An deutschen Tugenden soll die EU genesen

Nachdem aufgrund hoher Staatsverschuldung lange auf Griechenland eingeprügelt wurde, ist nun Deutschlands Wirtschaftspolitik in die Kritik geraten. Deutschland solle weniger exportieren und stattdessen den Konsum stimulieren. So heißt es aus Paris. Auch die DemonstratInnen in Griechenland sind nicht gut auf Deutschland zu sprechen – zu Recht. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle antwortete in einem FAZ-Interview wie es für einen Liberalen gehört: Wer lange über seine Verhältnisse gelebt habe, der solle jetzt nicht mit dem Finger auf andere zeigen.

Dass Brüderles Logik nur dann zieht, wenn man Konkurrenz und Profitlogik als ewiges Naturprinzip akzeptiert, wird im Bundestag sicherlich nicht diskutiert. Interessant ist jedoch, was als Gegenstand wirtschaftspolitischer Eingriffe in den Blick gerät und was nicht. So in einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN.

Da heißt es an einer Stelle:

»Die Gruppe der Länder mit hohen Leistungsbilanzdefiziten und geringer Wettbewerbsfähigkeit hat nach Einschätzung der EU-Kommission einen großen Nachholbedarf in Bezug auf durchgreifende Strukturreformen, die rasch angegangen werden müssen. Handlungsbedarf besteht danach im Abbau von Arbeitsmarktrestriktionen, in der Lohn- und Fiskalpolitik (z. B. Griechenland).«

Ergo: Die scheinbar zu hohen Löhne und der ›unflexible‹ Arbeitsmarkt sind mitverantwortlich für Griechenlands Probleme. Schon auf der gleichen Seite geht es um die Rolle Deutschlands. Da liest sich das so:

»Die wirtschaftlichen Entwicklungen in Deutschland sind nicht ursächlich für die gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichte und Struktur- und Stabilitätsprobleme in anderen Ländern der Währungsunion. Die Gründe für die hohe internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und die Leistungsbilanzposition Deutschlands sind vielfältig. Lohnzurückhaltung im öffentlichen und im privaten Sektor dürfte – neben anderen gewichtigeren Faktoren, wie insbesondere Struktur, Spezialisierung und Innovationskraft der deutschen Wirtschaft – in den letzten Jahren zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft beigetragen haben. Zudem hat die Bundesregierung keinen Einfluss auf die Lohnsetzung im privaten Sektor [sic!]. Sie bekennt sich zur Tarifautonomie, die unverzichtbar zum Ordnungsrahmen der Sozialen Marktwirtschaft gehört.«

Und weiter:

»Die hohe außenwirtschaftliche Verflechtung und die Exportstärke der deutschen Wirtschaft ist vorrangig das Ergebnis eines intensiven internationalen Wettbewerbs, in dessen Folge deutsche Unternehmen ein hohes Maß an Qualität, Flexibilität und Zuverlässigkeit entwickelt haben.«

Die deutsche Dominanz innerhalb Europas hat laut Bundesregierung also nichts mit neoliberaler Arbeitsmarktpolitik und politisch forcierter Niedriglohnstrategie, aber viel mit deutschen Tugenden zu tun. Die Realität sieht anders aus: Die deutschen Lohnstückkosten liegen 13% unter dem EU-Schnitt, während Portugal das teuerste Land ist (23,5% über dem Durchschnitt), gefolgt von Spanien (16%), Griechenland (14%) und Italien (5%). Zu Lasten Griechenlands kommt der Außenwert des Euro hinzu: Für das nicht-europäische Ausland haben sich griechische Waren allein aufgrund der Aufwertung seit 2000 um 15% verteuert.