Das wird schon wieder. Der Schriftsteller Dietmar Dath zu Kunst und Politik

Dietmar Dath ist einer der umtriebigsten Gegenwartsautoren in deutscher Sprache. Ende der 1990er Jahre war er Chefredakteur bei der Pop-Zeitschrift Spex, danach im Feuilleton der FAZ tätig. Die bürgerliche Presse ist von seinem radikalen Ton schaudernd fasziniert. Selten darf jemand in DIE WELT Lenin als klugen Kopf preisen oder betonen, dass Revolutionen eben hässlich verlaufen. Der Roman, den er selbst als “Allesfresserform” bezeichnet, ist nicht sein ausschließliches Medium. In seinem breit rezipierten Essayband “Maschinenwinter” streitet Dietmar Dath für Sozialismus und eine vernünftige Realisierung gesellschaftlicher und technischer Möglichkeiten. Sein neues Buch “Deutschland macht dicht” erscheint Ende März.

ak: Du begreifst dich als politischer Autor. Was bedeutet das für dich?

Dietmar Dath: Wenn man weiß, dass es keine unpolitische Kunst gibt, achtet man darauf, was die Leute, mit denen man auf derselben Seite zu stehen meint, von dem Zeug halten, das man gerade macht. “Politischer Autor sein” ist Parameter für eine Art Qualitätskontrolle – nicht der einzige, aber ein mir wichtiger. Wenn der poetische Text politisch unwahr ist, gibt es einen dicken Punktabzug. Das heißt natürlich nicht, die Stoffe nach der Gesinnung formen. Das heißt einfach: Das, was einem politisch an der Welt auffällt, klammert man nicht aus, wenn man an die Arbeit geht. Der beliebten Unterscheidung zwischen einerseits engagierter Kunst und andererseits Kunst um der Kunst willen mag ich mich allerdings auch nicht ausliefern. Alle Kunst ist in einem ganz banalen Sinn um der Kunst willen da, man will ja damit nicht Schraubverschlüsse öffnen oder Krankheiten heilen. Es fragt sich dann bloß jedes Mal, was man unter Kunst überhaupt versteht.

Unpolitisch sein, das würde ja bedeuten, man lässt die Sache so, wie sie ist. Das heißt, man steht auf der Seite des derzeit Stärkeren, man bescheidet sich mit dem Angebotenen, man hält die vorgefundene Autorität eben deshalb, weil man sie vorfindet, schon für legitim. Man unterwirft sich also dem Faustrecht. “Unpolitisch”, das ist also bloß ein zu langes und umständliches Wort für “rechts”. Bäh.

Das hört sich ja fast wie Ausschnitte aus Andys Intellektuellenkapitel in “Für immer in Honig” an. Ist “politisch” also nicht nur die Reflexion dessen “was einem an der Welt auffällt”, sondern auch die Reflexion der eigenen Rolle als Intellektueller in dieser Wirklichkeit?

Klar, meine Instrumente muss ich ständig überprüfen, sonst halte ich einen Messfehler für eine Erkenntnis, und wenn sich das summiert, stehe ich am Ende als Depp da. Neulich hat mich jemand an der Nase gepackt und angeherrscht, ich sei ein Betonkopf, der die Mehrgleisigkeit, Vielschichtigkeit, Ambiguität, antinomische Struktur, aporetische Dynamik, autokorrektive Hypertextualität des Geistigen und was weiß ich was alles weniger wichtig findet als die Frage, welche Sorte Texte man an welchen verschiedenen Orten schreiben kann und was sie dort jeweils bewirken, wen ich aus mir mache, wenn ich dies oder jenes da oder dort sage und so fort. Diese wütende Beschreibung hat mir sehr gefallen, der Mann hat völlig recht.

“Qualitätskontrolle” ist ja eine kontinuierliche Aufgabe. Bei dir wird diese zum einen von FreundInnen übernommen; zum anderen machst du diese selbst zum Gegenstand deiner Geschichten. So in deinem letzten Roman “Sämmtliche Gedichte”. Auch wenn es sich angesichts deines Outputs etwas skurril anhört: Das Buch ist ein manifestes Innehalten, deine Antwort auf die Fragen “Was mache ich eigentlich, wenn ich schreibe?” und “Warum ist die künstlerische Form mehr als Verpackung irgendwelcher Inhalte?”. Die Kritiken, die ich dazu kenne, scheinen das aber nicht so verstanden zu haben …

Ob die Leute das nicht verstanden haben, kann ich dir nicht sagen. Abgewehrt wurde es auf jeden Fall. Und das liegt, denke ich, daran, dass jede Sache, die überhaupt fertig wird, immer ein bisschen wie der Versuch aussieht, eine Norm zu setzen: Wenn die oder der das so macht, will sie oder er uns offenbar sagen, so muss es gemacht werden. Das gefällt ihnen dann nicht so arg – der Weg, den ich da gehe, ist schon reichlich anstrengend, ich kann verstehen, dass man sich gegen die Idee verwahrt, der solle jetzt auf einmal verbindlich sein. Ich selber finde ihn so verbindlich aber gar nicht, ich kann’s halt nicht anders. Das Innehalten, das du beschreibst, suchte nach einer neuen Art Zusammenführung der verschiedenen Gesichtskreise, in die sich meine persönliche Welt seit Anfang 2009 aufzulösen drohte: Was bin ich denn jetzt eigentlich, besonders geharnischter Linksbrüller oder ein abseitiger Spinner, der verschiedene mehr oder weniger kühne, mehr oder weniger abstrakte, mehr oder weniger gelungene Formexperimente aneinanderreiht?

“Sämmtliche Gedichte” hat diese Zusammenführung noch nicht geschafft, da ging es erst mal um eine Bestandsaufnahme von Zerrissenheiten, Sollbruchstellen, Erschöpfungszuständen, aber auch um die Inventur möglicher Kraftquellen: Liebe, die sich dem Tod und der Sprachlosigkeit entgegenwirft, Kunst und Wissenschaft, die man bewundert und so weiter.

Danach geht es dann auf einer anderen, vielleicht höheren Stufe weiter – ein erster Ansatz, mich neu zu orientieren, war für mich der, eine Weile mal weniger solitär zu arbeiten und dafür mehr in Kollaborationen. Darauf haben mich die Lesungskonzerte zusammen mit dem Kammerflimmer Kollektief gebracht. Jetzt erscheint im März ein Buch namens “Deutschland macht dicht”, das ist eine Zusammenarbeit mit dem Zeichner Christopher Tauber, den man unterm Zeichnernamen “Piwi” kennt (1), und das nächste richtig große Buch entsteht auch nicht alleine an meinem Schreibtisch, sondern da gibt es eine Co-Autorin, aber mehr, zum Beispiel wer das ist und was das wird, kann ich dazu noch nicht sagen.

Politische Autoren der 1960er und 1970er Jahre haben, wie du, auch die Form und nicht allein den Inhalt ihrer Texte als Feld politischer Auseinandersetzung begriffen. Auffällig ist jedoch, dass damals soziale Bewegungen und politische Auseinandersetzungen auch Inhalt wurden – u.a. in “Kamalatta” von Christian Geissler. Bei dir hingegen ist das weniger der Fall. Wohl aus einem einfachen Grund: Es gibt weder relevante soziale Bewegungen, noch soziale oder politische Kämpfe. Ist das einer der Gründe, warum du dich in unterschiedlichster Form viel im Genre des Science Fiction bewegst?

Es macht nicht nur mehr Spaß, neuartige Kämpfe, Parteien und Angriffe aufs Bestehende zu erfinden anstatt diejenigen nur abzubilden, die tatsächlich gegeben sind. Ein paar kann man ja durchaus erkennen, wenn man sich umschaut, ich verstehe zwar, was du meinst, wenn du das in Abrede stellst – sie sind derzeit an den Orten, wo wir leben, eher mickrig, unansehnlich, täppisch, verglichen mit der französischen Revolution, der alten Arbeiterbewegung, der Neuen Linken, hell, even the reformation had more bite – aber das wird schon wieder.

Vom Spaß jedoch mal ganz abgesehen ist das Erfinden überdies, wenn wir von Fiktion reden, anständiger – was könnte mir das Recht geben, irgendwelchen Leuten, die ich ja immer sowieso schon verändere, wenn ich sie zu Romanfiguren umbaue, Ansichten in den Mund zu legen, wenn ich diese Ansichten doch viel redlicher in Essayform so darstellen könnte, dass sie eindeutig auf meine Kappe gehen?

Ich finde es daher beispielsweise goldrichtig, dass Ursula K. Le Guin 1972 kein Vietnamkriegsepos geschrieben hat, sondern ihre Sicht auf den Zusammenhang von Antiimperialismus, Dekolonisierung und Produktivkraftgefälle zwischen dem reichen Nordwesten einerseits und dem armen Südosten andererseits am Beispiel einer interplanetarischen Metapher durchgespielt hat, in ihrer schönen Erzählung “The Word for world is Forest”. Dieses Verfahren hat sie daran gehindert, sich auf literarischem Weg eine Fürsprecherinnenpose zu erschleichen, die Kulturschaffenden eher selten zusteht; außerdem gewinnt man, wenn man Möglichkeitsräume erkundet statt die Tatsachensphäre, mehr Beinfreiheit für die Spekulation. Der primäre Grund dafür, lieber Fantastik als naturalistisch-realistische Literatur schreiben zu wollen, ist bei mir kein politischer, sondern einer, der aus der persönlichen Poetik und Ästhetik abgeleitet ist, die wiederum aus der erwähnten Beinfreiheit eine Norm für Kunst allgemein gewinnen will: Ich finde, die spezifische Differenz der Kunst zu anderen Äußerungsformen ist, dass sie sich weniger dafür interessieren muss, was ist, und dafür dann ausschweifend erkunden darf, was sein sollte, nicht sein darf oder einfach sein könnte. Kunst redet nicht ontologisch oder metaphysisch, sie redet modal.

Kunst als Verflüssigung von Wirklichkeit. Schwingt aber nicht auch eine gewisse Ratlosigkeit mit? Schließlich sind die “Mühen der Ebene” in der Realität nicht ganz so spannend wie die “heißen Phasen” in deinen Geschichten. Oder anders gefragt: In einem Text für die Phase2 schreibst du: “Wie kriegt man den Todfeind die Treppe runter? Gut schubsen, den Rest besorgen seine eigene Masse und die Schwerkraft.” Leider ist dem nicht so. Nur in Geschichten…

Doch, genau so ist es, nicht nur in Geschichten, sondern auch in der Geschichte. Die Pointe der Behauptung, die du zitierst, ist natürlich die verborgen normative Seite des unschuldigen Wörtchens “gut” bei “gut schubsen”. Wenn es klappt, hat man es richtig gemacht. Wenn es nicht klappt, muss man es nochmal probieren. Es gibt keine stabilen bedrückenden Zustände, sondern nur entweder Veränderungen zum Schlechteren oder zum Besseren.

Die meisten Bücher, die ich gemacht habe, erzählen davon, wie diese Veränderungen aussehen – in “Deutschland macht dicht” zum Beispiel wird alles erst sehr viel schlechter, aber auf eine Weise, in der dann wieder der Ansatz dafür versteckt ist, wie es auf einmal doch deutlich besser wird. Statik ist nicht nur in der Kunst, sondern auch in der Geschichte einfach unmöglich. Die Mühen der Ebene, während derer es so aussieht, als ändere sich nichts, sind eine optische Täuschung. Nur aus der Nähe betrachtet wirkt die Erdkruste flach.

Du beschränkst dich aber nicht nur auf Kunst im engeren Sinn. Sondern du schreibst auch Essays wie Maschinenwinter oder politische Biographien wie die zu Rosa Luxemburg. Was treibt dich hier an?

Persönlich treibt mich dabei der Wunsch nach Klärung bestimmter Begriffe, Gedanken, Absichten, die nicht nur Hintergrund meines Lebens auf der wirklichen Welt sind, sondern auch meiner Erzählerei, für die ich ja schließlich ebenfalls eine Vorstellung davon haben muss, was das überhaupt ist, eine Welt. Ökonomisch treibt mich dagegen bei solchen Büchern die Tatsache an, dass sie eher nachgefragt werden als die anderen. Und sozial drängen meine Lieblingsmenschen immer wieder darauf, dass die Auseinandersetzung mit dem Dreck, der uns alle quält und lähmt, begrifflich und publizistisch gefälligst von allen geführt werden soll, die privilegiert genug sind, Bücher schreiben zu dürfen, statt bei Lidl an der Kasse zu sitzen.

Wie stellst du dir deine LeserInnen vor?

Die Arbeit selbst strapaziert das Vorstellungsvermögen schon genug; meine LeserInnen mag ich mir nicht auch noch ausdenken müssen, die nehme ich lieber aus dem Kreis der Leute, die mir persönlich bekannt und wichtig sind. Meine Erzählsachen sind Briefe an Liebste. Die Annahme, diese Leute könnten einigermaßen repräsentativ für eine Menschensorte sein, von der es genug Exemplare gibt, um mir ein zum Weitermachen hinreichend großes Publikum zu sichern, ist zwar nicht beweisbar, bislang aber dafür auch noch nicht widerlegt worden.

Interview: Ingo Stützle

Anmerkung:

1) Siehe die website zu “Deutschland macht dicht” www.rosalievollfenster.de

Erschienen in: ak – analyse & kritik. zeitung für linke Debatte und Praxis,  Nr. 548 vom 19.3.2010