Auch wenn das Geschrei angesichts eines möglichen Wahlsiegs von SYRIZA in Griechenland groß ist, schätzten in den letzten Monaten nicht mehr alle Meinungsmacher_innen in Presse, Politik und Wissenschaft den europäischen Sparkurs als ökonomisch vernünftig ein. Garniert war die leichte Verschiebung des Diskurses mit den breit diskutierten Thesen von Thomas Piketty über die wachsende Ungleichheit. Sparen und Ungleichheit schaden der Wirtschaft, war plötzlich nicht nur von den Gewerkschaften zu hören. Die neoliberale Politik wurde für gescheitert erklärt. Ein Anzeichen dafür ist, dass vor 2009, zu Beginn der Eurokrise, deutlich weniger Menschen als heute mit dem Wörtchen »Austerität« etwas anfangen konnten. Man hätte eher von »Sparen« gesprochen. Aber »Austerität«? Was soll das sein?
FAQ. Noch Fragen? Berliner Schuldenkonferenz?
»Griechen für deutsche Lösung«, titelte die taz Anfang 2015. Die Tageszeitung spielte damit auf eine Forderung des griechischen Linksbündnisses SYRIZA an. »Auch Deutschland wurde 1953 ein Großteil der Kriegs- und Vorkriegsschulden erlassen, um einen Neustart zu ermöglichen«, so Jannis Milios, Wirtschaftsprofessor in Athen und wichtiger SYRIZA-Wirtschaftsberater, in der Berliner Zeitung (13.1.2015). Damals erließen die Westalliierten der Bundesrepublik fast die Hälfte der Altschulden – auch Griechenland unterschrieb in London das Schuldenabkommen, das oft als eine Voraussetzung für das sogenannte Wirtschaftswunder benannt wird. Warum also nicht ähnliche Verhandlungen für Griechenland? Sind die ökonomischen und politischen Bedingungen für einen Schuldenschnitt überhaupt vergleichbar?
Varoufakis: »Ich glaube, dass die EU davon profitieren würde, wenn Deutschland sich als Hegemon verstünde«
Deutschland ist das mächtigste Land Europas. Ich glaube, dass die EU davon profitieren würde, wenn Deutschland sich als Hegemon verstünde. Aber ein Hegemon muss Verantwortung übernehmen für andere. Das war der Ansatz der USA nach dem Zweiten Weltkrieg.
So der neue griechische Finanzminister Varoufakis in einem ZEIT-Interview.
Die Linke sollte sich mal darüber verständigen, was das, wenn das tatsächlich eintritt, für ihre kritische Solidarität, Einschätzung, Analysen und Kommentierungen bedeutet.
Aufgeblättert: Wahlen im Maßnahmenstaat Griechenland
»Seit den Kreditverträgen vom Mai 2010 zwischen Griechenland, der Europäischen Union und dem Internationalen Währungsfonds stehen alle zentralen Entscheidungen des griechischen Parlaments unter dem Vorbehalt der Gläubiger« – so der Klappentext zu Gregor Kritidis Buch »Griechenland – auf dem Weg in den Maßnahmenstaat«. Und man möchte ergänzen: Selbst die Wahl des Parlaments steht unter Vorbehalt. Zumindest wenn man den deutschen Pressekommentaren lauscht. Denn seit dem klar ist, dass im Januar Neuwahlen anstehen und die Linkspartei SYRIZA laut Umfragen die stärkste Kraft ist, dreht vor allem die deutsche Politikelite am Rad. Obwohl klar ist, dass es keine rechtlichen Möglichkeiten gibt, dass Griechenland die Eurozone verlässt, wird das Grexit-Szenario angerufen und somit deutlich gemacht:...
Helmut Kohl gibt zu, Diktator gewesen zu sein
Die Aufregung um das Buch von Heribert Schwan ist groß; mehrere Passagen sollen aus Die Kohl-Protokolle geschwärzt werden. Zu anderen Zitaten steht Kohl scheinbar noch, so etwa zu der von Jens Peter Paul entlockten Kohl-Aussage, die in Pauls Promotion [PDF] einfloss: Ich bin ein Machtmensch, okay – was heißt eigentlich: Wieso bin ich Machtmensch? Wenn einer Bundeskanzler ist, will etwas durchsetzen, muß er doch ein Machtmensch sein! Und wenn er gescheit ist, dann weiß er: Jetzt ist eine Zeit reif, um etwas durchzusetzen. Und wenn er gescheit ist, dann weiß er: Es gibt Sachen, da muß ich warten. Es ist mein volles Leben: In einem Fall war ich wie ein Diktator, siehe Euro , in einem Fall war ich ein Zauderer, habe alle Probleme ausgesessen. Ist immer noch der gleiche Helmut Kohl, von dem...
Zweitauflage von »Austerität als politisches Projekt« erschienen
Irre. Etwa ein Jahr nach den ersten Besprechungen ist mein Buch »Austerität als politisches Projekt« in die zweite Auflage gegangen:
Das Volk als Wille und Vorstellung. Die Forderung nach »Souveränität« ist für politische Emanzipationsprozesse mehr Irrlicht als Orientierungspunkt
Von Holger Oppenhäuser und Ingo Stützle
Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst der Souveränität. Links wie rechts erhofft sich, durch eine Stärkung staatlicher Souveränität wahlweise der kapitalistischen Globalisierung, der neoliberalen Banken- und Eurorettung und der Europäischen Zentralbank oder dem US-Imperialismus die Stirn bieten zu können -auch auf den sogenannten Montagsdemos stimmen einige ProtagonistInnen in diesen Chor ein.
Die Hilflosigkeit keynesianistischer Makroökonomie
Nachdem die Krise 2008 zu einer internationalen Banken- und Finanzkrise ausartete und eine tiefgreifende Depression nach sich zog, waren Vergleiche mit 1929 an der Tagesordnung. In der Diskussion über wirtschaftspolitische Alternative wurde und wird auch regelmäßig der in den 1930er Jahren angestrengte »New Deal« ins Feld geführt – als positives Beispiel für eine Alternative. Stephan Schulmeister vom österreichischen WIFO hat nun ein 23seitiges Papier mit dem Titel »Von Roosevelt lernen: Sein ›New Deal‹ und die große Krise Europas« vorgelegt. Der Beitrag ist wie immer lehrreich und interessant – nur etwas hilflos. Das wäre nicht weiter tragisch, wenn diese politische Hilflosigkeit selbst Thema werden würde. Wird sie aber nicht. Die Hilflosigkeit drückt sich darin aus, dass die Politik...
Undemokratischer Antifaschismus
Heute morgen im Radio: Gregor Gysi (Die Linke) wird von Christoph Heinemann (Deutschlandfunk) zur Ukraine interviewt (Hinweis von Martin Krauss, Protokoll deutschlandfunk): Gysi: »Unsere Regierung sagt einmal, die Verfassung gilt nicht richtig, es ist eine Revolution. Am nächsten Tag sagen wir aber, wir müssen ja die Verfassung einhalten in Bezug auf die Krim. Und wissen Sie, was mich an der Regierung wirklich stört? Da sitzen aber richtige fünf Faschisten drin. Ich habe ja gestern den Vorsitzenden der Swoboda-Partei zitiert. Ich bitte Sie! Und ich finde, gerade die Bundesregierung hätte sagen müssen, hier ist eine Grenze überschritten. Ich meine, der hat gesagt, ›An die Gewehre‹, und dann hat er gesagt, ›Russensäue, Deutsche, Judenschweine und andere Unarten‹. Ich bitte Sie! Das ist der...
»Im Übrigen wären Reparationen mehr als 65 Jahre nach Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen ohne jede Präzedenz.«
»Im Übrigen wären Reparationen mehr als 65 Jahre nach Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen ohne jede Präzedenz.« (Deutsche Bundesregierung) Die deutsche Regierung hat auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke geantwortet (Anfrage/Antwort). Gegenstand sind mögliche Reparationsansprüchen Griechenlands und die Rückzahlung einer Zwangsanleihe. Es gebe keine Ansprüche, so die Regierung. Hintergrund ist, dass u.a. Syriza immer wieder angekündigte, die Reparationsfrage nochmals aufs Tablett zu bringen. Zur offenen Reparationsfrage trug Karl Heinz Roth einiges an Material zusammen, Hintergrund ist u.a. die Zerstörung der griechischen Volkswirtschaft (1941-1944) (hörenswert ist auch der Beitrag von Otto Köhler zu Deutschlands Schulden in Athen; siehe unten). In der gleichen Ausgabe...