Die Gegenmacht kommt nicht aus den Regierungsbänken

Da hatte die FAZ erst den Rosa-Luxemburg-Komplex entdeckt, die Frauen in der Linkspartei, da lässt es sich Oskar nicht nehmen, den doppelten Lafontaine zu mimen. Im Superwahljahr 2009 will er nicht nur für den Bundestag, sondern auch für die Landtagswahlen im Saarland als Spitzenkandidat antreten. Schon die Tatsache, dass Saarlands Landeschef Rolf Linsler betont, dass Lafontaine auch ohne Chance auf den Stuhl des Ministerpräsidenten sein Landtagsmandat annehmen will, sollte stutzig machen. Im saarländischen Landtag haben 51 Abgeordnete Platz. Für diese ziehen nochmals deutlich mehr in den Wahlkampf. Aus den unterschiedlichsten Parteien. Wie würde es aussehen, wenn jedeR zuvor betonen würde, dass er/sie sich auch in dem Wissen zur Wahl stellt, möglicherweise nicht MinisterpräsidentIn zu werden? Auch wenn die saarländische Linkspartei mit Lafontaines politischer Vergangenheit sicher eine Sonderrolle spielt, so spricht Lafontaines Entscheidung und deren Kommentierung Bände. Hier herrscht ein ungebrochener Regierungswille, zu scheinbarer Gestaltungsmacht via Pöstchen und staatlicher Autorität. “Wenn wir erstmal an der Regierung sind, dann…” ist der politische Grundton der Linkspartei. Eigentlich sollte Lafontaine wissen, dass es nicht reicht, Finanzminister zu sein, um eine Kurskorrektur vorzunehmen oder gar das politische Ruder ganz herumzureißen.

Im krassen Gegensatz zu dieser sich verfestigten staatstragenden und machtfixierten Ausrichtung der Linkspartei steht ihre wirklich lausige Mobilisierungsfähigkeit. Die Partei verliert sich nur Mitglieder, sondern verliert Parteiaktivisten. Zu letzt zu beobachten bei der Demo “Wir zahlen nicht für eure Krise!” am 28. März. Oder, so der berechtigte Einwand, ist das nicht einfach die andere Seite der Medaille? In Berlin konnte nicht einmal Gregor Gysi besonders viele ParteigenossInnen hinter dem warmen Ofen vor locken.

Die Linkspartei bewegt sich mit ihrem politischen Kurs in eine Sackgasse: Während der Populismus eines Lafontaine und der Charme eines Gysi vor der Finanz- und Weltwirtschaftskrise noch zog und mobilisierte, schwindet deren Anziehungskraft schneller als ihre politischen Antworten auf die gegenwärtigen Herausforderungen auf sich warten lassen. Lafontaines neuster Streich, sich gleich für zwei Wahlen aufstellen zu lassen, folgt nach wie vor dieser personalisierten und populistischen Logik.

Die Herren von der Linkspartei haben nicht nur, wie Albert Scharenberg zu Recht unterstreicht, keine adäquaten politischen Antworten auf die Krise. Sie können auch keine haben, solange die Dynamik der Krise mehr oder weniger alle Parteien auf eine Krisenpolitik einschwört, die die Grenzen der politischen Parteibücher verschwinden lassen. Es sei denn man stellt radikale Fragen. Fragen, die sich die Linkspartei jedoch nicht zu stellen wagt. Schließlich muss man Regierungsfähigkeit zeigen. Was bleibt ist in einer Wir-haben-es-schon-immer-gesagt-Pose vor allem mangelnde Glaubwürdigkeit und Konsequenz der Regierungspolitik anzuprangern. Eine nicht besonders wegweisende Politik.

Die andere Seite ist aber noch verheerender, nicht für die Linkspartei, sondern für die Linke als ganzes. Der staats- und machtfixierte Kurs der Linkspartei, der die Ursachen der Krise zu einer quasi-technischen Frage verklärt, die einfach mit mehr staatlicher Regulierung und Kontrolle zu begegnen ist, formatiert das Feld der Fragen und Diskussion in einer Art und Weise, dass sich wirklich niemand ermuntert fühlen kann, eigene, noch nicht gestellte oder radikale Fragen zu stellen, Ängste zu artikulieren und die Krise in einer Art zu politisieren, in der es eben nicht allein darauf ankommt, die richtige Nase zu wählen oder den konsequenten Gesetzesvorschlag in den Bundestag einzubringen. Es müsste grundlegend mit einer Strategie gebrochen werden, die breitere Massen nicht dazu ermächtigt und ermuntert, radikale Fragen nach ihrer Zukunft zu stellen, radikale Kritik an den Grundprinzipien des Kapitalismus zu formulieren, nicht nur vorherrschende politische Antworten zu hinterfragen, sondern die bereits gestellten Fragen ganz zu verwerfen, andere Fragen zu stellen. Nicht nur andere Antwort zu geben. So lange dies nicht passiert, so lange werden viele von der Krise Betroffene sich mit einer Reichen- oder Börsenumsatzsteuer einlullen lassen, weil wir nun alle – ob reich, ob arm – Opfer bringen oder sich gar mit einer herrschaftsförmigen Deutung der Krise anfreunden. “Wir sind Opel” hieß es auf den T-Shirts der Opel-ArbeiterInnen als Angela Merkel zu Besuch war und die Milliardärin Schäffler weinte gemeinsam mit “ihren” MitarbeiterInnen für eine gemeinsame Zukunft.

Die Linkspartei, allen voran der gute Oskar, wollen nichts anderes wie alle anderen Parteien auch: die Krise richtig regieren. Das können sie inzwischen auch ganz gut. Aber es wird nicht einen Deut dazu beitragen, dass diejenigen, die bereits jetzt die Zeche der Krise und die Anpassungsleistungen dafür zahlen müssen, dass der gute alte Kapitalismus bald wieder ordentlich funktioniert, die Zumutungen zurückweisen, sich und Widerstand dort organisieren wo sie leben und arbeiten. Es bedarf einer sozialen und politischen Macht, dass aus der Forderung “Wir zahlen nicht für Eure Krise!” mehr als ein Slogan für ein Demo-Trasparent wird. Diese Macht findet sich weder im Parlament, ensteht auch nicht mit einem Bekenntnis zu Opel oder gar der Schicksalsgemeinschaft Deutschland. Aber zugegeben: Von einer Partei die vor allem eins will, richtig regieren, ist das auch zu viel – oder besser: das Unmögliche – verlangt.

Erstveröffentlichung: freitag.de