Mit dem Freihandelsabkommen TTIP will sich Deutschland einen guten Platz unter der Weltmarktsonne sichern.

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Foto: CC-Lizenz, N. Linneberg

Nach der Pleite von Lehman Brothers 2008 war das Geschrei groß. Fast noch lauter war aber die Euphorie darüber, die Krise führe endlich dazu, dass der neoliberalen Marktgläubigkeit abgeschworen werde. Der Staat kehre nun zurück, die ÖkonomInnen hätten ihre Glaubwürdigkeit verloren. Viele Linke freuten sich über das bürgerliche Unbehagen am Kapitalismus im FAZ-Feuilleton. Die Strahlkraft des Neoliberalismus und die Versprechen des Freihandels würden verblassen, glaubten viele. Pustekuchen!

Kaum stellte die politische Klasse der EU offiziell das Ende der Eurokrise fest – schließlich macht das Kapital wieder Profit -, soll die zweite Verhandlungsrunde zum Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) in Angriff genommen werden. Das TTIP ist das Vertragswerk für das Transatlantische Freihandelsabkommen (Trans Atlantic Free Trade Agreement, TAFTA). Entstehen soll dadurch die größte Freihandelszone der Welt zwischen den USA, Kanada, Mexiko auf der einen Seite und der EU, Island, Liechtenstein, Norwegen, der Schweiz und den EU-Mitgliedskandidaten wie etwa Mazedonien und der Türkei auf der anderen Seite. Um was geht es dabei?

Es geht zum einen um einige Freihandelsklassiker: Zölle und Handelshemmnisse (unter anderem Gebühren und Einfuhrbeschränkungen) sollen abgebaut werden. Das Gleiche gilt für Dienstleistungen im Bereich Gesundheit, Finanzen, Verkehr oder Leiharbeit mit dem Ziel, die Konkurrenz zu verstärken, denn: Wettbewerb belebt das Geschäft. Kurzum: Es wird Gewinner und Verlierer geben.

An der Front der Handelshemmnisse ist allerdings nicht mehr viel zu holen. Keine zehn Prozent des transatlantischen Handelsvolumens sind Zöllen unterworfen. Deshalb geht es um mehr: Anerkennung von Regulierungsstandards im Bereich Gesundheitsschutz, Sicherheit, Sozial- und Umweltstandards. Wohin die Reise geht, ist klar: Die Standards sollen gesenkt werden.

Das Ganze soll aber auch institutionell abgesichert werden. Weil es keinen Weltstaat gibt, bedarf es eines unabhängigen Investorstaats- (investor-to-state) und eines zwischenstaatlichen (state-to-state) Streitschlichtungsverfahren – ähnlich dem der Welthandelsorganisation WTO. Ziel ist, das Kapital vor »ungerechtfertigten« Ansprüchen zu »schützen«. Im Klartext heißt das: Unternehmen sollen zukünftig Regierungen verklagen können, wenn Investitionen durch staatliche Eingriffe (besserer Arbeitsschutz, höhere Umweltstandards) entwertet oder unprofitabel werden.

Das Streitschlichtungssystem folgt dem Prinzip des gegenseitigen Misstrauens: Weil alle Staaten die Liberalisierungsabsprachen zu ihren Gunsten unterwandern könnten, braucht es eine dritte Instanz, die das Ganze absichert und gegen die Einzelstaaten durchsetzt. Darauf hat das Kapital lange gewartet: Das Recht auf Profit wird endlich in den Himmel der universellen Menschenrechte erhoben.

Das TTIP soll aber nicht nur »nach innen« disziplinieren. Es ist auch eine Kampfansage an den aufstrebenden asiatischen Wirtschaftsraum – womit wir auch bei den Interessen Deutschlands wären. Zum einen ist die Bundesregierung keineswegs vom neoliberalen Glauben abgefallen. Zum anderen ist der europäische Binnenmarkt für das deutsche Kapital noch lange nicht genug; er war lediglich das Sprungbrett für den Weltmarkt.

Deutschland hat am Abkommen ein besonderes Interesse – schließlich sind die peripheren Eurostaaten als Absatzmärkte im Zuge der Krise ausgefallen und werden auch in Zukunft aufgrund der verordneten Austerität kaum dicke Autos, teure Medikamente oder Maschinen nachfragen. Deutschlands Spielplatz ist schon lange nicht mehr der EU-Binnenmarkt, sondern der Weltmarkt.

Seit Einführung des Euro 1999 stieg der Export in Eurostaaten weniger stark als in Ländern außerhalb der Eurozone. Dieser Trend setzt sich in der Eurokrise fort: Der Anteil der Exporte nach China hat sich von 2002 bis 2011 mehr als verdoppelt – ebenso bedeutend ist der US-Markt; die Exporte in Euro-Krisenländer (Portugal, Italien, Griechenland und Spanien) sind von 10,8 auf 8,6 Prozent gefallen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte Anfang des Jahres auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos: »Wie können wir sicherstellen, dass wir in den nächsten Jahren auch eine Kohärenz in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit im Bereich der gemeinsamen Währungsunion erreichen? Und damit meine ich nicht eine Kohärenz in der Wettbewerbsfähigkeit irgendwo im Mittelmaß der europäischen Länder, sondern eine Wettbewerbsfähigkeit, die sich daran bemisst, ob sie uns Zugang zu globalen Märkten ermöglicht.« Soll heißen: Mit dem TTIP will sich Deutschland einen guten Platz unter der Weltmarktsonne sichern.

Ingo Stützle

Erschienen in: ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 588 vom 19.11.2013