Euro-Rettungsfonds: Transferunion und deutsches Europa?

In einer Sondersitzung des Europäischen Rats wurde in der Nacht zum 10.5.10 ein provisorischer Euro-Rettungsschirm (EFSF) beschlossen. Dieser sollte verhindern, dass mit der drohenden Staatspleite Griechenlands der ganze Euro-Raum ins Wanken geriet – so die offizielle Erzählung. Gerettet wurden vor allem die Banken, die die hochverzinsten Staatsanleihen der unter Druck geratenen Staaten hielten. Ende März dieses Jahres wurde der Rettungsschirm als Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM) als dauerhafte Einrichtung offiziell verabschiedet und ihm ein “Wettbewerbspakt” zur Seite gestellt.

Der ESM soll ab Mitte 2013 den befristeten Rettungsschirm ablösen. Der neue Krisenfonds soll 500 Mrd. Euro an Krediten vergeben können. Dafür ist eine Kapitalbasis von 700 Mrd. Euro nötig. Die 17 Euro-Staaten bringen davon 80 Mrd. in bar als Grundkapital ein – ab 2013 in fünf Tranchen à 16 Mrd. Euro. 620 Mrd. Euro sind als Garantien vorgesehen. Damit funktioniert der EMS ähnlich wie der Internationale Währungsfonds (IWF).

Deutschland leistet mit 27,2 Prozent den größten Beitrag (22 Mrd. Euro, dazu 170 Mrd. Euro an Kreditgarantien). Anders sieht es aus, wenn man das Verhältnis zur Wirtschaftskraft in den Blick nimmt. Dann bezahlt Portugal am meisten. Pro Kopf zahlen wiederum die Niederlande und Finnland am meisten in den Fond ein.

Dennoch klagte die Bild-Zeitung prompt “Wir sind der Zahlmeister Europas!”. Zu unrecht. Denn mit dem EMS ist das Geld nicht weggezahlt. Die mit dem Geld möglicherweise vergebenen Kredite stellen vielmehr potenzielle Forderungen dar, d.h. ein verbrieftes Recht auf Rückzahlung inklusive Zinsen. Der EMS vergibt zudem nur dann Kredite, wenn die EU davon ausgeht, dass diese auch zurückgezahlt werden. Die ESM-Kredite werden gegenüber anderen Zahlungsverpflichtungen zudem bevorzugt. Die Gefahr, dass das Geld also futsch ist, ist mehr als gering.

Die neuen Vereinbarungen stellen auch keinen Beginn einer Transferunion dar. Eine Transferunion wäre das EMS dann, wenn das Geld nicht als Kredit vergeben wird, sondern als Transferleistung – wie etwa seit Jahrzehnten in Europa in der Agrarpolitik üblich. Darüber hinaus hat die EU klargestellt: Ein Land bekommt nicht dann Hilfe, wenn es in Not ist. Sondern nur, wenn diese Not die gesamte Euro-Zone anzustecken droht. Die “Hilfskredite” helfen also vor allem den Geldgebern.

Der Wettbewerbspakt “Euro Plus” flankiert den ESM. Deutschlands Ansage hierzu lässt an Deutlichkeit nichts missen: “Aus der Währungsunion werde nur dann eine dauerhafte Haftungsgemeinschaft, wenn die Wirtschaftspolitik im Euro-Raum künftig deutschen Prinzipien folge, versprach Merkel. Ohne Zustimmung zu ihrem ,Wettbewerbspakt` gebe es keinen ewigen Krisenfonds.” (FAZ, 12.3.11) Deshalb konnte Merkel auch prahlen, dass der Pakt eine “deutsche Handschrift” trage. Und der Pakt hat es in sich.

Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit heißt unter anderem Senkung von Lohnstückkosten. Dafür sollen in den Ländern die “Lohnfindungsregeln” überprüft und ein Index eingeführt werden, der die Löhne “vergleichbar” macht. Vergleichbarkeit ermöglicht verstärkte Konkurrenz. Aber auch sonst liest sich der Pakt wie eine neoliberale Gebrauchsanweisung: “weitere Öffnung von geschützten Sektoren”, Beseitigung von “ungerechtfertigten” Beschränkungen bei den freien Berufen und im Einzelhandel, Arbeitsmarktreformen und Rentenkürzung. Es geht also darum, die Verwertungsbedingungen für Kapital zu verbessern, was mit einer Verschlechterung der Lebensbedingungen der breiten Masse einhergehen wird. “Denn”, so Merkel, “nur ein wettbewerbsstarkes Europa hat Gewicht in der Welt.”

Was die Kanzlerin besonders freut, ist der neueste Exportschlager aus Deutschland – die Schuldenbremse. Auch andere EU-Länder sollen – wie Deutschland – der Begrenzung der staatlichen Kreditaufnahme Verfassungsrang geben.

Besonders deutlich wird die Dominanz Deutschlands daran, dass es keine Zugeständnisse machen musste. Frankreich verzichtet auf Floskeln zu einer europäischen Wirtschaftsregierung und permanente Außenhandelsüberschüsse werden auch nicht als schädlich für die ökonomische Kohärenz Europas bezeichnet. Deutschland darf also weiterhin mit niedrigen Lohnkosten ungehindert vor allem den Süden Europas mit exportierten Waren an die Wand drücken und dort Arbeitslosigkeit, Verarmung und sinkende Steuereinnahmen verursachen. Die Widersprüche und Disparitäten innerhalb Europas werden in Zukunft zu- und nicht abnehmen.

Lettland weist vielen Ländern die Zukunft, wenn es keinen Widerstand von unten gibt: Lettland bekam bereits 2009 nach Zahlungsschwierigkeiten Geld vom IWF und der EU – unter Auflagen. Die Löhne wurden um 25 Prozent gekürzt. In der Privatwirtschaft sogar um fünf Prozent mehr. Die Mehrwertsteuer wurde erhöht und die Zuschüsse für Krankenhäuser fast um die Hälfte gestrichen. Im Einzelhandel brach die Nachfrage daraufhin um 30 Prozent ein, die Arbeitslosigkeit stieg auf 22 Prozent – der höchste Stand in der EU.

Der britische Economist (12.3.11) schrieb zum “Euro Plus”: “Historiker können sich eines Tages an diese Woche als an jene erinnern, in der die Aufspaltung Europas begann.” Einer Spaltung zugunsten von Umverteilung und Kapitalinteressen kann nur durch Widerstand von unten etwas entgegengesetzt werden. Eine europäische Perspektive von unten existiert bisher noch nicht. Vor allem in Deutschland, das von den Entwicklungen eher profitiert und verstärkt die eignen Interessen in den Vordergrund stellt, mangelt es bisher nicht nur an Protest, sondern auch an Solidarität mit dem Widerstand in der europäischen Peripherie.

Ingo Stützle

Einen Überblick zu den europäischen Protesten bietet das blog krisenzeiten.wordpress.com

Erschienen in: ak. analyse & kritik – zeitung für linke debatte und praxis, Nr. 560 vom 15.4.2011