Gerechtigkeit für Marx

Fast wöchentlich erscheinen neue Bücher zu Marx. Inzwischen auch wieder Biographien. Der letzte Renner war Wheens Biographie. Von ihm folgte aufgrund des Erfolgs gleich ein wirklich ärgerliches Buch über Marx’ Kapital. Bei Piper erschien nun eine weitere Biographie. Im heutigen Neuen Deutschland ist eine Besprechung zu finden. Der letzte Satz heißt: »Trotz aller Einschränkungen und manchen sachlichen Fehlern ist es ein gutes Buch, allein schon wegen des Satzes: ›Zweifellos ist der Kapitalismus ungerecht.‹« Und schon wird man stutzig. Wollte Marx nicht Ausbeutung auf Grundlage von »Freiheit, Gleichheit und Eigentum« erklären (bzw. warum diese Ausdruck der kapitalistischen Gesellschaftsformation sind)? Machte er sich nicht zeitlebens über die »moralisierende Kritik« (u.a. MEW 4, 331ff.) und stellte gegenüber den »wahren Sozialisten« fest: »Die Kommunisten predigen überhaupt keine Moral« (MEW 3, 229). Selbst an etwas entlegenden Stellen unterstricht Marx diesen Punkt. So im dritten Band bei der Verhandlung des zinstragenden Kapitals:

»Mit Gilbart (siehe Note) von natürlicher Gerechtigkeit hier zu reden, ist Unsinn. Die Gerechtigkeit der Transaktionen, die zwischen den Produktionsagenten vorgehn, beruht darauf, dass diese Transaktionen aus den Produktionsverhältnissen als natürliche Konsequenz entspringen. Die juristischen Formen, worin diese ökonomischen Transaktionen als Willenshandlungen der Beteiligten, als Äußerungen ihres gemeinsamen Willens und als der Einzelpartei gegenüber von Staats wegen erzwingbare Kontrakte erscheinen, können als bloße Formen diesen Inhalt selbst nicht bestimmen. Sie drücken ihn nur aus. Dieser Inhalt ist gerecht, sobald er der Produktionsweise entspricht, ihr adäquat ist. Er ist ungerecht, sobald er ihr widerspricht. Sklaverei, auf Basis der kapitalistischen Produktionsweise, ist ungerecht; ebenso der Betrug auf die Qualität der Ware.« (MEW 25, 352)

Aber genau um den Betrug – der natürlich immer vorkommt – geht es Marx bei seiner Kapitalismuskritik eben nicht. Für ihn ist Kapitalismus nicht ungerecht. Moral und Gerechtigkeitsvorstellungen sind für Marx immer schon gesellschaftlich formbestimmt. Wenn also Hosfeld Biographie ausgerechnet deshalb gelesen werden soll, weil der Autor den Kapitalismus –  vermeintlich wie Marx selbst – ungerecht findet, dann hat mir diese Rezension im ND es nicht unbedingt leichter gemacht, zu dieser Biographie zu greifen – obwohl der Abschluss der Besprechung sicherlich ganz anders gemeint war. Andere Stimmen sprechen jedoch dafür, die 260 Seiten einmal zu lesen. Und überhaupt: Ich sollte mir sowieso ein eigenes Bild machen.