attac-Bankentribunal zwischen Recht, Moral und materieller Ungleichheit

Für attac war es schon jetzt das Highlight des Jahres. Im Rahmen eines Bankentribunals sollten die Ursachen, aber vor allem die »Schuldigen der Finanzkrise« angeklagt und verurteilt werden. In der Volksbühne tummelten sich mehrere Tage die Schaulustigen. Am Sonntag wurde dann das Urteil gesprochen. Aber das ganze Spektakel zeigt vor allem wie hilflos Kapitalismuskritik ist, wenn sie nicht an die Wurzel geht.

Anklagebank in idyllischer Atmosphäre

»Dem Publikum zufolge hätten wir die Angeklagten dazu verurteilen müssen, alle drei Bände ›Kapital‹ von Karl Marx auswendig zu lernen«, sagte Jury-Mitglied und Sozialrichter Jürgen Borchart der taz. Jürgen Borchart, der selbst auf dem Richterstuhl saß, zeigt mit dieser Aussage, dass die blauen Bände entweder nicht gelesen oder zumindest nicht verstanden wurden. Denn zum einen ist »Auswendiglernen« fast das Letzte was man mit dem marxschen Kapital machen sollte (Marx: »Ich unterstelle natürlich Leser, die etwas Neues lernen, also auch selbst denken wollen«), und zum anderen hätte die Lektüre die Initiatoren davon abhalten müssen, Einzelpersonen für das System haftbar zu machen. Wie heißt es so schön im Vorwort zum ersten Band:

»Zur Vermeidung möglicher Mißverständnisse ein Wort. Die Gestalten von Kapitalist und Grundeigentümer zeichne ich keineswegs in rosigem Licht. Aber es handelt sich hier um die Personen nur, soweit sie die Personifikation ökonomischer Kategorien sind, Träger von bestimmten Klassenverhältnissen und Interessen. Weniger als jeder andere kann mein Standpunkt, der die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als einen naturgeschichtlichen Prozeß auffaßt, den einzelnen verantwortlich machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er sozial bleibt, sosehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag.«

Dieser Merksatz für die Lektüre gilt unabhängig davon, dass Marx dem Kapitalismus nicht mit Moral und Gerechtigkeit auf die Pelle rückten wollte. Hierzu heißt es im dritten Band (bei der Verhandlung des zinstragenden Kapitals):

»Mit Gilbart (siehe Note) von natürlicher Gerechtigkeit hier zu reden, ist Unsinn. Die Gerechtigkeit der Transaktionen, die zwischen den Produktionsagenten vorgehn, beruht darauf, dass diese Transaktionen aus den Produktionsverhältnissen als natürliche Konsequenz entspringen. Die juristischen Formen, worin diese ökonomischen Transaktionen als Willenshandlungen der Beteiligten, als Äußerungen ihres gemeinsamen Willens und als der Einzelpartei gegenüber von Staats wegen erzwingbare Kontrakte erscheinen, können als bloße Formen diesen Inhalt selbst nicht bestimmen. Sie drücken ihn nur aus. Dieser Inhalt ist gerecht, sobald er der Produktionsweise entspricht, ihr adäquat ist. Er ist ungerecht, sobald er ihr widerspricht. Sklaverei, auf Basis der kapitalistischen Produktionsweise, ist ungerecht; ebenso der Betrug auf die Qualität der Ware.« (vgl. auch hier)

Das attac-Tribunal zeigt deshalb vor allem, wie hilflos Kapitalismuskritik bleibt, wenn sie nicht radikal ist. Wie hilflos das Tribunal war, drückt die Resonanz in der bürgerlichen Presse auf ihre Art aus (FAZ, FR, spiegel-online).

Das diese Form der Anklage wenig hilfreich ist, hätte man aber auch ohne Marx-Kenntnisse wissen können. Erinnert sei an den Mannesmann-Prozess vor sechs Jahren. Angeklagt waren damals – vor einem richtigen Gericht – der ehemalige IG-Metallchef Klaus Zwickel und der ehemalige Mannesmann-Vorstand Klaus Esser. Esser hätte sich bei der Übernahmeschlacht die Taschen mit Geld vollgestopft und Zwickel hätte dies gebiligt. Der Volkszorn war groß. Schließlich war bereits damals der Victory-Chef der Deutschen Bank Josef Ackermann geladen, der letztes Wochende zwar abwesend, aber dennoch von attac angeklagt war. Der damalige Richterspruch hätte attac eine Warnung sein müssen. Am Ende stellten die Richter nämlich klar, dass so manches zwar moralisch illegitim, aber nicht illegal sei. »Wir legen keine moralischen Maßstäbe an«, sagt Richterin Koppenhöfer. »Wir sind auch nicht das Schattengericht der deutschen Wirtschaft.« Ähnliche Kritik hörte man nach der Urteilsverkündung. Die Berliner Zeitung kommentierte damals treffend:

»Anders gesagt: Das Strafrecht ist nicht dazu da, für gleiche oder gerechte Einkommensverhältnisse zu sorgen. Im Gegenteil, die formale Gleichheit vor dem Recht ist Grundlage für die materielle Ungleichheit in der Welt außerhalb des Gerichtssaals.«

Und genau das ist das Problem. Wer den Kapitalismus nach seinen eigenen Prinzipien auf die Anklagbank bringen will kommt nicht weit. Vielmehr müssen die Prinzipien nach welchem er funktioniert selbst kritisiert werden. Ein Gericht und eine Anklage nach dem bürgerlichen Gesetzbuch helfen da wenig, Das Kapital von Marx schon eher.

Foto: CC-Lizenz, tabrandt