Bundesgerichtshof: Überwachung war von Beginn an illegal

Vor zwei Tagen hatte ich etwas zu unseren deutschen Musterdemokraten Wolfgang Schäuble et al. gepostet. Meine zentrale These: »Rechtsstaatlichkeit, Freiheitsrechte und Demokratie sind derzeit nicht von links oder rechts gefährdet, sondern von der Mitte der Gesellschaft.«

Heute ist nun in der Presse zu lesen (taz, FR), dass der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshof (BGH) im März einen Beschluss fasste, dass eine über 7-jährige  »Totalüberwachung« (Anwalt Sönke Hilbrans) angeblicher Mitglieder der ›militanten gruppe‹ (mg) illegal war – und zwar von Anbeginn, weil es weder konkrete Anhaltspunkte, noch einen bestehenden Tatverdacht gab. Die FR schreibt:

»Zum Teil konstruierten die Behörden atemberaubende Vorwürfe, um ihn als Gründer der mysteriösen ›militanten gruppe‹ zu überführen. Sie schreckten auch nicht davor zurück, entlastende Indizien zu unterschlagen, um weiter ungestört ihren Lauschangriff auszuführen.«

Damit zeigt sich, dass der u.a. von Staatsrechtlern wie Otto Depenheuer und ehemaligen Innenministern wie Wolfgang Schäuble forcierte Diskurs um eine ›Selbstbehauptung‹ der Demokratie, die bisweilen einen ›temporären Ausnahmezustand‹ bedarf, in der Praxis oft gang und gäbe ist. Zentraler Akteur sind hier oft das Bundeskriminalamt (BKA) und der Verfassungschutz (VS).

So heißt es im Beschluss des Bundesgerichtshofs in Richtung BKA, es deute viel darauf hin,

»dass Grund für die strafrechtliche Verfolgung … nicht die Verdichtung eines … bestehenden Verdachts gewesen sein könnte, konkrete Straftaten begangen zu haben, sondern die Annahme von Polizei- und/oder Verfassungsschutzbehörden, die Gefahrenlage habe sich erhöht«.

Dabei sei »die präventive Gefahrenabwehr« (!)  nicht seine Aufgabe und dürfe schon gar nicht durch Ermittlungen auf Grundlage der Strafprozessordnung durchgeführt werden.

Leider wird auch dieses mal kein Schwein nach diesem Urteil pfeifen, das BKA wird nicht zur Rechenschaft gezogen oder Maßnahmen in die Wege geleitet werden, die ein derartiges Vorgehen unmöglich machen. Vielmehr bläst der Wind in eine ganz andere Richtung.

Wie defensiv die Stimmung derzeit ist, zeigt der Schlussabsatz in Christian Raths taz-Kommentar:

»Beruhigend ist an diesen Vorgängen nur, dass zumindest die Schlusskontrolle durch den 3. Strafsenat des BGH funktioniert. Hier gibt es keine Kameraderie, sondern rechtstaatliche Kontrolle, wie sie sein sollte.«

Nein, das Urteil kann die Beunruhigung über die deutschen Verhältnisse nicht aufwiegen.

BGH-Beschluss vom 11. März 2010

Pressemitteilung des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV)

Kommentar bei annalist

– Drei Berliner jahrelang illegal überwacht (Der Tagesspiegel)

telepolis (20.6.10)

Kommentar von Christian Bommarius, Berliner Zeitung (21.6.10)