Handreichung zum Klassenkampf: Was Steuersünder bedenken sollten

 Eines muss man Zeitungen wie FTD oder FAZ einfach lassen. Sie haben ein wirklich gutes Gespür, was ihr Klientel lesen will. In Fernsehzeitschriften ist das Fernsehprogramm zu finden, in der C’t das Neuste aus der Computerwelt und in der FTD und der FAZ eben eine Handreichung für den ganz normalen bourgeoisen Steuersünder. Das war 2008 nicht anders als 2010 und mit dem jüngsten Aufkauf einer Steuer-CD in NRW war die Veröffentlich entsprechender Artikel abzusehen: »Was Steuersünder bedenken sollten« titelt heute die FTD und weiß: »Über das Privileg der Selbstanzeige können Anleger mit illegalen Konten im Ausland noch schnell eine Bestrafung vermeiden … Die FTD sagt, worauf es bei einer Selbstanzeige ankommt.«

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Apropos Urlaub

»Kommen Angestellte aus dem Urlaub zurück, ohne die obligate Farbe sich erworben zu haben, so dürfen sie dessen versichert sein, daß Kollegen spitz fragen: »Sind Sie denn gar nicht in Urlaub gewesen?« Der Fetischismus, der in der Freizeit gedeiht, unterliegt zusätzlicher sozialer Kontrolle.« (Adorno, Freizeit, GS 10.2, S. 649)

Libero Zufall

Heute beginnt die Fußballeuropameisterschaft der Männer. Vor ein paar Jahren konnte Paul Orientierung geben, inzwischen die ökonomische Zunft, die, als hätte sie aus einer der tiefsten Krisen des Kapitalismus gelernt, Folgendes zu bedenken gibt:

Beim Fußball im Allgemeinen und bei einem Turnier wie der Europameisterschaft im Besonderen sei nämlich die Bedeutung des Zufalls nicht zu unterschätzen

So WissenschaftlerInnen von der FU Berlin und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer Pressemitteilung zu einer Studie zum Ausgang des Turniers.

Die Sache mit den blauen Bänden

Wer dieser Tage bei der Lidl-Werbung genau hinguckte, stellte fest: Neben einem feilgebotenem Chefsessel und Eckschreibtisch standen in idealen Arbeitsräumen einige Ausgaben der Marx-Engels-Werke im Regal. Zufall? Der für Lohndumping bekannte Discounter scheint öffentlich eine materialistische Erklärung für die Produktions- und Arbeitsbedingungen anzubieten, mit denen er Profit erzielt. Christian Semler hat in der taz den Werbeprospekt aufgespießt.

Die Dagegen-Republik

Der letzte Spiegel hatte mal wieder ein tolles Titelthema (»Die Dagegen-Republik – Bürgeraufstand gegen die Politik«) und bringt das herrschende Demokratieverständnis auf den Punkt. Ein Satz gegen Ende könnte bei Johannes Agnoli abgeschrieben sein oder zumindest eine Referenz hergeben – nur eben irgendwie anders gemeint:

»Aber einer Bevölkerung muss immer mal wieder etwas zugemutet werden, sonst kann ein Land sich nicht entwickeln. Solche Zumutungen kann nur die Berufspolitik verordnen. Aber wenn der Protest zu stark wird, schafft sie das nicht. Deutschland würde zum Land der Bewohner, Stillstand wäre die Folge. Die beste Gesellschaft ist die, die Politiker und Bürger miteinander verzahnt. Bürgerliche Emotionalität muss durch politische Abgeklärtheit aufgefangen werden, Mittelschichtseinfluss durch Repräsentation der ärmeren Schichten, Konfrontationswille durch Konsenssuche – und umgekehrt. Die Politik braucht den Protest als Mahnung, damit sie besser arbeitet. Wie so oft ist es eine Frage des Maßes.« (35/2010, S. 72)

attac-Bankentribunal zwischen Recht, Moral und materieller Ungleichheit

Für attac war es schon jetzt das Highlight des Jahres. Im Rahmen eines Bankentribunals sollten die Ursachen, aber vor allem die »Schuldigen der Finanzkrise« angeklagt und verurteilt werden. In der Volksbühne tummelten sich mehrere Tage die Schaulustigen. Am Sonntag wurde dann das Urteil gesprochen. Aber das ganze Spektakel zeigt vor allem wie hilflos Kapitalismuskritik ist, wenn sie nicht an die Wurzel geht.

Anklagebank in idyllischer Atmosphäre

»Dem Publikum zufolge hätten wir die Angeklagten dazu verurteilen müssen, alle drei Bände ›Kapital‹ von Karl Marx auswendig zu lernen«, sagte Jury-Mitglied und Sozialrichter Jürgen Borchart der taz. Jürgen Borchart, der selbst auf dem Richterstuhl saß, zeigt mit dieser Aussage, dass die blauen Bände entweder nicht gelesen oder zumindest nicht verstanden wurden. Denn zum einen ist »Auswendiglernen« fast das Letzte was man mit dem marxschen Kapital machen sollte (Marx: »Ich unterstelle natürlich Leser, die etwas Neues lernen, also auch selbst denken wollen«), und zum anderen hätte die Lektüre die Initiatoren davon abhalten müssen, Einzelpersonen für das System haftbar zu machen. Wie heißt es so schön im Vorwort zum ersten Band: Continue reading “attac-Bankentribunal zwischen Recht, Moral und materieller Ungleichheit”

Antimilitaristische Killerspiele

Mit sogenannten Killerspielen erlernen Kinder das Töten. Diese Vorstellung hat sich tief in unseren Alltagsverstand eingeschrieben. Nach den Erfahrungen der US-Army ist jedoch das Gegenteil der Fall: Die Spiele sabotieren die Grundausbildung in der US-Army. Die SoldatInnen hätten deutlich mehr Probleme mit »ihrem Job«, dem effektiven Töten als früher. Deshalb soll nach Medienberichten die Grundausbildung nach über 30 Jahren überarbeitet werden. Das berichtet u.a. golem.

Arbeiten gefährdet ihre Gesundheit

Laut dem aktuellen Gesundheitsreport der DAK leidet jedeR zweite Lohnabhängige an Schlafstörungen. Ein wesentlicher Grund: Der Stress des Kapitalismus und die Wirtschaftskrise. Bereits 2009 berichtete die Böcklerstiftung, dass »Abstiegsängste […] die Mittelschicht erreicht« habe (Böckler-Impuls 19/2009). Die auf Leistung ausgelegte Unternehmensführung führt bei einem Viertel der Beschäftigten zu mehr körperlichem und bei 80 Prozent zu mehr psychischem Stress. Der Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte warnt inzwischen davor, dass die steigenden Zahl psychischer Erkrankungen die Arbeitsmedizin »vor erhebliche Herausforderungen stellt«. Es sieht also ganz danach aus, dass auch diejenigen, die die ArbeiterInnen von den ganzen geundheitlichen Folgen von Stress und Konkurrenzdruck rehabilitieren sollen, selbst total im Stress untergehen werden. Und das alles nur aufgrund der Tatsache, möglichst schnell wegrennen zu müssen (siehe hier). Diese Pointe des Witzes hat Kenneth Rogoff, der ehemalige Chefökonom des IWF, in seiner gestrigen Witzstunde in der financial times deutschland (8.2.10) weggelassen.

Lauf’ um Dein Leben oder stirb

Kenneth Rogoff, der ehemalige Chefökonom des IWF, hat in der financial times deutschland (8.2.10) Griechenlands Staatschulden kommentiert. Rogoff fühlt sich an den Staatsbankrott von Argentinien vor zehn Jahren erinnert. Interessant ist aber weniger dieser Vergleich als ein Gleichnis auf die kapitalistische Konkurrenz, dass er den LeserInnen als Witz verkaufen möchte.

Da ist der alte Witz von den zwei Männern, die nach einem Flugzeugabsturz im Dschungel von einem Löwen umkreist werden. Als der eine beginnt, seine Turnschuhe anzuziehen, fragt der andere, warum er dies tue. Er antwortet: “Ich mach mich fertig, um wegzurennen.” “Aber du wirst nicht schneller sein als der Löwe”, sagt der andere. Darauf der eine: “Ich muss nicht schneller laufen als der Löwe, nur schneller als du.”

Ein Witz ist es, wenn zumindest eineR lacht.

Herkulesaufgabe kreative Buchführung

Statistikämter als moderne Hexenküchen für Alchemisten

Die EU nimmt Griechenland unter ihre Fitiche. Aber einen Preis für Kreatitivität hätte Griechenland auch verdient: 2006 hatte sich das griechische Staatsdefizit durch eine verbesserte Wirtschaftsleistung deutlich verringert. Die plötzlichen ökonomischen Superkräfte rührten daher, dass die viel sprechenden Branchen Rauschgifthandel, Geldwäsche, Zigarettenschmuggel und Prostitution bei der statitsichen Erhebung des BIPs berücksichtigt wurden. Eine Sprecherin von Währungskommissar Almunia zeigte sich damals über die 25% zusätzliche Wirtschaftsleistung verwundert. Schon damals wollte europäische Statistikbehörde Eurostat Einsicht in die Wunderwerkstatt des griechischen Statistikamtes haben. Athen beschwichtigte: Die nun berücksichtigte Schattenwirtschaft sei nicht wesentlich ausschlaggebend für das statistische Wunder. Und es stimmt. Eurostat musste eingestehe, so die FAZ, dass die Schwierigkeiten »jenseits der statistischen Sphäre« liege. Das angedeutete Jenseits zwischen Gut und Böse beschreibt der Artikel »Meister kreativer Buchführung« aus der FAZ ganz… fürsorglich.

Die spinnen die Römer oder Spekulieren auf Griechisch

So arbeiten die Finanzmarktspezialsten also: Eine griechische Zeitung (ekathimerini) berichtet wohl von versteckten Schulden in Höhe von 40 Mrd. Euro. Weil die Finanzakrobaten von zwei renommierten blogs (ft alphaville, zerohedge) kein Griechisch können, lassen sie mal den Übersetzer google.com ran. Während ft alphaville US-Dollar daraus macht, sind es bei zerohedge Euro. Was denn nun? Besonders lustig wird es, wenn jetzt LeserInnen dieser wirklich bekannten blogs nicht wissen, dass die amerikanischen Billionen eben nicht Billionen sind, sondern in der traditionellen Zählweise Milliarden. Zumindest google weiß es. Was ich mich aber frage: Werden auf derartigen »Erkenntnissen« eigentlich Finanztransaktionen durchgeführt aufgrund dessen dann der Euro abwerten, die Spreads zwischen den Zinssätzen größer werden, Kosten für CDS steigen etc. pp. – ich fürchte: ja.

Bourgeoise Handreichung zum Klassenkampf

Noch gestern sagte die FAZ Schäubles möglichem Datenkauf den Kampf an. Es könne nicht sein, dass der Staat, der ja Recht und Ordnung garantieren müsse, geklaute Daten aufkaufe – und sei es zur Verfolgung von Steuersündern. Wo kämen wir da hin, wenn das alle machen würden, so Logik der FAZ.

Heute schlägt sie andere Tönen an. Im Wirtschaftsteil ist schwarz umrandet, ganz so wie man es aus Trauenanzeigen kennt, ein Text mit folgender Überschrift zu finden: »Für Selbstanzeigen ist es in den meisten Fällen noch nicht zu spät«. Darin ist dann zu lesen:

»Für deutsche Steuersünder tickt die Uhr: Jederzeit könnte öffentlich bekanntwerden, von welcher Bank die Daten stammen, die ein Informant dem Fiskus verkaufen will. Und dann wäre es möglicherweise zu spät für eine Selbstanzeige. Denn Straffreiheit durch eine Beichte beim Finanzamt kann nur erlangen, wer die hinterzogenen Abgaben nachzahlt – und wessen Tat noch nicht “entdeckt” worden ist. Diese Einschränkung gilt zwar nur, wenn der Täter weiß, dass ihm die Fahnder bereits auf der Spur sind. Aber dafür reicht es auch aus, wenn er “bei verständiger Würdigung der Sachlage” mit seiner Entdeckung rechnen muss (Paragraph 371 der Abgabenordnung).«

Auf der webiste der FAZ finden sich dann auch noch unter der Rubrik Steuertipps »Sieben Tipps für eine steuerliche Selbstanzeige«.

Eines muss man der FAZ einfach lassen. Sie hat ein wirklich gutes Gespür dafür, was ihr Klientel lesen will. In Fernsehzeitschriften ist das Fernsehprogramm zu finden, in der C’t das Neuste aus der Welt der Computer und in der FAZ eben eine Handreichung für den ganz normalen bourgeoisen Steuersünder.

Foto: CC-Lizenz, hddod

Neoliberale Terrorbekämpfung

Mit SchwarzGelb und den deutlich gestärkten Liberalen war klar: der Neoliberalismus ist noch lange nicht tot. Und schon gar nicht die ihm zugrundeliegende Neoklassik. Dem »ökonomischen Imperialismus« (Boulding) gelang es in Form der Neue Politische Ökonomie, die neoklassische Methodologie auf andere wissenschaftliche Felder zu übertragen (Ausbildung, Frieden, Verteidigung, Freizeit, Alter, Verbrechen und Gesundheit).

Nun also die Außenpoitik. Schließlich regiert hier der Liberale Westerwelle. Nun soll ein Programm für Taliban mit 50 Mio. Euro »reuigen Taliban eine Ausstiegschance« gegeben. Als Alternative zu ihrer bisherigen Tätigkeitfeld sollen ihnen »Jobs, Ausbildung und finanzielle Hilfen angeboten werden«. Voraussetzung ist, »dass die Taliban der Gewalt und dem Terror abschwören, alle Kontakte zu al-Qaida abbrechen und die afghanische Verfassung anerkennen«.

Die Idee ist nicht neu. Bruno Frey, ein wichtiger Vertreter der Theorie der Neuen Politischen Ökonomie, meinte schon vor Jahren diese Strategie gegen den weltweiten Terrorismus begründen zu können. Man müsse nur die Opportunitätskosten eines Terroristenlebens erhöhen, indem man Karrierealternativen aufzeigt. Als Beweis zieht Frey zugleich Deutschland heran: »Wenn es nach Bush ginge, dürfte Deutschland nie einen Außenminister Joschka Fischer haben, der früher der terroristischen Szene ganz nahe war.« (FAS, 29.8.2004)

Ergo: Gib Terroristen die Chance auf einen Ministersessel und die Welt ist befriedet. Möglicherweise wird es dafür nötig sein,  ein paar neue Nationalstaaten auf dem Boden zu stampfen, um die erhöhte Nachfrage nach Ministerposten zu befriedigen. Das dürfte aber das  geringste Problem sein.

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