FAQ. Noch Fragen? Um- oder Entschuldung für Athen?

Die neue griechische Regierung wurde schnell aktiv. Kaum war der neue Finanzminister, Yanis Varoufakis, im Amt, kündigte er die Zusammenarbeit mit der Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), Internationalem Währungsfonds (IWF) und EU-Kommission auf. Aber auch nach wenigen Tagen rückte die SYRIZA-geführte Regierung scheinbar von einer zentralen Forderung ab, dem Schuldenschnitt. Anfang Februar meldete die Deutschen Presse-Agentur (dpa), Griechenland habe sich von ihrer zentralen Forderung nach einem Schuldenschnitt verabschiedet. Im Interview mit der Financial Times, auf das sich die dpa bezog, hörte sich das schon ganz anders an: Varoufakis sagte, der Begriff »Schuldenschnitt« sei möglichst zu vermeiden, da ein solcher für die Gläubiger, allen voran Deutschland, nicht akzeptabel sei. Es war von einer Umschuldung, statt einer Entschuldung, also einem Schuldenschnitt die Rede. Wie sieht der vorgebrachte, neue Vorschlag aus? Continue reading “FAQ. Noch Fragen? Um- oder Entschuldung für Athen?”

… darüber entscheidet eben nicht der Schuldnerstaat

Nicht der Schuldner ist die entscheidende Figur bei den Anleihen des Schuldnerstaates. Gewiss ist sein Verhalten für seinen Kredit nicht unwesentlich, ja sogar von sehr großer Bedeutung; aber von welcher Bedeutung es ist, darüber entscheidet eben nicht der Schuldnerstaat, sondern darüber entscheiden seine Gläubiger.

Aus: Sultan, Herbert (1932): Die Staatseinnahmen. Versuch einer soziologischen Finanztheorie als Teil eine Theorie der politischen Ökonomie (Beiträge zur Finanzwissenschaft. Neue Folge, Bd.1), Tübingen, hier: S. 193

Die Austeritätspolitik der EU ist nichts grundlegend Neues

Thomas Sablowski wurde für die Zeitschrift mole interviewt und greift darin meine Arbeit zum Euro auf, die inzwischen in der Zweitauflage vorliegt:

Insofern ist die Austeritätspolitik der EU in der jüngsten Krise nichts grundlegend Neues; vielmehr wurde die bisherige Politik mit der Neuregelung der „Economic Governance“, mit dem Euro-Plus-Pakt, dem Fiskalpakt etc. nur noch einmal erheblich verschärft. Der Titel „Austerität als Projekt“, den Ingo Stützle seiner marxistischen Studie über die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion gegeben hat, charakterisiert diese daher sehr treffend.

FAQ. Noch Fragen? Berliner Schuldenkonferenz?

»Griechen für deutsche Lösung«, titelte die taz Anfang 2015. Die Tageszeitung spielte damit auf eine Forderung des griechischen Linksbündnisses SYRIZA an. »Auch Deutschland wurde 1953 ein Großteil der Kriegs- und Vorkriegsschulden erlassen, um einen Neustart zu ermöglichen«, so Jannis Milios, Wirtschaftsprofessor in Athen und wichtiger SYRIZA-Wirtschaftsberater, in der Berliner Zeitung (13.1.2015). Damals erließen die Westalliierten der Bundesrepublik fast die Hälfte der Altschulden – auch Griechenland unterschrieb in London das Schuldenabkommen, das oft als eine Voraussetzung für das sogenannte Wirtschaftswunder benannt wird. Warum also nicht ähnliche Verhandlungen für Griechenland? Sind die ökonomischen und politischen Bedingungen für einen Schuldenschnitt überhaupt vergleichbar? Continue reading “FAQ. Noch Fragen? Berliner Schuldenkonferenz?”

Varoufakis: »Ich glaube, dass die EU davon profitieren würde, wenn Deutschland sich als Hegemon verstünde«

Deutschland ist das mächtigste Land Europas. Ich glaube, dass die EU davon profitieren würde, wenn Deutschland sich als Hegemon verstünde. Aber ein Hegemon muss Verantwortung übernehmen für andere. Das war der Ansatz der USA nach dem Zweiten Weltkrieg.

So der neue griechische Finanzminister Varoufakis in einem ZEIT-Interview.

Die Linke sollte sich mal darüber verständigen, was das, wenn das tatsächlich eintritt, für ihre kritische Solidarität, Einschätzung, Analysen und Kommentierungen bedeutet.

Aufgeblättert: Wahlen im Maßnahmenstaat Griechenland

»Seit den Kreditverträgen vom Mai 2010 zwischen Griechenland, der Europäischen Union und dem Internationalen Währungsfonds stehen alle zentralen Entscheidungen des griechischen Parlaments unter dem Vorbehalt der Gläubiger« – so der Klappentext zu Gregor Kritidis Buch »Griechenland – auf dem Weg in den Maßnahmenstaat«. Und man möchte ergänzen: Selbst die Wahl des Parlaments steht unter Vorbehalt. Zumindest wenn man den deutschen Pressekommentaren lauscht. Denn seit dem klar ist, dass im Januar Neuwahlen anstehen und die Linkspartei SYRIZA laut Umfragen die stärkste Kraft ist, dreht vor allem die deutsche Politikelite am Rad. Obwohl klar ist, dass es keine rechtlichen Möglichkeiten gibt, dass Griechenland die Eurozone verlässt, wird das Grexit-Szenario angerufen und somit deutlich gemacht: die EU und auch der Euro beruhen vor allem auf Machtverhältnissen, die Deutschland bestimmt und bestimmen will. In den kommenden Wochen wird sich deshalb auch zeigen, wie es EU- und Euro-Institutionen gelingt, sich gegen Deutschland durchzusetzen.

Die gegenwärtige Debatte ist die Spitze eines Eisbergs, Ausdruck der autoritären Krisenpolitik der letzten Jahre, die Kritidis in seinem Buch in neun Abschnitten nachzeichnet. Griechenland, so die Frage im Titel, auf dem Weg in den Maßnahmenstaat? Den Begriff Maßnahmenstaat hat Kritidis von Ernst Fraenkel übernommen, der in seiner Analyse des Faschismus nachzeichnet, wie sich die Logik eines Maßnahmenstaats gegenüber dem Normenstaat zunehmend Bahnen bricht.

Wer wissen will, wie die »verordnete Schocktherapie« (Kritidis) Griechenland in eine soziale und politische Krise trieb, sollte das Buch zur Hand nehmen. Der Zerfall der demokratischen Institutionen, die Verelendung und der Aufstieg der extrem rechten Kräfte sind kein Zufall, sondern Ergebnis der Troika-Politik zugunsten der Gläubiger-Institutionen und -Staaten. Die gesammelten Beiträge verstehen sich als Aufklärung und Form von Gegenöffentlichkeit in einer Zeit, in der Unwissenheit und Ressentiments die Berichterstattung und Deutung der Eurokrise prägt. So kurz vor den Wahlen in Griechenland, sind dem Buch noch viele LeserInnen zu wünschen.

FAQ. Noch Fragen? Schäubles schwarze Null

Bereits vor Monaten triumphierte Wolfgang Schäuble (CDU): Erstmals seit 1969 schreibe ein deutscher Finanzminister eine schwarze Null. Während ihm ParteifreundInnen auf die Schulter klopften, waren andere empört, dass ausgerechnet Deutschland – das Land, das in der Eurozone den größten finanzpolitischen Handlungsspielraum hat – diesen nicht dazu nutzte, Geld auszugebe, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Die sogenannte schwarze Null könnte zudem bald wie »Kindergarten« oder »Panzer« in den englischen Sprachgebrauch eingehen, denn selbst das US-Wirtschaftswebportal Businessinsider titelte auf Deutsch mit »schwarzer Null«.

Aber was soll das heißen, schwarze Null? Wenn ein Unternehmen Gewinne und keinen Verlust macht, schreibt es schwarze Zahlen. Warum aber schwarze Null? Continue reading “FAQ. Noch Fragen? Schäubles schwarze Null”

Austerität tötet. Wer das Sparen erfand und wem es heute nützt – ein BR2-Feature

Piketty-BuchAuf die Sparprogramme der Troika folgte in vielen Krisenländern die humanitäre Katastrophe. Während die EU-Länder weiter ihre Schulden reduzieren wollen, wird die Krise für immer mehr Menschen zum Alltag – auch in Deutschland. Julia Fritzsche und Sebastian Dörfler haben für den Bayrischen Rundfunk ein hörenswertes Feature zu Austerität produziert, zu dem ich auch ein paar Ideen beisteuern durfte. Das Feature ist als Podcast verfügbar:

direkt anhören

Meine Besprechung von »Sparprogramme töten – Die Ökonomisierung der Gesundheit« von David Stuckler und Sanjay Basu findet ihr hier.

Die aktuelles Ausgabe von »Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin« (Sonderausgabe zu Griechenland) hier.

 

FAQ. Noch Fragen? Grenzen der Geldpolitik

EZB-Neubau.August-2013
Der EZB-Neubau in Frankfurt am Main (August 2013)

Der Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn ist außer sich. Scharf kritisiert er den neusten Vorstoß der Europäischen Zentralbank (EZB), Kreditverbriefungen aufzukaufen: »Die EZB wird damit vollends zu einer Bail-out-Behörde und einer Bad Bank Europas«. Was war passiert? Bereits im Juni 2014 hatte EZB-Chef Mario Draghi verkündet, den Leitzins auf historische 0,15 Prozent zu senken. Zum Leitzins leihen sich die Geschäftsbanken Geld bei der Zentralbank, um damit unter anderem Kredite zu vergeben. Die Kreditvergabe an Unternehmen lässt in den Augen der EZB jedoch zu wünschen übrig. Deshalb wurde zudem ein Negativzins für Einlagen bei der EZB beschlossen. Er soll die Geschäftsbanken dazu bringen, den Unternehmen Geld zu leihen, statt das Geld wieder bei der EZB anzulegen. Ist der Einlagezins bei der EZB nämlich negativ, machen die Geschäftsbanken einen Verlust. Aber selbst dieser geldpolitische Winkelzug der EZB hat nichts geholfen: Am 7.10.2014 war in der FAZ zu lesen: »Deutsche Industrieproduktion bricht ein. Deutschlands Firmen drosseln ihre Produktion so stark wie seit dem Jahr 2009 nicht mehr.« Aus dem Wirtschaftsministerium war zu hören: »Die Industriekonjunktur durchläuft gegenwärtig eine Schwächephase«.

Die Kreditvergabe der Banken ist noch durch etwas anderes beschränkt: ihr Eigenkapital. Das sieht die Bankenregulierung so vor. Genau hier setzt der neue Vorstoß der EZB an, denn Banken übernehmen etwa 80 Prozent der Finanzierung der europäischen Volkswirtschaft. Deshalb kündigte EZB-Chef Mario Draghi an, bis zu einer Billion Euro auszugeben, um den Banken Wertpapiere abzukaufen: Pfandbriefe, die mit Immobilien abgesichert sind, und verbriefte Unternehmens- und Verbraucherkredite, sogenannte Asset Backed Securities (ABS). Vor allem die Entlastung des Bankensystems von verbrieften Unternehmenskrediten soll die Kreditvergabe wieder in Schwung bringen: schließlich wären die Banken mit dem Verkauf der Wertpapiere nicht nur selbst wieder kreditwürdiger, sondern zudem wieder mit mehr Eigenkapital ausgestattet. Durch die Versorgung des Bankensystems mit weiterem Geld erhofft sich die EZB zudem, eine Deflation abzuwenden. (Siehe ak 597) Continue reading “FAQ. Noch Fragen? Grenzen der Geldpolitik”

Helmut Kohl gibt zu, Diktator gewesen zu sein

Die Aufregung um das Buch von Heribert Schwan ist groß; mehrere Passagen sollen aus Die Kohl-Protokolle geschwärzt werden. Zu anderen Zitaten steht Kohl scheinbar noch, so etwa zu der von Jens Peter Paul entlockten Kohl-Aussage, die in Pauls Promotion [PDF] einfloss:

Ich bin ein Machtmensch, okay – was heißt eigentlich: Wieso bin ich Machtmensch? Wenn einer Bundeskanzler ist, will etwas durchsetzen, muß er doch ein Machtmensch sein! Und wenn er gescheit ist, dann weiß er: Jetzt ist eine Zeit reif, um etwas durchzusetzen. Und wenn er gescheit ist, dann weiß er: Es gibt Sachen, da muß ich warten. Es ist mein volles Leben: In einem Fall war ich wie ein Diktator, siehe Euro , in einem Fall war ich ein Zauderer, habe alle Probleme ausgesessen. Ist immer noch der gleiche Helmut Kohl, von dem wir reden. Mit Machtmensch hat das nichts zu tun.

Aufgeblättert: Kein pfiffig ausgedachtes Auskunftsmittel. Viele Neuerscheinungen schlagen sich mit Geld als sozialer Realität herum

Mit der Krise ab 2008 geriet der Kapitalismus zeitweilig in eine Legitimationskrise – und mit ihm der Mainstream der Wirtschaftswissenschaften. Schließlich wurde offensichtlich, dass die Theorien eine derartig tief greifende Krise von ihrer wissenschaftlichen Anlage her nicht vorsahen. Das ist kein Zufall, sondern liegt an den Prämissen des derzeit herrschenden Mainstreams: Geld spielt keine Rolle. So meinte etwa der 2006 verstorbene Nobelpreisträger Milton Friedman, dass »ungeachtet der wichtigen Rolle … des Geldes in unserer heutigen Wirtschaft« der »charakteristische Zug der Markttechnik, nämlich das Erreichen der Koordination« auch ohne Geld begriffen werden könne. Kein Wunder also, dass mit der Frage nach den Ursachen der Krise das Geld in den Fokus der Debatte rückte – und Gegenstand vieler Bücher wurde.

Geld die wahre Geschichte von Felix Martin der-sieg-des-kapitals-074231581-1 Felber_Geld_P02.indd

 

 

 

 

So geht Felix Martin vor dem skizzierten Hintergrund in seiner unautorisierten Biographie des Geldes, so der Untertitel im englischen Original, von dem wunden Punkt des Mainstreams aus, nämlich, dass es den – wie bei Friedman – imaginierten Zustand eines geldlosen Naturaltauschs nie gab. Er fragt sich, wieso die ökonomische Zunft, trotz vieler historischer und anthropologischer Erkenntnisse, daran festhält. Martin organisiert Ausflüge in die Antike, nach China und in das Europa des Mittelalters und der Aufklärung und kommt schließlich zu dem Befund, dass Geld wesentlich eine »soziale Technologie«, eine große Erfindung und Übereinkunft sei.

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Blackbox EZB: Macht und Ohnmacht der Europäischen Zentralbank

Zentralbanken ähneln modernen Kirchen. Sie hausen in imposanten Gebäuden. Sie umgibt eine Aura von Autorität – von Macht, Geheimnis und Bedeutung. Eine Zentralbank gilt als «Hüterin der Stabilität» oder «des Geldes», sie «versorgt die Gesellschaft mit Liquidität». Ihr Auftrag scheint fraglos gut und nützlich. Denn alle wünschen stabiles Geld, alle fürchten das Monster Inflation.

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