Aufgeblättert: Griechenland, die Krise und der Euro

Andreas Wehr ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der linken Fraktion GUE/NGL im Europäischen Parlament und Koordinator für Wirtschaft und Währung. Der Euro, die europäische Währung, geriet 2010 unter Druck. Sinnbildlich dafür steht die Finanzkrise Griechenlands, der sich Wehr in seinem neuen Buch widmet. Verantwortlich für die Euro-Krise ist nicht zuletzt Deutschlands exportorientiertes Wirtschaftsmodell. Wehr weist zu Recht auf die andere Seite der Medaille hin: Deutsche Banken kauften im Gegenzug zu den exportierten Waren Finanzschrott aus den USA. Auch wenn Wehrs Rückgriff auf die Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus problematisch ist, liegt er mit seinem Punkt richtig: Die Finanzblase, die 2008 platzte, ist zwar in den USA gewachsen, war aber nur aufgrund der bekannten Praxis deutscher Geschäfts- und Landesbanken möglich. Die Folgen sind bekannt: Die Finanzkrise stürzte die EU und auch den Euro in eine tiefe Krise. Wehr stellt kurz die Finanzkrisen in Lettland, Island, Spanien dar und diskutiert ausführlicher den “Fall Griechenland”. Er beschreibt auch die disziplinierende Politik von IWF und EU und zeigt den eigentlichen Grund der Finanzkrise 2.0: Europäische Banken haben nicht nur in den US-Immobilienmarkt investiert, sondern auch die europäischen Staaten mit Krediten versorgt. Der Rettungsschirm und die Hilfen für Griechenland zielten vor allem auf die Rettung der Vermögen großer europäischer Banken. Dass es mit der internationalen Solidarität nicht weit her ist, zeigt Wehr anhand der Diskussionen in Deutschland. Die rassistische Hetze gegen “die Griechen” spiegelt sich in einer zunehmenden Abkehr der deutschen ökonomischen und politischen Elite von Europa: “Ein bedingungsloses Ja zu Europa ist nicht länger Staatsräson.” Insgesamt ein lesenswertes Buch zum Euro-Krisenjahr 2010 und sicherlich auch 2011 nicht überholt.

Ingo Stützle

Andreas Wehr: Griechenland, die Krise und der Euro. Papyrossa Verlag, Köln 2010. 154 Seiten, 12,90 EUR

Erschienen in:  ak – analyse & kritik. zeitung für linke debatte und praxis, Nr. 557 vom 21.1.2011

Siehe auch die Debatte zwischen Andreas Wehr und Alexis Passadakis im Neuen Deutschland zur Streitfrage: Braucht Euro-Land eine Wirtschaftsregierung?

Aufgeblättert: Geld und Kapitalismus

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Lucas Zeise ist Mitgründer der Financial Times Deutschland und dort bis heute ein origineller Kopf, der nicht so recht in die blassrosa Apologetik des Kapitalismus passt. Bereits zum Ausbruch der Krise veröffentlichte er bei Papyrossa ein lesenswertes Buch zum Ende der Party des Finanzmarktkapitalismus. (siehe ak 533) Leider reicht sein neues Buch nicht an die inzwischen in zweiter Auflage erschienene Krisenanalyse heran. Die knapp 200 Seiten lesen sich so, als hätte sich der Autor ins stille Kämmerchen zurückgezogen und sich mit kapitalismustheoretischen Grundlagen beschäftigt. Auf 50 Seiten versucht er, mit Marx dem Geld auf die Schliche zu kommen und verfehlt dessen wichtigsten Punkt: dass das Geld für eine warenproduzierende Gesellschaft notwendig ist, weil sich nur mit einem allgemeinen Äquivalent die Waren als Werte aufeinander beziehen lassen. Auch geht bei Zeise die Unterscheidung von Geld und Kapital verloren. Das zeigt sich in den Kapiteln zu Finanzprodukten, die eben keine Varianten des Geldes sind, sondern fiktives Kapital. Diesen Begriff nennt er zwar, macht ihn aber nicht für das Verständnis der “Verrücktheit” des Finanzkapitals fruchtbar. Für diejenigen, die schon immer wissen wollten, wie die Zentralbanken mit den Geschäftsbanken interagieren und was die Basel-Abkommen sollen, ist das knapp 30-seitige 6. Kapitel durchaus erhellend. Aber leider bleibt Zeise auch da schwach, wo er eigentlich stark ist: in der Ausleuchtung konkreter politischer und ökonomischer Widersprüche, die etwa die zweite Hälfte des Buches ausmachen. Seine vorangestellte These, die er am Schluss nochmals unterstreicht, dass der Neoliberalismus am Ende sei, kann er in keiner Weise unterfüttern. Immerhin deutet der Buchtitel an, was die LeserInnen erwartet – ein Versuch. Nur leider ist er misslungen.

Ingo Stützle

Lucas Zeise: Geld – der vertrackte Kern des Kapitalismus. Versuch über die politische Ökonomie des Finanzsektors. Papyrossa Verlag, Köln 2010. 192 Seiten, 12,90 EUR

Erschienen in: ak – zeitung für linke debatte und praxis, Nr. 554 v. 15.10.2010, Seite 35

Piraten im Ausnahmezustand. Daniel Heller-Roazen untersucht die Geschichte einer Rechtsfigur

Der Begriff “Ausnahmezustand” hat seit Jahren Konjunktur. Der Literaturwissenschaftler Daniel Heller-Roazen beschäftigt sich in seiner Studie mit einer dazugehörenden Rechtsfigur, dem Pirat. Die bis in die Antike zurückgehende Untersuchung folgt der historischen Entstehung der Figur “Pirat”, dem politischen und sozialen Wandel und seinem Verschwinden. Dass der Pirat plötzlich wieder auf der politischen Bühne erscheint, ist für Heller-Roazen ein Anzeichen dafür, dass sich die Formen der politischen Konfrontationen verändert haben, und ein Alarmzeichen zugleich. Continue reading “Piraten im Ausnahmezustand. Daniel Heller-Roazen untersucht die Geschichte einer Rechtsfigur”

Eine Herde schwarzer Schafe. Ein neues Buch über die Krise bringt die bürgerliche Kritik an Politik und Banken auf den Punkt

Foto: CC-Lizenz, Ilja Klutman

Der Zusammenbruch von Lehman Brothers Bank markiert symbolisch den Ausbruch der Finanzkrise vor zwei Jahren. Über die Gründe, die schließlich zu einer Weltwirtschaftskrise führten, wird nach wie vor gestritten. Für die Bourgeoisie waren die Ursachen schnell genannt: falsche Anreize, Gier und Staatsversagen. Der Wirtschaftsjournalist Leo Müller ist diesen Gründen en détail nachgegangen. In seinem Meisterstück bürgerlicher Kritik bringt er viel Erhellendes zu Tage und bleibt doch dem bourgeoisen Horizont verhaftet. Continue reading “Eine Herde schwarzer Schafe. Ein neues Buch über die Krise bringt die bürgerliche Kritik an Politik und Banken auf den Punkt”

Raus aus der Kuschelecke: Die Utopie wird weiter vermessen. Interview mit Raul Zelik

Raul Zelik hat zusammen mit Elmar Altvater ein langes Gespräch über Kapitalismus und was danach kommen könnte in Buchform gebracht – das war bereits 2009. Das Buch Vermessung der Utopie steht zum freien Download zur Verfügung. Die website bietet einen virtuellen Raum für Diskussionen. Diese ist leider bisher noch nicht so recht in Gang gekommen. Das ist jedoch kein Ausdruck für mangelndes Interesse. Raul hat das Buch (mit und ohne Elmar Altvater) auf zig Veranstaltungen (nicht nur in Berlin) vorgestellt und die dort verhandelden Fragen und Thesen diskutiert. Dass die Debatte weitergeht zeigt ein Interview, das Jörg Sundermeier vom Verbrecher Verlag mit Raul für de:bug geführt hat. Dies ist eines der wenigen Gesprächen über das Buch (siehe auch hyperbaustelle), das den Gesprächsfaden nochmals aufnimmt. Eine Knoten werden wir wohl aber auch in näherer Zukunft nicht dran machen können. Also: Weiterspinnen!

Ronald M. Schernikau zum 50

Am kommenden Sonntag wäre der Schriftsteller Ronald M. Schernikau 50 Jahre alt geworden. Das nahm die junge welt zum Anlass, einen Briefwechsel zwischen ihm, Gisela Elsner und Elfriede Jelinek abzudrucken. Daneben findet sich sein Antrag auf Einbürgerung in die DDR. Nicht nur das konnten wenige verstehen – schließlich war es 1989. Noch kontroverser wurde – bis heute! –  seine Rede vor dem DDR-Schriftstellerkongress im März 1990 diskutiert (siehe ak 543).

Welch großer Verlust sein früher Tod darstellt, zeigen auch die kleinen Ausschnitte, die man hier und da im Netz findet (offizielle website).

Im club2 sprach er 1980 über seine Kleinstadtnovelle. Die Talkshow anlässlich der Buchmesse hatte den Titel deutschland – woher – wohin und fand unmittelbar nach der Bundestagswahl statt.

Sechs Jahre später studiert er in Leipzig und hatte drei Jahre Zeit, die Stadt und ihre Menschen intensiv zu beobachten. Daraus entstand Die Tag ein L. (gelesen und kommentiert von Schernikau selbst).

Die neusten Veröffentlichungen findet sich beim Verbrecher Verlag (Die Königin im Dreck) und bei Rotbuch (Porträt seiner Mutter mit einem Vorwort von Dietmar Dath). Am Sonntag wird in Anwesenheit seiner Mutter in Leipzig eine Gedenktafel enthüllt.

Generationengerechtigkeit?

Auch in der aktuellen jungle world ist das Wochenthema der Sparhammer von Schwarz-Gelb. Unter dem Titel »Luxus für keinen, Ohnmacht für alle. Zur Semantik des deutschen Gerechtigkeitsideals« widmet sich Magnus Klaue einem meiner Lieblingsthemen. Vor lauter ideologiekritischer Kraftmeierei vergisst er aber etwas ganz banales, nämlich mal zu erklären, warum das Gerede von der Generationengerechtigkeit – sei es deutsch oder nicht – Blödsinn ist. Das hole ich jetzt in zwei Absätzen – geklaut aus einem kleinen Krisen-FAQ – kurz nach. Ideologiekritik ist nämlich leider nicht schon die halbe Miete.

Verschuldet sich der Staat zu Lasten zukünftiger Generationen? Bis in die Grünen hinein hat sich inzwischen die Mär festgesetzt, Verschuldung finde auf Kosten zukünftiger Generationen statt. Schließlich müssten diese den Schuldenberg abtragen und die Zinslast schultern. Das ist blanker Nonsens. Es findet keine Umverteilung zwischen, sondern innerhalb der Generationen statt. Und zwar – wer hätte es geahnt – eine von unten nach oben. Denn: Die in der Zukunft anfallenden Zins- und Tilgungszahlungen werden ja an irgendjemand ausgeschüttet. Das bedeutet, nicht nur die Verpflichtungen, sondern auch die Ansprüche werden »vererbt«. Es ist deshalb viel relevanter zu analysieren, wer aufgrund von Besitz von Staatsschuldtiteln Zinsen kassiert und wer in Form von Steuern die Zinszahlungen des Staates finanziert.

2008 warf allein die deutsche Staatsschuld 69 Mrd. Euro Zinsen ab. Die Schuldpapiere befinden sich überwiegend im Besitz von Banken, institutionellen Anlegern und Vermögenden, die über genug Einkommen verfügen, um sparen zu können. Die Steuern hingegen werden – dank der Steuerreformen der letzten zehn Jahre – zu ungefähr zwei Dritteln von den Lohnabhängigen finanziert, d.h. von denen, die mit Erspartem vielleicht in den Urlaub fahren, nicht aber in staatliche Wertpapiere »investieren« können. Das bedeutet: Es findet keine Umverteilung zwischen den Generationen statt (die Summe der Forderungen und Verpflichtungen gleichen sich nämlich aus), sondern ein Vermögenstransfer von denjenigen, die aufgrund ihrer Steuern die Zins- und Tilgungszahlungen finanzieren, hin zu jenen, die jährlich als Besitzer von Staatspapieren Milliarden Euro kassieren.

Pathologische Kampflosigkeit. Ein neues Buch über die sich polarisierende deutsche Klassengesellschaft

Sigmund Freud und seine rote Couch wären der deutschen Arbeiterklasse durchaus hilfreich

Die taz-Journalistin Ulrike Herrmann hat ein Buch über den Selbstbetrug der Mittelschicht geschrieben. Genauer: Sie porträtiert die deutsche Klassengesellschaft, zeigt, wie sich die Elite hierzulande reproduziert, und analysiert die Steuern als Umverteilungsmaschine von unten nach oben. Eine wichtige Korrektur des Mainstreams in Zeiten der Krise, wenn auch die politische Bewertung der deutschen Zustände etwas kritischer ausfallen müsste.

Die Deutschen haben eine verwirrte Selbstwahrnehmung. Reiche fühlen sich ärmer, Arme oft reicher – und die Mittelschicht wähnt sich der Elite ganz nah. Für Herrmann ein Grund, sich Statistiken genauer anzuschauen; dabei stellt sie fest, dass viele Statistiken nichts taugen, weil der Zugriff auf Vermögensverhältnisse oft schwierig ist und in manchen Erhebungen Einkommen ab einer gewissen Höhe erst gar nicht berücksichtigt werden. Im Verlauf des Buchs wird deutlich, dass sich dahinter eine Form der Umverteilungspolitik verbirgt. Datenerhebung ist immer auch Kontrolle. Kontrolliert werden sollen aber die Tagediebe und nicht die dicken Brieftaschen. Continue reading “Pathologische Kampflosigkeit. Ein neues Buch über die sich polarisierende deutsche Klassengesellschaft”

Geschichten und die Geschichte der Spekulation

Warum nicht mal wieder eine kurze Geschichte der Spekulation lesen, dachte ich mir. Schließlich ist John K. Galbraiths Buch zum Crash von 1929 durchaus erhellend (erstmals 1954 erschienen). Als das Buch »Eine kurze Geschichte der Spekulation« 1990 auf Englisch erschien, war Galbraith bereits 82 Jahre alt. Er starb 2006. Die gegenwärtige Krise erlebte er  somit nicht mehr. Dennoch hat er sie in seiner kurzen Geschichte bereits vorausgesagt. Zumindest wenn man gelten lässt, dass Galbraith das Buch mit mit Hinweis abschließt,  dass die nächste Spekulationsblase kommen wird – er wisse nur nicht wie, wann und wo.

Galbraith beschreibt die wiederkehrenden Muster bei Spekulationsblasen und die aufgeschreckte Verwunderung danach anschaulich und mit bissigem Humor. Es ist trollig zu lesen, wie sich die Diskussionen über Re-Regulierung nach dem bösen erwachen ähneln.

Leider fehlt jegliche Erklärung dessen, was sich da abspielt – nicht einmal ein Minsky wird bemüht (hierzu lesenswert Riccardo Bellofiore). Galbraith verweist nur auf die Dummheit und die Vergesslichkeit der Menschen. Sehr tiefgründig ist das nicht. Auch wäre schön gewesen, bei all der Ähnlichkeiten, die Unterschiede beleuchtet zu sehen. Okay, es ist ja »Eine kurze Geschichte der Spekulation«. Und: Zumindest entreist Galbraith die eine oder andere Blase der Vergessenheit . Aber vielleicht lese ich doch lieber mal wieder ein Roman zum Thema. Ein anderes Buch liefert hierzu viele nützliche Hinweise.

Foto: CC-Lizenz, ecstaticist

Aufgeblättert: Aufstandsbekämpfung in Afghanistan

Marc Thörners lesenswertes Buch ist nicht nur ein notwendiges Korrektiv zur herrschenden Erzählung von Politik und Medien über Afghanistan. Seine engagiert recherierte Reportage hilft auch, die täglichen Nachrichten zu sortieren und zu bewerten. Deutlich wird, dass die Aufstandsbekämpfung u.a. der Logik früherer Kriege in französischen Kolonien folgt. Zunächst wird der Feind bekämpft und verjagt (clear). Danach wird das eroberte Gebiet mit Hilfe Einheimischer unter Kontrolle gebracht (hold). Hierbei stützen sich die ISAF-Truppen auf Warlords, die ihre ganz eigene Agenda verfolgen und teilweise zur ehemaligen Nordallianz gehören. Diese hatte 2001 mit massiver Luftunterstützung Afghanistan zurückerobert. Schließlich sollen Aufbauarbeiten die Bevölkerung gewinnen und die Situation stabilisieren (build). Thörner zeigt, dass diese Strategie nicht nur eine eigenständige Entwicklung Afghanistans verhindert, sondern die kriegerischen Zustände hervorbringt und zementiert. Die Bundeswehr nimmt dabei eine zentrale Rolle ein, da sie mit einem der größten Warlords kooperiert: Mohammed Atta, dem Gouverneur der Provinz Balkh, in deren Hauptstadt Mazar-e-Sharif die Bundeswehr ihr größtes Feldlager in Afghanistan unterhält. Die von Deutschland unterstützte Ausbildung von Polizeikräften stellt somit keine Normalisierung dar, sondern eine kriegerische Eskalation. Die militärische Präsenz in Afghanistan folgt einer Logik, in der die Bombardierung der Tanklaster bei Kundus nur ein trauriger Höhepunkt war.

Ingo Stützle

Marc Thörner: Afghanistan-Code. Reportagen über Krieg, Fundamentalismus und Demokratie. Edition Nautilus, Hamburg 2010, 160 Seiten, 16 EUR

Erschienen in: ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 550 vom 21.5.2010

Dietmar Dath: Rosa Luxemburg

Von Dietmar Dath ist nun endlich in Suhrkamps Reihe BasisBiographien der Band zu Rosa Luxemburg erschienen. Seine letzen Romane Die Abschaffung der Arten, Sie schläft und Sämmtliche Gedichte sorgten ebenso für Aufregung wie sein Interview in Die Welt kurz vor der letzten Bundestagswahl. Wir dürfen gespannt sein, wie uns Dath Luxemburg näher bringen will. Als Lockerungsübung lohnt sich in jedem Fall Ursula Schmiederer in ak 535.

Aufgeblättert – Jan Hoff: Marx global

Für den aktuellen Widerspruch 57 (Inhalt & Editorial) habe ich besprochen:

Jan Hoff: Marx global. Zur Entwicklung des internationalen Marx-Diskurses seit 1965. Akademie Verlag, Berlin  (345 S., 49,80 € )
Mit der weltweiten Krise fanden nicht zufällig vermehrt Studien zur  Marxschen Ökonomiekritik den Weg ins Feuilleton. Fast  scheint es so: Droht der Kollaps des Kapitalismus, werden auch all die Theorien an die Oberfläche des wirtschaftswissenschaftlichen Diskurses gespült, die Krisen als ein notwendige Konsequenz dieser auf Profit ausgerichteten Wirtschaftsweise thematisieren. Dass schon länger ein ernsthaftes Interesse an Marx besteht, zeigt sich daran, dass inzwischen einige Arbeiten zu abgebrochenen und dissidenten Traditionen des Marxismus vorliegen, solche also, die nicht mehr die Marxsche Theorie aneignen, sondern bereits die unterschiedlichen Rezeptionsansätze, Aneignungsweisen und Debatten zum Thema haben. So auch das Buch von Jan Hoff: Marx global. Continue reading “Aufgeblättert – Jan Hoff: Marx global”

Abwegig. Eigentlich – Dath zwischen den Jahren

Dietmar Dath ließ einem nicht einmal Weihnachten, um seinen – eigentlich schon nicht mehr – neusten Roman zu lesen, sondern gab in der FAZ eine Geschichte zum Besten. Eine Weihnachtsgeschichte. Diese aber passte zu seinem Roman »Sämmtliche Gedichte« – eigentlich. Die Welt interpretierte die in »Sämmtliche Gedichte« gewälte Form als »Abkehr vom Publikum«. Wie bei der Neuen Musik. In Daths Weihnachtsgeschichte »Mein Molière heißt Nussbusserl« wird der Protagonist Lukas Tauris samt einer Theaterschreiberin, deren Stück in der von beiden besuchten Irrenanstalt eingeübt wird, nach Hause geschickt, von einem Arzt, mit moralischer Begründung versteht sich:

»Ist Ihnen klar, dass diese Menschen hier sind, um gesund zu werden? Dass sie vieles gebrauchen können: Aufmunterung, Beschäftigung, Zuspruch, aber keine Gaffer? Dass wir kein Zoo sind? Ich muss Sie bitten, und es ist schlimm genug, dass ich Sie bitten muss, aber so ist es wohl – also, ich bitte Sie in aller Form, gehen Sie woanders Kaffee trinken. Lassen Sie sich im Theater inspirieren, suchen Sie woanders, was immer Sie hier suchen.«

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Aufgeblättert: Krisensammelsurium. Karl Heinz Roths »Die globale Krise«

Karl Heiz Roth (KHR) hat wieder ein Buch geschrieben. Beziehungsweise einen Teilband. Seit dem offen Ausbruch der Krise vor einem Jahr ist KHR durch Interviews, Diskussionspapiere und Interventionen beteiligt, die Krise zu deuten und Strategien für die Linen zu diskutieren. Dabei hängt KHR die Latte und den moralischen Anspruch recht hoch:

“Wir alle […] haben diese Verantwortung, weil wir vor einem strategischen Fenster stehen. Wenn wir nicht aufpassen, wird es sehr dunkel.”

Zwar relativierte KHR den dringlichen Ton, dennoch stellt die gegenwärtige Krise für ihn ein Epochenbruch dar. Das ist wohl auch ein Grund, warum sein bei VSA erschienenes Buch unter Hochdruck geschrieben und publiziert wurde. Leider. KHR hat sich nicht die Zeit genommen, das Material zu kondensieren und theoretisch aufzuarbeiten. Entstanden ist eine materialreiche Fleißarbeit, die leider nicht so recht zum Punkt kommt. Und hier ist schon das erste Problem: Das Buch ist der erste Band eines auf zwei Teile angelegten Projekts. Vieles was im ersten Band vermisst wird oder kritisiert werden könnte, holt KHR vielleicht  im zweiten Band ein. Aber das am Schluss des ersten Bandes abgedruckte Inhaltsverzeichnis deutet nicht darauf hin.

Der erste Teil der über 300 Seiten ist vor allem eine Rekonstruktion des Krisenverlaufs. Hierfür hat KHR vor allem die NZZ gewälzt. Detailliert stellt er den Übergang von einer Immobilien- zu einer Finanzkrise dar, die die Kapital und Währungsmärkte ebenso erfasst wie die Rohstoffmärkte, die Transport- und Autoindustrie (18ff.). Anschließend diskutiert KHR die politischen Reaktionen und Maßnahmen – national wie international (62ff.). Vor einem ausführlichen Vergleich historischer Krisen (1857-59; 1873-79; 1929-40) stellt er die Entwicklungen seit 1966/1967 dar. Continue reading “Aufgeblättert: Krisensammelsurium. Karl Heinz Roths »Die globale Krise«”

Aufgeblättert: Stefan Frank: Die Weltver-nichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise

WeltvernichtungsmaschineWenn die FAZ einen Autor zu einem der “klügsten Mitarbeiter” der “linkradikalen Zeitschrift konkret” kürt und zugleich dessen Buch mit einer “Artikelserie aus einer ordoliberalen Wirtschaftszeitung” vergleicht, dann sollte das doch sehr verwundern. Ebenso verwundern könnte es, dass ein Linksradikaler ein Buch über die Wirtschaftskrise zu schreiben im Stande ist, ohne auch nur einmal Karl Marx zu erwähnen oder Das Kapital zu zitieren. Stefan Frank schafft es, was zugleich eine Teilantwort auf den von der FAZ formulierten Widerspruch liefert.

Das knapp 200 Seiten starke Buch “Die Weltvernichtungsmaschine” leiht seinen Titel aus Stanley Kubricks Film »Dr. Seltsam oder wie ich lernte die Bombe zu lieben«. Stefan Frank sieht in der Finanzwirtschaft seit den 1970er Jahren Finanz-Alchemisten am Werk, die glauben, ein Perpetuum Mobile entdeckt zu haben, das sich jedoch als Selbstvernichtungswaffe (Weltvernichtungsmaschine) mit ungeheurer Zerstörungskraft herausstellt. Der Teil des Buches, der die “Finanzinnovationen” erklärt, den “Buchstabensalat” (W. Münchau, Financial Times Deutschland) aus CDS, CDOs, MBS etc. pp, ist am stärksten. Das gut und amüsant geschriebene Buch macht es eben auch leicht, die komplizierten Konstruktionen der Bankenwelt zu verstehen.

Das in acht Kapitel gegliederte Buch beginnt mit der Beobachtung, dass vor größeren Krisen meist auch ein neuer, weltweit höchster Wolkenkratzer gebaut wird (These dahinter: Ein Boom vor der Krise ermöglicht Wahnsinnsprojekte durch leichet Mobilisierung von ungeheure Kreditmassen – Minsky lässt grüßen). In einem weiteren Kapitel erzählt Frank drei Geschichten von Immobilienkrisen (Floridaboom 1925, US-Immobilienkrise 1971-73, Japan-Boom) um dann bei seiner sich durch das Buch ziehenden Erklärung für Krisen zu gelangen: Zu viel Geld = Krise. Damit ist auch klar, warum Alan Greenspan ein eigens Kapitel gegeben wird und immer wieder an zentraler Stelle auftaucht – schließlich ist er für das zu billige und zu viele Geld verantwortlich (Man höre und staune: Gerade hat er hingegen in einem Gastkommentar für die ftd vor Inflation gewarnt!). Billiges Geld bedeutet für Frank, dass viel Geld und Kredit im Umlauf ist und dass eine Blase aufgeboomt wird – sei es eine Aktien- oder Immobilienblase. Aber auch der hohe Rohölpreis (auch in den 1970ern) sei darauf zurück zu führen (hierzu auch sein Artikel im Freitag: Überschuss an Geldzeichen). Continue reading “Aufgeblättert: Stefan Frank: Die Weltver-nichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise”