Aufgeblättert: Geld und Kapitalismus

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Lucas Zeise ist Mitgründer der Financial Times Deutschland und dort bis heute ein origineller Kopf, der nicht so recht in die blassrosa Apologetik des Kapitalismus passt. Bereits zum Ausbruch der Krise veröffentlichte er bei Papyrossa ein lesenswertes Buch zum Ende der Party des Finanzmarktkapitalismus. (siehe ak 533) Leider reicht sein neues Buch nicht an die inzwischen in zweiter Auflage erschienene Krisenanalyse heran. Die knapp 200 Seiten lesen sich so, als hätte sich der Autor ins stille Kämmerchen zurückgezogen und sich mit kapitalismustheoretischen Grundlagen beschäftigt. Auf 50 Seiten versucht er, mit Marx dem Geld auf die Schliche zu kommen und verfehlt dessen wichtigsten Punkt: dass das Geld für eine warenproduzierende Gesellschaft notwendig ist, weil sich nur mit einem allgemeinen Äquivalent die Waren als Werte aufeinander beziehen lassen. Auch geht bei Zeise die Unterscheidung von Geld und Kapital verloren. Das zeigt sich in den Kapiteln zu Finanzprodukten, die eben keine Varianten des Geldes sind, sondern fiktives Kapital. Diesen Begriff nennt er zwar, macht ihn aber nicht für das Verständnis der “Verrücktheit” des Finanzkapitals fruchtbar. Für diejenigen, die schon immer wissen wollten, wie die Zentralbanken mit den Geschäftsbanken interagieren und was die Basel-Abkommen sollen, ist das knapp 30-seitige 6. Kapitel durchaus erhellend. Aber leider bleibt Zeise auch da schwach, wo er eigentlich stark ist: in der Ausleuchtung konkreter politischer und ökonomischer Widersprüche, die etwa die zweite Hälfte des Buches ausmachen. Seine vorangestellte These, die er am Schluss nochmals unterstreicht, dass der Neoliberalismus am Ende sei, kann er in keiner Weise unterfüttern. Immerhin deutet der Buchtitel an, was die LeserInnen erwartet – ein Versuch. Nur leider ist er misslungen.

Ingo Stützle

Lucas Zeise: Geld – der vertrackte Kern des Kapitalismus. Versuch über die politische Ökonomie des Finanzsektors. Papyrossa Verlag, Köln 2010. 192 Seiten, 12,90 EUR

Erschienen in: ak – zeitung für linke debatte und praxis, Nr. 554 v. 15.10.2010, Seite 35

Unzufrieden mit dem Unveränderlichen. Ein Nachruf auf Thomas Marxhausen (1947–2010)

Noch im Mai diesen Jahres referierte Thomas Marxhausen auf einem Begleitseminar zu den RLS-Kapitallesekursen »Dem Wert auf der Spur» zum Thema «Den Stachel ziehen? Konflikte um die Edition der Manuskripte von Marx und Engels«. Dank Thomas bin ich an ein paar MEGA-Bände gekommen – eine ehemalige Kollegin von ihm wollte Platz im Regal schaffen. Auch habe ich ihm einen kritischen Einblick in die MEGA-Edition zu verdanken. Einen Beitrag zur neuen Kapital-Lektüre in der DDR für Das Kapital neu lesen wollte er schließlich leider doch nicht schreiben. Noch vor seiner Absage schrieb er mir:

wenn interesse bei euch, mache ich einen abriss, was wurde wie seit mitte der 1970er jahre diskutiert, das kann ich machen, dieses material habe ich ready, weil ich beteiligt war wie auch im Rat für M-E-Forschung am IML beim ZK der SED (also ein Täter — wollt ihr einen Täter??? überlegt’s euch gut!).

Thomas war sehr selbstkritisch – ja selbstzerstörerisch selbstkritisch.

Vor zwei Wochen erreichte mich die traurige Nachricht, dass Thomas am 6. September 2010 in Halle im Alter von 63 Jahren viel zu früh aus dem Leben schied. Einen Nachruf von Rolf Hecker und eine Kurzbiographie haben ich zusammen mit einer Auswahlbiographie auf die website von »Das Kapital lesen« gestellt. Einge Texte sind als pdf verfügbar. Nach und nach werde ich weitere Texte einpflegen.

Piraten im Ausnahmezustand. Daniel Heller-Roazen untersucht die Geschichte einer Rechtsfigur

Der Begriff “Ausnahmezustand” hat seit Jahren Konjunktur. Der Literaturwissenschaftler Daniel Heller-Roazen beschäftigt sich in seiner Studie mit einer dazugehörenden Rechtsfigur, dem Pirat. Die bis in die Antike zurückgehende Untersuchung folgt der historischen Entstehung der Figur “Pirat”, dem politischen und sozialen Wandel und seinem Verschwinden. Dass der Pirat plötzlich wieder auf der politischen Bühne erscheint, ist für Heller-Roazen ein Anzeichen dafür, dass sich die Formen der politischen Konfrontationen verändert haben, und ein Alarmzeichen zugleich. Continue reading “Piraten im Ausnahmezustand. Daniel Heller-Roazen untersucht die Geschichte einer Rechtsfigur”

Vortrag von Thomas Marxhausen online: Den Stachel ziehen? Konflikte um die Edition der Manuskripte von Marx und Engels

Dem Wert auf der Spur

Im Rahmen der Satellitenseminare der Lesekurse zum marxschen Kapital referierte Thomas Marxhausen über die politische und ideologische Dimension der historisch-kritischen Edition der Arbeiten und Manuskripte von Karl Marx und Friedrich Engels.

Viele Manuskripte der Autoren Marx und Engels wurden nicht für die Veröffentlichung geschrieben, auch schloss Marx Das Kapital nie ab. Wann, wie und was jedoch im Laufe der Jahrzehnte davon publiziert wurde, das ist bis heute eine von Konflikten gezeichnete Geschichte. Der historisch erste Versuch, eine kritische Marx-Engels-Edition (MEGA1) herauszugeben, endete in den 1930er Jahren mit der Verschleppung und Ermordung eines Großteils der damit befassten ForscherInnen, inklusive des Direktors des „Marx-Engels-Institut“ in Moskau, David Rjasanow. Ein zweiter Versuch (MEGA2) unter der Ägide der KPdSU- und SED- Führung endete mit dem Zusammenbruch des Realsozialismus. Von da an war es zwar möglich, unter neuen Vorzeichen die Marx’schen Originalmanuskripte zu bearbeiten und zu interpretieren; ein Ende der politischen Auseinandersetzung um die Herausgabe der Werke ist jedoch bis heute nicht in Sicht. Das zeigte sich vor allem vor dem Hintergrund der Debatte um die neuen Editionsrichtlinien von 1993.

Der Vortrag von Thomas Marxhausens kann nun angehört werden:

Der Vortrag von Thomas Marxhausens kann nun angehört werden:

Prokla 159: Marx!

Gestern lag die neue Prokla im Briefkasten. Das Thema ist Marx! Die Nummer schließt damit an die Prokla 151 an, die ebenfalls einen gesellschaftstheoretischen und -kritischen Schwerpunkt hatte (»Gesellschaftstheorie nach Marx und Foucault«). Aber auch in den Heften zu »Krise«, zu »Sozialismus« oder »postkolonialen Studien« spielte Marx eine prominente Rolle. Damit mausert sich die Prokla zu einem wichtigen Bezugspunkt für eine an Marx orientierte Sozialwissenschaft.

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Begleitreihe zum marxschen Kapital als Taschenbuch

Seit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise wird das marxsche Kapital wieder verstärkt nachgefragt. Seit 2008 legt der Dietz Verlag, der nach wie vor die blauen Bände lieferbar hält, eine günstige Begleitreihe auf. Nach dem von Marx nicht publizierten »Resultaten des unmittelbaren Produktionsprozesses«, den ersten Band zusammenfassenden und abschließenden 6. Kapitel (Das Kapital 1.1), erschien gesondert das berühmte 24. Kapitel zur sogenannten ursprünglichen Akkumulation. Inzwischen liegen auch Briefe zum Kapital vor.

Mehr zur Reihe [pdf]

Export und Krise – aufgeschoben ist nicht aufgehoben

Gestern hatte ich Paul Krugman als Sprachrohr einer keynesianistischen Interpretation der gegenwärtigen ökonomischen Konstellation angeführt. Von Keynes kann man durchaus etwas lernen, aber eine an Marx orientierte Kritik und Keynes’ Theorie ergänzen sich eben nicht einfach, wie viele zu glauben meinen (vgl. hier).

»Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel.« (Marx 1848) Foto: CC-Lizenz, Patrick Q.

Bereits in Keynes Allgemeiner Theorie ist zu dem von Krugman angesprochenen Problem zu lesen:

»Wenn aber die Nationen lernen können, sich durch ihre Inlandpolitik Vollbeschäftigung zu verschaffen …, braucht es keine wichtigen wirtschaftlichen Kräfte zu geben, die bestimmt sind, das Interesse eines Landes demjenigen seiner Nachbarn entgegenzusetzen. … Internationaler Handel würde aufhören das zu sein, was er ist, nämlich ein verzweifeltes Mittel, um die Beschäftigung im Inland durch das Aufzwingen von Verkäufen in fremden Märkten und die Einschränkung von Käufen aufrechtzuerhalten, der, wenn er erfolgreich ist, lediglich das Problem der Arbeitslosigkeit auf den Nachbarn schiebt, der im Kampf unterliegt« (Keynes 1936, 322f.).

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To be or not to be a Keynesian – ist das die Frage? Kritik und Grenzen wirtschaftspolitischer Alternativen – web

Meinen in der Prokla erschienenen Artikel zu Keynes habe ich nun nicht nur als pdf ins Netz gestellt, sondern auch derart, dass man sich mit der Maus die Hand wund scollen kann:

To be or not to be a Keynesian – ist das die Frage? Kritik und Grenzen wirtschaftspolitischer Alternativen, in: Prokla 157 (Der blutige Ernst: Krise und Politik), 39.Jg., H.4, 607-623.

Den Stachel ziehen? Konflikte um die Edition der Manuskripte von Marx und Engels

Die marxschen Originalmanuskripte in der MEGA - geklebt, nicht geschüttelt bitte

Im Rahmen der Kapital-Kurse der rls findet am kommenden Freitag ein Satellitenseminar statt. Um diese regelmäßigen Lesetreffen herum kreisen verschiedene Satellitenseminare zu ausgewählten Fragen und Diskussionssträngen auf dem Feld der Kritik der Politischen Ökonomie. Am Freitag haben wir Thomas Marxhausen zu Gast. Er referiert zum Thema »Den Stachel ziehen? Konflikte um die Edition der Manuskripte von Marx und Engels«.

Viele Manuskripte der Autoren Marx und Engels wurden nicht für die Veröffentlichung geschrieben, auch schloss Marx Das Kapital nie ab. Wann, wie und was jedoch im Laufe der Jahrzehnte davon publiziert wurde, das ist bis heute eine von Konflikten gezeichnete Geschichte. Der historisch erste Versuch, eine kritische Marx-Engels-Edition (MEGA1) herauszugeben, endete in den 1930er Jahren mit der Verschleppung und Ermordung eines Großteils der damit befassten ForscherInnen, inklusive des Direktors des “Marx-Engels-Institut” in Moskau, David Rjasanow. Ein zweiter Versuch (MEGA2) unter der Ägide der KPdSU- und SED- Führung endete mit dem Zusammenbruch des Realsozialismus. Von da an war es zwar möglich, unter neuen Vorzeichen die Marx’schen Originalmanuskripte zu bearbeiten und zu interpretieren; ein Ende der politischen Auseinandersetzung um die Herausgabe der Werke ist jedoch bis heute nicht in Sicht.

Einen sehr guten Überblick zur Geschichte der MEGA² bietet Marxhausen in seinem Text »MEGA – MEGA” und kein Ende«, in: UTOPIE kreativ, 2006, H.189/190, 596-617. Auch die Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge arbeiteten die Geschichte MEGA² auf (besonders in den Sonderbänden).

Thomas Marxhausen: »Den Stachel ziehen? Konflikte um die Edition der Manuskripte von Marx und Engels«

Thomas Marxhausen: »Den Stachel ziehen? Konflikte um die Edition der Manuskripte von Marx und Engels«.
28. Mai 2010, 19.30 Uhr
Rosa-Luxemburg-Stiftung
Franz-Mehring Platz 1, Berlin
Seminarraum wird im Foyer bekannt gegeben
Anmeldung bitte bei valeanto [ät] das-kapital-lesen.de

Karl Marx in Sendai

Im freitag ist ein sehr kurzer Beitrag zur japanischen Marx-Lektüre erschienen: »Karl Marx in Sendai«. Der Beitrag kokettiert mit der marxistischen Orientierung der Mitglieder der dortigen Wissenschaftlichen Gesellschaft für Politische Ökonomie.

»Die japanische ‘Wissenschaftliche Gesellschaft für Politische Ökonomie’ zählt an die 800 Professoren zu ihren Mitgliedern, und – man glaubt es kaum, hat es aber von mehreren Seiten bestätigt bekommen – sie seien alle mehr oder weniger marxistisch orientiert. Da hätte bei uns der Verfassungsschutz aber zu tun!«

Puppen des mexikanischen Künstlers Pedro Reyes auf der yokohama triennale 2008

Wer Jan Hoffs Buch Marx global gelesen hat merkt allerdings schnell, dass Japan zwar hinsichtlich der Marx-Rezeption eine herausragende Rolle spielt, dass sich aber vor allem Deutschland durch einen hinterwäldlerischen Hochschuletrieb auszeichnet. Sowohl in Frankreich, im angelsächsischen Sprachraum, aber eben auch in Korea und anderen Ländern ist es normal, dass an Marx orientierte WissenschaftlerInnen Teil des akademischen Betriebs sind. Deutschland ist in dieser Frage ein »Entwicklungsland«, was sicher auch mit dem seit 1945 grassierenden Antikomunismus zu tun hat. Aber man sollte sich auch nicht täuschen lassen: Der wissenschaftliche Betrieb und die universitären Institution gehorchen eben auch ihrer eigenen Logik und »Marx« ist eben nicht einfach ein Synonym für »links« oder »politisch«.

Lesenswert ist Hoffs Studie in jedem Fall. Meine Besprechung für den Widerspruch findet sich hier.

Foto: yokohama triennale 2008, CC-Lizenz, riverseal

attac-Bankentribunal zwischen Recht, Moral und materieller Ungleichheit

Für attac war es schon jetzt das Highlight des Jahres. Im Rahmen eines Bankentribunals sollten die Ursachen, aber vor allem die »Schuldigen der Finanzkrise« angeklagt und verurteilt werden. In der Volksbühne tummelten sich mehrere Tage die Schaulustigen. Am Sonntag wurde dann das Urteil gesprochen. Aber das ganze Spektakel zeigt vor allem wie hilflos Kapitalismuskritik ist, wenn sie nicht an die Wurzel geht.

Anklagebank in idyllischer Atmosphäre

»Dem Publikum zufolge hätten wir die Angeklagten dazu verurteilen müssen, alle drei Bände ›Kapital‹ von Karl Marx auswendig zu lernen«, sagte Jury-Mitglied und Sozialrichter Jürgen Borchart der taz. Jürgen Borchart, der selbst auf dem Richterstuhl saß, zeigt mit dieser Aussage, dass die blauen Bände entweder nicht gelesen oder zumindest nicht verstanden wurden. Denn zum einen ist »Auswendiglernen« fast das Letzte was man mit dem marxschen Kapital machen sollte (Marx: »Ich unterstelle natürlich Leser, die etwas Neues lernen, also auch selbst denken wollen«), und zum anderen hätte die Lektüre die Initiatoren davon abhalten müssen, Einzelpersonen für das System haftbar zu machen. Wie heißt es so schön im Vorwort zum ersten Band: Continue reading “attac-Bankentribunal zwischen Recht, Moral und materieller Ungleichheit”

Das Kapital dreht sich wieder

Auch wenn Daths Beispiele (Postone, Pohrt etc.) nicht die meinen wären (und ich den Schluss problematisch finde), verwendet er in seinem Beitrag zu Kluges “Nachrichten aus der ideologischen Antike” doch ein schönes Bild für die neuen Möglichkeiten der Kapital-Lektüre nach 1989. Einen Punkt, den Jan Hoff, Alexis Petrioli, Frieder Otto Wolf und ich in unserer Einleitung zu Das Kapital neu lesen auch aufgegriffen hatten:

“Mit dem Ende des Realsozialismus ist auch die materielle Staatsmacht hinter dem ‘Weltanschauungsmarxismus’ verschwunden. Eine neue Kapital-Lektüre muss sich zwar mit überkommenen Lesarten auseinander setzen, gerät aber nicht mehr in die Versuchung, sich an Herrschendes anzubiedern, noch davon abzugrenzen.”

Riccardo Bellofiore: Magdoff-Sweezy and Minsky on the Real Subsumption of Labour to Finance

Bei der Analyse der gegenwärtigen Krise wurde oft auf Thesen des Post-Keynesianers Hyman Minsky zurückgeriffen. Auf Minsky greifen auch viele an Marx orientierte WissenschaftlerInnen zurück. Nicht zuletzt deshalb, weil Marx’ Ausführungen zu monetären Phänomenen und Krisen spärlich sind – auch wenn mehr zu holen ist, als die marxistische Debatte verrät. Diese ist nämlich arg auf die scheinbar »reale« Dimension von Akkumulation und Krise fixiert. Eine der wenigen, die schon früh auf die zunehmende Bedeutung der Finanzmärkte aufmerksam machten waren Harry Magdoff und Paul Sweezy (»Stagnation and the Financial Explosion«, 1987). Nun diskutiert Riccardo Bellofiore, der bereits zu Anfang der Krise einen sehr guten Text publiziert hatte (»Ein Minsky-Moment?«), beide theoretische Zugriffe. Der Text »Magdoff-Sweezy and Minsky on the Real Subsumption of Labour to Finance« erscheint im Samelband »Minsky, Financial Development and Crises« (hgg. von D. Tavasci und J. Toporowski, Palgrave 2010), ist aber bereits als pdf-Datei verfügbar.