Europa diskutieren. Nach dem ESM-Urteil ist eine solidarische Politik von unten nötig

»Mit diesem Vertrag beginnen Sie die Gründung einer europäischen Föderation, der Vereinigten Staaten von Europa, und zwar über eine Fiskalunion«, erklärte der Vorsitzende der Linksfraktion Gregor Gysi Ende März 2012 vor dem Bundestag und schlussfolgerte, dass der zur Debatte stehende Fiskalvertrag verfassungswidrig sei. Als hätte Gysi hellseherische Fähigkeiten, verkündete EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso am 12. September 2012, dem Tag des ESM-Urteils durch das Bundesverfassungsgericht, eine »Föderation der Nationalstaaten«. »Dies bedeutet eine Union mit den Mitgliedstaaten, nicht gegen die Mitgliedstaaten«, so Barroso weiter. Continue reading “Europa diskutieren. Nach dem ESM-Urteil ist eine solidarische Politik von unten nötig”

ak-Sonderseite zum Verhältnis von Parteien, organisierter Linke und Bewegungen

Anfang Juni 2012 wurden in Göttingen Katja Kipping und Bernd Riexinger zu den Vorsitzenden der Partei DIE LINKE gewählt. Eine Fortsetzung des selbstzerstörerischen innerparteilichen Konflikts schien vorerst abgewendet zu sein. Diesen »Kurswechsel« nahmen 18 Linke aus sozialen Bewegungen, Wissenschaft und Gewerkschaften zum Anlass, öffentlich ihren Eintritt in die Partei zu erklären. Dieser Schritt löste eine Debatte aus, die in ak 574 in Ausschnitten dokumentiert und in einem polemischen Aufmacher kommentierten wurde. Es war (und ist) der ak-Redaktion unklar, was die GenossInnen mit dem Eintritt in die Partei politisch bezwecken wollen.

Die ak-Redaktion argumentiere an der Problematik vorbei, kritisiert Mario Candeias, der zu den 18 Neumitgliedern zählt. In einem an die ak-Redaktion adressierten Text verdeutlicht er die Gründe der Initiative und plädiert für ein anderes Parteiverständnis. Auch Raul Zelik antwortete der ak-Redaktion und mir, da ich in einem Offenen Brief an Raul Zelik wenig Verständnis für die Initiative gezeigt hatte. Die meisten Debattentexte in diesem Zusammenhang sind auf der Website Lafontaines Linke dokumentiert. Die ak-Redaktion hat nun Debattenbeiträge der letzten Jahre auf einer Sonderseite zusammengestellt.

CfP: Demokratie und Herrschaft, Parlamentarismus und Parteien

Die Prokla-Redaktion lädt zur Einsendung von Exposees zum Thema Demokratie und Herrschaft, Parlamentarismus und Parteien:

Nicht erst infolge der großen Krise ab 2008 wird eine Erosion der Demokratie konstatiert. Dies geschieht seit langem. In der linken Diskussion stehen dafür die Namen Agnoli, Poulantzas, Hirsch und jüngster Zeit Crouchs Diagnose von der Postdemokratie. Aber gibt es tatsächlich ‚mehr‘ oder ‚weniger‘ Demokratie? Kann es einen kontinuierlichen Abbau der Demokratie geben? Wann gab es denn die ‚wirklich‘ demokratischen Verhältnisse?

Weiterlesen bei PROKLA.

Vorsicht, falsche Freunde. Die Linke hat in der Debatte um die Eurokrise eine besondere Verantwortung.

Rudolf Hickel und Axel Troost haben ein Papier geschrieben, in dem sie für die Eurorettung plädieren und nochmals resümieren, was ihnen zufolge den Kern der Eurokrise ausmacht und was eine linke Wirtschaftspolitik angehen sollte.[1. siehe hierzu auch den Beitrag von Joachim Bischoff im Sozialismus] Das neue deutschland hat das Papier dokumentiert, dessen Katalog an Vorschlägen und Forderungen nicht gerade kurz ist. Es zeigt sich jedoch mal wieder ein Problem linker ÖkonomInnen: sie thematisieren die Eurokrise vornehmlich als volkswirtschaftliches Problem, zerbrechen sich den Kopf des Kapitals und verstehen unter Politik die Formulierung ›vernünftiger‹ Vorschläge. Continue reading “Vorsicht, falsche Freunde. Die Linke hat in der Debatte um die Eurokrise eine besondere Verantwortung.”

Welttreffen am Sankt-Immer-Tag. Neuerscheinungen zum Konflikt zwischen Marx und Bakunin provozieren eine neue Debatte um linke Geschichte

Das schweizerische St-Imier (früher: Sankt Immer) war im August 2012 Treffpunkt für Libertäre und AktivistInnen verschiedener anarchistischer Bewegungen. Das »Welttreffen des Anarchismus« hatte einen Anlass: das Jubiläum der Gründung der Antiautoritären Internationalen 1872. »140 Jahre nach dem Kongress von St-Imier ist die Ausbeutung und Entfremdung der Arbeiterinnen und Arbeiter noch ebenso brutal. Die marxistische Illusion ist angesichts der kommunistischen Diktaturen dahingeschmolzen. Der Kapitalismus lebt von Krise zu Krise, gesellschaftliche Krise, politische Krise, zu denen heute noch die ökologische Krise hinzukommt.« [1]

1872 war der Höhepunkt eines jahrelangen Konflikts zwischen Karl Marx und Michael Bakunin bzw. den von ihnen vertretenen politischen Strömungen. Wenige Tage vor dem Gründungstreffen in St-Imier wurde der russische Anarchist zusammen mit James Guillaume auf dem Kongress der Ersten Internationalen in Den Haag ausgeschlossen.

Zum Verhältnis von »Marxismus« und »Anarchismus« und dem Konflikt zwischen den beiden bärtigen Männern sind gleich mehrere Bücher erschienen, die vieles in neuem Licht erscheinen lassen und deutlich machen, dass es schon lange an der Zeit ist, die gemeinsame Geschichte gemeinsam aufzuarbeiten. Der Konflikt ist nicht einfach darauf zu reduzieren, dass zwei Egomanen aufeinandertrafen. Continue reading “Welttreffen am Sankt-Immer-Tag. Neuerscheinungen zum Konflikt zwischen Marx und Bakunin provozieren eine neue Debatte um linke Geschichte”

Aufgeblättert: David McNally – Global Slump: The Economics and Politics of Crisis and Resistance

Endlich ist das neue Buch von David McNally lieferbar: »Global Slump: The Economics and Politics of Crisis and Resistance«.

Auf Deutsch wurde 2008/2009 ein Vortrag in zwei Teilen in der Zeitschrift Das Argument abgedruckt. [1. McNally, David (2008): Von der Finanzkrise zur Weltwirtschaftskrise, 1. Teil, in: Das Argumen 279, 50.Jg., 796-804; sowie: Ders. (2009): Von der Finanzkrise zur Weltwirtschaftskrise, 2. Teil, in: Das Argument 281, 51.Jg., H.3, 471-478.]

Mit Equal Time sprach er über sein neues Buch, die Auswirkungen der Krise und von der Notwendigkeit von Antirassismus und sozialer Gegenmacht.

http://equaltimeradio.com/?q=audio/download/312/1.18.11McNally.mp3

Anmerkung:

acker & knolle mit vielen Fragen

Der neue ak ist heute erschienen und ich habe zumindest in Form diverser Interviews einige Fragen beigesteuert. So hat Florian Weis ein paar Antworten auf Fragen zu 20 Jahre Rosa-Luxemburg-Stiftung, Thorsten Puttenat zu (sub)kulturellem Protest gegen Stuttgart 21 und Silke Meyer zu Geschlechterverhältnissen im Internet und feministisches Bloggen.

Diese ak-Ausgabe trägt die Nummer 555 – eine “Schnapszahl”. Was andere zum willkommenen Vorwand für feucht-fröhliche Feierlichkeiten nutzen würden, ist für die ak-Redaktion Anlass zu einer historische Betrachtung zum Thema Alkohol und Arbeiterbewegung. Unser Autor Ralf Hoffrogge blickt zurück in die Zeit des deutschen Kaiserreichs, als die SPD die “Branntweinpest” bekämpfte und zugleich die Parteikneipe verteidigte: als “Bollwerk der politischen Freiheit des (männlichen) Proletariers …”

Das Inhaltsverzeichnis und eine Auswahl der Artikel findet sich hier.

Entgleiste Herrschaft. Der Kampf um Stuttgart 21 am Scheideweg

Über Jahre passierte scheinbar wenig. Seit dem offiziellen Baubeginn von Stuttgart 21 Anfang Februar überschlagen sich die Ereignisse. Nun steht der Widerstand gegen das Projekt an einem Scheideweg. In der Nacht zum 1. Oktober wurden die ersten Bäume gefällt. In den Stunden davor kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. Durch Polizeigewalt wurden bis zu 400 DemonstrantInnen verletzt. Zwei Demonstranten drohen aufgrund des Einsatzes von Wasserwerfern dauerhaft zu erblinden. Der Konflikt um den neuen Bahnhof erweist sich als Machtfrage. Eine Machtfrage, die auch “von unten” beantwortet werden muss.

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Banken? Blockieren! … und darüber reflektieren

Am 18. Oktober 2010 soll massenhaft, entschieden und in vielfältigen Aktionen ein Knotenpunkt der Finanzwelt in Frankfurt am Main blockiert werden. Die Aktionsgruppe Georg Büchner ruft zu einer Aktion zivilen Ungehorsams auf. Es sei nicht hinzunehmen, dass die Kosten der Weltwirtschaftskrise vor allem von den sozial Schwachen getragen werden sollen. So sehe es das “Sparpaket” von Schwarz-Gelben vor. Der Protest müsse deshalb dorthin getragen werden, wo er hingehört: ins Herz der Finanzmetropole. Über die geplante Blockade sprach ich für ak mit der Sprecherin des Aktionsbündnisses Karin Maler. Thomas Sablowski setzt sich in der selben Ausgabe mit zwei falsche Auffassungen über Banken und zwei Formen verkürzter Kapitalismuskritik auseinander (Siehe auch meinen Beitrag von 07.09).

Noch nicht einmal demokratischer Schein. Ein Interview mit Astrid Rund über die Aufhebung des Atomausstiegs

Ende August wurde in fast allen Tageszeitungen ein “Energiepolitischer Appell” veröffentlicht. Diesen nahm das Institut Solidarische Moderne (ISM) zum Anlass, den Aufruf “Demokratischer Rechtsstaat oder Atomstaat” zu initiieren. Über Intention des Aufrufs sprach ich für ak mit Astrid Rund, Erstunterzeichnerin des Aufrufs und Kuratoriumsmitglied des ISM.

ak: Der Aufruf des ISM zum Konflikt um die Laufzeitverlängerung trägt ganz schön dick auf: “Es geht um nicht weniger als das politische Gestaltungsmandat der Verfassungsorgane und damit um den Bestand des demokratischen Rechtsstaates selbst.” Warum geht es um nicht weniger?

Astrid Rund: Bei der Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken wird ganz offensichtlich und unverhohlen dem Interesse und der Lobbypolitik der großen Energiekonzerne entsprochen. Entgegen dem Willen der Mehrheit der Bevölkerung soll der Atomausstieg gekippt werden. Die Bundesregierung will den sogenannten Ausstiegskonsens einseitig nicht einhalten, obwohl die Atomkonzerne durch den Verzicht des Staates auf monetäre Leistungen – wie steuerfreie Rückstellungen, Verzicht auf die Brennelementesteuer, Versicherung – schon mindestens 50 Mrd. Euro kassiert haben.

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Was uns der Protest gegen Stuttgart 21 über neue Formen des Politischen sagt

Die neue Ausgabe von ak – analyse & kritik ist erschienen (Inhalt). Unter anderem ist wieder Stuttgart 21 Thema. Denn: Das Ländle ist im Aufruhr. Der Abriss eines alten, nicht sehr schönen Bahnhofs ruft die massivste Protestbewegung hervor, die es in den letzten Jahrzehnten in Stuttgart gegeben hat. Der Kulturwissenschaftler Klaus Schönberger vertritt die These, dass sich in diesen Protesten eine neue Form des Politischen zeigt: An die Stelle der Protest-Bewegung tritt das Protest-Projekt. Ich fragte Klaus Schönberger was das für linke Politikformen bedeutet.

Die Dagegen-Republik

Der letzte Spiegel hatte mal wieder ein tolles Titelthema (»Die Dagegen-Republik – Bürgeraufstand gegen die Politik«) und bringt das herrschende Demokratieverständnis auf den Punkt. Ein Satz gegen Ende könnte bei Johannes Agnoli abgeschrieben sein oder zumindest eine Referenz hergeben – nur eben irgendwie anders gemeint:

»Aber einer Bevölkerung muss immer mal wieder etwas zugemutet werden, sonst kann ein Land sich nicht entwickeln. Solche Zumutungen kann nur die Berufspolitik verordnen. Aber wenn der Protest zu stark wird, schafft sie das nicht. Deutschland würde zum Land der Bewohner, Stillstand wäre die Folge. Die beste Gesellschaft ist die, die Politiker und Bürger miteinander verzahnt. Bürgerliche Emotionalität muss durch politische Abgeklärtheit aufgefangen werden, Mittelschichtseinfluss durch Repräsentation der ärmeren Schichten, Konfrontationswille durch Konsenssuche – und umgekehrt. Die Politik braucht den Protest als Mahnung, damit sie besser arbeitet. Wie so oft ist es eine Frage des Maßes.« (35/2010, S. 72)

Klasse Kämpfe – Wiederkehr einer Problematik

Die gegenwärtigen Krise des Kapitalismus und die Tatsache, dass die Schere zwischen Reich und Arm immer weiter auseinandergeht, hat auch dazu geführt, dass wieder verstärkt über gesellschaftliche Klassen gesprochen wird. Das ist nicht selbstverständlich. Schließlich wurde lang und oft alles auf ein Verteilungsproblem reduziert. Aber selbst taz-Autorin Ulrike Herrmann hält in ihrem Bestseller fest:

»Die Bundesrepublik lässt sich als eine typische Klassengesellschaft beschreiben: Wenige Kapitaleigner besitzen die Produktionsmittel während stets mehr Menschen nur ihre eigene Arbeitskraft verkaufen können.«

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Raus aus der Kuschelecke: Die Utopie wird weiter vermessen. Interview mit Raul Zelik

Raul Zelik hat zusammen mit Elmar Altvater ein langes Gespräch über Kapitalismus und was danach kommen könnte in Buchform gebracht – das war bereits 2009. Das Buch Vermessung der Utopie steht zum freien Download zur Verfügung. Die website bietet einen virtuellen Raum für Diskussionen. Diese ist leider bisher noch nicht so recht in Gang gekommen. Das ist jedoch kein Ausdruck für mangelndes Interesse. Raul hat das Buch (mit und ohne Elmar Altvater) auf zig Veranstaltungen (nicht nur in Berlin) vorgestellt und die dort verhandelden Fragen und Thesen diskutiert. Dass die Debatte weitergeht zeigt ein Interview, das Jörg Sundermeier vom Verbrecher Verlag mit Raul für de:bug geführt hat. Dies ist eines der wenigen Gesprächen über das Buch (siehe auch hyperbaustelle), das den Gesprächsfaden nochmals aufnimmt. Eine Knoten werden wir wohl aber auch in näherer Zukunft nicht dran machen können. Also: Weiterspinnen!