Bankrott auf Raten. Griechenland muss neue Spardiktate durchsetzen – eine Umschuldung steht bevor

Am 19. Januar titelte Spiegel online: »Hedgefonds wollen Menschenrecht auf Rendite einklagen«. Hintergrund waren die Verhandlungen über den freiwilligen Verzicht des Privatsektors, der bereits im Juli 2011 von der Troika aus IWF, EU und EZB im Rahmen einer geplanten Umschuldung der griechischen Staatsschulden ausgehandelt wurde.

Auf Rendite verzichtet das Kapital jedoch ungern, weshalb die Verhandlungen bis zum Schluss zäh verliefen. 90 Prozent der Staatsanleihen sind jedoch nach griechischem Recht ausgegeben. Deshalb konnte der griechische Regierungschef Loukas Papademos auch damit drohen, dass die Gläubiger per Gesetz zu einer Umschuldung gezwungen werden könnten. Würde Athen im Nachhinein die Anleihen mit einer sogenannten Umschuldungsklausel (Collective Action Clauses) versehen, drohten wiederum die Hedge Fonds an, vor Gericht zu klagen. Schließlich hätten sie ein Recht auf ihr Eigentum und das verbriefte Recht auf Rendite.

So abstrus es sich anhört: Der Vorgang wäre kein Präzedenzfall. Bereits 2007 hatte beispielsweise der Investmentfonds Donegal International Association vor einem britischen Gericht 15 Millionen US-Dollar von einem der ärmsten Länder der Welt erstritten: Sambia. Donegal hatte 1999 eine Staatsanleihe für 3,5 Millionen US-Dollar gekauft und das Land auf Tilgung, Zinsen und Verzugszinsen in Höhe von 55 Millionen US-Dollar verklagt. Das Londoner Gericht zwang Sambia schließlich dazu, 15 Millionen US-Dollar zu bezahlen, was etwa einem Drittel des Schuldenerlasses entsprach, der dem Land 2006 gewährt wurde.

Widersprüche zwischen Fraktionen des Finanzkapitals
Griechenland muss am 20. März 2012 Staatsanleihen im Umfang von 14,5 Milliarden Euro ablösen, fällige Anleihen müssen durch neue ersetzen werden. Weil Athen derzeit kein Geld auf den internationalen Finanzmärkten bekommt, also de facto bereits bankrott ist, ist es von EU und IWF abhängig. Bei den aktuellen Verhandlungen ging es um das zweite Hilfspaket, das 130 Milliarden Euro umfasst. Damit Geld Richtung Athen fließt, verhandelte es mit dem Internationalen Bankenverband (IIF) über die Höhe des Schuldenschnitts und das Spardiktat der Troika.

Die Gläubiger sollten etwa auf die Hälfte der ausstehenden Schulden verzichten. Eigentlich ein gutes Geschäft für das Finanzkapital, schließlich liegt der Marktwert der Schuldpapiere weit darunter. Müssten die Banken und institutionellen Anleger die Anleihen zum Marktwert bilanzieren, hätten sie bereits über 70 Prozent abschreiben müssen. Laut Aussage des IIF vertritt der Verband jedoch nur 70 bis 80 Prozent des Kreditvolumens an Griechenland, d.h. ca. 140 bis 160 Milliarden Euro. (FAZ, 2.1.2012) Bei der EZB liegen Staatsanleihen im Wert von 55 Milliarden Euro. Laut der Investmentbank JP Morgan halten Investoren wie Hedge Fonds Anleihen im Umfang von etwa 80 Milliarden Euro, die sie gegen die Möglichkeit eines Ausfalls mit sogennanten Credit Default Swaps (CDS), Kreditausfallversicherungen, abgesichert haben.

Das bringt gleich zwei Probleme mit sich. Nicht nur, dass der Bankenverband nicht in ihrem Namen verhandeln kann. Für die Investoren, die sich mit CDS-Derivaten abgesichert haben, ist eine Staatspleite profitabler. Schließlich müsste ihnen dann die Versicherungssumme ausgezahlt werden, die bei einem freiwilligen Forderungsverzicht nicht winken würde.

Damit haben diese Teile des Finanzkapitals nicht nur andere Interessen, sondern welche, die sich im Widerspruch zu denen anderer großer Bankhäuser befinden. Es bedarf ja jede Risikoversorge eines Versicherers, der das Risiko versichert. Im Fall Griechenland sind es vor allem große US-Banken wie JP Morgan Chase, Bank of America, Citibank, Goldman Sachs und die US-Tochter der britischen HSBC. (junge Welt, 8.2.2012) Deshalb drängt die US-Regierung seit Monaten darauf, dass die EU und vor allem Deutschland und Frankreich Griechenland als Schuldnerstaat erhalten und die Euro-Krise in den Griff bekommen. Eine Griechenlandpleite würde das US-Bankensystem ein weiteres Mal erschüttern.

Ob ein sogenanntes Kreditereignis eingetreten ist, d.h. Griechenland zahlungsunfähig ist und die CDS-Prämien fällig werden, ist jedoch keine staatliche Entscheidung oder eine der EU. Darüber entscheidet ein geheimer Ausschuss der International Swaps and Derivatives Association. Laut der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) waren Mitte 2011 sogenannte CDS-Derivate im Umfang von ca. 32,5 Billionen US-Dollar im Umlauf. (junge Welt, 8.2.2012) Trotzdem ist im Finanzzentrum New York laut FAZ (9.2.2012) auch die Kritik zu hören, dass bei einer freiwilligen Umschuldung CDS-Papiere ihren Sinn verlören.

Während also ein Teil des Finanzkapitals auf einen Kreditausfall setzt, will ein anderer Teil dies möglichst verhindern. Schließlich müssten die Banken und Versicherer Milliarden an Versicherungssummen ausbezahlen. Das Finanzkapital ist demnach in der Griechenlandfrage tief gespalten und alles andere als ein Akteur, der den Euro bedroht. Genau diese Interessenskonflikte sind es unter anderem, die eine »Lösung« seit Juli 2011 verzögern.

Zu all dem kommt die Politik Deutschlands. Berlin wirft Griechenland lieber vor, seine Hausaufgaben nicht zu machen und verstärkt die Disziplinierung des überschuldeten Landes. Um die Sparanstrengungen auch durchzusetzen, wollen Frankreich und Deutschland ein Sonderkonto einrichten, auf das Athen keinen Zugriff hat, aber regelmäßig Teile der Steuereinnahmen einzahlt, um damit die ausstehenden Schulden zu begleichen. Das ist nach dem verabschiedeten Fiskalpakt ein weiterer Versuch, die griechische Souveränität über den Staatshaushalt effektiv einzuschränken.

Neue Spardiktate lassen Griechenland verarmen
Laut Verhandlungsergebnis vom 9. Februar 2012 soll Athen bis 2015 insgesamt 14 Milliarden Euro sparen – allein 2012 sollen es 3,1 Milliarden Euro sein. Das Sparpaket setzt auf bekannte Evergreens: Die Löhne in der Privatwirtschaft sollen eingefroren werden, bis die Arbeitslosenquote von heute mehr als 19 Prozent auf 10 Prozent gefallen ist. Der Mindestlohn soll um 22 Prozent auf 590 Euro gesenkt werden. Für junge Erwachsene unter 25 Jahren sollen die Kürzungen noch schärfer ausfallen. Hier soll der Mindestlohn um bis zu 32 Prozent gekürzt werden.

Weiter werden die meisten Lohnzuschüsse abgeschafft. Ausgenommen sind das Familiengeld und das sogenannte Bildungsgeld für Uni- und FachhochschulabsolventInnen. Das bedeutet, dass beispielsweise eine Angestellte im Handel mit 962 Euro statt 1374,87 Euro auskommen muss.

Weiter wird der griechische Staat die Renten kürzen. Zusatzrenten werden generell um 15 Prozent reduziert. Sie machen etwa 20 Prozent des Einkommens der RuheständlerInnen aus. Die Troika forderte zunächst Kürzungen um 35 Prozent. Um 15 Prozent werden auch die Renten derjenigen gekürzt, die bei Banken sowie Telefon- und Elektrizitätsgesellschaften gearbeitet haben. Der Beamtenstatus für staatlich kontrollierte Betriebe wie die Elektrizitätsgesellschaft (DEI) wird aufgehoben. Des Weiteren hat die Regierung bekräftigt, 150.000 Staatsbedienstete bis 2015 zu entlassen – 2012 bereits 15.000 Angestellte, nachdem sie ein Jahr in Teilzeitarbeit geschickt wurden. Durch Privatisierungen sollen bis 2015 19 Milliarden Euro eingenommen werden, u.a. durch den Verkauf der Staatlichen Lotterie (OPAP), der Gaswerke (DEPA) und der Staatlichen Raffinerien (ELPE).

Beim Militär wird wieder einmal nur sparsam gekürzt. Dort sollen 300 Millionen gestrichen werden. Das griechische Budget sah (vorsichtig gerechnet) 2010 für das Militär einen Etat von sechs Milliarden Euro vor, d.h. drei Prozent des BIP. Das sind 250 Prozent mehr als in Deutschland. Laut Zahlen des US-Geheimdienstes CIA wendet Athen sogar 4,3 Prozent seines BIP für Militärausgaben auf, während es im OECD-Durchschnitt nur 1,7 Prozent sind. (FAZ, 30.4.2012) Im April 2010 kam eine OECD-Studie noch zu dem Schluss, dass Griechenland vor allem beim Militär sparen könne.

Ungeklärt ist die Rolle der EZB, die sich bisher weigert, im Gegensatz zu den Notenbanken der USA, Japans und Großbritanniens, im Notfall unbegrenzt Staatspapiere zu kaufen. Eine wahrscheinliche Option ist, dass die EZB die aufgekauften griechischen Anleihen an den EFSF weitergeben wird, der sie schließlich wieder an Athen weiterverkauft. Das Geld für den Rückkauf würde es wiederum vom Rettungsschirm bekommen. In Zahlen: Laut Felix Salmon handelt es sich um Anleihen im Umfang von 50 Milliarden Euro, die die EZB für 39 Milliarden gekauft hat. (1)

Auch wenn dieses Szenario bisher nicht bestätigt wurde, sagte der EFSF-Vizechef, Christophe Franke, dass der EFSF »wahrscheinlich eine bedeutende Rolle« beim Schuldenschnitt für Griechenland spielen werde. (DerStandard.at, 8.2.2012) Die EZB verweigert bisher die Abschreibung der Anleihen, weil dadurch Begehrlichkeiten geweckt werden könnten. Schließlich ist Griechenland nicht das einzige Land in Zahlungsschwierigkeiten. Nachdem das Gerücht kursierte, die EZB helfe Griechenland, ließ auch Irland verkünden, dass der hoch verschuldete Inselstaat Hilfe der EZB beanspruche.

Ingo Stützle

Anmerkung:
1) blogs.reuters.com/felix-salmon, 7.2.2012.

Erschienenin: ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 569 vom 17.2.2012