Noch nicht einmal demokratischer Schein. Ein Interview mit Astrid Rund über die Aufhebung des Atomausstiegs

Ende August wurde in fast allen Tageszeitungen ein “Energiepolitischer Appell” veröffentlicht. Diesen nahm das Institut Solidarische Moderne (ISM) zum Anlass, den Aufruf “Demokratischer Rechtsstaat oder Atomstaat” zu initiieren. Über Intention des Aufrufs sprach ich für ak mit Astrid Rund, Erstunterzeichnerin des Aufrufs und Kuratoriumsmitglied des ISM.

ak: Der Aufruf des ISM zum Konflikt um die Laufzeitverlängerung trägt ganz schön dick auf: “Es geht um nicht weniger als das politische Gestaltungsmandat der Verfassungsorgane und damit um den Bestand des demokratischen Rechtsstaates selbst.” Warum geht es um nicht weniger?

Astrid Rund: Bei der Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken wird ganz offensichtlich und unverhohlen dem Interesse und der Lobbypolitik der großen Energiekonzerne entsprochen. Entgegen dem Willen der Mehrheit der Bevölkerung soll der Atomausstieg gekippt werden. Die Bundesregierung will den sogenannten Ausstiegskonsens einseitig nicht einhalten, obwohl die Atomkonzerne durch den Verzicht des Staates auf monetäre Leistungen – wie steuerfreie Rückstellungen, Verzicht auf die Brennelementesteuer, Versicherung – schon mindestens 50 Mrd. Euro kassiert haben.

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Die Dagegen-Republik

Der letzte Spiegel hatte mal wieder ein tolles Titelthema (»Die Dagegen-Republik – Bürgeraufstand gegen die Politik«) und bringt das herrschende Demokratieverständnis auf den Punkt. Ein Satz gegen Ende könnte bei Johannes Agnoli abgeschrieben sein oder zumindest eine Referenz hergeben – nur eben irgendwie anders gemeint:

»Aber einer Bevölkerung muss immer mal wieder etwas zugemutet werden, sonst kann ein Land sich nicht entwickeln. Solche Zumutungen kann nur die Berufspolitik verordnen. Aber wenn der Protest zu stark wird, schafft sie das nicht. Deutschland würde zum Land der Bewohner, Stillstand wäre die Folge. Die beste Gesellschaft ist die, die Politiker und Bürger miteinander verzahnt. Bürgerliche Emotionalität muss durch politische Abgeklärtheit aufgefangen werden, Mittelschichtseinfluss durch Repräsentation der ärmeren Schichten, Konfrontationswille durch Konsenssuche – und umgekehrt. Die Politik braucht den Protest als Mahnung, damit sie besser arbeitet. Wie so oft ist es eine Frage des Maßes.« (35/2010, S. 72)