszeit und Arbeitskraft. Was Karl Marx über Ausbeutung und den Verkauf der eigenen Lebenszeit schreibt

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»Ökonomie der Zeit, darin löst sich schließlich alle Ökonomie auf«, heißt es in »Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie« von Karl Marx. Was meint er damit?

Menschen leben und überleben, indem sie füreinander da sind, mit- und füreinander arbeiten. Die Formen, wie Arbeitsteilung organisiert ist, sind jedoch sehr verschiedenartig. Nicht nur historisch, sondern auch unter den herrschenden kapitalistischen Verhältnissen sind es recht unterschiedliche soziale Logiken, die da am Werke sind.

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PROKLA 179 zur Illusion und Macht des Geldes erschienen

Endlich ist die neue PROKLA erschienen. Thema: Illusion und Macht des Geldes. Auch ich habe einen Beitrag zum Gott der Waren beigetragen – Geld.

Das Editorial findet ihr hier.

Der Beitrag von Martin Konecny zu Syriza unter Druck und den den strategischen Perspektiven des linken Regierungsprojekts in Griechenland ist online.

Der Inhalt des ganzen Heftes sieht aus wie folgt.

FAQ. Noch Fragen? Um- oder Entschuldung für Athen?

Die neue griechische Regierung wurde schnell aktiv. Kaum war der neue Finanzminister, Yanis Varoufakis, im Amt, kündigte er die Zusammenarbeit mit der Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), Internationalem Währungsfonds (IWF) und EU-Kommission auf. Aber auch nach wenigen Tagen rückte die SYRIZA-geführte Regierung scheinbar von einer zentralen Forderung ab, dem Schuldenschnitt. Anfang Februar meldete die Deutschen Presse-Agentur (dpa), Griechenland habe sich von ihrer zentralen Forderung nach einem Schuldenschnitt verabschiedet. Im Interview mit der Financial Times, auf das sich die dpa bezog, hörte sich das schon ganz anders an: Varoufakis sagte, der Begriff »Schuldenschnitt« sei möglichst zu vermeiden, da ein solcher für die Gläubiger, allen voran Deutschland, nicht akzeptabel sei. Es war von einer Umschuldung, statt einer Entschuldung, also einem Schuldenschnitt die Rede. Wie sieht der vorgebrachte, neue Vorschlag aus? Continue reading “FAQ. Noch Fragen? Um- oder Entschuldung für Athen?”

… darüber entscheidet eben nicht der Schuldnerstaat

Nicht der Schuldner ist die entscheidende Figur bei den Anleihen des Schuldnerstaates. Gewiss ist sein Verhalten für seinen Kredit nicht unwesentlich, ja sogar von sehr großer Bedeutung; aber von welcher Bedeutung es ist, darüber entscheidet eben nicht der Schuldnerstaat, sondern darüber entscheiden seine Gläubiger.

Aus: Sultan, Herbert (1932): Die Staatseinnahmen. Versuch einer soziologischen Finanztheorie als Teil eine Theorie der politischen Ökonomie (Beiträge zur Finanzwissenschaft. Neue Folge, Bd.1), Tübingen, hier: S. 193

Die Austeritätspolitik der EU ist nichts grundlegend Neues

Thomas Sablowski wurde für die Zeitschrift mole interviewt und greift darin meine Arbeit zum Euro auf, die inzwischen in der Zweitauflage vorliegt:

Insofern ist die Austeritätspolitik der EU in der jüngsten Krise nichts grundlegend Neues; vielmehr wurde die bisherige Politik mit der Neuregelung der „Economic Governance“, mit dem Euro-Plus-Pakt, dem Fiskalpakt etc. nur noch einmal erheblich verschärft. Der Titel „Austerität als Projekt“, den Ingo Stützle seiner marxistischen Studie über die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion gegeben hat, charakterisiert diese daher sehr treffend.