Vom Grüßen des Busfahrers. Ein Streitgespräch über Parteipolitik und Rot-Rot-Grün

Ende Januar gründete sich das Institut Solidarische Moderne (ISM), das für viele eine Provokation darstellt. Die rechte politische Mitte befürchtet ein neues rot(-grün)es Lager, viele radikale Linke die Wiederbelebung parteipolitischer und parlamentarischer “Illusionen”, ausgerechnet mit den Hartz-IV- Parteien SPD und Grüne! Feststeht: Mit der Gründung des Instituts wird offen über die Regierungsperspektive Rot-Rot-Grün debattiert – unter Beteiligung radikaler Linker. Über Gefahren und Möglichkeiten der vom ISM gestellten Fragen diskutieren Florian Wilde (Die Linke.SDS), Mag Wompel (Labournet) und Thomas Seibert. Das Gespräch führten Ingo Stützle und Jan Ole Arps.

ak: Thomas, du hast dich dem Institut Solidarische Moderne angeschlossen, einer Institution, die als Vordenkerin eines rot-rot- grünen Regierungsprojekts gesehen wird – und wohl auch gedacht ist.

Thomas Seibert: Zwei nähere Bestimmungen sind für mich entscheidend. Erstens: Das ISM ist keine Initiative der drei Parteien, sondern ihrer linken Flügel. Es steht deshalb “nur” für eine linke Einflussnahme auf Rot-Rot-Grün, nicht für die Sache selbst. Zweitens: Das ISM ordnet den Versuch einer linken Einflussnahme auf Rot-Rot-Grün dem Prozess eines antineoliberalen gesellschaftlichen Blocks ein und unter. Es wirft damit die Frage nach dem Verhältnis zur Regierungsmacht auf. Was heißt es, im und aus der Gegenhegemonie auf Regierungsmacht auszugreifen, warum, wofür und wie kann und soll das geschehen?

Mir geht es in dieser Frage immer um zwei Unterscheidungen. Erstens um die der sozialen Bewegungen und der politischen Linken. Ich glaube, dass es eine politische Linke geben muss, die nicht einfach Bewegung ist. Zweitens um eine Unterscheidung innerhalb der politischen Linken: die zwischen ihrer parlamentarischen und ihrer außer- und antiparlamentarischen Form. Die Partei oder die Parteien sind nicht das Ganze der politischen Linken, sondern das Medium, über das soziale Kämpfe, soziale Bewegungen und außerparlamentarische Linke im Staat präsent sein können. Der Witz liegt darin, das nicht so zu denken, dass man nach einer Form sucht, in der dieses Spiel zu einem harmonischen würde, in Form einer “Doppelstrategie”, in einem Verhältnis von Stand- und Spielbein oder in der Illusion einer “Bewegungspartei”.

Stattdessen gilt es, einen nicht aufzulösenden Konflikt möglichst produktiv auszutragen. Dazu müssen die Akteure des Konflikts – die sozialen Bewegungen und die außerparlamentarische Linke einerseits, die parlamentarische Linke andererseits – getrennt bleiben, je ihrer eigenen Logik folgen – und sich trotzdem aufeinander abstimmen. Das kann durch Debatten geschehen, die ein Akteur wie das ISM initiiert, es kann auch dadurch geschehen, dass sich attac oder die Sozialforen weiter als bisher für Parteien öffnen, ohne ihre Distanz zur Parteiform aufzugeben.

Weiterlesen bei: ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 548 vom 19.3.2010