Aufgeblättert: Stefan Frank: Die Weltver-nichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise

WeltvernichtungsmaschineWenn die FAZ einen Autor zu einem der “klügsten Mitarbeiter” der “linkradikalen Zeitschrift konkret” kürt und zugleich dessen Buch mit einer “Artikelserie aus einer ordoliberalen Wirtschaftszeitung” vergleicht, dann sollte das doch sehr verwundern. Ebenso verwundern könnte es, dass ein Linksradikaler ein Buch über die Wirtschaftskrise zu schreiben im Stande ist, ohne auch nur einmal Karl Marx zu erwähnen oder Das Kapital zu zitieren. Stefan Frank schafft es, was zugleich eine Teilantwort auf den von der FAZ formulierten Widerspruch liefert.

Das knapp 200 Seiten starke Buch “Die Weltvernichtungsmaschine” leiht seinen Titel aus Stanley Kubricks Film »Dr. Seltsam oder wie ich lernte die Bombe zu lieben«. Stefan Frank sieht in der Finanzwirtschaft seit den 1970er Jahren Finanz-Alchemisten am Werk, die glauben, ein Perpetuum Mobile entdeckt zu haben, das sich jedoch als Selbstvernichtungswaffe (Weltvernichtungsmaschine) mit ungeheurer Zerstörungskraft herausstellt. Der Teil des Buches, der die “Finanzinnovationen” erklärt, den “Buchstabensalat” (W. Münchau, Financial Times Deutschland) aus CDS, CDOs, MBS etc. pp, ist am stärksten. Das gut und amüsant geschriebene Buch macht es eben auch leicht, die komplizierten Konstruktionen der Bankenwelt zu verstehen.

Das in acht Kapitel gegliederte Buch beginnt mit der Beobachtung, dass vor größeren Krisen meist auch ein neuer, weltweit höchster Wolkenkratzer gebaut wird (These dahinter: Ein Boom vor der Krise ermöglicht Wahnsinnsprojekte durch leichet Mobilisierung von ungeheure Kreditmassen – Minsky lässt grüßen). In einem weiteren Kapitel erzählt Frank drei Geschichten von Immobilienkrisen (Floridaboom 1925, US-Immobilienkrise 1971-73, Japan-Boom) um dann bei seiner sich durch das Buch ziehenden Erklärung für Krisen zu gelangen: Zu viel Geld = Krise. Damit ist auch klar, warum Alan Greenspan ein eigens Kapitel gegeben wird und immer wieder an zentraler Stelle auftaucht – schließlich ist er für das zu billige und zu viele Geld verantwortlich (Man höre und staune: Gerade hat er hingegen in einem Gastkommentar für die ftd vor Inflation gewarnt!). Billiges Geld bedeutet für Frank, dass viel Geld und Kredit im Umlauf ist und dass eine Blase aufgeboomt wird – sei es eine Aktien- oder Immobilienblase. Aber auch der hohe Rohölpreis (auch in den 1970ern) sei darauf zurück zu führen (hierzu auch sein Artikel im Freitag: Überschuss an Geldzeichen).

Obwohl sich Frank an einigen Stellen auf den Monetär-Keynesianer Hyman Minsky und dessen Beschreibung von Krisen beruft (Minsky wird am Schluss des Buches sogar explizit lobend erwähnt), scheint er die keynesianische Kritik an der monetäristisch-neolkassischen Vorstellung, dass mehr Geld nicht notwendigerweise zu einem höheren Preisniveau führe, nicht ernst zu nehmen. Keynes, so Frank an einer anderen Stelle des Buches, habe eine irrationale Theorie geliefert (Wie gesagt: Über Marx verliert er nicht einmal ein Wort. Mit ihm ließe sich ähnlich argumenieren). Aber nicht nur deshalb scheint Frank dem Rezensenten der FAZ zu gefallen. Auch dessen süffisant-defätistische Art ist eben nicht nur “nett” zu lesen sondern hat auch was, was den neoliberalen Bourgeois freut: Durch niedrigere Zinsen und staatlichen Support können unrentable Unternehmen nicht gerettet werden. Deren Pleite werde eben nur verzögert, so Frank. Ein aufrechter Neoklassiker würde nur bei der Behauptung widersprechen, dass Krisen, wie Minsky  meint, nun mal zum Kapitalismus dazugehören.

Aber hier macht sich dann auch der fehlende Marx bemerkbar. Denn während Marx die Kategorien und deren Zusammenhang für die kapitalistische Produktionsweise analysiert, verhandelt Frank ohne jegliche gesellschaftskritische Unterscheidung von historischen Formen “das Wirtschaften” im Allgemeinen. Deshalb ist bei ihm Geld immer nur Geld: In der Antike, im Mittelalter, bei Marco Polo und eben in kapitalistischen Gesellschaften. Ganz so als gebe es keinen Unterschied, welche Rolle Geld in den jeweiligen Gesellschaften spielt. Bankgeschäfte werden bei ihm mit Piraterie gleichgesetzt, ganz so als hätte Marx nicht gerade gezeigt, dass mit der Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise sich eben auch die Formen der Reichtumsproduktion, Aneignung und Verteilung grundlegend verändern. Aufgrund dieser Theorie- und Geschichtslosigkeit bricht sich dann auch schon mal eine zutiefst bürgerliche Geschichtsphilosophie mit dem üblichen Technik- und Fortschrittglauben Bahnen. Beides Phänomene, bei welchem sich im Übrigen die bürgerliche Wissenschaften nicht all zu arg vom traditionellen ML-Marxismus unterscheidet. Das liest sich dann so:

“Die Menschheitsgeschichte ist bekanntlich nicht in gleich bleibenden Tempo verlaufen […]. Die Steinzeit dauerte geschlagene 2,5 Millionen Jahre; es war eine ziemlich öde Epoche, und manch einer fürchtete schon, sie würde niemals enden. Als die Jäger und Sammler dann aber einmal durch geschickte Reklame von Ackerbau und Viehzucht überzeugt werden konnten, war es nur noch ein kleiner Schritt hin zur Erfindung von WLAN und MP3-Player. Ähnlich verlief die Entwicklung der Finanzmärkte: Zwar überlegten schon die alten Griechen, ob sie nicht ihre Sklavenhaltergesellschaft aufgeben und statt ihrer lieber den Turbokapitalismus einführen sollten. Doch alle Versuche, große Kapitale mithilfe von Marathonläufern in Sekundenschnelle um den Erdball zu schicken, endeten sehr enttäuschend: Die Zeit war einfach noch nicht reif.” (89)

Sicher, das ist lustig geschrieben. Aber eigentlich sollte darunter nicht die Erklärungskraft eines Buches  leiden. Zumal wenn es mit einem linken und kritischen Anspruch geschrieben ist. Weder ist ein “technisches Problem” dafür verantwortlich, dass die kapitalistische Produktionsweise nicht dominant wurde (hierzu u.a. Frieder O. Wolf), noch gab es in der Antike Kapital im heutigen Sinn (schließlich gründete die Gesellschaft nicht auf Lohnarbeit). Hier erinnert man sich dann schon an Marx Spott, den er für ein derartiges Grau in Grau übrig hatte.

Dieser Technizismus und die “brutale Interessiertheit für den Stoff” (Marx) ziehen sich bei Frank durch das gesamte Buch. Da für Frank die Geldmenge und die Kreditschöpfung (was für ihn irgendwie das gleiche zu sein scheint) des Boom und der Krise Anfang ist, macht er stringenterweise auch die Aufhebung der Goldbindung als Wendepunkt in der Geschichte aus und weißt dem US-Präsident Nixon (und seinen Beratern) einen einzigartigen Einfluss auf den Gang der Wirtschaftsgeschichte zu. Ganz so, als machen die großen Männern eben doch die Geschichte.

Undiskutiert bleibt die Rolle des US-Dollars als Weltgeld und den daraus entspringenden Zwängen und Widersprüchen für die Reproduktion des Kapitals auf dem Weltmarkt; unterbelichtet bleibt, dass selbst als Großbritannien mit dem Pfund das Weltgeld stellte, dies kein Goldstandard im strengen Sinne war. Undiskutiert bleibt auch, dass – was Marx bspw. im 5. Abschnitt des dritten Bandes des Kapitals zeigt – die Goldbindung für die kapitalistische Dynamik durchaus dysfunktional sein kann. Frank drückt sich trotz seines enormen Materials aus der (nicht nur deutschen!) Tagespresse aus nahezu einem ganzen Jahrhundert um theoretische Fragestellungen herum, die ihn das eine oder andere Mal zu einer Präzisierung seiner Darstellung gezwungen hätten.

Marx’ krisentheoretische Ansätze sind sicherlich keine Theorie aus einem Guss. Und selbst wenn dem so wäre, würde es für ein eigenartiges theoretisches und methodisches Verständnis sprechen, wenn man diese Theorie einfach über die Entwicklungen der letzten Jahre stülpen würde. Jede ernsthafte Beschäftigung mit dieser – wie auch anderen Krisen – muss am konkreten empirischen Material zeigen, was wie passiert ist und die jeweiligen Dynamiken erklären. Dafür ist jedoch die marxsche Theorie notwendig. Allein um das Material zu sortieren, zu gewichten und Zusammenhänge zu erkennen. Stefan Franks Abneigung gegenüber Marx geht so weit, dass er behauptet, Marx habe keine Theorie zu Finanzkrisen. Eine einheitliche und geschlossene Theorie hat er sicherlich nicht, aber er hat viel dazu beigetragen, Finanzkrisen zu erklären und zu verstehen. Nicht nur weil Marx die konstitutive Relevanz des Geldes für den ökonomischen Zusammen aufgezeigt hat (und das Geld eben von Kredit, Kapital und fiktivem Geld oder fiktivem Kapital zu unterscheiden ist und nicht wie bei Frank irgendwie eins sind!). Begriffe wie bspw. fiktives Kapital können Blasen und fiktive Vermögenswerte erklären helfen. Ebenso sind auf dieser Grundlage sich entwickelnde Prosperitätsphasen erklärbar, die schließlich in einem Crash münden. Aber wer mit Marx nicht arbeiten will, bleibt eben in der von den bürgerlichen Wirtschaftswissenschaften hervorgebrachte dichotome Unterscheidung stecken, die auf der eine Seite die Realwirtschaft kennt und auf der anderen Seite meist zu viel Geld bemängelt. Spekulation, die nichts mehr mit der Realwirtschaft zu tun habe.

Ingo Stützle

Stefan Frank: „Die Weltvernichtungsmaschine“. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise. Conte Verlag, Saarbrücken 2009. 180 S., br., 13,90 Euro.