MMT und die Staatsfinanzen im Ausnahmezustand

MMT ist derzeit auf vielen Kanälen und wird breiter denn je rezipiert. Auch ein Teil der völkischen Faschisten-Szene scheinen sich derzeit für die Modern Monetary Theory (MMT) zu interessieren. Ich könnte Wetten annehmen, dass die Tage aus Schnellroda der Ansatz mit Arbeiten aus den 1940er-Jahren – Ernst Wagemann (Bild), Otto Donner (Die Grenzen der Staatsverschuldung, in: Weltwirtschaftliches Archiv 56/1942) oder Fritz Reinhardt – verrührt wird (alles übrigens schöne Beispiele für die Nazi-Kontinuität in der jungen BRD – eine knappe Übersicht zum Wandel »moderner« Staatsfinanzierung seit den 1920er-Jahren findet sich bei Stefanie Middendorf)

Diese Arbeiten aus den 1940er-Jahren waren mit der Frage der Kriegsfinanzen beschäftigt und der Vermittlung: Es musste nicht allein eruiert werden, was ökonomisch möglich ist, sondern auch der Bevölkerung musste vermittelt werden, wie der Staat die exorbitanten finanziellen Ressourcen mobilisiert – für Krieg und Vernichtung. Nicht erst seit Kurzem ist die Angst vor Inflation ein wesentliches Moment der deutschen »Stabilitätskultur«.

Krieg war für die Entwicklung des modernen Geld- und Kreditsystems auch historisch bedeutsam. Dazu gibt es jede Menge Literatur (von Werner Sombart über Peter G.M. Dickson zu John Brewer). Er ist jedoch als Potenzialität in das Geld- und Kreditsystem eingeschrieben wie die Krise. Dass MMT derzeit viel diskutiert wird, hat natürlich nichts mit Krieg und schon gar nichts mit Nazis zu tun, sondern mit einer schweren Krise des Kapitalismus (die zweite innerhalb eines Jahrzehnts). Und darin ähneln sich die politisch-gesellschaftlichen Voraussetzungen, als Ausnahmezustand, in dem der Staat seine Handlungsfähigkeit beweisen und finanzieren muss (auch wenn MMT hier schon kritisch einhaken würde, weil der Staat sich gar nicht finanzieren müsse; mein ausführlicher Beitrag dazu in der PROKLA 202).

Auch die Ökonomin Mariana Mazzucato greift in ihrem neuen Buch (Mission. Auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaft) MMT positiv auf (ab S. 225). Die falsche Frage sei: »Wie viel Geld ist da, und was können wir damit tun?« (S. 27) Die richtige Frage lautet: »Was ist zu tun und wie können wir unsere Budgets so strukturieren, dass wir diese Ziele auch tatsächlich erreichen?« (Ebd.) (Wobei anzumerken ist, dass ein Staatsbudget immer durch Planung gekennzeichnet ist, keine Bilanz, keine »Erfolgsrechnung« im betriebswirtschaftlichen Sinne ist, also quasi immer mit einem »Soll« beginnt. Der erste Grundsatz des Budgets, so Kurt Heinig in seinem dreibändigen Buch zum Staatsbudget, ist also seine Vorherigkeit.)

Später im Buch stellt Mazzucato eine weitere Frage, jedoch ohne ihr ernsthaft nachzugehen: »Wenn uns all das zu Kriegszeiten gelingt, warum dann nicht auch zu Friedenszeiten, wenn es dringende gesellschaftliche Schlachten zu schlagen und gemeinsame Ziele zu erfüllen gilt?« (S. 205) Ja, warum nicht? Vielleicht weil ein nicht unwesentlicher Teil der Gesellschaft nicht die dringenden gesellschaftlichen Schlachten schlagen will, die Mazzucato vor Augen hat? Weil mit einem »anderen« Kapitalismus nicht so gut Profit zu machen ist? Weil es »das« öffentliche Interesse nicht gibt? Weil wir in einer kapitalistischen Klassengesellschaft leben? In kapitalistischen Klassengesellschaften, die von vielfältigen Widersprüchen und Interessenskonflikte geprägt ist, stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen diese stillgestellt werden (können), um eine »Mission« zu verfolgen. Es sind offensichtlich Ausnahmezustände, Krieg oder Wirtschaftskrisen. Mazzucato führt anhand der Apollo-Mission aus, wie sie sich eine andere Wirtschaft (im Kapitalismus) vorstellt, ohne deutlich herauszustellen, was die »Systemauseinandersetzung«, die die Welt bis an den Rand eines Atomkriegs führte, für die Mittelbeschaffung und für das »missionsorientierte Denken« bedeutete.

Dass es einen inneren Zusammenhang gibt, zeigt auch Wolfgang Schivelbusch in seinem sehr lesenswerten Buch »Entfernte Verwandtschaft« (von Faschismus und New Deal), in dem er in einem Unterkapital die Bedeutung der Kriegsmetaphorik für den New Deal unter Franklin D. Roosevelt diskutiert. Vor dem Hintergrund der Inaugurationsrede im März 1933 kommt er zu dem Schluss:

Die wirtschaftliche und soziale Bekämpfung der Krise genügte nicht. Es musste ihr regelrecht den Krieg erklären werden. Ohne diesen Akt, der die Nation vereinte und verpflichtete, ließen sich die notwendigen Energien und Opfer nicht aufbringen.

Wolfgang Schivelbusch: »Entfernte Verwandtschaft«, Frankfurt/M. 2008, S. 43f.

Wie Schivelbusch weiter schreibt, war es nicht allein Rhetorik. Mazzucato hingegen ist zwar bewusst, dass das Apollo-Projekt »wesentlichen Bestandteil des Kalten Krieges« war (S. 92). Dieser habe es erleichtert, die »astronomischen Ausgaben« zu rechtfertigen. Statt aber die spezifischen politischen und gesellschaftlichen Bedingungen von »Missionen« zu reflektieren und auszuführen, was das angesichts der zu »schlagenden Schlachten« bedeutet, geht Mazzucato davon aus, dass es derzeit ausreiche, neues Vokabular und neue Narrative (S. 26) zu entwickeln und eine inspirierende Vision (S. 92) zu haben.

Manchmal wäre es schön, wenn rhetorische Fragen beantwortet werden.

Das Kapi­tal ist außer sich. Luxem­burgs Begrün­dung der Not­wen­dig­keit nicht­ka­pi­ta­lis­ti­scher Milieus

»Ich … hasse Ber­lin und die Deut­schen schon so, dass ich sie umbrin­gen könnte. Über­haupt braucht man anschei­nend zum Leben eine Reserve an Gesund­heit und Kräf­ten.« (Rosa Luxem­burg an Leo Jogi­ches, 16. Mai 1898)

Am 10. Mai referierte ich auf Einladung der jour fixe initia­tive berlin zu Rosa Luxemburg. In der Ankündigung hieß es:

Im zweiten Band des Kapital verdeutlicht Karl Marx, dass die kapitalistische Produktionsweise zu ihrem Funktionieren vieler Voraussetzungen bedarf. Bis heute wird im Anschluss an Rosa Luxemburg darüber diskutiert, ob Marx hierbei nicht vernachlässigt habe, dass dies nur auf Grundlage kapitalistischer Expansion in nichtkapitalistische Milieus möglich sei. Luxemburg argumentiert im Anschluss an die Marxschen Reproduktionsschemata, dass der Kapitalismus nicht nur krisenhaft, sondern immer auch expansiv sein müsse. Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation, die Trennung der unmittelbaren Produzent_innen von ihren Produktionsmitteln, habe den Kapitalismus demnach nicht nur in die Welt verholfen, sondern bleibe eine systematische Voraussetzung des Kapitalverhältnisses. Die Veranstaltung soll Luxemburgs Marx-Kritik kritisch diskutieren.

Nach dem Vortrag wurde ich mehrmals gebeten, die Folien, die ich dort präsentierte, zugänglich zu machen. Das möchte ich hiermit tun.

Die Grafik am Ende der Folien ist von Urs Lindner (»Macht Arbeitsteilung Sinn? Zur Relevanz von Marx für die gegenwärtige Sozialtheorie«, in: Bude, Heinz/ Damitz, Ralf M., et al. (Hg.): Marx. Ein toter Hund? Gesellschaftstheorie reloaded, Hamburg 2010, 175-197.).

Die detaillierte Auseinandersetzung mit den Reproduktionsschemata findet ihr hier. An anderer Stelle bin ich aus Anlass von 100 Jahre Erster Weltkrieg nochmal auf den Zusammenhang von Kapitalismus und Krieg eingegangen und habe unter anderem den Ansatz von Luxemburg kritisch diskutiert.

Zudem möchte ich die Gelegenheit nicht verpassen, auf Ursula Schmiederers Text zum Verhältnis von Organisation und Spontaneität bei Rosa Luxemburg hinzuweisen.

Kapitalismus und Krieg: zwei Seiten einer Medaille? Nicht nur Rosa Luxemburg versuchte, den Ersten Weltkrieg ökonomisch zu erklären

»Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen« – so der französische Sozialist Jean Jaurès, der wenige Tage vor Beginn des Ersten Weltkrieges von Nationalisten ermordet wurde. Kapitalismus und Krieg: zwei Seiten einer Medaille. Der Imperialismus bringt die kriegerische Logik, die dem Kapitalismus eingeschrieben sein soll, auf den Begriff. Selten wird danach gefragt, was an dieser linken Binsenweisheit dran ist, dass die Profitlogik notwendigerweise in die Kriegslogik umschlagen muss.

Von Ingo Stützle

capitalismDer Erste Weltkrieg steht für den imperialistischen Krieg par excellence, dafür, dass der ausbeuterische Charakter des Kapitals über die bürgerlichen Stränge schlagen kann – und muss. Reinhard Opitz schreibt in seinem Standardwerk »Europastrategien des deutschen Kapitals 1900-1945«: »Es war ja keineswegs so, dass etwa erst der Ausbruch des Ersten Weltkrieges die in der Flut industrieller Kriegszieleingaben sich manifestierenden Expansionsgelüste des deutschen Kapitals geweckt hätte, es hatten umgekehrt diese zum Krieg getrieben.« Die von ihm gesammelten und aufbereiteten Dokumente sprächen für sich, so der marxistische Sozialwissenschaftler. Continue reading “Kapitalismus und Krieg: zwei Seiten einer Medaille? Nicht nur Rosa Luxemburg versuchte, den Ersten Weltkrieg ökonomisch zu erklären”

Betr.: Regierungswechsel in Chile

An die
Farbwerke Hoechst AG,
Postfach 800320,
6230 Frankfurt/Main 80:
Santiago de Chile

17. September 1973

Der so lang erwartete Eingriff der Militärs hat endlich stattgefunden … Säuberungsaktion ist immer noch im Gange… Wir sind der Ansicht, daß das Vorgehender Militärs und der Polizei nicht intelligenter geplant und koordiniert werden konnte, und daß es sich um eine Aktion handelte, die bis ins letzte Detail vorbereitet war und glänzend ausgeführt wurde… Chile wird in Zukunftein für Hoechster Produkte zunehmend interessanter Markt sein … Die Regierung Allende hatdas Ende gefunden, das sie verdient […] In den drei Jahren marxistischen Systems haben die hiesigen Hoechster Unternehmen viele schwierige Probleme und Epochen überwinden müssen; ohne Ihre Unterstützung und Ihr Verständnis für unsere Situation wäre dies nicht möglich gewesen. Wir möchten Ihnen bei dieser Gelegenheit hierfür allerherzlichst danken und der Überzeugung Ausdruck geben, dass es der Mühe wert war, dass Sie und wir die Sorgen und Probleme dieser Jahre auf uns genommen und sie durchgestanden haben.

Mit freundlichen Grüßen
(Unterschrift unleserlich)

Auszüge aus einem siebenseitigen Brief der chilenischen Tochtergesellschaft an die Farbwerke Hoechst AG

Nordafrika: Zugang zu den Energiereserven der Region sicherstellen

Die Aussage der folgenden Analyse teile ich nicht vollständig. Sie stammt aber auch nicht vom antiimperialistischen Flügel der deutschen Friedensbewegung:

Weltanschauliche Präferenzen für eine demokratische Regierung spielten beim Aufbau dieser geopolitischen Struktur [in Nordafrika] nur eine Nebenrolle, wie sich daran zeigt, dass in all diesen Ländern autokratische oder repressive Regime regierten. Der Westen wollte vielmehr die Stabilität an der südlichen und östlichen Flanke Europas sichern und den Zugang zu den Energiereserven der Region sicherstellen. (Deutsche Bank, Economic Research Bureau Frankfurt, Globale Trends 2. Quartal 2011, 31.3.2011)

Piraten im Ausnahmezustand. Daniel Heller-Roazen untersucht die Geschichte einer Rechtsfigur

Der Begriff “Ausnahmezustand” hat seit Jahren Konjunktur. Der Literaturwissenschaftler Daniel Heller-Roazen beschäftigt sich in seiner Studie mit einer dazugehörenden Rechtsfigur, dem Pirat. Die bis in die Antike zurückgehende Untersuchung folgt der historischen Entstehung der Figur “Pirat”, dem politischen und sozialen Wandel und seinem Verschwinden. Dass der Pirat plötzlich wieder auf der politischen Bühne erscheint, ist für Heller-Roazen ein Anzeichen dafür, dass sich die Formen der politischen Konfrontationen verändert haben, und ein Alarmzeichen zugleich. Continue reading “Piraten im Ausnahmezustand. Daniel Heller-Roazen untersucht die Geschichte einer Rechtsfigur”

BP als Teil US-amerikanischer Militärlogistik

Laut einem Bericht der Washington Post beliefert BP das Pentagon mit mehr Öl als jedes andere Unternehmen.

»In fiscal 2009, BP was the Pentagon’s largest single supplier of fuel, providing 11.7 percent of the total purchased, and in 2010, its contracts amount to roughly the same percentage, according to DLA spokeswoman Mimi Schirmacher.«

Mehr noch:

»BP is an active participant in multiple ongoing Defense Logistics Agency acquisition programs«

sagte Schirmacher.  Wohl auch das ist ein Grund, warum im Vorfeld der Katastrophe mehr als nur ein Auge zugedrückt wurde.

Wie in der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise ließe sich aber auch hier wieder zeigen bzw. diskutieren, dass es nicht die ›Abwesenheit‹ staatlicher Regulierung war, die das ›Unglück‹ ermöglichte. Bei einer solchen Disgnose bedürfte es allein ›mehr Staat‹. Eine Forderung die auch gerne bei staatsfixierten – und längst nicht nur bei der Linkspartei – zu hören ist. Es ist aber auch nicht so, dass sich einzelne Kapitalgruppen den Staat Untertan gemacht haben, wie es die Konzeption des staatsmonopolisstischen Kapitalismus vorsieht und dem Staat nahezu jede Autonomie gegenüber den Kapitalfraktionen abspricht.

Demgegenüber ist mit Poulantzas festzuhalten: Erst der Staat konstituiert die kapitalistische Klasse überhaupt als Klasse. Davor existieren nur voneinander getrennte und in Konkurrenz stehende Einzelkapitale. Damit wird die staatliche Übernahme von Funktionen, so Poulantzas, »die für die Gesamtheit der Bourgeoisie von Allgemeininteresse sind, … zu einer politischen Notwendigkeit«. Der Staat besitze eine »relative Autonomie, um so die Organisierung des Allgemeininteresses der Bourgeoisie … sicher zu stellen«. Ähnlich Agnoli.

Es verknüpft sich somit das Profitinteresse von BP, das mit dem Pentagon einen zuverlässigen Abnehmer gefunden hat, mit der Rolle der USA als Aufsicht über das globale Kapital (Panitch), das notwendigerweise immer mit der Fähigkeit des amerikanischen Staates verknüpft ist, »die materialle Basis des amerikanischen Kapitals zu reproduzieren« (Panitch/Gindin, »Superintending Global Capital«, NLR, 2005, H.II/35) Und so kann es eben auch mal sein, dass das bornierte Profitinteresse eben nicht nur die Natur ruiniert, sondern auch das Image (Legitimität wäre übertrieben) des Staates. Die US-Regierung hat somit ein Problem, da sie den gesellschaftlichen Unmut gegenüber BP und staatlichen Versäumnissen verarbeiten muss, ohne sich selbst – etwas dramatisch formuliert – das militärische Rückrat zu brechen. Obama hat das schon verstanden, da der Schmierfink BP nur die Spitze des Eisberges ist (und das bei der Hitze!). Vielmehr geht es um »Amerikas jahrhundertealte Sucht nach fossilen Brenn­stoffen« (Obama in seiner Rede an die Nation). Diese Sucht ist jedoch in der fossil betriebenen kapitalistischen Produktionsweise und der militärischen Logik des Staates begründet. Eine Basis, die die USA sicher nicht so schnell aufgeben wird.

Die Ölkatastrophe hat jedoch noch eine weitere Dimension. Die Neuordnung des globalen Ölmarktes. BP kann sich wohl nur mit Hilfe von Investoren vor einer feindlichen Übernahme schützen.

Prokla 159: Marx!

Gestern lag die neue Prokla im Briefkasten. Das Thema ist Marx! Die Nummer schließt damit an die Prokla 151 an, die ebenfalls einen gesellschaftstheoretischen und -kritischen Schwerpunkt hatte (»Gesellschaftstheorie nach Marx und Foucault«). Aber auch in den Heften zu »Krise«, zu »Sozialismus« oder »postkolonialen Studien« spielte Marx eine prominente Rolle. Damit mausert sich die Prokla zu einem wichtigen Bezugspunkt für eine an Marx orientierte Sozialwissenschaft.

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Interview mit Marc Thörner zu Afghanistan

Im letzten ak habe ich Thörners Buch Afghanistan-Code besprochen. Vor ein paar Tagen ist in der jungen welt ein Interview mit ihm erschienen. Wer eher mit dem mp3-Player unterwegs ist und eh schon zu viel lesen muss, kann nun ein fast 40-minütiges Interview mit Thörner anhören – geführt von Radio Unerhört aus Marburg.

fast 40-minütiges Interview

In jedem Fall möchte ich mich hier nochmals Raul Zelik anschließen:

Thörners “Afghanistan-Code” sollte Pflichtlektüre für alle sein, die dem Militäreinsatz jemals etwas abgewinnen konnten.

Mehr Respekt für deutsche Handelswege: Finde den Unterschied

Horst Köhler bei seiner Rede im Camp Marmal, Mazar-e-Sharif Afghanistan

Für Kinder gibt es in Zeitschriften oft sogenannte Suchbilder. Bei zwei fast identisch abgedruckten Bildern sollen kaum erkennbare Unterschiede gefunden werden. Gestern hat der Deutschlandfunk ein derartiges Spiel veranstaltet. Und zwar bei einem Bericht über Köhlers Rede in Afghanistan und einem anschließenden Interview. Danach gab es zwei Kurzmeldungen zu lesen.

Samstag, 22. Mai 2010 12:00 Uhr
Köhler fordert mehr Respekt für deutsche Soldaten in Afghanistan

Den deutschen Soldaten in Afghanistan sollte nach den Worten von Bundespräsident Köhler mit mehr Respekt begegnet werden. Die Bundeswehr leiste dort Großartiges unter schwierigsten Bedingungen, sagte Köhler im Deutschlandradio Kultur nach einem Besuch im Feldlager Masar-i-Scharif. Es sei in Ordnung, wenn kritisch über den Einsatz diskutiert werde. Allerdings müsse Deutschland mit seiner Außenhandelsabhängigkeit zur Wahrung seiner Interessen im Zweifel auch zu militärischen Mitteln greifen. Als Beispiel für diese Interessen nannte Köhler ‘freie Handelswege’. Es gelte, Zitat ‘ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auf unsere Chancen zurückschlagen’ und sich somit negativ auf Handel und Arbeitsplätze auswirkten. Köhler hatte auf der Rückreise von China einen Zwischenstopp in Afghanistan eingelegt.

Eine Stunde später liest es sich dann so: Continue reading “Mehr Respekt für deutsche Handelswege: Finde den Unterschied”

Aufgeblättert: Aufstandsbekämpfung in Afghanistan

Marc Thörners lesenswertes Buch ist nicht nur ein notwendiges Korrektiv zur herrschenden Erzählung von Politik und Medien über Afghanistan. Seine engagiert recherierte Reportage hilft auch, die täglichen Nachrichten zu sortieren und zu bewerten. Deutlich wird, dass die Aufstandsbekämpfung u.a. der Logik früherer Kriege in französischen Kolonien folgt. Zunächst wird der Feind bekämpft und verjagt (clear). Danach wird das eroberte Gebiet mit Hilfe Einheimischer unter Kontrolle gebracht (hold). Hierbei stützen sich die ISAF-Truppen auf Warlords, die ihre ganz eigene Agenda verfolgen und teilweise zur ehemaligen Nordallianz gehören. Diese hatte 2001 mit massiver Luftunterstützung Afghanistan zurückerobert. Schließlich sollen Aufbauarbeiten die Bevölkerung gewinnen und die Situation stabilisieren (build). Thörner zeigt, dass diese Strategie nicht nur eine eigenständige Entwicklung Afghanistans verhindert, sondern die kriegerischen Zustände hervorbringt und zementiert. Die Bundeswehr nimmt dabei eine zentrale Rolle ein, da sie mit einem der größten Warlords kooperiert: Mohammed Atta, dem Gouverneur der Provinz Balkh, in deren Hauptstadt Mazar-e-Sharif die Bundeswehr ihr größtes Feldlager in Afghanistan unterhält. Die von Deutschland unterstützte Ausbildung von Polizeikräften stellt somit keine Normalisierung dar, sondern eine kriegerische Eskalation. Die militärische Präsenz in Afghanistan folgt einer Logik, in der die Bombardierung der Tanklaster bei Kundus nur ein trauriger Höhepunkt war.

Ingo Stützle

Marc Thörner: Afghanistan-Code. Reportagen über Krieg, Fundamentalismus und Demokratie. Edition Nautilus, Hamburg 2010, 160 Seiten, 16 EUR

Erschienen in: ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 550 vom 21.5.2010

Antimilitaristische Killerspiele

Mit sogenannten Killerspielen erlernen Kinder das Töten. Diese Vorstellung hat sich tief in unseren Alltagsverstand eingeschrieben. Nach den Erfahrungen der US-Army ist jedoch das Gegenteil der Fall: Die Spiele sabotieren die Grundausbildung in der US-Army. Die SoldatInnen hätten deutlich mehr Probleme mit »ihrem Job«, dem effektiven Töten als früher. Deshalb soll nach Medienberichten die Grundausbildung nach über 30 Jahren überarbeitet werden. Das berichtet u.a. golem.

Beim Eurofighter drückt Berlin ein Auge zu

Nach einem Bericht von german foreign policy drückt die deutsche Bundesregierung bei der Anschaffung von Rüstungsgüter ein Auge zu. Obwohl Griechenland sparen soll, bis es quietscht, soll es eben immer noch knallen können.

Griechenland soll Kampfflieger vom Typ Eurofighter kaufen, die von einem Rüstungskonsortium mit Sitz in Hallbergmoos (Bayern) hergestellt werden. Deutsche Bemühungen, das teure Militärflugzeug auch an Kunden im Ausland zu verkaufen und damit die Gewinne der kerneuropäischen Rüstungsindustrie zu erhöhen, hatten in den vergangenen Jahren bereits zu heftigen Auseinandersetzungen geführt […]. Zu Wochenbeginn verlangte der deutsche Außenminister bei einem Besuch in Athen, die dortige Regierung solle sich ungeachtet ihrer akuten Finanznot für den Eurofighter entscheiden.

Beim Militär und deutschen Arbeitsplätzen hört die Sparorgie auf

Das ist nicht das erste Mal, dass Militärausgaben plötzlich ganz andere öffentliche Ausgaben sind. Schließlich sind nicht alle Staatsaufgaben gleich. Manche sind eben gleicher. So waren sich die Verteidigungsminister Italiens, Frankreichs und Deutschlands sich auch in der Vergangenheit einmal darüber einig, dass die Rüstungsaufwendungen bei der Kontrolle der Maastrichter Kriterien herausgerechnet werden sollten (vgl. FR, 20.5.2003, Der Freitag. Nr. 44 v.o 25.10.2002). Durchsetzen konnten sich die Kriegsminister bisher nicht. Aber zumindest den Vertrag von Lissabon haben sie auf ihrer Seite. Dort ist schließlich eine Verpflichtung festgeschrieben, die die Mitgliedstaaten verpflichtet, »ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern« (Art. 27, 3).

Foto: CC-Lizenz, icatus

Neoliberale Terrorbekämpfung

Mit SchwarzGelb und den deutlich gestärkten Liberalen war klar: der Neoliberalismus ist noch lange nicht tot. Und schon gar nicht die ihm zugrundeliegende Neoklassik. Dem »ökonomischen Imperialismus« (Boulding) gelang es in Form der Neue Politische Ökonomie, die neoklassische Methodologie auf andere wissenschaftliche Felder zu übertragen (Ausbildung, Frieden, Verteidigung, Freizeit, Alter, Verbrechen und Gesundheit).

Nun also die Außenpoitik. Schließlich regiert hier der Liberale Westerwelle. Nun soll ein Programm für Taliban mit 50 Mio. Euro »reuigen Taliban eine Ausstiegschance« gegeben. Als Alternative zu ihrer bisherigen Tätigkeitfeld sollen ihnen »Jobs, Ausbildung und finanzielle Hilfen angeboten werden«. Voraussetzung ist, »dass die Taliban der Gewalt und dem Terror abschwören, alle Kontakte zu al-Qaida abbrechen und die afghanische Verfassung anerkennen«.

Die Idee ist nicht neu. Bruno Frey, ein wichtiger Vertreter der Theorie der Neuen Politischen Ökonomie, meinte schon vor Jahren diese Strategie gegen den weltweiten Terrorismus begründen zu können. Man müsse nur die Opportunitätskosten eines Terroristenlebens erhöhen, indem man Karrierealternativen aufzeigt. Als Beweis zieht Frey zugleich Deutschland heran: »Wenn es nach Bush ginge, dürfte Deutschland nie einen Außenminister Joschka Fischer haben, der früher der terroristischen Szene ganz nahe war.« (FAS, 29.8.2004)

Ergo: Gib Terroristen die Chance auf einen Ministersessel und die Welt ist befriedet. Möglicherweise wird es dafür nötig sein,  ein paar neue Nationalstaaten auf dem Boden zu stampfen, um die erhöhte Nachfrage nach Ministerposten zu befriedigen. Das dürfte aber das  geringste Problem sein.

Foto: CC-Lizenz, dustpuppy

Der Euro stinkt nicht – Iran will Devisenreserven auf Euro umstellen

Kurz nach Obamas Verkündung die von seinem Vorgänger Bush geplanten Abwehrraketen in Osteuropa nicht zu stationieren und einer Dynamik auf den Devisenmärkten, die in in der Presse bereits als “geldpolitischer Durchfall” diskutiert wird, einer Abwertung des US-Dollars, vermeldet der Iran, dass es seine Devisenreserven auf Euro umstellen will. Damit ignoriert der Iran nicht nur die Sanktionsdrohungen, sondern setzt noch einen drauf, indem er die europäische Währung gegen den Greenback in Stellung bringt. Die Ölgeschäfte werden schon seit längerem in Euro gehandelt. Ein für die Weltwährungen und die Frage von Krieg und Frieden nicht unbedeutendes Faktum. Ob allerdings der US-Dollar in nächster Zukunft tatsächlich seine Rolle als Weltgeld einbüßen muss ist mehr als fraglich. Die Abwertung des US-Dollars ist weniger als Flucht aus dem US-Währung, als vielmehr als zunehmende Risikobereitschaft zu interpretieren – US-Staatspapiere werden verkauft und die liquiden Mittel auf die internationalen Finanzmärkte geschaufelt. Ob dort Gewinne blühen oder eine Verschärfung der Krise gesät wird bleibt abzuwarten. Die politische Botschaft aus Teheran hingegen ist eindeutig und wird dort ankommen wo sie auch verstanden werden wird.