FAQ. Noch Fragen? Target2: Euro ist nicht gleich Euro

Die Angst vor Inflation ist offensichtlich nicht so tief im kollektiven Gedächtnis der Deutschen verankert, wie gern behauptet wird. Vielmehr muss sie ständig wach gehalten werden. Einer, der das besonders gut kann, ist der bekennende Klabauterbartträger Hans-Werner Sinn, Chefökonom des IFO-Instituts. Er behauptet seit Monaten recht medienwirksam, dass in den südlichen Euroländern permanent Euros gedruckt würden. »Weil die Druckerpressen in der Peripherie noch immer auf Hochtouren laufen, musste die Bundesbank ihre eigene Presse in eine Schreddermaschine verwandeln, um das viele Geld, das aus dem Süden zuströmte, wieder zu vernichten« – so Sinn in der Wirtschaftswoche vor einem Jahr.

Zwar wird seine steile These vor allem in Fachkreisen, im Wirtschaftsteil der FAZ oder in Blogs diskutiert, aber auch die gewerkschaftsnahen ÖkonomInnen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) schlagen sich seit Monaten mit Sinn herum.

Laut Sinn hätten die Eurosüdländer mit den explodierenden sogenannten TARGET2-Salden einen Weg gefunden, der Eurozone und vor allem Deutschland weiterhin auf der Tasche zu liegen. Target steht für »Trans-European Automated Real-Time Gross Settlement Express Transfer System«. TARGET2 bildet die Geldflüsse zwischen den Eurostaaten ab. Denn obwohl die Eurostaaten eine gemeinsame Währung haben und es mit der EZB eine europäische Institution gibt, die das Banknotenmonopol inne hat, werden die grenzüberschreitenden Geldflüsse über die nationalen Zentralbanken und die EZB abgewickelt. Die TARGET2-Salden stellen also keine Kontenbewegungen im eigentlichen Sinne dar, sondern dokumentieren die Geld- und Kapitalströme zwischen den Ländern.

Bis zur Krise standen etwa Warenexporte von Deutschland nach Griechenland Bankkredite von deutschen Banken an griechische Geldinstitute gegenüber. Bis 2007 glichen sich deshalb die Zu- und Abflüsse zwischen den Ländern nahezu aus. Allerdings trauen sich seit Ausbruch der Krise die Banken nicht mehr gegenseitig. Das spiegelt sich in den gegenwärtig hohen Salden wider: Die Banken leihen sich gegenseitig kaum Geld, das Interbankengeschäft ist zum Erliegen gekommen, und sie müssen sich deshalb über die EZB mit Liquidität versorgen. Diese beziehen sie jedoch über die nationalen Notenbanken. Die steigenden TARGET-Salden zeigen also zunächst nichts anderes als gestiegene Forderungen der EZB gegenüber den nationalen Notenbanken.

Das Ungleichgewicht zwischen den europäischen Nationalbanken hat vor allem zwei Gründe. Zum einen den beschriebenen geringen Kapitalzufluss, der nichts anderes bedeutet, als dass sich Unternehmen und Banken nicht mehr über die europäischen oder internationalen Finanzmärkte finanzieren können. Die Geschäftsbanken der südlichen Peripherie können nur Kredite vergeben, weil die EZB ihnen großzügige Kreditlinien zugesteht. Der zweite Grund ist die Kapitalflucht aus Ländern wie Spanien und Griechenland.

Zum einen will die Mittelschicht ihr Erspartes in Sicherheit bringen. Ihre Euros fließen aber nicht unbedingt aus der Eurozone ab, sondern vor allem nach Deutschland. Etwa nach München, wo einige Banken inzwischen griechischsprachige MitarbeiterInnen beschäftigen, um Fragen rund ums neue Konto beantworten zu können. Aber auch große Unternehmen wie Shell, Vodafone oder die weltgrößte Werbeagentur WPP ziehen jeden Abend ihr Geld aus Griechenland ab. Sie überweisen einen Großteil der täglichen Profite an deutsche oder US-Banken. Viele Großunternehmen misstrauen dem Euro bereits derart, dass sie täglich Geld in US-Dollar umtauschen.

Was selbst Sinn zugibt: Die Geldmenge innerhalb der Eurozone erhöht sich gar nicht. Die TAGET2-Salden dokumentieren schließlich Geldflüsse. Also selbst auf Grundlage seiner eigenen ökonomietheoretischen Prämissen, der Neoklassik, ist keine Inflation zu begründen.

Eine andere Frage ist allerdings, was mit den Euros aus Spanien oder Griechenland passiert, die zum Beispiel auf Konten in Deutschland liegen, wenn das Eurosystem zerbricht. Euro ist eigentlich Euro, aber mit der Krise und der Kapitalflucht innerhalb der Eurozone eben nicht mehr ganz. Auch hier schlägt Sinn Alarm: Deutschland müsse zahlen, wenn der Euro zerbricht und die TAGET2-Salden nicht ausgeglichen seien. Aber auch dieses Szenario wird Deutschland zu verhindern wissen. Der belgische Ökonom Paul De Grauwe schlug etwa vor, dass die Bundesbank nur jene KontoinhaberInnen entschädigt, die auch in Deutschland wohnen. Da hilft nur, die Konten vorher leerzuräumen und die Euros bar im Sparstrumpf oder in der Bibel in Sicherheit zu bringen.

Ingo Stützle

Erschienen in: ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 577 vom 16.11.2012