Am Wochenende fand die AKG-Tagung »Zur Lage des Marxismus« statt. Tweets zur Tagung findet ihr hier; ich habe die Live-Tweets auch zu einer Storify aufbereitet: Leider hat niemand die Anekdote angeführt, die von Isaac Deutscher bzw. Ignacy Daszynski überliefert ist: ›Das Kapital‹ sei eine zu harte Nuss, meinte Ignacy Daszynski, einer der bekanntesten sozialistischen ›Volkstribune‹ um die Jahrhundertwende, er habe es deshalb nicht gelesen. Aber Karl Kautsky habe es gelesen und vom ersten Band eine populäre Zusammenfassung geschrieben. Diese habe er zwar ebenfalls nicht rezipiert, aber Kelles-Krausz, der Partei-Theoretiker, habe Kautskys Buch gelesen und es zusammengefasst. Kelles-Krausz Schrift habe er zwar auch nicht gelesen, aber der Finanzexperte der Partei, Hermann Diamand, habe sie...
Zweck der Automatisierung und der Begriff des informationellen Kapitalismus
Einer neuen Studie zufolge könnten in den USA schon in naher Zukunft 47 Prozent aller Jobs der Automatisierung »zum Opfer fallen«, so telepolis, die sogleich die Top-10 der am meisten gefährdeten Berufe anführen. Angesichts dieser durchaus berechtigten »Befürchtung«, zeigt sich erneut die Aktualität der marxschen Kritik. Im 13. Kapitel des ersten Bandes des Kapital, dem Kapitel über »Maschinerie und große Industrie«, zitiert Marx John Stuart Mills »Prinzipien der politischen Ökonomie«: Es ist fraglich, ob alle bisher gemachten mechanischen Erfindungen die Tagesmühe irgendeines menschlichen Wesens erleichtert haben. Marx kommentiert kritisch: Solches ist jedoch auch keineswegs der Zweck der kapitalistisch verwandten Maschinerie. Gleich jeder andren Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit...
Paul Mattick, das marxsche Kapital und die Arbeitslosenbewegung von Chicago
»An Marx interessiert mich wirklich nur dieser eine Gedanke, die Entdeckung der immanenten Widersprüche im kapitalistischen Produktionssystem.« (Paul Mattick) Der 1904 geborene Paul Mattick emigrierte 1926 in die USA. Ihm verhalf damals der Kölner Bürgermeister zum nötigen Kleingeld, Deutschland zu verlassen – Konrad Adenauer. Mattick rechnete dem Bürgermeister vor, dass die zukünftige finanzielle Unterstützung mehr Kosten verursachen würde, als das Geld, das er für die Ausreise brauche. Das leuchtete Adenauer ein und sorgte umgehend für eine unbürokratische Lösung. Das ist nur eine von vielen Anekdoten, die Michael Buckmiller dem Rätekommunisten Mattick im Sommer 1976 in einem dreitägigen Gespräch entlockte. Das Interview ist nun zusammen mit literarischen Texten von Paul Mattick...
Das marxsche Kapital: unlesbar für Laien?
»Wer ›Das Kapital‹ lesen will, stößt auf eine Überfülle von Schwierigkeiten. Ja, man darf sagen, für Laien ist es überhaupt unlesbar. Und die meisten Menschen sind doch nun mal Laien.« (Julian Borchardt, 1919) Letzte Woche referierte Fritz Fiehler im Rahmen der Satellitenseminare der Kapitalkurse über Einführungen ins marxsche Kapital. In der Veranstaltungseinladung hieß es: Eine Einführung in Marx’ Kritik der politischen Ökonomie ist immer schon eine Interpretation des Originals, eine bestimmte Lesart und eine Verdichtung des politisch-theoretischen Kontexts, in dem Marx jeweils rezipiert wurde. Das Kapital wird also immer neu gelesen – und anders. Warum? Welche Debatten, Auseinandersetzungen und Fragen bringen sie in spezifischer Form zum Ausdruck? Der Vortrag ist inzwischen als...
We proudly present: PolyluxMarx. A Capital Workbook in Slides
For several years now, people have been starting to dust off Marx and return to his analysis of society. This is mainly due to the social turmoil in global capitalism, weaknesses in prevailing explanations of economic relationships and the harrowing crises the world has faced since the 1990s. In particular, a younger generation of readers – untainted by former ideological battles – is starting to read Capital. Whether in universities, educational institutions, unions, or in their own living rooms, small groups are discussing Marx’s critique of political economy. This is exactly what PolyluxMarx aims to support. This website provides a collection of annotated PowerPoint slides that illustrate the central arguments from Capital. We also use concise introductory texts and notes on...
Staatsgefährdendes Propagandamaterial Marx-Engels-Werke
Kommende Woche trägt Oskar Negt zu seinem Verhältnis zur Frankfurter Schule vor (Flyer). Vor drei Jahren hat er einen Teil seines Vorlasses dem Archivzentrum der Frankfurter Universitätsbibliothek übergeben (hier aufgeführt). Ein Schriftverkehr zeigt, wie schwer es 1960 unter Adenauer war, sich mit Marx auseinanderzusetzen. Nach der Beschlagnahmung eines an Negt adressierten Pakets schreibt das Amtsgerichts Frankfurt an Negt: »Es wird Ihnen mitgeteilt, dass ein an Sie gerichtetes Paket aus der Sozialistischen Besatzungszone, in welchem sich staatsgefährdendes Propagandamaterial befand, auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen von dem Amtsgericht in Rothenburg beschlagnahmt worden ist.« (Quelle) Worauf Negt wartete: Bände der Marx-Engels-Werkausgabe (MEW). Negt, der derzeit bei Adorno...
Der alte Schlawiner lebt
Die Welt stehe »vor dem Epochenbruch«, hat Anfang August der Linken-Politiker Manfred Sohn hier geschrieben und erläutert, warum die gegenwärtige Krise seiner Meinung nach keine »normale« ist und was das für die gesellschaftliche Linke heißt. Alban Werner hat darauf geantwortet – mit dem kritischen Hinweis, dass wir »noch nicht am Ende der kapitalistischen Fahnenstange« sind. Sabine Nuss und ich haben den Staffelstab aufgenommen und antworten auf die von Manfred Sohn angestoßene Debatte um das Ende des Kapitalismus: »Der Kapitalismus, der alte Schlawiner, is uns lang genug auf der Tasche gelegen« – so singt Peter Licht in dem wunderschönen »Lied vom Ende des Kapitalismus« und frohlockt im Refrain: »Vorbei – Jetzt isser endlich vorbei«. Die Realität allerdings sieht anders aus...
Karl Marx zu den jüngsten Nahrungsmittelskandalen
»Der bibelfeste Engländer wußte zwar, daß der Mensch, wenn nicht durch Gnadenwahl Kapitalist oder Landlord oder Sinekur ist, dazu berufen ist, sein Brot im Schweiße seines Angesichts zu essen, aber er wußte nicht, daß er in seinem Brote täglich ein gewisses Quantum Menschenschweiß essen muß, getränkt mit Eiterbeulenausleerung, Spinnweb, Schaben-Leichnamen und fauler deutscher Hefe, abgesehn von Alaun, Sandstein und sonstigen angenehmen mineralischen Ingredienzien.« (KI, 264)
Nach Feierabend: Linke lesen Leni … äh, Marx, natürlich
Neulich war der Jens Rosbach vom Deutschlandfunk im Kapitalkurs zu Besuch. Er hatte viele Fragen mitgebracht – zu unsere Motivation und was so diskutiert wird. Aus zwei Stunden Frage-und-Antwort-Material und O-Tönen ist ein etwas mehr als fünf Minuten geworden. Am Zusammenschneiden saß Jens Rosbach bestimmt zwei Tage. Als freier Journalist bekommt man für die fünf Minuten etwa 300 Euro – ich hoffe, Herr Rosbach ist angestellt. In jedem Fall Anlass genug, sich den ersten Band des Kapitals anzutun, um herauszufinden, was es mit der Mehrarbeit und dem Kampf um den Normalarbeitstag auf sich hat. Das rote Büchlein, das am Anfang erwähnt wird, ist übrigens die von Dietmar Dath kommentierte Ausgabe von Lenins Staat und Revolution. Die Anmoderation ist zum Glück nicht mehr zu hören...
Addendum on Graeber’s Debt
»It is probable that the majority of the difficulties of contemporary ethnology and anthropology arise from their approaching the ›facts‹, the ›givens‹ of (descriptive) ethnography, without taking the theoretical precaution of constructing the concept of their object: this omission commits them to projecting on to reality the categories which define the economic for them in practice, i.e., the categories of the economics of contemporary society, which to make matters worse, are often themselves empiricist. This is enough to multiply aporia.« (Althusser/Balibar, Reading Capital) »The habit of always saying ›please‹ and ›thank you‹ first began to take hold during the commercial revolution of the sixteenth and seventeenth centuriesamong those very middle classes who were largely responsible...