Kein Grund zum Feiern: Weniger Feiertage sollen BIP erhöhen

siesta
Foto: CC-Lizenz, locomosquito

»Mehr Arbeitstage erhöhen 2010 Wirtschaftsleistung« frohlockt die heutige FAZ. Im kommenden Jahr liegen überdurchschnittlich viele Feiertage an Wochenenden. Das bedeutet, dass überdurchnittlich viel gearbeitet werden muss oder um es mit Marx zu formulieren: die Produktion des absoluten Mehrwerts wird ausgedehnt. Das mit den Feiertagen war ihm by the way auch schon klar. So heißt es im Kapital: »Der Protestantismus spielt schon durch seine Verwandlung fast aller traditionellen Feiertage in Werktage eine wichtige Rolle in der Genesis des Kapitals« (KI, 292, Fn. 124). Ein Grund über mehr politische Feiertage nachzudenken: Streiks.

Die Empfängnis unseres Demokraten Schäuble

In Zeiten, in welchen bürgerliche Freiheiten nicht nur laut und trampelig, sondern auch recht leise abgebaut werden, ein autoritärer Diskurs sich in allen Ritzen des Alltags festsetzt, in solchen Zeiten ist es durchaus angebracht, immer wieder auf den Ton bei der Musik und auf das zwischen den Zeilen zu achten.

In der heutigen Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gab der deutsche Innenminister Finanzminister Wolfgang Schäuble ein Interview. Eine Antwort war besonders schön.

»Verraten Sie uns, wie Sie das Leben auf Pump abstellen? Oder müssen Sie erst die Wahl in Nordrhein-Westfalen abwarten?«

»Es ist doch klar, dass ein Schuldenabbau um jährlich zehn Milliarden Euro von 2011 an Widerstände provoziert. Wer jetzt schon alles verrät, läuft Gefahr, dass später alles zerredet wird. Aber wir müssen schon vor der NRW-Wahl damit beginnen, die Menschen davon zu überzeugen, dass der Schuldenabbau keine Bedrohung, sondern eine Verheißung ist.«

Dass es Widerstand geben wird, vielleicht bereits schon gibt, scheint dem CDU-Politiker klar zu sein. Er verrät uns in seiner kurzen Antwort auch eine Form, wie er als Finanzpolitiker damit umgehen wird, er, der in der letzten Legislaturperiode den präventiven Sicherheitsstaat konsolidiert und forciert hat: Es wird nichts zu früh verraten! Da waren die Kinderlein wohl nicht brav genug?! Schäuble denkt sich: da könnten ja unangenehme Nachfragen kommen, Unmut könnte sich artikulieren, gar Widerspruch laut oder: Widerstand organisiert werden. Schließlich kommt das, was als Zauberwort »Allgemeinwohl« in aller Munde geführt wird vor allem dem Wohl der Herrschenden und Vermögenden zugute. Und Schäuble weiß auch: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. In einer ›wehrhaften Demokratie‹, wo die Politik auch gegen die Bevölkerung durchgesetzt werden muss, da sollte ja nicht zu viel darüber geredet werden, was für soziale Konsequenzen die Politik hat. Ist ja auch gar nicht nötig. Schließlich sitzen in den Ministerien Leute, die sich damit auskennen – wie bspw. Schäuble.

Und weil gerade Weihnachten war, kam selbstredent zu diesen autoritären und demokratiefeindlichen Äußerungen noch ein Schuss Religion in Form einer wirklich wundervollen Metapher hinzu.  Schuldenabbau sei keine Bedrohung, z.B. durch den Staat, der einem das Leben noch unerträglicher macht, sondern eine »Verheißung« – und Schäuble der Prophet!

Logisch ist es allemal: Will ein Staat keine Bevölkerung, die sich einen eigenen Kopf macht (also: alles zerredet), muss er dafür Sorge tragen, dass zumindest die politischen Entscheidungen akzeptiert werden. Eine Verheißung kommt da gerade recht. Diese wird nämlich nur empfangen. Ob sie Schäuble jetzt nur verkündet oder ob er sie (von wem?) selbst empfangen hat, verrät er vielleicht in seinem nächsten Interview. Wir dürfen gespannt sein.

Traditionslinien

Luxemburg ist
CC-Lizenz, aus

Nicht nur die SPD versucht sich zu erneuern, sondern auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung bekommt ein neues Gewand. Seit ein paar Monaten hat sie ein neues corporate design. Das Gebäude der Bundesstiftung am Franz-Mehring Platz 1 lockt seit ein paar Tagen zudem mit einem neuen Spruch am Eingangsportal – von Luxemburg versteht sich:

»Zu sagen was ist, ist und bleibt die revolutionärste Tat.« Rosa Luxemburg

Im Original heißt es allerdings etwas anders:

»Wie Lassalle sagte, ist und bleibt die revolutionärste Tat, immer ›das laut zu sagen, was ist‹.« (In revolutionärer Stunde: Was weiter? (1906), in: GW 2, S. 36.)

Ferdinand Lasalle, sozusagen der Gründer der Vorläuferorganisation der SPD fällt unausgesprochen unter den Tisch.

Bekannt geworden ist das Leitmotto in letzter Zeit allerdings durch jemanden anderen, einen weiteren großen deutschen Arbeiterführer: Sigmar Gabriel, der neue SPD-Parteivorsitzende. Und dieser bezieht sich ausdrücklich auf Lassalle.

Bereits in seinem Buch »Links neu denken. Politik für die Mehrheit« (München-Zürich 2008) geht er darauf ein (S. 66f.). Bereits im letzten Jahr setzte er unter dem Motto ein ganzes Diskussionspapier auf, das auch Pate für sein SPD-Reboot-Versuch nach den Bundestagswahlen 2009 steht. Die SPD hat nur leider vergessen, ein neues Betriebssystem zu installieren. Aber wer hatte das schon erwartet.

Aber eines frage ich mich jetzt allerdings schon: Was ist jetzt? Und: Ist es nicht so, das nichts so ist, wie es scheint? Und: In welchem Gebäude ist im Film 23 der KGB beheimatet? Genau!

Lévi-Strauss und ein schlechter Tausch

Die FAZ gibt sich ja wirklich Mühe. Über Strecken ist die ›neue‹ Gestaltung des Titelblatts auch wirklich geistreich und witzig. Auch heute wieder. Nur eben: entlarvend. Zum Tod Claude Lévi-Strauss wurde ein Foto abgedruckt und wie gewohnt mit einem Text versehen, der andere Themen des Tages aufgreift. Heute die Entscheidung von General Motors, Opel nicht zu verkaufen.

»Nicht weit vom Stamm – “Warum soll ich meine Tochter heiraten, wenn ich sie im Tausch mit einem anderen Stamm verwenden kann?” So erklärte ein Eingeborener dem Anthropologen Claude Lévi-Strauss einmal die Logik des Inzesttabus. Lévi-Strauss (Nachrufe auf Seiten 31 bis 33), auf unserem Bild 1935 in Brasilien, erklärte die Kultur aus dem Prinzip des Tauschs. Strukturalismus heißt, dass man alles umkehren kann. General Motors beweist es. Detroit (Seite 11) fragte Berlin (Seite 3): Warum soll ich meine Tochter verkaufen, wenn ich sie noch gebrauchen kann? «

Lévi-Strauss ethnologischen Beobachtungen im Amazonasgebiet schließt die bürgerliche FAZ mit der betriebswirtschaftlichen Entscheidung von GM kurz und zeigt damit mal wieder, dass es der bürgerlichen Klasse doch immer wieder gelingt, die modernen Kategorien der politischen Ökonomie umstandslos in die Vergangenheit rückzuprojizieren. Tausch und Nicht-Tausch scheinen in der Geschichte der Menschheit immer das gleiche. Ob im brasilianischen Urwald oder im modernen Kapitalismus, der zu viele Autos produziert.

Bitter amüsiert hatte sich bereits Marx darüber, der u.a. in einer Fußnote im »Kapital« den Autor Torrens mit folgenden Worten zitiert:

»In dem ersten Stein, den der Wilde auf die Bestie wirft, die er verfolgt, in dem ersten Stock, den er ergreift, um die Frucht niederzuziehn, die er nicht mit den Händen fassen kann, sehn wir die Aneignung eines Artikels zum Zweck der Erwerbung eines andren und entdecken so – den Ursprung des Kapitals.« Marx schlussfolgert nicht ohne Ironie, dass wohl aus jenem ersten Stock auch zu erklären ist, warum »stock« im Englischen synonym mit »Kapital« ist. (KI, 199, Fn. 9)

Dass der Tausch im Kapitalismus etwas völlig anderes ist als der archaische »Austausch«, einer anderen gesellschaftlichen Logik gehorcht und einer anderen Rationalität innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung folg, scheint die FAZ nicht auf dem Schirm zu haben. Kein Wunder also, dass in Hennings Ritter Nachruf auf Lévi-Strauss auch Marcel Mauss’ Buch »Die Gabe« nicht auftaucht. Ein Buch, das Lévi-Strauss stark beeinflusste und an dem er kritisch anschloss. Insoweit konsequent: Für die FAZ scheint die Logik des Kapitals eben immer schon zu herrschen.

Lévi-Strauss’ früherer Oberassistent Maurice Godelier, ebenfalls Ethologe, der auch an Marcel Mauss kritisch anschloss, formulierte hierzu bereits 1965:

»Der Begriff des Kapitals wird also ›ausgedehnt‹ und zur Analyse jeder Gesellschaft verwendet, nachdem man ihm jeglichen Eigencharakter – nämlich den, Geld zu sein – genommen hat und ihn von den mit ihm gesetzten spezifischen gesellschaftlichen Verhältnissen, nämlich des Warentausch, abgelöst hat. Erst um diesen Preis wird der Kapitalbegriff für sämtliche Gesellschaften brauchbar, aber er definiert dann keine einzige mehr und macht sie sogar unbegreifbar. Es wäre eine Überlegung wert, warum man eigentlich so sehr darauf versessen ist, den Begriff des Kapitals auf jede Gesellschaft zu projizieren.«

Auch wenn bei Godelier teilweise problematische Formulierungen verwendet, ist seine letzte Frage in jedem Fall eine Überlegung wert. Mögliche Antwort: Vielleicht weil die Bourgeoisie ihre Herrschaft mit der Setzung des Kapitals als überhistorisches Phänomen verewigt? Zumindest theoretisch. Und das ist ja schon was wert.

Ein Bonbon zum Schluss: arte dokumentiert eine Lesung von Maurice Godelier aus Lévi-Strauss.

Partei der LangschläferInnen

haengematte

Die FAZ scheint inzwischen gezwungen zu sein, die Linkspartei irgendwie ernst nehmen zu müssen. Wohl auch deshalb rechnet sie heute (16.9.09) im Wirtschaftsteil auf fast einer halben Seite vor, dass das, was DIE LINKE so vor hat alles, nur nicht bezahlbar ist. Eine andere Position hätte man auch nicht erwartet. Besonders lustig wird es gegen Schluss des Beitrags: Neben der Tatsache, dass alles nicht zu finanzieren sei, würde es zu einer »Deformation der Anreizstrukturen« kommen. Und weiter: »Wenn die Positionen der Partei DIE LINKE Politik würden, ließe dies erhebliche Ausweichreaktionen erwarten.« Auch das sind bekannte Argumente. Was aber sind nun die »deformierten Anreizstrukturen«? »Wenn große Gruppen der Beschäftigten weniger in der Woche und im Leben arbeiten oder aufgrund höherer Regelsätze ganz auf das tägliche frühe Aufstehen verzichten, wird insgesamt weniger produziert.« Ach so, das Aufstehen ist das Problem! DIE LINKE, Partei der Langschläfer.

Nachtrag: Die FAZ hat da wohl bei der Bild abgeschrieben: Dort äußerte sich letztes Jahr Berlins FDP-Fraktionsvorsitzender Martin Lindner zu Hartz IV zu Wort:

»Ich kann verstehen, dass sich Krankenschwestern, Erzieher oder neu eingestellte Busfahrer fragen, warum sie jeden Morgen aufstehen sollen, wenn ein Hartz-IV-Empfänger für gerade mal 50 Euro weniger den ganzen Tag im Bett liegen bleiben kann«.

CC-Lizenz, Foto: emzee

Dietmar Dath zur Krise

Dem aktuellen SZ-Magazin diktiert der Schriftsteller Dietmar Dath: »Mir macht die Krise Angst: Wenn man Ratten in einen Käfig sperrt und dann das Bodengitter mit Krisenspannung elektrisiert, fangen sie an, einander totzubeißen. Die Frau an der Supermarktkasse ist noch besoffener als sonst. Mit Recht. Und das größte Rätsel ist, warum es immer noch erwachsene Menschen gibt, die den Kommunismus ablehnen.«

Der internationale Frauentag, die taz und ihre LeserInnen

Am internationalen Frauentag war auf taz.de eine kleine Umfrage zu einem Artikel anlässlich eines Urteils zu finden. Das Oberlandesgericht Zweibrücken hatte geurteilt, dass eine Frau ihr Anspruch auf  Unterhalt verwirke, wenn sie “Fremdgehen”. Während das Urteil auf öffentliche Kritik stößt, sehen das die taz-LeserInnen wohl am Frauentag etwas anders (Stand: 8.3./21.20 Uhr): die wenigsten finden heiraten doof und die meisten sind der Meinung, dass das Gericht richtig geurteilt hat. Frauen sollen bitteschön in einer Ehe den von Bismark eingeführte staatlich garantierten Vertrag einhalten. Sonst haben sie ihr Recht auf ein menschenwürdiges Leben verloren. Die Begründungen für diese Antwort ist aus der Umfrage leider nicht ersichtlich. Zu vermuten ist jedoch, das viele der taz-LeserInnen auf Artikel 14.2 des Grundgesetzes verweisen würden: Eigentum verpflichtet.

Das Problem sitzt knapp hinter der Nase. Operation als nachhaltige Lösung gegen einen krisenhaften Kapitalismus?

An anderer Stelle hat Juli bereits ein paar schöne Stilblüten der Naturalisierung der gegenwärtigen Finanzkrise zusammengetragen. Die FAS legt jetzt nach. Aber sie setz noch einen drauf und liefert implizit gleich eine Lösung für die ganze Misere mit. In der heutigen Ausgabe findet sich in der Rubrik “Geld & Mehr” ein längerer Artikel und ein Interview mit einem Hirnforscher – zu Gier. Unter der Überschrift “Gegen die Gier ist das Gehirn machtlos” lesen wir dann:

“Kaum einer versteht die Gier so gut wie der Psychologe und Hirnforscher von der Universität Stanford in Kalifornien. Er untersucht seit einigen Jahren, was sich in den Gehirnen der Menschen tut. Dazu legt er sie in einen Magnetresonanztomographen und lässt sie entscheiden. Zum Beispiel: Wollen sie lieber einen Dollar sicher haben oder aber die Chance auf zehn Dollar? Bei solchen Fragen hat er den Sitz der Gier im Gehirn gefunden. Sie steckt tief innen, ungefähr hinter der Nase, in der Region “Nucleus accumbens”, die zum Belohnungszentrum gehört. Wenn sich Knutsons Probanden auf Geld freuen, leuchtet ihr Nucleus accumbens auf.”

Endlich ist der Kern des ganzen Problems erkannt. Es liegt knapp hinter der Nase und leuchtet! Damit haben wir doch eigentlich schon einen Teil der Lösung. Mit einem kleinen, unkomplizierten chirurgischen Eingriff könnte das Problem der ständig wiederkehrenden Krisen im Kapitalismus nachhaltig gelöst werden! Das Problem wird nur sein, dass derartige Eingriffe nicht von der Krankenkasse übernommen werden und sich die Operationen nur Reiche leisten werden können.

Erstveröffentlichung unter freitag.de