200. Geburtstag von Jenny Marx

Heute vor 200 Jahren wurde Jenny von Westphalen geboren, eine Frau, die als Jenny Marx bekannt ist: die Ehefrau im Schatten von Karl Marx. Sie aus dem Schatten herauszuholen, wurde immer wieder versucht und ging oft nach hinten los (was allerdings ausgerechnet die taz nicht so sieht). Patriarchale Verhältnisse durch Biografien und Würdigungen aufzuheben, obwohl sie in Leben, Arbeiten und Schreiben von Karl Marx so tief verankert waren, ist eigentlich unmöglich, jedenfalls wenn sie nicht selbst Gegenstand der Analyse und Darstellung werden.

Jenny von Westphalen um 1835. Gemälde von unbekannter Hand.

Klaus Theweleit hat patriarchale Produktionsverhältnisse in seinem mehrbändigen Werk Das Buch der Könige thematisiert. Darin zeichnet er anhand der Geschichte mehrerer Autoren nach, wie »die Frau« zur »Assistentin der männlichen Geburtsweise« (es geht um die »Geburt« künsterischer Werke) wird.

Die Produktion künstlicher Wirklichkeit geht nicht allein vor sich; zweite sind beteiligt, dritte. … Männer wie Frauen sind ›Orpheus‹ verbunden in Verhältnissen, die teils aussehen wie Liebesverhältnisse, womöglich aber Produktionsverhältnisse sind.

Weiter schreibt Theweleit:

– mit einem Wort, ob das Frauenopfer, das in abstrakter Weise allen Produktionen des Patriarchats zugrunde liegt oder inhärent ist, auch in bestimmten Kunstproduktionen nicht nur als ›Symbolisches‹ da ist, nicht nur als Imaginäres im Stoff und in der ›Handlung‹ der Werke, sondern auch in wirklichen Paaren zwischen den beteiligten Männern und Frauen vor sich ging und geht.

Der geistigen Produktion liegen Theweleit zufolge also Abzapfungs- und Auszehrungsprozesse, Menschenopfer zugrunde, Prozesse und Entbehrungen, von denen Jenny Marx in ihren Briefen viel berichtet, Prozesse und Verhältnisse, die auch si auf sich genommen hat.

An Wilhelm Liebknecht schrieb sie 1872:

Uns Frauen fällt in allen diesen Kämpfen der schwerere, weil kleinlichere Teil zu. Der Mann, er kräftigt sich im Kampf mit der Außenwelt, erstarkt im Angesicht der Feinde, und sei ihre Zahl Legion, wir sitzen daheim und stopfen Strümpfe. Das bannt die Sorge nicht, und die tägliche kleine Not nagt langsam aber sicher den Lebensunterhalt hinweg. Ich spreche aus mehr als 30jähriger Erfahrung, und ich kann wohl sagen, dass ich den Mut nicht leicht sinken ließ. Jetzt bin ich zu alt geworden, um noch viel zu hoffen… (MEW 33, S. 702)

Jenny Marx schrieb Bettelbriefe, besorgte Karl Marx bezahlte Jobs, wimmelte die GläubigerInnen ab und musste Pfändungen ihres Hab und Gut miterleben. Sie machte sich Sorgen darüber, wie sie und die Kinder durchkommen. Von sieben geborenen Kindern überlebten nur drei. Schulden waren ihr ein Graus. Das erfährt man aus einem Eintrag im Poesiealbum ihrer Tochter. Jenny Marx war es auch, die soziale Kontakte pflegte, wenn sich Karl Marx mal wieder mit jemandem überworfen hatte.

Sicherlich war Jenny Marx mehr als eine besorgte Mutter, nicht nur weil sie auch selbst schrieb (etwa über Londons Theater, Shakespeare,  sogar eine Autobiograhie verfasste sie; vgl.  Jenny Marx oder: Die Suche nach dem aufrechten Gang). In einer neuen Jenny-Marx-Biographie ist zu lesen: »Jenny Marx war für ihre Zeit eine über die Maßen emanzipierte und couragierte Frau.« Was aber ist der Maßstab? Antonia Bakunin, André Leo, Anna Jaclard? Oder Bettina von Arnim, Flora Tristan und Louise Otto? Ein Vergleich mit anderen Sozialistinnen und Aktivistinnen der Frauenbewegung wäre hilfreich gewesen.

Leider fehlt auch in der neuen Biographie zu Jenny Marx ein Schritt zurück, der es möglich gemacht hätte, die Frage zu stellen, was es eigentlich heißt, die Biografie einer Frau wie Jenny Marx zu schreiben. Einer Frau, die nicht nur unter sozial beschissenen, sondern auch unter patriarchalen (Produktions-)Verhältnissen lebte. Dass diese Dimension kaum Thema von Biografien ist, ist eine häufige Leerstelle, in der marxistischen Diskussion. FeministInnen haben sie oft und zurecht kritisiert. Auch die an Marx orientierte Ökonomiekritik blendet oft die Sphäre der Reproduktion der Ware Arbeitskraft aus, ebenso wie die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und asymmetrischen Geschlechterverhältnisse, die den Kapitalismus als ganzes durchziehen.

Auf dem Umschlag der neuen Jenny-Marx-Biographie ist zu lesen, das Karl Marx’ wissenschaftliches Hauptwerk Das Kapital sei. Marx‘ Kapital sei hingegen seine Frau Jenny gewesen – der mitschwingenden Doppelsinn ist wahrscheinlich ungewollt.

Klaus Theweleit macht die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der Kulturproduktion unter anderem daran fest, wer zum Diktat bittet – und wer die Schreibmaschine bedient. Zu Marx Zeiten war die Automatisierung des Schreibens unter Denkern noch nicht weit verbreitet. Friedrich Nietzsche soll der erste Philosoph gewesen sein, der sich eine zugelegt hatte. Und dennoch: 1852 wurde Jenny Marx offiziell Karl Marx‘ Sekretärin. Karl diktierte auch, wenn er unter Zeitdruck war. Viele seiner Schriften brachte sie für ihn in Reinschrift und redigierte sie: Die Heilige Familie, Das Elend der Philosophie, das Kommunistische Manifest, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, Zur Kritik der politischen Ökonomie und viele Zeitungsartikel und  kleinere Schriften. Das Kapital hingegen hat Marx selbst in Reinschrift gebracht – das wollte er wohl ungern aus der Hand geben. Zum achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte sagt sie: »die Erinnerungen an die Tage, an denen ich in Karls‘ Stübchen saß, seine kritzlichen Aufsätze kopierte, gehört zu den glücklichsten meines Lebens.« Das Produktionsverhältnis beruhte also durchaus auf gegenseitigem Einvernehmen.

Zu ihrem 200. Geburtstag findet nun in Jenny Marx‘ Geburtsstadt Salzwedel eine Sonderausstellung statt, sie wird im Fernsehen und Radio gewürdigt. Eine neue Biographie und ein Briefband sind erschienen, in dem etwa 100 Briefe erstmals veröffentlicht werden. Vor allem der Briefband ermöglicht einen Blick auf das, was Jenny Marx umtrieb, was sie dachte und tat. Beide Bücher sind sehr wichtige Puzzleteile in der biografischen Forschung. Mehr Sensibilität für die Geschlechterverhältnisse sind aber nötig, um ein vollständiges Bild von Jenny Marx zu bekommen.

Angelika Limmroth: Jenny Marx. Die Biographie. 303 Seiten. Karl Dietz Verlag Berlin
Rolf Hecker/Angelika Limmroth (Hg.): Jenny Marx. Die Briefe. 607 Seiten. Karl Dietz Verlag Berlin

Aufgeblättert: Aufstand aus der Küche

Aufstand aus der Küche heißt ein neues Bändchen aus dem Hause edition assemblage. Es versammelt drei wichtige Beiträge zur feministischen Ökonomiekritik der Marxistin Silvia Federici.[1. Im Juni 2012 bestreiteten Silvia Federici und Melinda Cooper die »Luxemburg-Lecture« in Berlin zum Thema »Das Unsichtbare sichtbar machen. Reproduktionsarbeit, Biotechnologie und geschlechtliche Arbeitsteilung.« Ein Mitschnitt findet sich auf der Website der RLS.] Seit den 1970er Jahren stellt Federici die weibliche Reproduktionsarbeit ins Zentrum politischer Diskussionen und Auseinandersetzung. Es ist dem Kollektiv Kitchen Politics zu danken, dass sie die Texte zugänglich gemacht haben.

Federici war Gründungsmitglied des International Feminist Collective, das 1972 die internationale Kampagne »Lohn für Hausarbeit« initiierte. Die Forderung war eine strategische Intervention mit dem Ziel, das Kräfteverhältnis von Kapital und Lohnarbeit zu verschieben — aus einer feministischen Perspektive. Hausarbeit sollte ihre scheinbare Natürlichkeit genommen werden — deshalb auch Aufstand aus, nicht in der Küche. Und mehr noch: Federici thematisierte die Herstellung von Geschlecht als Teil gesellschaftlicher Praxis und nahm damit, das unterstreicht das Kollektiv Kitchen Politics, einige Thesen aus den Queerdebatten vorweg. Was Federici weiter auszeichnet ist, dass sie den Raum der politischen Auseinandersetzung nicht auf die Hausarbeit, die Küche, beschränkt, sondern bis ins »Schlafzimmer« ausweitet. Nicht nur die Reproduktion der Arbeitskraft, sondern auch die gesellschaftlichen Bedingungen der Reproduktion der Gattung Mensch hat einen kapitalistischen Charakter, der sich in die Geschlechterverhältnisse einschreibt — und umgekehrt.

Neben Federicis Beitrag zur Lohn-für-Hausarbeit-Kampagne von 1974 versammelt das Bändchen zwei neue Texte. Einer thematisiert Reproduktionsarbeit unter den Bedingungen des globalisierten Kapitalismus; der andere ist ein feministischer Beitrag zur Commons-Debatte, mit dem sich Federici auch in der Occupybewegung zu Wort meldete. Neben den drei Beiträgen von Federici wird auch die kluge Einleitung einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass feministische Ökonomiekritik und Kapitalismuskritik in Zukunft stärker zusammengedacht werden können.

Silvia Federici: Aufstand aus der Küche. Reproduktionsarbeit im globalen Kapitalismus und die unvollendete feministische Revolution. edition assemblage, Münster 2012. 128 Seiten, 9,80 EUR.