Eine Herde schwarzer Schafe. Ein neues Buch über die Krise bringt die bürgerliche Kritik an Politik und Banken auf den Punkt

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Der Zusammenbruch von Lehman Brothers Bank markiert symbolisch den Ausbruch der Finanzkrise vor zwei Jahren. Über die Gründe, die schließlich zu einer Weltwirtschaftskrise führten, wird nach wie vor gestritten. Für die Bourgeoisie waren die Ursachen schnell genannt: falsche Anreize, Gier und Staatsversagen. Der Wirtschaftsjournalist Leo Müller ist diesen Gründen en détail nachgegangen. In seinem Meisterstück bürgerlicher Kritik bringt er viel Erhellendes zu Tage und bleibt doch dem bourgeoisen Horizont verhaftet.

Ausgangspunkt des Buches ist das Jahr 2003, fünf Jahre vor der Lehman-Zeitrechnung. Damals trafen sich acht Spitzenmanager des Finanzsektors und drei Kabinettsmitglieder im Bundeswirtschaftsministerium – strikte Vertraulichkeit war angeordnet. Thema war ein möglicher Rettungsplan für deutsche Großbanken, in deren Bilanzen schon damals faule Kredite in Höhe von 50 bis 100 Mrd. Euro schlummerten. Der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, schlug die Auslagerung in eine Bad Bank vor, was damals der deutschen Öffentlichkeit kaum vermittelbar war. Also wurde ein andere Option gewählt: Es wurden sogenannte Conduits, d.h. Zweckgesellschaften gegründet, die ihren Firmensitz in Finanzoasen haben. Dorthin wurden die Kredite verschoben – gebündelt als strukturierte Wertpapiere.

Politik und Banken wollen Dominanz auf Finanzmärkten

Das Tolle daran war: Obwohl die Banken für die Conduits hafteten, tauchten diese in den Bankbilanzen nicht mehr auf. Folge: Die Zweckgesellschaften legten jetzt erst richtig los und spekulierten vor allem mit risikoreichen Wertpapieren.

Für Müller ist dieses Treffen symptomatisch. Unverantwortliche und kriminelle BankerInnen treffen auf ahnungslose und unfähige PolitikerInnen. Das Buch bringt interessante und bisher kaum bekannte Details über den Verlauf der Krise. Die Interpretationsfolie macht hingegen unsichtbar, dass vor allem Deutschland und die deutschen Banken auf eine verschärfte Konkurrenz auf den Finanzmärkten aus waren und sich zunehmend auf dem Verbriefungsmarkt engagierten. Damit haben sie die Krise zwar nicht verursacht, aber allemal verschärft und beschleunigt. Die Finanzkrise ist somit auch Resultat der politischen wie ökonomischen Strategie, Frankfurt am Main und somit Deutschland gegenüber London und New York als Finanzstandort zu stärken. Das hat wenig mit Dummheit und viel mit dem Interesse an Marktmacht zu tun. Vor diesem Hintergrund ist auch die Aussage des ehemaligen Finanzministers Peer Steinbrück (SPD) kurz nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers zu verstehen: “Die USA werden ihren Status als Supermacht des Weltfinanzsystem verlieren.”

Auch Landesbanken ordnen sich der Profitlogik unter

So ist auch das deutsche Engagement gegen Hedge Fonds zu verstehen, das immer als die deutsche Regulierungsoffensive angepriesen wurde. Dass Deutschland im Gegensatz zu Großbritannien und den USA keine nennenswerten Hedge Fonds beheimatet und stattdessen Banken und Landesbanken die zentralen AkteurInnen sind, zeigt, dass die anpackende Attitüde tatsächlich ein Versuch ist, die deutsche Dominanz auf den internationalen Finanzmärkten auszubauen.

Das bedeutet aber auch, dass die Krise nicht als Resultat von zu wenig staatlichem Eingriff zu deuten ist. Die Bundesregierung wollte den Bankensektor in dieser Form reguliert haben. Das zeigt sich auch daran, dass 2005 die Große Koalition den Ausbau des Verbriefungsmarktes als eine wichtige Strategie formulierte, den Finanzstandort Deutschland zu stärken.

Diese Strategie lässt sich auch für die Landesbanken aufzeigen. Diese waren ursprünglich mit dem öffentlichen Auftrag betraut, die Wirtschaft der Bundesländer durch Kredite zu stärken. Privatbanken taten das nicht in der gewünschten Form. Aber auch bei den Landesbanken werde dieses politisches Ziel nach und nach von einer Regierungsstratetgie abgelöst, den Finanzstandort Deutschland zu stärken. Damit läuft auch die neoliberale Kritik an den Landesbanken ins Leere, die behauptet, dass sich bei diesen gezeigt habe, der Staat sei eben auch nicht der bessere Banker sei. Denn: Der Zweck der Banken verschob sich zur privatwirtschaftlichen Logik, zum Profit. Wer bei der Veränderung der Funktionslogik formal der Eigentümer ist, ist (fast) egal. Das sieht man beispielsweise bei der Deutschen Bahn.

Begleitet war diese staatliche Strategie von einer engagierten Interessensvertretung der Finanzlobby. Diese verhinderte eine EU-Verordnung, die Banken dazu gezwungen hätte, die Zweckgesellschaften ab 2005 in ihren Bilanzen auszuweisen. Ebenso wurden höhere Eigenkapitalquoten für Banken verhindert.

Wie getrieben die deutschen Banken von einer möglichen neuen Rolle auf den globalen Finanzmärkten waren, zeigt auch der Umstand, dass nahezu alle international operierenden Banken spätestens 2006 bemerkten, dass der Subprime-Markt eine hochexplosive Angelegenheit war. Nur in Deutschland wurde bis zum bitteren Ende auf die Rendite geschielt – Risiko hin, Risiko her. Kein Wunder also, dass sich in keinem Land der Welt mehr finanzieller Schrott ansammelte.

Deutschland: größter Finanzschrottplatz der Welt

Vor dem Hintergrund, dass sowohl Finanzkapital als auch die deutsche Politik die gleiche Strategie verfolgen, trifft das Buch nicht den wesentlichen Punkt, da es den Grund der Krise wesentlich auf Betrug und überhebliche, selbstgefällige, inkompetente und ignorante BankerInnen und PolitikerInnen reduziert.

Wenn Müller die Charaktereigenschaften, die er einzelnen Berufsgruppen und Verantwortlichen zuschreibt, als Ausdruck einer bornierten Produktionsweise, der kapitalistischen nämlich, interpretieren würde, wäre die Krise schon eher verstanden und eine von ihm gewählte Metapher bekäme einen Sinn: Für die Krise seien nicht vereinzelte schwarze Schafe verantwortlich, so Müller, sondern eine ganze Herde schwarzer Schafe.

Ingo Stützle

Leo Müller: Bank-Räuber. Wie kriminelle Manager und unfähige Politiker uns in den Ruin treiben. Econ, Berlin 2010, 384 Seiten, 19,95 EUR

Erschienen in: ak – zeitung für linke debatte und praxis, Nr. 553 v. 17.9.2010, Seite 18