FAQ. Noch Fragen? Puerto Rico: Griechenland in der Karibik?

Auf einer Konferenz der Bundesbank Anfang Juli verbat sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble in besonders arroganter Weise die Kritik von Jack Lew, dem US-Finanzminister. Nicht nur Lew, sondern auch einige US-Ökonom_innen hatten im Juli Deutschland öffentlich aufgefordert, die Griechenlandkrise endlich zu lösen. Schäuble, ganz in seinem Element als Patriarch der Eurozone, bot Lew an, Puerto Rico in die Eurozone aufzunehmen, wenn die USA im Gegenzug Griechenland in die US-Dollar-Zone aufnehmen. Die Karibikinsel stand damals kurz vor der Pleite. Inzwischen wird das Land von Ratingagenturen als zahlungssäumig geführt. Ein absurder Vergleich, den Schäuble da strapazierte?

Die USA besetzte Puerto Rico im Zuge des Spanisch-Amerikanischen Kriegs 1898. Zwei Jahre später endete zwar die militärische Besatzung, aber unabhängig war die Insel damit nicht. Bis heute müssen alle Waren, die über den Seeweg ankommen oder abgehen, mit einem US-beflaggten Schiff und US-Besatzung transportiert werden. Obwohl die Puerto-Ricaner_innen seit 1917 die US-Staatsbürgerschaft haben, ist die Insel bis heute kein offizieller US-Bundesstaat, sondern hat seit 1941 nur einen assoziierten Status. Die offizielle Währung ist dennoch der US-Dollar, der Insel ist somit eine unabhängige Geldpolitik verwehrt. Wer in Puerto Rico lebt, dient in der US-Armee, ist aber in den USA nicht wahlberechtigt oder steuerpflichtig. Dennoch werden Teile der öffentlichen Aufgaben von der US-Administration wahrgenommen, etwa Sozialhilfe, Rentenversicherung, Gesundheitsbeihilfen, was etwa die inländische Nachfrage trotz Krise stabilisierte. Damit unterscheidet sich die Karibikinsel von Griechenland.

Die Krise setzte ein, als 2006 Steuerprivilegien für US-Unternehmen abgeschafft wurden. Die Abschaffung wurde bereits 1996 beschlossen. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollten US-Unternehmen ermuntert werden, auch auf der Karibikinsel zu investieren, wo auch das US-Arbeitsrecht und der US-Mindestlohn gelten – und was dem US-Kapital mit dem Ende der Subventionierung dann doch zu kostspielig wurde. Besonders attraktiv war Puerto Rico für die Pharmabranche. 16 von 20 der in den USA meist verkauften Medikamente wurden auf der Insel hergestellt. Sonst ist sie eher auf Landwirtschaft und Tourismus ausgerichtet. 2006 setzte das Minuswachstum ein, das inzwischen zehn Jahre anhält. Viele Unternehmen schlossen, entließen Arbeitskräfte. Die Wirtschaft schrumpfte, die US-Tourist_innen blieben aufgrund der Krise seit 2008 weg, die Steuereinnahmen blieben aus – und die Staatsschulden wuchsen. Zwar hat Puerto Rico eine niedrigere Schuldenquote als Deutschland, aber relevant ist eben, ob die Schuldenlast getragen werden kann, das heißt Zinsen und Tilgung mittels Steuern bezahlt oder alte durch neue Schulden ersetzt werden können.

Die USA machten bisher Andeutungen, Puerto Rico zu unterstützen – ähnlich wie bei der de facto Pleite Kaliforniens. (Siehe ak 605) Interessant ist aber, was die US-Administration als Tipp mitgab: Das Land solle sich doch bitte direkt an die Hedgefonds wenden. Trotz aller Ähnlichkeiten zur Griechenlandkrise sind die Fronten hier etwas klarer. Die Hedgefonds haben sich inzwischen in einer Ad Hoc Group of Puerto Rico zusammengefunden und sich von ehemaligen IWF-Ökonom_innen altbekannte Vorschläge mit klar neoliberaler Kante vorlegen lassen: Steuererhöhungen für die Bevölkerung, Arbeitsmarktreformen, Kürzungen im öffentlichen Sektor. Ähnlich einfallsreich sind die Vorschläge des Thinktanks Centennial Group: Privatisierung des internationalen Hauptstadtflughafens, Einsparungen bei der Bildung – und das, obwohl bereits in der ersten Jahreshälfte von 2015 etwa 100 Schulen geschlossen wurden. Auch soll das Gesundheitswesen »reformiert« werden. Die Folge ist eine erneute Migrationswelle in die USA. Das erste Mal in der Geschichte leben dort mehr Puerto-Ricaner_innen als auf der Insel.

2012 stimmten über 60 Prozent der Bevölkerung in Puerto Rico dafür, den Status eines vollwertigen US-Bundesstaats zu beantragen. Dem muss der US-Kongress noch zustimmen. Aber obwohl die Demokratische wie auch die Republikanische Partei ihre Unterstützung angekündigt hatten, ist mit der Pleite nun die Frage, ob die USA den Schritt nun noch gehen. Bisher deutet sich zumindest an, dass, im Gegensatz zu Griechenland, »die Finanzmärkte« durchaus Vertrauen haben – möglicherweise nicht in Puerto Rico, so doch in die US-Fiskalmacht und die Zentralbank Fed. Puerto Rico könnte dennoch ein langjähriger juristischer Streit drohen, wie ihn etwa Argentinien mit Hedgefonds bis heute austrägt. Das Land zahlte nach der Pleite 2001 nicht alle Gläubiger aus.

Ingo Stützle

Erschienen in: ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 607 vom 18.8.2015