FAQ. Noch Fragen? Das Vermögen, Reiche zu besteuern

Jetzt auch noch Steuerextremisten, dachte sich wohl die Springerpresse, als die Berliner Morgenpost titelte: »François Hollande plant extreme Reichensteuer«. Die Tageszeitung Die Welt legte nach: »Der Plan von Frankreichs Präsidentschaftskandidat Hollande klingt nach einem sozialistischen Freudenfest. Für Deutschland könnte das schwerwiegende Folgen haben.« Schließlich müsste Deutschland seit Einführung der Gemeinschaftswährung Euro und der Übertragung der Geldpolitik auf die EZB für die »sozialistischen Freudenfeuer« des Nachbarlandes gerade stehen.

Wieviel Hollande von seinen »extremistischen Vorhaben« umsetzen wird, ist bisher noch offen. Dessen ungeachtet wittert die Linkspartei im Windschatten Hollandes auch hierzulade Morgenluft. Nur einen Tag seiner Wahl zum neuen französischen Präsidenten stellte die Linksfraktion ihren Antrag »Gerechtere Verteilung durch eine 75-Prozent-Reichensteuer für Einkommensmillionäre« im Bundestag.

Die Begründung der Linksfraktion: »Deutschland hat die Einführung einer solchen Steuer noch nötiger als Frankreich, denn hier war das Ausmaß der ungleicher werdenden Einkommensverteilung in den letzten beiden Jahrzehnten im internationalen Vergleich besonders hoch«.

Die Idee einer hohen Besteuerung von Reichen und Vermögenden ist nicht neu und kommt nicht von ungefähr. In Deutschland wurden die letzten 20 Jahren die Spitzensteuersätze ständig gesenkt. Gleichzeitig sind die hohen Einkommen gestiegen. Das Einkommen der untersten 10 Prozent ist von 1999 bis 2009 um 9,6 Prozent gefallen, während das der Obersten 10 Prozent der Bevölkerung um 16,6 Prozent stieg. Derzeit greift der Spitzensteuersatz von 45 Prozent erst bei einem Jahreseinkommen von 250.000 Euro. Bei Anwendung einer progressiven Besteuerung bei einem erhöhten Spitzensteuersatz von 53 Prozent würden jährlich 10 Milliarden mehr im Fiskus zu finden sein. Das ist eine Menge Geld, träfe aber nur 4 Prozent aller SteuerzahlerInnen. Und: Bei einem Steuersatz von 53 Prozent wäre man nur bei dem Niveau, das bis zur Senkung durch Rot-Grün galt. Höher als unter Helmut Kohl war der Spitzensteuersatz unter dem extremistischen sozialen Marktwirtschaftler Ludwig Erhard – nämlich 56 Prozent.

Noch bevor Rot-Grün sich der Sache annehmen konnte, wurde bereits 1996 die allgemeine Vermögenssteuer abgeschafft. Mit Folgen: 1980 trugen die Steuern auf Vermögen 3,3 Prozent zu den gesamten Abgaben bei, 2008 waren es ein Prozent weniger. Die Gewerkschaft ver.di bezeichnet Deutschland inzwischen als Steueroase. Bei den Steuern auf Eigentum (u.a. Vermögen-, Erbschafts- und Grundsteuer) liegt Deutschland mit 0,9 Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (2007) weit hinter Italien (2,1%), Schweiz (2,4%), USA (3,1%), Frankreich (3,5%) und Großbritannien (4,6%). 27 der 33 OECD-Staaten bitten ihre Vermögenden stärker zur Kasse als Deutschland. Auch deshalb empfiehlt selbst die OECD Deutschland eine Vermögenssteuer. Schließlich besitzt das reichste Prozent in Deutschland 23 Prozent des Geldvermögens; das reichste Zehntel besitzt etwa 61 Prozent.

So toll sich die Reichensteuer auch anhört – sie stößt unter der gegebenen Gesetzeslage schnell an Grenzen. Unternehmenseinkünfte und Kapitaleinkommen wurden (nicht nur in Deutschland) in den letzten Jahren aus der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer herausgenommen und werden seitdem gesondert besteuert – mit deutlich niedrigeren Steuersätzen. Ganz im Sinne eines Steuerwettlaufs nach unten: Produktives Vermögen soll sich lohnen. Empirische Forschungen zeigen allerdings, dass die These der Abwanderung von (produktivem) Vermögen überbewertet wird. Sie ist eine Phrase in der politischen Auseinandersetzung.

Der Spitzensteuersatz gilt deshalb seit ein paar Jahren nur noch für Lohneinkommen (also auch hohe Managerbezüge), Mieteinnahmen, Unternehmenseinkommen von Selbstständigen, soweit sie nicht reinvestiert werden. Fallen Kapitalerträge und Gewinne in Kapitalgesellschaften oder Familienunternehmen an, zahlen die UnternehmerInnen oder AnlegerInnen keinen Spitzensteuersatz. Hier fallen nur Körperschaftsteuern von 15 Prozent für Gewinne an sowie Solidaritätszuschlag, Gewerbesteuer oder Steuern auf Auslandeinkünfte. Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bedeutet dies im Endeffekt nur eine Belastung von etwa 30 Prozent.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob der Vorstoß der Linkspartei mehr ist als ein populistisches Manöver. Schließlich liegt der Hund woanders begraben.

Ingo Stützle

Erschienen in: ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 572 vom  19.5.2012