Out now! Austerität als politisches Projekt. Von der monetären Integration Europas zur Eurokrise

»Nicht der Schuldner ist die entscheidende Figur bei den Anleihen des Schuldnerstaates. Gewiss ist sein Verhalten für seinen Kredit nicht unwesentlich, ja sogar von sehr großer Bedeutung; aber von welcher Bedeutung es ist, darüber entscheidet eben nicht der Schuldnerstaat, sondern darüber entscheiden seine Gläubiger.« (Sultan, Herbert, 1932)

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Endlich liegt meine Promotion zwischen zwei Buchdeckeln vor. Die Euro-Krise führt einmal mehr die Dominanz Deutschlands innerhalb der Europäischen Union vor Augen. Zudem zeigte sich in der Krise, dass das Leitbild des »ausgeglichenen Staatshaushalts« nach wie vor stark die politische Agenda prägt und als Disziplinierungsinstrument wirkt, nachdem es zwischenzeitlich als überholt erschien. Ich reflektiere zwar die jüngeren Wendungen in der europäischen Politik, habe aber die Arbeit jedoch langfristiger und grundlegender angelegt (und sie bereits vor der Euro-Krise begonnen). Ich ergründe, wie seit Mitte der 1970er Jahre der finanzpolitische Grundsatz »ausgeglichener Staatshaushalt« als Leitbild europäisiert wurde und welche ökonomischen, gesellschaftlichen Bedingungen sowie Interessens- und Akteurskonstellationen dazu führten.

Aus der Einleitung:

»Wir sind mit Griechenland dadurch solidarisch, dass wir die Athener Haushaltspolitik genauestens überwachen.« Diesen interessanten Satz sprach der ehemalige EU-Währungskommissar Joaquín Almunia Anfang 2010 angesichts der bisher schwersten Krise der Euro-Zone. (FAZ, 4.2.2010) Ist ›Überwachung‹ der orwellsche Neusprech für ›Solidarität‹? Die ›Stabilisierung‹ der Krisenregion Europa stand jedenfalls unter dem gleichen Motto wie seinerzeit die Gründung des Euro: deutsche Stabilitätspolitik. »Das einzige, was jetzt zählt, ist die konsequente Anwendung der Regeln« des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP), so Almunia weiter. Der 1997 unterzeichnete SWP war Deutschlands ›ordnungspolitische‹ Bedingung für die Einführung des Euro. Die Dominanz Deutschlands zeigte sich in der jüngsten Krise darin, dass die Bundesregierung den Austeritätskurs als Bedingung für den Euro-Rettungsschirm festschrieb. Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder konnte deshalb zu Recht feststellen, dass in Europa wieder »deutsch gesprochen« werde – eine Aussage, mit der er das europäische Ausland erzürnte.

Auf europäischer Ebene wurde bereits mit der Gründung des Euro der restriktive finanzpolitische Grundsatz festgeschrieben, dass die Euro-Länder einen »mittelfristig nahezu ausgeglichenen oder überschüssigen Haushalt« vorweisen müssen. Diese quasi-verfassungsrechtliche Regel ist ein ordnungspolitisches Standbein der vergemeinschafteten Währung. Sie ist der Kern der politischen Kontrolle und Disziplinierung der Mitgliedsstaaten, die zwar über eine gemeinsame Währung und eine Geldpolitik verfügen, in ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik jedoch weitgehend als unabhängige und konkurrierende ›nationale Wettbewerbsstaaten‹ agieren. Mit dem SWP wurde die Vergemeinschaftung der Verschuldungspolitik festgeschrieben, die konstitutives Moment der Euro-Architektur wurde, aber ohne einen vollständig ausgebildeten europäischen Staat und ohne europäische Regierung auskommen muss. Obgleich die im SWP verankerten Grundsätze eine Regel für alle Euro-Staaten darstellen, ist ihre Sanktionierung von den politischen Machtverhältnissen innerhalb der EU abhängig. Deutschland konnte mehrmals einen ›blauen Brief‹ der EU-Kommission wegen zu hoher Verschuldung abwenden, zugleich drängte es bei anderen Euro-Staaten auf ein strikte Einhaltung des SWP. Der Pakt hat demnach nicht nur einen ökonomischen, sondern vor allem einen politischen Charakter.

Dem ›ausgeglichenen Staatshaushalt‹ kommt im Rahmen des SWP eine besondere Rolle zu. Er ist zugleich Leitbild staatlichen Handelns und politisches Projekt. Als politisches Projekt kann eine konkrete politische Initiative gelten, die sich selbst als Lösung drängender sozialer, ökonomischer und politischer Probleme darstellt . Ein solches Projekt hat die Funktion, verschiedene soziale Kräfte durch ein ›messianisches‹ Moment zu ›versöhnen‹. Als zentrales strategisches Leitbild markiert es einen diskursiven Knotenpunkt, auf den sich alle Akteure beziehen müssen, wollen sie in der politischen Auseinandersetzung anerkannt werden. Und mehr noch: Das ordnungspolitische Leitbild des ausgeglichenen Staatshaushalts strukturiert unmittelbar die politischen Handlungsmöglichkeiten. Die Euro-Krise ab 2010 führte dies in extremer Form vor Augen. Aussagen über mögliche wirtschaftspolitische Alternativen im Rahmen der Euro-Krise lassen sich aber nur dann treffen, wenn die gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen und die Interessenlagen bei der Durchsetzung des Konzepts des ausgeglichenen Staatshaushalts offen liegen sowie dessen Widersprüchlichkeiten herausgearbeitet sind. Deshalb stehen in der vorliegenden Arbeit die Fragen im Mittelpunkt, wie der finanzpolitische Grundsatz ›ausgeglichener Staatshaushalt‹ als Leitbild europäisiert werden konnte und welche ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen einerseits sowie Interessens- und Akteurskonstellationen andererseits dazu führten.

Das Inhaltsverzeichnis als pdf-Datei findet ihr hier.

Auch an dieser Stelle nochmals Dank an alle helfende Kräfte.

Gerne stelle ich die Arbeit im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung oder einer Buchvorstellung vor. Schreibt mich einfach an. Besprechungsexemplare können beim Verlag angefragt werden.

innen dank

 

 

 

 

 

Die politische Ökonomie des Sparstrumpfs

Income taxIn den 1990er-Jahren war es die ›Globalisierung‹, heute gilt die Staatsverschuldung als das zentrale Problem der Weltwirtschaft. Der Grund: Erstmals seit dem 2. Weltkrieg sind es nicht die sogenannten Entwicklungsländer, die eine Schuldenkrise erleben, sondern die etablierten Industriestaaten. In Europa sind einige Regierungen zahlungsunfähig geworden und müssen von anderen Staaten finanziert werden. In den USA wachsen die Staatsschulden in Höhen, die sonst nur nach Kriegen erreicht werden. »Geht bald die ganze Welt pleite?«, fragt die BILD-Zeitung (13.07.2011), und der SPIEGEL (32/2011) titelt »Geht die Welt bankrott?«

In der öffentlichen Diskussion scheinen zwei Dinge klar: Staatsschulden sind schlecht. Und sie sind zu viel. ›Sparen‹ ist daher das Gebot der Stunde. Die Staaten wollen ›schlanker‹ werden, öffentliches Eigentum wird privatisiert, das nationale Lohnniveau soll sinken, um die ›Wettbewerbsfähigkeit‹ des Standortes zu erhöhen. Die Staatsverschuldung zeitigt damit die gleichen politischen Massnahmen wie die ›Globalisierung‹. Im Folgenden soll zunächst allgemein dargestellt werden, wie in bürgerlicher Staat sich finanziert und warum die Schuldenaufnahme für ihn keine ausserordentliche, sondern eine normale Form der Finanzierung ist. Anschliessend werden einige gängige Annahmen über Staatsschulden kritisiert. Darüber hinaus soll erklärt werden, was Staatsschulden sind, wozu sie dienen und an wem gespart wird, wenn es heisst: »Wir müssen sparen«.

>>> Weiterlesen [pdf] in: »Die politische Ökonomie des Sparstrumpfes. Der Steuerstaat und Mythen der Staatsschuld«, in: Denknetz Jahrbuch 2012 – Auf der Suche nach Perspektiven, Zürich 2012, 14-25.

Verarmung made in Frankfurt/M. by EZB

Thomas Sablowski und Etienne Schneider haben ein Standpunkte-Papier zur EZB geschrieben:

»Die Aktivitäten von Zentralbanken erscheinen meistens als rein technische Verfahren: Bereitstellung von Geld … Tatsächlich verbirgt sich jedoch hinter dieser vermeintlichen Entpolitisierung eine gezielte Festlegung der Zentralbanken auf die Vorgaben neoliberaler Geldpolitik. Da Zentralbanken in den gesellschaftlichen Verteilungskonflikten eine wesentliche Rolle spielen, geriet die Europäische Zentralbank (EZB) denn auch in der Krise wie kaum ein anderer europäischer Staatsapparat ins Handgemenge politischer Auseinandersetzungen, auch innerhalb der herrschenden Klassen, und wurde zu einem der wichtigsten Akteure der autoritär-neoliberalen Krisenpolitik.«

Und das Handgemenge wird mit Blockupy Ende des Monats nochmals handgreiflich werden.

Die wissenschaftliche Basis der Sparpolitik bröckelt (nicht) – Disziplinierungsinstrument Staatsverschuldung

»Zahlen sind unbestechlich, sie schaffen Klarheit und Orientierung. Vor allem in der Wirtschaft« schreibt Stephan Kaufmann einleitend zu seinem Artikel, der die Rechenfehler des US-Starökonomen Kenneth Rogoff referiert. Er hatte in einem Papier behauptet, dass die Wirtschaft in den Ländern schrumpfe, deren Staatsverschuldung 90 Prozent erreiche.

Jetzt ist überall zu lesen, dass die wissenschaftliche Basis der Sparpolitik bröckele – endlich! Denn eben wo Widerstand und Protest fehlen, da stellt ein Argument zur rechten Zeit sich ein. Gab es je den Zwang zu Wissenschaftlichkeit des Sparens? Braucht es die denn?

Bei der Frage, ob eine Umschuldung besser für Griechenland wäre oder eher dauerhafte Transferleistungen, wurden 2011 die WissenschaftlerInnen von M.M.WARBURG & CO plötzlich offen und attestieren ihren KollegInnen folgendes Verhältnis zur oft gebranntmarkten Staatsverschuldung:

»Zudem ist für viele Ökonomen die hohe Verschuldung ein wichtiges Disziplinierungsinstrument zur Durchsetzung struktureller Reformen, die sonst nicht zielstrebig durchgeführt würden.« (Studie Konjunktur und Strategie (21.4.11) von M.M.WARBURG & CO)

Ähnlich bereits vor über zehn Jahren der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in ihrem Jahresgutachten von 2001:

»Am Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt darf nicht gerüttelt werden. Zwar sind seine Referenzwerte wissenschaftlich nicht begründbar; sie haben aber erstaunliche Konsolidierungsbemühungen und Konsolidierungserfolge bewirkt und sollten unbedingt beibehalten werden.« (JG 01: Ziff. 28)

Die Idee, die Angst vor den Folgen der Verschuldung für die Politik zu nutzen, nannte Roland Reagans ehemaliger Direktor des Office of Management David Stockman »strategisches Defizit«. In einem Interview machte er deutlich, dass Reagan nie so recht an die Angebotspolitik glaubte, sondern einen »schlanken Staat« zum Ziel hatte. Ähnliches gibt es aus Großbritannien zu berichten. Der leitende Wirtschaftsberater von Margaret Thatcher, Alan Budd, gab dem Observer Anfang der 1990er Jahre zu Protokoll:

»Die Politik der 1980er Jahre, die Inflation durch Druck auf die Wirtschaft und Kürzung der öffentlichen Ausgaben zu bekämpfen, war ein Vorwand, um die Arbeiter abzustrafen. Das Ansteigen der Arbeitslosigkeit war sehr erwünscht, um die Arbeiterklasse zu schwächen. […] Seitdem konnten die Kapitalisten immer größere Profite machen.« (Zitiert nach Harvey 2010: 318)

Vor diesem Hintergrund steht ein finanzpolitisches Regimes der Austerität nicht im Widerspruch zur permanenten Staatsverschuldung europäischer Staaten – vielmehr sind es die zwei Seiten derselben Medaille. In die Wissenschaft sollten JournalistInnen und KritikerInnen von Merkel & Co derzeit nicht all zu viel Hoffnung setzen. Ideen müssen sich an der Wirklichkeit blamieren und die soziale und politische Wirklichkeit akzeptiert das Mantra vom Sparen – und die Deutschen lieben die Disziplin.

FAQ. Noch Fragen? Zypern: Eine Bank mit Badestrand

Bereits im Juni 2012 bat Zypern die EU um Hilfe. Zwei große Banken verzeichneten aufgrund der Griechenlandkrise Verluste von insgesamt 4,5 Milliarden Euro. Zyperns damalige linke Regierung verzögerte die Verhandlungen über Finanzhilfen mit der Troika bis Herbst. Und welch Überraschung: Anfang November 2012 berichtete Der Spiegel, dass eine Hilfe für zyprische Banken vor allem russische Schwarzgelder in einem Umfang von etwa 20 Milliarden Euro retten würde. Die Quelle der Information war der Bundesnachrichtendienst (BND).

Noch gibt es ihn, den zyprischen Euro. Foto: CC-Lizenz, L. Seidler.

Im März 2013 spitzte sich die Krise zu, und Zypern sah sich nach einer über zehnstündigen Verhandlung aufgrund von »Erschöpfung« gezwungen, dem Rettungsplan der Troika zuzustimmen, so Maltas Finanzminister Scicluna. Zypern wurden zehn Milliarden Euro Finanzhilfe zugesagt unter der Bedingung, dass die beiden größten Banken des Landes umstrukturiert werden. Die Laiki-Bank soll nun in eine abzuwickelnde »Bad Bank« und einen brauchbaren Rest aufgespalten werden, der in der Bank of Cyprus aufgehen soll.

Zudem wurde eine Sonderabgabe auf Konten angekündigt, die ein Volumen von über 100.000 Euro aufweisen. Damit soll der zyprische Eigenanteil am Eurohilfspaket finanziert werden. Der Aufschrei war groß, zumal zuerst die KleinsparerInnen zur Kasse gebeten werden sollten. Der »Haircut« von Privatanlagen wird einen Vermögensschnitt von etwa 37,5 Prozent des Gesamtvermögens bedeuten. Zudem wurde beschlossen, 22,5 Prozent der Einlagen für sechs Monate einzufrieren – ein Puffer, falls die Bank of Cyprus auch Bankrott gehen sollte. Vermögenswerte jenseits von Spareinlagen – Aktien oder z.B. deutsche Staatsanleihen – werden hingegen nicht angetastet. Continue reading “FAQ. Noch Fragen? Zypern: Eine Bank mit Badestrand”

Von wegen Casino! Populäre Irrtümer über Banken, Börse und Kredit

In der Reihe «luxemburg argumente» ist ein weiteres Bändchen erschienen: »Von wegen Casino. Populäre Irrtümer über Banken, Börse und Kredit«. Aus dem Klappentext:

Nicht erst seit der Finanzkrise stehen Banken und Finanzmärkte im Fokus der politischen Debatte – und am Pranger. Sie hätten sich die Wirtschaft untertan gemacht, anstatt ihr zu dienen, heißt es. Sie hätten die Welt in ein Spielcasino verwandelt, anstatt Unternehmen und Haushalte mit Kredit zu versorgen. Die Gier der Banker sei schuld an der Finanzkrise, jetzt kämen sie aber ungeschoren davon. Nun sollen die Banken zahlen, fordern die einen. Das sei eine große Gefahr, warnen die anderen. Denn vom Wohl der Banken hänge die ganze Wirtschaft ab. Und gegen die Märkte könne man heutzutage ohnehin keine Politik machen. Wer hat recht? Die Bevölkerung ist verwirrt – und macht sich Sorgen um ihre Ersparnisse.

Um etwas Klarheit in die Sache zu bringen, sollen in dieser Broschüre einige Grundsatzfragen geklärt werden. Was tun Banken mit «unseren Ersparnissen»? Was leisten die Finanzmärkte – und was nicht? Sind Banker wirklich gierig? Woher kommt die Abhängigkeit von den ominösen «Märkten»? Und kann man ihre Macht regulieren oder gar beseitigen? Erklärt werden diese Sachverhalte anhand gängiger Irrtümer bezüglich Banken, Börse und Kredit. Dabei ist das Wort Irrtümer mit Vorsicht zu gebrauchen. Denn an ihnen ist stets etwas dran. Dennoch erklären diese populären Ansichten nicht die Realität der Finanzsphäre. Stattdessen spiegeln sie eher Wünsche und Anforderungen wider, die an das Finanzkapital gerichtet werden.

Als PDF-Datei kann die Broschüre hier heruntergeladen werden.

Seminarreihe zur Euro-Konstruktion. Teil III und IV: Verlaufsform und Zuspitzung des Widerspruchs – Eine Krise viele Antworten?

«Regierungen und Zentralbank werden alles tun, um den Euro zu erhalten», sagt Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB). Was ist «alles»? Die Anti-Krisenstrategie basiert bislang auf drei Säulen: Die Staaten richten einen 500-Milliarden-Euro-Rettungsschirm (ESM) ein; die EZB kauft Anleihen von Krisenstaaten; die Länder der Eurozone beschließen Sparprogramme und «Strukturreformen», um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.

Angesichts des ökonomischen Niedergangs in Griechenland, Portugal und Spanien bleibt die Frage: Was «rettet» der Rettungsschirm eigentlich? Und was stützen die Stützungskäufe der EZB? Was bedeutet es, wenn die Zentralbank Staatsanleihen kauft und den Finanzmarkt mit «Milliarden flutet»? Und wer zahlt dafür, dass massenhaft «Geld gedruckt» und Garantien gegeben werden?

Auch der Vortrag und die Diskussion des dritten Teils sind nun online:

4. «Eine Krise viele Antworten?»

Die herrschende Krisenpolitik zeigte wieder einmal: Wer die Definitionsmacht über ein Problem hat, bekommt die (politische) Lösungskompetenz. Konkret: Aus der Krise des Kapitals wurde eine Staatsschuldenkrise gemacht, für die alle bzw. vor allem die Lohnabhängigen haftbar gemacht werden mit Sparhaushalten, Renten- und Lohnkürzungen, Flexibilisierung der Arbeitsmärkte etc.

Gleichzeitig ist die linke Diskussion über Krise und Wege aus der Krise lebendiger denn je. Krise bedeuten immer auch Risse im Putz – Morgenluft für eine andere Gesellschaft. Welche linken Erklärungen prägen die letzten Jahre? Welche Konzepte werden von links angeboten? Kann es einen «linken» Austritt Griechenlands aus der Eurozone geben? Was bringt ein Schuldenschnitt? Helfen Eurobonds oder die Finanztransaktionssteuer? Ist eine Verstaatlichung oder eine Zerschlagung von Banken angesagt? Was ist mit Kampagnen wie UmFairteilen? Was hat es mit Vollgeld auf sich? Wie aktuell ist die Frage nach einer Gesellschaft jenseits von kapitalistischer Herrschaft?

Auch der Vortrag und die Diskussion des vierten Teils sind nun online:

Die komplette Dokumentation der Reihe findet ihr hier. Vielleicht sehen wir uns bei der Abschlussveranstaltung!

FAQ. Noch Fragen? Bis einer heult: Währungskrieg

small_5455248543Währungen konkurrieren auf dem Weltmarkt um Anlagen suchendes Kapital. Das war auch ein Grund für die Einführung des Euro. Er sollte dem US-Dollar die Stirn bieten. Seit ein paar Monaten scheint aber Krieg, ein Währungskrieg zu herrschen. Großbritanniens Zentralbankchef, Mervyn King, spricht noch vorsichtig von »aktiv gesteuerten Wechselkursen«. Vor einem regelrechten Währungskrieg warnen hingegen bereits Russlands Zentralbanker Alexej Uljukajew oder William White, der frühere Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Continue reading “FAQ. Noch Fragen? Bis einer heult: Währungskrieg”

Seminarreihe zur Euro-Konstruktion. Teil I: Sinn des Euro – «Scheitert der Euro, scheitert Europa!»

Braucht Deutschland den Euro? Soll Griechenland aus der Eurozone austreten? Ist der Rettungsschirm groß genug? Muss mehr oder weniger gespart werden? Ist die Euro-Krise vorüber? Permanent konfrontieren Politiker, Ökonomen und die Medien die Bevölkerung mit solchen großen Fragen – und fordern Anteilnahme vom Publikum. Doch je weiter die Krise voranschreitet, desto unübersichtlicher wird das Feld. Da hilft nur eines: zurück an den Ursprung! Um die aktuellen Probleme Europas einzuordnen, befasst sich die Seminarreihe mit dem Grundkonzept der Euro-Konstruktion. Zunächst soll der Zweck des Euro-Projekts erklärt werden, dann sein Widerspruch und als Drittes die Art und Weise, wie die Politik mit dem Widerspruch umgeht, ohne ihn zu lösen. Als Schlusspunkt sollen linke Antworten auf die Krise diskutiert werden.

«Scheitert der Euro, scheitert Europa!», warnen Politiker. Aber was bedeutet dieser Satz? Schließlich gab es Europa und die EU schon vor dem Euro. Und hört man die Klagen der Politiker, so würde eine Rückabwicklung der Währungsunion viele Probleme lösen: Dann wären Staaten wie Griechenland vom deutschen Spardiktat befreit. Und Deutschland müsste nicht länger den «Zahlmeister Europas» spielen.

In ersten Teil des Seminars wird geklärt, warum die Euro-Staaten ihre Währungen zusammengelegt haben, welche Vorteile der Euro bietet, was es mit der Konkurrenz zum US-Dollar auf sich hat – und welches Projekt eigentlich scheitert, wenn der Euro scheitert.

Der Vortrag und die Diskussion sind nun online:

Vortrag und Diskussion: Kein Staat zu machen? Die Krise, der Staat und die Linke

Die letzten Jahre führten nicht nur vor Augen, dass der Kapitalismus nur krisenhaft zu haben ist, sondern dass der Staat alles Nötige tut, damit er nicht den Bach runtergeht. Er hat Konjunkturprogramme aufgesetzt, Banken gerettet, verstaatlicht und nicht nur Griechenland ein Sparprogramm aufgezwungen. Wer für die Krise zahlen muss, war schnell klar: Lohnabhängige, RenterInnen, Prekäre. Eine radikale und theoretisch fundierte Staatskritik ist nötiger denn je. Die Veranstaltung wird in materialistische Staatstheorie und -kritik vor dem Hintergrund der Krise einführen. Ziel ist es, Fragen zu diskutieren, die für die außerparlamentarische Linke aktuell von Bedeutung sind. Wie gestaltet sich das Verhältnis von Staat und Kapital? Ist der Staat nur Instrument und Repressionsapparat des Kapitals? Hat der Staat ein Geschlecht? Sind linke Parteien Teil des Staats und außerparlamentarische Bewegung autonom? Diese Fragen sollen mit den Theorien von unter anderem Gramsci, Althusser
und Poulantzas diskutiert werden. Vorkenntnisse sind nicht nötig.

Freitag, 8. Februar 2012, 19.30h, Infoladen Wilhelmsburg, Fährstr. 10.

Die Veranstaltung wird unterstützt vom Verein für politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

Wettbewerbsfähigkeit eine Absage erteilen. Die Linke sollte sich nicht über die »Selbstkritik« des IWF freuen

Der Chefvolkswirt des Internationalen-Währungsfonds (IWF), Olivier Blanchard, und sein Kollege Daniel Leigh haben Anfang des Jahres ein Arbeitspapier veröffentlicht, das SozialdemokratInnen und GewerkschafterInnen jubeln ließ: Die Sparanstrengungen der letzten Jahre hätten das Wachstum in Europa stärker beeinträchtigt als erwartet. Hatten das Linke und Gewerkschaften nicht immer gesagt?!

siestaErnsthaft bezweifelt hat die negativen Auswirkungen der Sparpolitik auf das Wirtschaftswachstum eigentlich niemand. Wenn die gesellschaftliche Nachfrage zurückgeht, etwa durch Austeritätspolitik, werden weniger Waren verkauft, bleibt das Wirtschaftswachstum aus, verwertet sich das Kapital schlechter. Denn die neoliberalen Ideologen setzen ja gerade auf einen Anpassungseffekt, setzen eben nicht auf die Seite der Nachfrage, sondern drängen auf die Verbesserung des Angebots, sprich: besser ausbeutbare Arbeitskraft. Löhne, soziale Abgaben und Steuern sind für das Einzelkapital wesentlich Kostenfaktor. Der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, vertritt sogar öffentlich die Position, dass die negativen Effekte hingenommen werden müssten, um eine nachhaltige Erholung der Wirtschaft zu ermöglichen, d.h. Kapital wieder profitabel werden zu lassen.

Dies zeigt, dass die Austeritätspolitik in Europa nicht eine Frage richtiger wirtschaftspolitischer Konzepte oder ökonomischer Vernunft ist, sondern Resultat von Klassenkämpfen und Auseinandersetzungen darüber, wie die Krisenlasten sozial verteilt werden – auch zwischen den Eurostaaten. Schließlich war es vor allem Deutschland, das die Fahne des Sparens und der Strukturanpassung hochhielt. Für das deutsche EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen sind etwa Arbeitsmarktreformen in südlichen Euroländern »der Schlüssel, wenn ein Land im Euro bleiben möchte«. (Märkische Allgemeine, 3.7.2012)

Die politische Dimension zeigt sich auch daran, dass, als der IWF vor zehn Jahren eine Auswertung seiner fiskalischen Anpassungsprogramme zwischen 1993 und 2001 vorlegte, er zu dem kaum erstaunlichen Ergebnis kam, dass immer wieder zu hohe Sparauflagen verordnet wurden, weil das Wirtschaftswachstum zu stark fiel. Würde der IWF seine eigene wissenschaftliche Kompetenz ernst nehmen, wäre er als Teil der Troika kaum dabei gewesen, die von der Krise betroffenen Länder der Europeripherie mit Austeritätspolitik und Anpassungsmaßnahmen zu überziehen. Das Verhätnis von wissenschaftlicher Expertise und politischer Strategie zeigte sich auch keine Woche nach der Veröffentlichung des IWF-Arbeitspapiers: Von Portugal forderte der Weltwährungsfonds Kürzungen im Umfang von vier Milliarden Euro, 50.000 Entlassungen im öffentlichen Dienst; außerdem sollen die Renten um 20 Prozent gekürzt und die Gesundheitsgebühren angehoben werden.

Es gibt aber keinen Grund für Linke, sich über die selbstkritische Beurteilung der Sparmaßnahmen freuen. Die zu erreichenden Ziele, die mal mit mehr oder weniger defizitfinanzierter Wirtschaftspolitik verfolgt werden, sind nämlich die gleichen: Wirtschaftswachstum, Wettbewerbsfähigkeit und günstige Rahmenbedingungen für die Kapitalverwertung schaffen.

Das Ziel der Konkurrenzfähigkeit ist nämlich das Lebenselixier der Kapitalverwertung und der Soundtrack für einen aggressiven Nationalismus und Rassismus innerhalb Europas.

Eine Voraussetzung dafür ist in Deutschland der Bruch der Gewerkschaften mit der Sozialdemokratie. Dass dieser nicht abzusehen ist, weiß auch die Bundesregierung, die die deutschen Mitmachgewerkschaften an ihrer Seite hat. Das bezeugte die Neujahrsrede von Angela Merkel: »Es sind die … Gewerkschafter und Unternehmer, die gemeinsam für die Sicherheit der Arbeitsplätze arbeiten«.

Ingo Stützle

Erschienen in: ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 579 vom 18.1.2013

Schuldenschnitt für Athen

Bild: CC-Lizenz, thewalkingirony
Bild: CC-Lizenz, thewalkingirony

Griechenland wurde ein weiteres Mal gerettet – hieß es offiziell am 27. November 2012. Nachdem alle bisher von der Troika (EZB, EU und IWF) verordneten Maßnahmen nur dazu geführt haben, dass Griechenlands Wirtschaftsleistung gesunken ist, soll erneut versucht werden, die »Tragfähigkeit« des Landes zu erreichen. Allein letztes Jahr ging das Bruttoinlandprodukt (BIP) Griechenlands um über sieben Prozent zurück. Damit sanken auch die staatlichen Einnahmen – die Verschuldung stieg.

Mit der neuen Vereinbarung soll nun die Schuldenquote – also das Verhältnis der Gesamtverschuldung zur Wirtschaftsleistung – von heute etwa 190 Prozent auf 124 Prozent des BIP bis 2020 gedrückt werden. Realistisch ist das nicht. Selbst vor dem Hintergrund der optimistischen Konjunkturprognosen der Troika müsste Griechenlands Wirtschaft ab 2015 jährliche um fast fünf Prozent wachsen, um das Ziel bis 2020 erreichen zu können. Wobei dieses Szenario unterstellt, dass die Staatsverschuldung nicht noch weiter wächst.

Welche zwei Maßnahmen sollen nun die Verschuldung für Griechenland »tragfähig« machen? Zum einen der Rückkauf von Staatsschuldpapieren und zum anderen eine Verringerung der Zinslast sowie die Streckung der Tilgung. Die Kreditlaufzeit verlängert man, indem die Kredite aus dem europäischen Rettungsfonds EFSF erst nach 30 Jahren und nicht – wie bisher vereinbart – schon in 15 Jahren getilgt werden sollen. Gleichzeitig werden ein weiteres Mal die Zinsen gesenkt – von bislang 3,5 auf 2,5 Prozent. An den Finanzmärkten müsste Griechenland, das de facto vom Kapitalmarkt abgeschnitten ist, derzeit bis zum Zehnfachen bieten. Allerdings ist die Zinssenkung nach Finanzstärke der EU-Gläubigerländer gestaffelt. Deutschland wird Athen Zinsen erlassen, Irland und Portugal hingegen nicht, weil sie selbst EFSF-Kredite bekommen haben. Continue reading “Schuldenschnitt für Athen”

FAQ. Noch Fragen? Target2: Euro ist nicht gleich Euro

Die Angst vor Inflation ist offensichtlich nicht so tief im kollektiven Gedächtnis der Deutschen verankert, wie gern behauptet wird. Vielmehr muss sie ständig wach gehalten werden. Einer, der das besonders gut kann, ist der bekennende Klabauterbartträger Hans-Werner Sinn, Chefökonom des IFO-Instituts. Er behauptet seit Monaten recht medienwirksam, dass in den südlichen Euroländern permanent Euros gedruckt würden. »Weil die Druckerpressen in der Peripherie noch immer auf Hochtouren laufen, musste die Bundesbank ihre eigene Presse in eine Schreddermaschine verwandeln, um das viele Geld, das aus dem Süden zuströmte, wieder zu vernichten« – so Sinn in der Wirtschaftswoche vor einem Jahr. Continue reading “FAQ. Noch Fragen? Target2: Euro ist nicht gleich Euro”

FAQ. Noch Fragen? ESM: Rettung unter Auflagen

Mit drei Monaten Verspätung wurde der dauerhafte Rettungsschirm ESM (European Stability Mechanism) bei einem Treffen in Luxemburg am 8. Oktober 2012 nun in Kraft gesetzt. Erst nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Mitte September 2012 war der Weg frei. Das höchste deutsche Gericht machte zur Bedingung, dass der deutsche Anteil am Stammkapital nicht ohne Zustimmung des Bundestags erhöht werden kann. Die Eurostaaten haben inzwischen eine entsprechende Erklärung abgegeben. Der ESM von 17 Eurostaaten wurde bereits Anfang 2012 gründet und sollte ab Juli 2012 den bisherigen Eurorettungsschirm EFSF (European Financial Stability Facility) ablösen. Continue reading “FAQ. Noch Fragen? ESM: Rettung unter Auflagen”

Europa diskutieren. Nach dem ESM-Urteil ist eine solidarische Politik von unten nötig

»Mit diesem Vertrag beginnen Sie die Gründung einer europäischen Föderation, der Vereinigten Staaten von Europa, und zwar über eine Fiskalunion«, erklärte der Vorsitzende der Linksfraktion Gregor Gysi Ende März 2012 vor dem Bundestag und schlussfolgerte, dass der zur Debatte stehende Fiskalvertrag verfassungswidrig sei. Als hätte Gysi hellseherische Fähigkeiten, verkündete EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso am 12. September 2012, dem Tag des ESM-Urteils durch das Bundesverfassungsgericht, eine »Föderation der Nationalstaaten«. »Dies bedeutet eine Union mit den Mitgliedstaaten, nicht gegen die Mitgliedstaaten«, so Barroso weiter. Continue reading “Europa diskutieren. Nach dem ESM-Urteil ist eine solidarische Politik von unten nötig”