FAQ: ESM – keine Rettung vor Austerität

Anfang 2012 gründeten die 17 Eurostaaten den ESM (European Stability Mechanism), der ab Juli 2012 den bisherigen Eurorettungsschirm EFSF (European Financial Stability Facility) ablösen sollte. Letzterer war als eine temporäre Einrichtung angelegt. Der ESM soll nun einen dauerhaften Schutzwall für Stabilität bieten, der das Vertrauen der Finanzmärkte in die Eurostaaten wiederherstellt. Das bedeutet nichts anderes, als dass den AnlegerInnen gezeigt werden soll, dass ihr Vermögen und ihre Rendite garantiert sind. Wenn einzelne Staaten als zahlungsfähige Schuldner ausfallen, soll der Rettungsschirm einspringen. Gerettet werden also im Fall des Falles nicht die PortugiesInnen oder GriechInnen, sondern Banken und institutionelle AnlegerInnen.

Um die Schlagkraft des Rettungsschirms zu erhöhen, löst der ESM den EFSF nun doch nicht ab, sondern beide Fonds sollen zukünftig parallel laufen. Das beschlossen die Euro-Finanzminister Ende März 2012.

Die bereits aus der EFSF finanzierten Programme für Portugal, Irland und Griechenland im Umfang von 223 Milliarden Euro werden auf das ESM-Volumen angerechnet. Ein kluger Schachzug, schließlich kommt der Rettungsschirm nahe an den Billionenschutzwall heran, den zuletzt die OECD und Frankreich gefordert hatten – scheinbar ohne dass die mögliche Belastung für den deutschen Fiskus größer wird.

Der Rettungsschirm umfasst nach den letzten Beschlüssen insgesamt 940 Milliarden Euro, was etwas über einer Billion US-Dollar entspricht. Der ESM kann Kredite im Umfang von bis zu 500 Milliarden Euro vergeben, da er ein Stammkapital von 700 Milliarden Euro umfasst. Davon sollen 80 Milliarden Euro in den ersten Jahren von den Mitgliedsstaaten bereitgestellt werden. 620 Milliarden Euro sind eine sogenannte stille Reserve, die im Bedarfsfall abgerufen werden soll. Sie stehen also de facto gar nicht unmittelbar zur Verfügung, sondern sind Garantien, eine Art Beruhigungspille. Allerdings haben sich die Mitgliedsstaaten verpflichtet, bei Bedarf mehr Geld zuzuschießen.

Für Hilfskredite an Staaten wird sich der ESM jedoch selbst Geld auf den Finanzmärkten leihen, das er dann mit einem Zinssatz für unter drei Prozent weitergeben kann. Deshalb ist es notwendig, dass das Stammkapital zu einem Großteil von Staaten kommt, die von den Ratingagenturen ein sehr gutes Rating bekommen. Das garantiert niedrige Zinsen auf den Finanzmärkten.

Im Gegensatz zum EFSF kann der ESM neben direkten Kredithilfen auch präventiv Anleihen von Staaten aufkaufen, deren Staatsanleihen nur noch zu horrenden Zinsen gehandelt werden und deren Kreditkosten den sicheren Bankrott bedeuten würden. Der Aufkauf der Anleihen soll die Zinskosten drücken. Ziel ist zudem, nicht nur die Zinskosten zu dämpfen, sondern auch das Bankensystem insgesamt zu stabilisieren, da durch den Aufkauf von Staatsanleihen die Geschäftsbanken entlastet werden. In anderen Ländern, u.a. in Großbritannien, den USA oder Japan, übernehmen diese Rolle die Zentralbanken, was der EZB jedoch vor allem aufgrund von deutschem Druck verwehrt ist. Bisher praktiziert die EZB den Aufkauf von Anleihen nur in Ausnahmefällen. Damit wird die der ESM zur »Bad Bank«.

Deutschland hat durchgesetzt, dass ESM-Hilfen nur an die Staaten fließen, die auch den Fiskalpakt unterschrieben haben, der unter anderem eine Schuldenbremse vorsieht. (ak 569) Das oft angeführte Argument, mit dem Rettungsschirm verschwinde für die Staaten der Anreiz zu sparen, weil sie im Fall des Falles gerettet werden, läuft also ins Leere. Das Gegenteil ist der Fall. Da aus dem ESM nur dann Gelder fließen, wenn der Fiskalpakt unterschrieben ist, kann von einem »konstitutionellen Austeritätsregime« gesprochen werden – Sparen und der Abbau von Staatsverschuldung bekommen Verfassungsrang.

Weiter werden ESM-Hilfen an Auflagen geknüpft, d.h. an Sparprogramme und »Strukturreformen«. Damit sind meist die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts sowie die Senkung des Lohnniveaus und der Mindestlöhne, Renten etc. gemeint. De facto hat sich damit der deutsche Finanzminister, Wolfgang Schäuble (CDU), durchgesetzt, der bereits zu Beginn der Krise 2008 einen Europäischen Währungsfonds nach dem Vorbild des IWF forderte.

Ziel des ESM ist es, das Vertrauen der Investoren zu gewinnen. Das geschieht auch in der Form, dass private Investoren nur in Ausnahmefällen beteiligt werden, nämlich dann, wenn ein Staat tatsächlich Bankrott geht und über eine Umschuldung u.a. mit privaten GläubigerInnen verhandelt werden muss. Das soll ab 2013 mit sogenannten Collective Action Clauses (CAC) erfolgen, die alle ausgegebenen Staatsanleihen der Euroländer enthalten müssen und die verhindern sollen, dass einzelne GläubigerInnen Verhandlungen blockieren oder verzögern, wie dies zuletzt bei Griechenland der Fall war.

Ingo Stützle

Erschienen in: ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 571 vom 20.4.2012