FAQ. Noch Fragen? ESM: Rettung unter Auflagen

Mit drei Monaten Verspätung wurde der dauerhafte Rettungsschirm ESM (European Stability Mechanism) bei einem Treffen in Luxemburg am 8. Oktober 2012 nun in Kraft gesetzt. Erst nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Mitte September 2012 war der Weg frei. Das höchste deutsche Gericht machte zur Bedingung, dass der deutsche Anteil am Stammkapital nicht ohne Zustimmung des Bundestags erhöht werden kann. Die Eurostaaten haben inzwischen eine entsprechende Erklärung abgegeben. Der ESM von 17 Eurostaaten wurde bereits Anfang 2012 gründet und sollte ab Juli 2012 den bisherigen Eurorettungsschirm EFSF (European Financial Stability Facility) ablösen.

Der ESM soll einen dauerhaften Schutzwall für Stabilität bieten, der das Vertrauen der Finanzmärkte in die Eurostaaten wiederherstellt. Das bedeutet nichts anderes, als dass den AnlegerInnen gezeigt werden soll, dass ihr Vermögen und ihre Rendite garantiert sind. Wenn einzelne Staaten als zahlungsfähige Schuldner ausfallen, soll der Rettungsschirm einspringen. Gerettet werden also Banken und institutionelle AnlegerInnen.

Der Rettungsschirm umfasst insgesamt 940 Milliarden Euro, was etwas über einer Billion US-Dollar entspricht. Der ESM kann Kredite im Umfang von bis zu 500 Milliarden Euro vergeben, da er ein Stammkapital von 700 Milliarden Euro umfasst. Davon sollen 80 Milliarden Euro in den ersten Jahren von den Mitgliedsstaaten bereitgestellt werden. 620 Milliarden Euro sind eine sogenannte stille Reserve, die im Bedarfsfall abgerufen werden soll. Sie stehen also de facto gar nicht unmittelbar zur Verfügung, sondern sind Garantien, eine Art Beruhigungspille. Allerdings haben sich die Mitgliedsstaaten verpflichtet, bei Bedarf mehr Geld zuzuschießen.

Für Hilfskredite an Staaten wird sich der ESM jedoch selbst Geld auf den Finanzmärkten leihen, das er dann mit einem Zinssatz für unter drei Prozent weitergeben kann. Deshalb ist es notwendig, dass das Stammkapital zu einem Großteil von Staaten kommt, die von den Ratingagenturen ein sehr gutes Rating bekommen. Das garantiert niedrige Zinsen auf den Finanzmärkten.

Im Gegensatz zum EFSF kann der ESM neben direkten Kredithilfen auch präventiv Anleihen von Staaten aufkaufen, deren Staatsanleihen nur noch zu horrenden Zinsen gehandelt werden und deren Kreditkosten den sicheren Bankrott bedeuten würden. Der Aufkauf der Anleihen soll die Zinskosten drücken. Ziel ist zudem, nicht nur die Zinskosten zu dämpfen, sondern auch das Bankensystem insgesamt zu stabilisieren, da durch den Aufkauf von Staatsanleihen die Geschäftsbanken entlastet werden.

In anderen Ländern, u.a. in Großbritannien, den USA oder Japan, übernehmen diese Rolle die Zentralbanken. Die EZB ist zum Aufkauf erst seit Anfang September 2012 bereit und unter strengen Auflagen. So müssen die Länder, deren Anleihen aufgekauft werden sollen, zuerst Hilfen beim ESM beantragen und sich somit dem Fiskalpakt unterwerfen. (ak 575) Schließlich hatte Deutschland durchgesetzt, dass ESM-Hilfen nur an die Staaten fließen, die auch den Fiskalpakt unterschrieben haben, der unter anderem eine Schuldenbremse vorsieht. (ak 569)

Das oft angeführte Argument, mit dem Rettungsschirm verschwinde für die Staaten der Anreiz zu sparen, weil sie im Fall des Falles gerettet werden, läuft also ins Leere. Das Gegenteil ist der Fall. Da aus dem ESM nur dann Gelder fließen, wenn der Fiskalpakt unterschrieben ist, kann von einem »konstitutionellen Austeritätsregime« gesprochen werden – Sparen und der Abbau von Staatsverschuldung bekommen Verfassungsrang.

Weiter werden ESM-Hilfen an Auflagen geknüpft, d.h. an Sparprogramme und »Strukturreformen«. Damit sind meist die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts sowie die Senkung des Lohnniveaus und der Mindestlöhne, Renten etc. gemeint. Ob Hilfen aus dem ESM nötig sind entscheidet die Troika aus EZB, EU-Kommission und IWF. Sie überwacht auch die Einhaltung de Bedingungen. Ein Problem ist bisher jedoch, dass die Hilfe bei den zu »rettenden« Ländern aufgrund der Auflagen überaus unbeliebt ist. Portugal wurde 2011 regelrecht dazu gedrängt werden, Hilfe aus dem ESM-Vorgänger EFSF zu beantragen.

Deutschland verhindert bisher, dass etwa Banken direkte ESM-Hilfen bekommen, d.h. ohne dass sich ein Land wie etwa Spanien den Anpassungsmaßnahmen unterwerfen muss. De facto hat sich damit der deutsche Finanzminister, Wolfgang Schäuble (CDU), durchgesetzt, der bereits zu Beginn der Krise 2008 einen Europäischen Währungsfonds nach dem Vorbild des IWF forderte. Der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, sagte deshalb in Luxemburg, der ESM sei ein Instrument, das nur mit dem IWF vergleichbar sei.

Ingo Stützle

Erschienen in: ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 576 vom 19.10.2012